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UTOPIE Verkehrswende
Propaganda: Warum glauben Menschen an Verschwörungen?
(c) Daniel Pasche für CeMAS
Interviews

Propaganda: Warum glauben Menschen an Verschwörungen? 

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty ist Mitbegründerin der Denkfabrik CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie). Dort hat man sich der Erforschung der Ursachen von Antisemitismus und Verschwörungsideologien, der Desinformation und des Rechtsextremismus im Internet verschrieben – und Pia Lamberty verortet sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft. Im Interview mit NITROspricht sie über Menschen, die Verschwörungsideologien anhängen und für Propaganda und Desinformation empfänglich sind. Sie erklärt, wie Feindbilder funktionieren und dass sich der Glaube an Verschwörungen durch ganz unterschiedliche Bildungsschichten und politische Milieus zieht.

? Sie sind Sozialpsychologin und forschen zu Verschwörungsideologien, Propaganda, Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Nicht erst seit dem 11.September 2001 und Donald Trump und spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass es Menschen gibt, die für Verschwörungstheorien und Propaganda empfänglich sind. Sind Krisen der ideale Zeitpunkt dafür?

! Krisen sind immer Momente, die sehr viel Unsicherheit in sich tragen, in denen Menschen in ihrem Leben komplett neu herausgefordert werden und einen neuen Sinn generieren müssen. Man weiß aus der Forschung, dass der erlebte Kontrollverlust einer der Gründe ist, warum Menschen an Verschwörungen glauben, warum ein Verschwörungsglaube in dem Moment zunehmen kann, wo Menschen das Gefühl haben, keinen Einfluss mehr auf das nehmen zu können, was gerade passiert. In der Corona-Pandemie fragten sich viele Menschen: Kann ich in den Urlaub fliegen? Kann mein Kind zur Schule gehen? Werde ich meinen Job behalten können? Das alles waren viele Unsicherheitsmomente, die Menschen bewegten und noch bewegen.

Man muss allerdings auch sagen, dass in den quantitativen Umfragen der Verschwörungsglaube als abstrakte Persönlichkeitseigenschaft nicht zugenommen hat. Schaut man sich aber andere Parameter an, sieht man, dass er deutlich relevanter für das Handeln von Menschen geworden ist und dass der Glaube an Corona-Verschwörungen in der Gesellschaft sehr verbreitet ist. Hier kann man schon von 20, 25 Prozent sprechen, die hinter Corona eine Verschwörung sehen.

? Welche Entwicklungen nehmen Menschen, die an Verschwörungen glauben – sie werden ja nicht als Verschwörungstheoretiker geboren. Die Frage ist, wie kommen sie an den Punkt, an dem der Glaube an eine Verschwörung das Leben bestimmt? 

! Zur genauen Entwicklung, welche Schritte hierbei eine Rolle spielen, gibt es tatsächlich noch relativ wenig Forschung. Das ist eine Lücke, die hoffentlich in den nächsten Jahren geschlossen wird, damit man diese Verläufe besser kennt.

Es gibt aber neben dem bereits erwähnten Kontrollverlust weitere Faktoren, die hierbei eine Rolle spielen. Es gibt Menschen, die sich beispielsweise durch den Glauben an Verschwörungen persönlich aufwerten wollen. Sie bekommen das Gefühl, einzigartig zu sein, meinen zu wissen, was wirklich gespielt wird, während die anderen in deren Logik alle Schlafschafe sind oder sogar die Verschwörer. Hier gibt es verschiedene Identitätsangebote. Auf der einen Seite eine Persönlichkeitseigenschaft: die Verschwörungsmentalität und die generelle Tendenz, an Verschwörungen zu glauben. Dann gibt es eine Radikalisierung in dieses Weltbild hinein, und hier steht am Anfang ein erlebter Erweckungsmoment. Solche Menschen glauben, sie wüssten ganz genau, wie es auf der Welt läuft.

? Gibt es dabei einen Auslöser?

! Auslöser können ganz profane Dinge sein, zum Beispiel Dokumentationen zu ­bestimmten Themen. Über Menschen, die an eine „flache Erde“ geglaubt haben, gab es in den USA eine Studie. Dabei hat man herausgefunden, dass tatsächlich YouTube-Videos der Auslöser dafür waren, dass sie an eine „flache Erde“ glaubten. Dann bewegen sich solche Menschen plötzlich in Milieus, in denen man sich mit derartigen Inhalten umgibt und beschäftigt, mit denen man sich auch radikalisieren kann.

Wenn man sich das aber politisch anschaut, ist es schon so, dass der Glaube an Verschwörungen am stärksten ausgeprägt ist bei Menschen aus einem rechten oder rechtsextremen Spektrum. Beispielsweise sieht man, dass Wähler der AfD deutlich stärker an Verschwörungen glauben, und die AfD nutzt das auch beziehungsweise bedingt es sich gegenseitig.

? Was verbindet die Themenbereiche Verschwörungsideologien, Propaganda, Antisemitismus und Rechtsradikalismus miteinander? Sie erwähnten das rechte Spektrum. Aber wir kennen Verschwörungen auch aus linken Milieus, und man kennt inzwischen Kollegen, Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder, die plötzlich merkwürdige Dinge behaupten.

! Wenn ich sage, Menschen, die Verschwörungserzählungen anhängen, finden sich vermehrt im rechten Spektrum, bedeutet das natürlich nicht, dass sie nur dort zu finden sind, sondern der Glaube an Verschwörung zieht sich durch ganz unterschiedliche Bildungsschichten und politische Milieus. Man findet solche Menschen auch in alternativ-esoterisch geprägten Milieus und in bürgerlichen Kreisen. Dasselbe sieht man zum Beispiel auch beim Antisemitismus. Der Antisemitismus ist etwas, was in verschiedenen Milieus in unterschiedlichen Formen ausgeprägt sein kann, und er wird teilweise zu einer verbindenden Klammer in diesen verschiedenen Gruppierungen.

? Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine gab es in Berlin immer wieder prorussische Demonstrationen, wo junge Männer mit Putin-T-Shirts demonstrierten, die waren noch nie in Russland, und die haben auch keine russischen Freunde. Woher kommt die Begeisterung für einen Despoten wie Putin?

! Diese Begeisterung ist nicht neu. Solche Demonstrationen gab es schon 2014. Mit der Annexion der Krim hatte sich in Deutschland der sogenannte Friedenswinter etabliert, und die Montagsmahnwachen für den Frieden waren damals häufig verschwörungsideologisch geprägt. Zum Beispiel Ken Jebsen hat sich in diesen Strukturen weiter radikalisiert, und damals gab es auch schon ähnliche Versatzstücke, wie man sie heute sieht.

Da haben wir zum einen die Ablehnung des Westens beziehungsweise der Nato, der USA und Israel. 2014 spielte auch der Antisemitismus immer wieder eine Rolle und eine gewisse Romantisierung von Russland. Gerade bei Verschwörungsideologen geht es ja häufig auch um Demokratiefeindlichkeit. Liberale Demokratien werden abgelehnt, stattdessen werden Führungspersonen gesucht, denen man folgen kann. Und Russland ist ja häufig auch eine Projektionsfläche für einen gewissen Mystizismus und die Idee oder Romantisierung eines Status, der nicht von liberalen Werten geprägt ist.

? Wenn junge Menschen an pro-russischen Demonstrationen teilnehmen und Putin verehren, blenden sie völlig aus, dass in Russland die Menschenrechte mit Füßen getreten und Journalisten verfolgt werden – und dass die Pressefreiheit praktisch nicht mehr existiert, scheint die pro-russischen Demonstranten auch nicht zu interessieren.

! Häufig ist es in so einem radikalen Milieu genau umgekehrt. Menschen, die für Russland und Putin demonstrieren, finden es ja gerade gut, wenn der Journalismus eingedämmt wird, denn die freie Presse, wie wir sie in Deutschland kennen, ist ja ein Feindbild, und Pressezensur ist dementsprechend etwas, was man eher gut findet. Insofern ist das in weiten Teilen gar kein Widerspruch, sondern wird befürwortet.

? Sie beschäftigen sich schon länger mit Corona-Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine kamen die Putin-Versteher hinzu. Handelt es sich um die gleiche Gruppe von Verschwörungstheoretikern beziehungsweise sind die Corona-Verschwörer und Impfgegner die gleichen Personen, die jetzt den Krieg in der Ukraine bejubeln? Gibt es hier Schnittmengen?

! Empirisch sind diese Überlappungen stark sichtbar. Das CeMAS hat genau dazu eine Umfrage durchgeführt. Da konnte man sehr gut sehen, dass es einen gewissen Anteil der Gesellschaft gibt, der offen ist für russische Propaganda – das sind insbesondere AfD-Wähler und Menschen, die noch ungeimpft sind. Denn die, die jetzt noch nicht geimpft sind, haben dafür häufig ideologische Gründe. Und es sind Menschen, die bereit sind, ihre Proteste öffentlich zu zeigen. Dementsprechend können wir ähnliche Weltbilder sehen. Um mal eine Zahl zu nennen: Es gab in der CeMAS-Umfrage 14 Prozent Zustimmung zu Verschwörungserzählungen rund um den Ukraine-Krieg bei geimpften Menschen und 56 Prozent bei ungeimpften Personen. Das sind schon sehr starke Effekte.

? Wir sehen seit drei Monaten unerträgliche Bilder von russischen Angriffen auf Wohngebiete in der Ukraine, ermordete Zivilisten und Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Trotzdem wird der Krieg in Russland von Verschwörungsanhängern als Propaganda des Westens abgetan. Dazu trägt sicher auch das russische Staatsfernsehen bei. Trotzdem stellt sich die Frage: Woher kommt diese Empathielosigkeit?

! Wir sehen hier Prozesse der Dehumanisierung, also der Entmenschlichung. Das bedeutet: In dem Moment, wo man Feindbilder schafft, spricht man ihnen die Menschlichkeit ab. Ein Journalist ist dann nicht mehr ein Mensch mit Familie und Freunden, sondern ein Feind, gegen den man sich zur Wehr setzen will. Hier sehen wir, dass Menschlichkeit gar keine Rolle mehr spielt, sondern dass alles über Feindbilder funktioniert. Das ist eine der großen Gefahren eines verschwörungsideologischen Weltbildes: Man erschafft das absolut Böse, um sich selber als das Gute aufzuwerten. So entzieht man sich jeder Kritik und kann am Ende Gewalt rechtfertigen.

? In einigen Internet-Foren wird sogar von einer „Weltverschwörung“ fantasiert – ähnlich wie im dritten Reich, als von einer Verschwörung des Weltjudentums gesprochen wurde. Tritt hier der Antisemitismus offen zu Tage?

! Schon in der Corona-Pandemie war die Stimmung immer wieder antisemitisch aufgeladen. Beispielsweise wurde behauptet, Israel würde nur Wasser verimpfen, um den Rest der Welt auszulöschen, oder es würde einen „Great Reset“ geben. Es gab Behauptungen, dass eine Neuordnung der Gesellschaft angestrebt würde, eine Bevölkerungsreduktion, oder die Menschen sollten durch die Impfung umgebracht werden. Da ist man schnell bei der Idee einer globalen Weltverschwörung und mit derart gebündelten Thesen ebenso schnell beim Antisemitismus.

? Gibt es vielleicht auch Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben und auf Propaganda hereinfallen, weil sie einfach von Angst getrieben sind?

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Pia Lamberty promoviert am Lehrstuhl Sozial- und Rechtspsychologie der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Sie forscht als Psychologin seit Jahren dazu, warum Menschen an Verschwörungen glauben und welche Konsequenzen dieses Weltbild mit sich bringt. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel). Als wissenschaftliche Mitarbeiterin war sie unter anderem in dem Projekt „Seventy Years Later: Historical Representations of the Holocaust and their effects on German-Israeli Relations“ angestellt. Zusammen mit der Netzaktivistin ­Katharina Nocun veröffentlichte sie das Sachbuch „Fake Facts – wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ und „True Facts – was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“.

Das ganze Interview lesen Sie in der gedruckten Ausgabe.

Das Interview führte Bettina Schellong-Lammel

Katharina Nocturn, Pia Lamberty

FAKE FACTS

Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen

ISBN: 978-3-404-07002-2

Preis: 12 Euro

www.luebbe.de

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