Neuestes Heft: Jetzt bestellen!

UTOPIE Verkehrswende
netzpolitik.org-Gründer Beckedahl über Presse- und Informationsfreiheit
Foto: Bernd Lammel
Interviews

netzpolitik.org-Gründer Beckedahl über Presse- und Informationsfreiheit 

Digitalisierung und Datenschutz – eine unmögliche Konstellation? Nicht für Markus Beckedahl, den Gründer von netzpolitik.org. Für ihn ist Datenschutz ein Grundrecht, das in politischen Debatten oft als Sündenbock für die lahmende Digitalisierung Deutschlands herhalten muss. Im Interview mit NITRO spricht er über Transparenz, Informations- und Pressefreiheit, die Flut von Überwachungs­gesetzen und die gesellschaftliche Aufgabe von Journalismus.

? Seit unsere Welt immer digitaler wird, werden der Schutz unserer Daten und die Freiheitsrechte im Netz immer wichtiger. War dies auch damals schon der Anlass, netzpolitik.org aus der Taufe zu heben?

! Ich wollte Aufmerksamkeit schaffen für die politischen Debatten über die Frage: Wie regulieren wir das Internet? Welche Gesetze wollen wir in der digitalen Gesellschaft haben? Damals war das ein Thema, das in der traditionellen Medienwelt fast gar nicht vorhanden war und fast nur in IT-Fachmedien stattfand. Ich wollte einen Ort schaffen, wo diese ganzen Informationen und Nachrichten zusammenaggregiert werden.

? Die großen Verlagshäuser haben sich damals sehr ignorant gebärdet und behauptet, das Internet erledige sich bald wieder, darum bräuchten wir uns nicht zu kümmern. Heute sehen wir, wie grundsätzlich sie sich geirrt haben …

! Ich fand es auch Ende der Nuller-Jahre immer noch erstaunlich, dass in den Spitzenebenen von Politik, Medien und Wirtschaft sehr häufig noch die Annahme vorhanden war, dass das Internet ein Trend ist, der bald wieder verschwindet, womit man sich nicht beschäftigen muss. Mir war damals schon klar: Für die gesamte Gesellschaft ist das Internet die Zukunft, denn es war ja schon damals die Gegenwart.

? War Ihnen denn schon damals bewusst, welche Entwicklung wir mit dem Internet nehmen werden?

! Ich bin mit Computern aufgewachsen, die waren damals nur noch nicht vernetzt, und trotzdem war mir und vielen meiner Generation schon damals klar, was dieser technologische Fortschritt bedeutet. Es war vor zwei Jahrzehnten nur eine Frage der Zeit, bis das Internet schneller und wir alle umfassend vernetzt sind. Im Prinzip stehen wir auch heute noch am Anfang einer Entwicklung, die wir überhaupt nicht abschätzen können.

Was mir damals aber auch schon klar war: Es muss dafür Regeln geben – ohne Regeln wird einfach gemacht, was die Mächtigen und die Stärksten wollen. Es kann für unser Zusammenleben und für die Art, wie wir kommunizieren, nicht sein, dass keine rechtsverbindlichen Checks and Balances eingebaut werden, wie wir sie in der analogen Welt selbstverständlich auch ­haben.

? Wurden Sie für Ihre „Ideen“ damals belächelt?

! Natürlich wurde ich dafür belächelt und auch diffamiert und angefeindet. Mir und anderen wurde unterstellt, dass wir gegen alle Regeln wären. Das Gegenteil war der Fall: Wir wollen einfach nur gute Regeln und keine schlechten Gesetze. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die digitale Zukunft genauso demokratisch mit einem guten Verbraucherschutz geregelt wird, wie es in der analogen Welt vollkommen selbstverständlich ist.

? Wie viele Mitstreiter gehören zu netzpolitik.org?

! Als ich mit netzpolitik.org gestartet bin, war ich allein – ich habe mir dann schrittweise ein Netzwerk aufgebaut. Inzwischen ist aus dem Verein, den wir 2012 gegründet haben, eine Redaktion entstanden, in der 18 Kolleginnen und Kollegen arbeiten, die auf 13 Vollzeitstellen verteilt sind. Und das ist ja nur ein Teil von dem, was netzpolitik.org ist. Wir haben inzwischen ein riesiges Netzwerk an freien Autoren und Unterstützern, die in der Regel ehrenamtlich bei uns mitarbeiten. Das sind Datenjournalisten, Hacker und Juristen, die uns ihre externe Expertise geben. Insofern sind wir eigentlich ein Netzwerk-Medium, das nicht so einfach vergleichbar ist mit traditionellen Medien-Redaktionen.

? Verstehen sich die Mitstreiter von netzpolitik.org als Netz-Aktivisten, als journalistischen oder politischen Blog oder ist es politischer Journalismus?

! Wir sind ganz klar ein journalistisches Medium mit Haltung. Wir machen Politikjournalismus aus dem Netz für das Netz.

? Wer ist die Zielgruppe? User ab 25 oder die politikinteressierten „Älteren“ ab 40?

Das ist relativ schwierig zu erklären. Es ist eigentlich unser Anspruch, die ganze Gesellschaft zu erreichen, aber es ist natürlich auch eine Frage der Ressourcen. Auf jeden Fall sprechen wir Menschen an, die ein Grundverständnis für die politischen Fragen einer digitalen Gesellschaft haben. Uns lesen sehr viele Multiplikatoren aus Gesellschaft, Politik und Medien, und es lesen uns die, für die wir ein relevantes und meinungsstarkes Medium sind. Unsere Zielgruppe wird mit jedem Tag größer, weil sich jeden Tag mehr Menschen mit diesen gesellschaftlichen Fragestellungen beschäftigen und weil vielen bewusst wird, dass sie von den digitalen Zukunftsthemen auch betroffen sind.

? Deutschland belegt bei der Digitalisierung Platz 11 in Europa, was für so ein wirtschaftlich starkes Land …

! … die stärkste Nation Europas, sehr peinlich ist.

? Die Digitalisierung kommt nicht vor­-an, und gleichzeitig wird der Datenschutz immer weiter unterminiert. Digitalisierung schlecht, Datenschutz auch schlecht – wie passt das zusammen?

! Es ist eine sehr traurige Entwicklung. Der Schutz der Daten hat sehr viel mit unseren Grundrechten zu tun, aber in der politischen Debatte ist der Datenschutz immer der Sündenbock.

? Ist vielen Menschen gar nicht bewusst, was hinter dem Konzept Datenschutz steckt?

! Offensichtlich nicht. Denn immer, wenn irgendwo Probleme entstehen und ­jemand Fehler macht, wird ein Sündenbock ­gesucht, den man dafür verantwortlich machen kann.

? Heißt es dann sofort: Der Datenschutz ist schuld?

! Genau. Weil mit dem Datenschutz auch Technik und Recht verbunden sind, was für viele Menschen irgendwie eine Glaskugel zu sein scheint, die man nicht durchblicken kann, ist der Datenschutz ein sehr einfaches Opfer. Letztendlich geht es aber um demokratische Fragestellungen, nämlich um die Frage: Möchte man seine Grundrechte verschenken für etwas, was man nicht verstanden hat? Das wäre so absurd, als würde man die Demokratie aufgeben, weil man sie nicht verstanden hat.

Dass wir in der Digitalisierung nur auf Platz 11 im europäischen Vergleich sind, wird ebenfalls dem Datenschutz in die Schuhe geschoben. Durch die Datenschutzgrundverordnung haben wir aber überall in der Europäischen Union dieselben Standards. Deswegen ist es sehr billig und leider oft auch erfolgreich, wenn Politiker behaupten: Wir sind nicht so gut wie Estland, weil wir den deutschen Datenschutz haben. Das ist nichts als eine Ausrede, denn die europäische Datenschutzgrundverordnung ist eine gemeinsame Basis in der EU – sie gilt in Estland, Spanien und Deutschland gleichermaßen.

? Kann es sein, dass die Politik auf netzpolitik.org nicht immer gut zu sprechen ist?

! Es ist schwierig zu sagen „die Politik“. Wir haben in allen Parteien auch Befürworter. Dabei ist es sehr spannend zu beobachten, dass die Netzpolitiker von CSU bis Linke teilweise mehr gemeinsam haben als die Linken- oder die CSU-Politiker in Teilen der eigenen Bundestagsfraktion. Wir haben es hier auf der einen Seite mit einem Kulturkampf zu tun, und andererseits stellt sich die Frage: Wie digital denken Politiker inzwischen? Es gibt leider noch immer Politiker, die das Internet noch nicht so ernst nehmen und wahrscheinlich glücklich sind, dass sie Mitarbeiter haben, die das Internet für sie „bedienen“ – auch wenn es eine Minderheit ist.

? Die TikTok-Instagram-Jugend von heute, die in der Zeit der Digitalisierung erwachsen wird, interessiert sich weniger für den Datenschutz. Wie können diese jungen Menschen sensibilisiert und mobilisiert werden, damit auch sie sich aktiv in zivilgesellschaftliche Debatten zu den Freiheitsrechten im Netz einmischen?

! Ich glaube, ein Großteil der Jugend ist pragmatisch genug, um zu wissen, dass man nicht in den Wald gehen und die digitale Kommunikation einfach wegwerfen kann, denn dann würde man ausgeschlossen vom Leben. Ich denke aber auch, dass ein Bewusstsein dafür besteht, wie man Instagram oder TikTok nutzen kann, um am sozialen Leben teilhaben zu können, und wie man dabei so wenig wie möglich von sich preisgibt. Insofern ist die Jugend häufig medienbewusster und handelt medienkompetenter als viele Erwachsene, die von sich behaupten würden, dass sie ein hohes Datenschutzbewusstsein haben. Früher haben sie gegen die Volkszählung rebelliert, heute tragen sie in jedes Internet-Formular erstmal ihre komplette Soziografie ein, weil ein Formular fragt: „Wie viel verdienen Sie?“ – und dass nur, um eine kostenlose E-Mail-Adresse zu erhalten.

? In einem Interview mit dem Spiegel sagten Sie: „netzpolitik.org versteht sich als Frühwarnsystem, das Aufmerksamkeit bei Politikern und Journalisten schafft.“ Wovor wollen Sie frühzeitig warnen?

! Wir warnen davor, in welche Richtung sich Technologie, ihre Nutzung und die Machtverhältnisse dahinter entwickeln und welche gesellschaftlichen Fragestellungen sich daraus ergeben. Wir wollen die Politik ein wenig vor uns hertreiben, damit sie viel früher reagiert, viel früher Rahmenbedingungen schafft und wir den technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr zehn, zwanzig Jahre hinterherrennen. Wir warnen davor, dass wir den mächtigen Tech-Riesen nicht einfach viele Jahre Regulierungsferien schenken, während diese ihre Macht so massiv ausbauen, dass unsere Demokratie gefährdet ist.

? Der Bundesdatenschutzbeauftragte Professor Ulrich Kelber plädiert für ein Transparenzgesetz, das unterschiedliche Gesetze, unter anderem das Informationsfreiheitsgesetz, zusammenfügt. Würde das die Arbeit von Journalisten erleichtern?

! Auf jeden Fall, das ist eine alte Forderung der Zivilgesellschaft. Das Informations­freiheitsgesetz war für Deutschland im Jahr 2005 eine Revolution. In Schweden wird das aber seit Generationen so praktiziert, dass jeder Bürger die Informationen bekommt, die er möchte. In unserem journalistischen Alltag ist das Informationsfreiheitsgesetz ein sehr wichtiger Hebel auch für viele Recherchen. Aber es ist immer noch so: Ich muss als Journalist oder Bürger irgendwo hingehen und einen Antrag stellen, um Informationen zu bekommen. In vielen Fällen wird der Antrag abgelehnt, und man muss sein Recht teilweise vor Gericht durchsetzen. Das geht dann über viele Instanzen, was mit unserem vollkommen zusammengesparten Justizsystem an den Verwaltungsgerichten teilweise zwei, drei Jahre pro Instanz braucht, damit ein Journalist oder Bürger Auskünfte bekommt. Das ist völlig absurd.

Hätten wir ein Transparenzgesetz, könnte man den Spieß einfach umdrehen und Journalisten und Bürger wären keine Bittsteller. Mit einem Transparenzgesetz könnte man Behördenvorgänge proaktiv online stellen, und in wenigen Einzelfällen würde über Ausnahmen verhandelt, was zurückgehalten werden darf. In der analogen Welt wäre es nicht möglich gewesen, viele Aktenberge zur Verfügung zu stellen, aber heute, in einer digitalisierten Welt, ist die Idee vom Transparenzgesetz leichter umzusetzen.

? Bundesbehörden und Bundesämter und Teile der Politik sind von einem Transparenzgesetz aber garantiert nicht so begeistert. Wie kann man es durchsetzen?

! Indem man politische Mehrheiten schafft. Das Informationsfreiheitsgesetz wurde ja auch von Teilen der Politik überhaupt nicht akzeptiert und wird auch heutzutage von Teilen der Verwaltungen boykottiert, obwohl es ein Recht ist, das 2005 mit einer Mehrheit im Deutschen Bundestag geschaffen wurde. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dieses Recht in den vergangenen Jahren vor allem vom CSU-geführten Innenministerium massiv behindert wurde und erst Gerichte zugunsten der Informationsfreiheit entscheiden mussten.

Das ganze Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe.

Ähnliche Beiträge