Aus den USA, wo Autokönig Ford den Siegeszug des Massenprodukts Kraftwagen verwirklichte, kommen zuweilen unerwartete Ideen. Und das aus dem Land der Gegensätze, wo das Automobil zum Symbol der persönlichen Freiheit wurde. Besonders in ländlichen Räumen wird das Auto hier als eine Art Menschenrecht betrachtet, und die Führerscheinprüfung kann mit 16 Jahren für wenige Dollar abgelegt werden. Die Städtebauer folgten diesem Mantra bisher und erklärten das Auto zum Verkehrsträger Nummer eins – wer zu Fuß lief, war verdächtig.
Auf der anderen Seite wurden Katalysatoren und Sicherheitsgurte in den USA viele Jahre früher als in Deutschland eingeführt. Tempolimits sind in den USA Alltag, und wer zu schnell fährt, für den wird es richtig teuer. Die Geschwindigkeitsbeschränkungen gelten seit Einführung der Interstate Highways in den 1950er-Jahren unter Präsident Eisenhower. Fußgänger und Radfahrer wurden lange Zeit wenig beachtet. Inzwischen setzt allerdings ein Umdenken ein.
So birgt die oft rätselhafte Nation nicht nur beim Siegeszug der emissionsfreien Elektromobilität Überraschungen. Begünstigt durch die große Sportbegeisterung der US-Amerikaner werden Verkehrsprojekte für Fahrräder, so vorhanden, inzwischen sehr gern angenommen.
In New York sind inzwischen über 2 200 Kilometer als Radwege ausgewiesen, 900 Kilometer davon sind durch Barrieren von den Autospuren abgetrennt. Inzwischen fahren 773 000 New Yorker regelmäßig mit dem Fahrrad. 530 000 Fahrten werden täglich mit dem Rad unternommen, schätzt die lokale Verkehrsbehörde.
Die Elm Street in San Diego, Kalifornien, ist seit ein paar Jahren zur Einbahnstraße geworden und eine komplette Spur gehört jetzt dem Fahrradverkehr. Sie ist auch nicht die einzige Straße, die umgewidmet wurde. Mehr Platz für Fahrräder und mehr Sicherheit durch Sperrflächen sowie physische Sperren für Autos sollen San Diego nach dem Willen der Stadtverwaltung lebenswerter machen.
Die größte Gefahr für Radfahrende ist das Rechtsabbiegen. San Diegos Verkehrsplaner haben deshalb auf vielen Straßen, die in Einbahnstraßen umgewandelt wurden, die Fahrradwege kurzerhand auf die linke Fahrbahnseite verlegt. Direktes Rechtsabbiegen ist nicht möglich, die nicht selten tödliche Unfallgefahr gebannt.
Wer mit dem Fahrrad dennoch rechts abbiegen möchte, muss zunächst nach links in eine „Abbiegebox“, die sogenannte Turn Box fahren. Beim nächsten Grün-Signal fährt man dann geradeaus in die rechtsabbiegende Straße. So entfällt die größte Gefahr für Radfahrende: von rechts abbiegenden Autos überfahren zu werden.
Damit geht die Universitätsstadt an der mexikanischen Grenze neue Wege. Im neuen Quartierskonzept „Neigborhood Next“ soll es künftig keinen motorisierten Verkehr mehr geben. Ziel ist ein „15-Minuten-Wohngebiet“: Alle Einrichtungen des täglichen Lebens sollen in maximal 15 Minuten fußgängig zu erreichen sein. Promenaden und öffentliche Parks verbinden Arbeits- und Freizeitstätten, Schulen und Restaurants. Die einzigen Transportmittel, die das Mobilitätskonzept vorsieht, sind Fahrräder. Die Bewohner werden zwischen Arbeit und Privatleben pendeln, ohne dass sie dafür ein Auto brauchen. So liest sich der Plan.
Dieses neue Quartier soll auf dem Gelände von San Diegos Sportarena aus dem Jahr 1966 entstehen. Das City Council beauftragte kürzlich Architekten aus Dänemark, ein autofreies Wohnviertel mit 5000 Wohneinheiten für unterschiedliche Einkommensgruppen zu kreieren. Es soll das lebenswerteste Stadtviertel der Welt werden.
Bernd Lammel
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