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UTOPIE Verkehrswende
Es braucht mehr publizistischen Mut
Foto: Bernd Reoder
Elitejournalismus

Es braucht mehr publizistischen Mut 

Im Oktober 2015 gaben in einer Umfrage für den WDR 37 Prozent der Befragten an, dass ihr Vertrauen in die Medien in den letzten Jahren gesunken sei. Wie konnte es zu dieser Vertrauenskrise der deutschen Öffentlichkeit kommen,fragt Dr. Uwe Krüger in seinem Buch „Mainstream“. Er hat in den großen Medien tatsächlich eine Verengung des Meinungsspektrums ausgemacht. NITRO sprach mit dem Medienwissenschaftler aus Leipzig über den Wettlauf bei Quoten, Klicks und Auflagen im Spannungsfeld zwischen Eliten und Nicht-Eliten, Regierenden und Regierten, Quellen und ihren Nutzern. 

NITRO: Mit Ihrem Buch „Mainstream: Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ treffen Sie den Nerv der Zeit. Waren die Medien früher glaubwürdiger als heute?

Uwe Krüger: Obwohl seit 2014 die Lügenpresse-Debatte läuft, zeigen Langzeitdaten interessanterweise keinen deutlichen Vertrauensverlust in die Medien in Deutschland über die letzten Jahrzehnte. Aber laut diversen Umfragen zweifelt ein beachtlicher Teil der Bevölkerung an der Unabhängigkeit der Nachrichtenmedien von Politik und Wirtschaft, sieht sie eher als Stütze denn als Kontrolleur des Establishments und hält die Berichterstattung für einseitig und gelenkt. Verbreitet sind laut der jüngsten Repräsentativbefragung der Universität Mainz Ansichten wie: „Die Bevölkerung in Deutschland wird von den Medien systematisch belogen“ (19 Prozent sagten, das treffe „voll und ganz“ oder „eher“ zu), „Die Medien und die Politik arbeiten Hand in Hand, um die Bevölkerungsmeinung zu manipulieren“ (26 Prozent) oder „Medien berichten grundsätzlich nicht über berechtigte Meinungen, wenn sie diese für unerwünscht halten“ (37 Prozent). Darüber müssen wir reden.

Quoten, Klicks und Auflage

? Journalisten suchen die Ursache für den Vertrauensverlust am liebsten bei den Lesern und Zuschauern. Warum fällt es so schwer, sich selbstkritisch mit der eigenen Arbeit und dem eigenen Berufsstand auseinanderzusetzen?

! Zum einen haben die Journalisten ja nicht ganz unrecht: Der Strukturwandel der Öffentlichkeit von klassischen Massenmedien hin zu digitalen Netzwerkmedien ist ebenso eine Ursache für die Vertrauensdiskussion wie die verbreitete Neigung von Menschen, den Medientenor als ihnen feindlich gesinnt wahrzunehmen – das nennt sich „Feindliche-Medien-Effekt“. Aber es gibt auch auf Journalistenseite einiges zu überdenken und die Beziehung zu den Nutzern neu zu justieren. Selbstkritik und das Hinterfragen der eigenen Routinen ist immer schwer. Und diese Routinen auf Journalistenseite verursachen eben auch den Eindruck, man arbeite mit der Politik Hand in Hand.

? Journalisten sollen durch Information, Kritik und Diskussion zur Meinungsbildung beitragen, doch sie verlassen immer öfter die Ebene der Neutralität und versuchen, politisch und gesellschaftlich Einfluss zu nehmen. Beunruhigt Sie diese Entwicklung, und welche Folgen sind zu erwarten?

! Ich beobachte in den letzten Jahren zwei Tendenzen: zum einen, dass sich in viele Berichte Meinungen einschleichen, weil man aus kommerziellen Gründen – Quoten, Klicks und Auflage – starke Geschichten erzählen will. Storytelling aber verlangt nach Identifikationsfiguren und nach einer Einteilung von Akteuren in Gut und Böse. Und zum zweiten, dass man politisch Haltung zeigt und als gefährlich wahrgenommene Entwicklungen und Akteure publizistisch bekämpft. Das nimmt mit der Krisenhaftigkeit und den Spaltungen in der Gesellschaft zu – und verstärkt diese Spaltungen wiederum.

Wahrnehmungen, Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche

? Richtet sich Ihre Kritik, dass der Mainstream den Journalismus beherrscht, vorrangig an die Qualitätsmedien und bestimmte „Alphajournalisten“ oder ist es ein Problem der gesamten journalistischen Branche?

! Mainstream, wie ich ihn verstehe, entsteht in den gehobenen Segmenten von Journalismus und Politik, im Diskurs der Eliten verschiedener Sektoren, und er sickert dann durch zu niederrangigen Medien, die sich an den Themen und dem Meinungssound von Leitmedien orientieren. Der ganzen Vertrauensdiskussion liegen aus meiner Sicht Repräsentationsdefizite zugrunde: Bestimmte Wahrnehmungen, Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche breiterer Bevölkerungsschichten kommen im offiziellen Diskurs nicht vor oder werden dort abgewertet.

? Es heißt, die Zeiten, in denen Journalisten völlig unterschiedliche Positionen in ihren Medien vertreten haben, sind vorbei – mediale Pluralität findet bei vielen Themen nicht mehr statt. Sie sprechen vom Mainstream-Journalismus – könnte man es auch „Gleichschaltung“ nennen?

! Nein, denn „Gleichschaltung“ legt eine gleichschaltende Instanz nahe, die bewusst und zentral Zensur ausübt. Hier geht es um weiche Mechanismen, um Zeitgeist, um Strömungen. Das Grundproblem sehe ich im Auseinanderdriften einer liberal-internationalistischen, primär wirtschaftsorientierten und einwanderungsfreundlichen Elite – zu der auch viele Journalisten gehören – und einer Bevölkerung, die in Teilen national-konservativ und einwanderungsskeptisch eingestellt ist und auch mit autoritärer Herrschaft liebäugelt, um eine entfesselte Globalisierung zu stoppen. Innerhalb der politischen Elite sind bis zum Aufstieg der AfD die Meinungsspannen in vielen Themen geschrumpft, die CDU wurde ökologischer, die SPD wirtschaftsliberaler und die Grünen wurden militärfreundlicher. Ähnliches ist wohl auch mit dem Meinungskorridor der Medien passiert, denn der entspricht häufig dem in der politischen Elite.

Spannungsfeld zwischen Eliten und Nicht-Eliten

? Sind überregionale und regionale Presse sowie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wirklich noch „journalistisch unabhängige Berichterstatter“ oder schreiben auch sie, was die „breite Masse“ lesen will oder was sie für opportun halten? 

! Journalisten sind ja nie komplett unabhängig, sondern hängen von vielen Faktoren und Akteuren ab: Von der Themensetzung und Redebereitschaft ihrer Quellen, von Finanzierung durch Werbung oder Vertrieb, von Entscheidungen der Eigentümer ihres Mediums, vom allgemeinen Meinungsklima, an das sie Anschluss suchen oder in dem sie unbewusst schwimmen. Auf jeden Fall befinden sie sich stets in einem Spannungsfeld zwischen Eliten und Nicht-Eliten, Regierenden und Regierten, ihren Quellen und ihren Nutzern – und dann kommen natürlich noch die persönlichen Werthaltungen und Interessen der Journalisten dazu, die häufig einem liberal-intellektuellen Milieu angehören.

? Wieviel politischen Einfluss dürfen Journalisten nehmen und wie weit darf der „Meinungsjournalismus“ gehen? 

„Comment is free, but facts are sacred“, hat der Guardian-Redakteur J. P. Scott mal gesagt. Mit klar als solchen gekennzeichneten Meinungsäußerungen dürfen Journalisten natürlich Einfluss nehmen. Entscheidend sind aber zwei Dinge: Ignorieren sie unliebsame Meinungen, also verengen sie das Meinungsspektrum? Das mag aus hehren Motiven geschehen, kann aber für die Gesellschaft ungute Folgen haben, weil der Druck auf dem Kessel dann wächst. Und: Suchen und berichten sie auch die Fakten unvoreingenommen oder folgen sie bei der Informationssuche eher ihrem Welt- und Wunschbild? Der Informationsjournalismus sollte nicht vom Meinungsjournalismus überformt sein.

Charakterjournalisten setzen eigenwillig Themen

? Richtungsunterschiede sind in den Medien bei vielen Themen kaum noch auszumachen – fehlen im Journalismus „Charakterjournalisten“, die wirkliche Grundsatzdebatten anstoßen?

Es gibt solche Charakterjournalisten, die eigenwillig Themen setzen und Debatten befördern, wo noch keine geführt werden. DIE ZEIT fällt mir mit ihrer Chefredaktion dabei oft positiv auf. Wenn Bernd Ulrich das Insektensterben für ein existenzielles Thema hält, dann wird das eine Titelgeschichte, auch wenn kein Politiker darüber redet. Oder Pro- und Contra-Kommentare à la „Soll man mit der AfD reden?“. Solchen publizistischen Mut und solche Meinungsvielfalt braucht die Gesellschaft viel mehr.

Das Interview führte Bettina Schellong-Lammel-Lammel

 

Autor:

Dr. Uwe Krüger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Er studierte Diplom-Journalistik und Politikwissenschaft und promovierte über die Netzwerke deutscher Journalisten in Politik und Wirtschaft. Für seine Bücher „Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse“ (Herbert von Halem Verlag, Köln) und „Mainstream – Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ (Verlag C.H.Beck, München) erhielt er den Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik der Initiative Nachrichtenaufklärung.

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