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Martina Zöllner: Netflix und Co. und haben die Branche belebt
© Sera Kurc
Interviews

Martina Zöllner: Netflix und Co. und haben die Branche belebt 

Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen sich in den kommenden Jahren enormen Veränderungen stellen. Sparzwänge und die On-Demand-Herausforderungen gehen auch am Hauptstadtsender rbb nicht vorbei, der sich zu einer spannenden Adresse für Dokumentationen, Fiction und Serien gewandelt hat. Martina Zöllner ist die Leiterin dieses Programmbereichs, die die erste Zusammenarbeit mit Joyn bei der Serie „Mapa“ verantwortet. Seit 1.4. ist sie auch zuständig für die Kultur. Mit NITROsprach Martina Zöllner über die Kultserie „Warten auf’n Bus“, die neue Produktion „Legal Affairs“, die vom Medienanwalt Christian Schertz inspiriert wurde, und über die ARD-Mediathek, die zunehmend an Bedeutung gewinnt.

? Frau Zöllner, Sie sind seit 2017 Leiterin Dokumentationen, Fiction und Serien im rbb. In einem Interview sagten Sie: „Der rbb will mit fiktionalen Produktionen ein starker Faktor innerhalb der ARD werden.“ Gibt es bereits erste Erfolge?

! Ich würde sagen, wir sind mit einigen Produktionen aufgefallen. Die erste war „Unterwerfung“ nach dem Roman von Michel Houellebecq – eine Mischung aus Theater und Film. Das ist eher ungewöhnlich, aber wir fanden gerade das reizvoll und waren über die Reaktionen, auch die der inhaltlichen Auseinandersetzung, sehr froh. Ein anderes Wagnis war der Fernsehfilm „Die Getriebenen“, da ging es um Angela Merkels Flüchtlingspolitik“. Inszenierte Szenen wurden kombiniert mit dokumentarischen Elementen aus dem Archiv. Mir sind politische Stoffe, auch politisch relevante Auseinandersetzungen mit den Themen, die uns gegenwärtig in der Gesellschaft umtreiben, wichtig, und gern auch umgesetzt in einer formal ungewöhnlichen Weise. Meines Erachtens ist es eine besondere Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen, jedenfalls begreife ich es so, nicht nur etwas Ungewohntes oder Neues zu erzählen, sondern auch in der Form zu überraschen, statt eine formale Gewohnheit und eine stereotype Dramaturgie zu bedienen, die Leute schon kennen.

? Netflix, Amazon und Co prägen immer mehr die Sehgewohnheiten der Menschen und bedienen maßgeschnei­dert das, was der Zuschauer sich wünscht. Das wollen Sie nicht?

! Sie haben völlig recht, die großen Streamingplattformen fordern uns in Form und Erzählweise heraus. Wir sehen diese Konkurrenz, und mit deren Budgets können wir nicht mithalten. Andererseits haben die Streamer die Branche ungeheuer belebt. Es ist auch aus Deutschland heraus eine Vielzahl an neuen erzählerischen Formaten entstanden. Noch vor vier, fünf Jahren hätte niemand gedacht, dass aus Deutschland heraus so viele gute Serien kommen können. Und die können international mithalten in der Differenziertheit des Erzählens, in der visuellen Modernität, der Ambivalenz der Charaktere.

? Die von von den großen Streamingplattformen beauftragt werden …

! … und in deren Portfolio aufgenommen werden.

? Stichwort Plattformen. Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen dem rbb und Joyn bei „Mapa“?*

! Die Produzentin Laura Bull von Readymade kam mit dem Stoff „Mapa“ zu uns und hatte Joyn bereits als Partner. Sie suchte nach einem weiteren Kooperationspartner, der sich auch finanziell einbringt. Uns hat die Berliner Serie sofort interessiert, deshalb sind wir eingestiegen und zweiter Co-Produzent geworden.

? Produzenten und Kreative orientieren sich immer mehr Richtung Net­flix, Amazon und Co. Es heißt, sie stehen bei den großen Plattformen Schlange, weil Serien, Filmen und Dokumentatio­nen viel unkomplizierter und zügiger umgesetzt werden. Wie wollen Sie Produzenten und Drehbuchautoren davon überzeugen, dass Sie bei einem öffentlich-rechtlichen Sender wie dem rbb genauso gut oder besser aufgehoben sind?

! Sie haben natürlich recht, dass Produzenten und Kreative gern für amerikanische Plattformen Stoffe umsetzen. Wenn wir Kreative aktiv ansprechen, hören wir jetzt öfter, sie hätten keine Zeit, weil sie für eine große Plattform arbeiten. Es erreichen uns aber auch Erfahrungsberichte, die nicht nur positiv sind. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Begleitung der Redakteurinnen und Redakteure aus den Rundfunkanstalten doch sehr geschätzt wird. Wir versuchen Drehbuchautoren oder Produzentinnen ein Partner zu sein, indem wir ihre künstlerischen Eigenheiten und Bedürfnisse ernst nehmen und ihnen Raum geben. Und wir gehen immer wieder auch ins Risiko mit einer Stoffentwicklung, versuchen, ein Gegengewicht zu setzen.

? Was bedeutet, dass der rbb viel für Stoffentwicklungen und Drehbuchumsetzungen tut, auch wenn das bedeutet, Risiken einzugehen?

! Absolut. Nehmen Sie „Warten auf‘n Bus“. Das war ein Risiko. Es ist eine Serie – in einer Zeit der Serienopulenz – in der praktisch nichts passiert. Es wird nur geredet, an einer Bushaltestelle – mit einer ganz eigenwilligen Poesie und ein bisschen skurril …

? … es hat fast etwas Theaterhaftes und Minimalistisches.

! Ja genau.

? Warten auf’n Bus“ hat sehr viel Beachtung gefunden – mit negativen wie positiven Reaktion. Können Sie sich erklären, warum die Serie ein Erfolg wurde?

! Wir hatten gehofft, dass sie Kult wird, aber das weiß man ja nicht vorher. Oliver Bukowskis wunderbare Drehbücher haben uns umgehauen. Seine Fähigkeiten, die Figuren sprachlich reich auszustatten, hat man schon im ersten Exposé gesehen. Aber dann nimmt ein Regisseur oder eine Regisseurin den Stoff in die Hand, und man überlässt ihn der Vision und der kreativen Kraft anderer. Am Ende war ich sehr glücklich über das, was dabei herausgekommen ist.

Das Interview führte Bettina Schellong-Lammel

Das ganze Interview lesen Sie in der aktuellen Printausgabe.

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