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Polizeiruf und andere Filme: Alle Zeichen stehen auf Sturm
Film

Polizeiruf und andere Filme: Alle Zeichen stehen auf Sturm 

Die Schauspielerin Anna Maria Sturm ist 1,70 Meter groß, hat grüne Augen, dunkelblonde gelockte Haare, spricht fließend französisch, englisch, hochdeutsch und bayrisch, kann fechten und reiten, einen Kraftwagen mit Anhänger fahren, Querflöte spielen und wunderschön singen. Nach „Beste Zeit“ und „Beste Gegend“ hat Regisseur Marcus H. Rosenmüller nun, sechs Jahre später, den dritten Teil der Trilogie abgedreht – „Beste Chance“ kommt im Juni in die Kinos. NITRO fragte deshalb nach, ob sich Anna Maria in der Rolle als Kati immer noch wohlfühlt.

? Wie gefällt Ihnen denn der Film? 

! Ich habe ihn noch nicht gesehen.

?Aber Sie waren ja beim Dreh dabei …

! Die Zeit der Dreharbeiten in Indien hat mich sehr geprägt – ich war noch nie zuvor dort. Ich fühlte mich in Delhi wie in einem Bienenstock, denn wir haben ja nicht in irgendwelchen Ressorts ayurvedamäßig gedreht, sondern mittendrin und ohne Absperrungen Das war eine irre Erfahrung, wie ein Traum.

? Wie lange waren Sie in Indien?

! Über drei Wochen. Wir waren durch das Essen auf den Märkten und Straßen aber auch alle krank, weil wir das einfach nicht gewohnt waren. Ich habe mich zum Schluss nur noch von Bananen und Mandarinen ernährt, weil ich die selber schälen konnte und keine Angst vor Keimen haben musste. Die Armut dort, der Dreck und die unfassbar vielen Menschen auf kleinstem Raum haben mich schon ziemlich mitgenommen.

In Delhi ist ab acht Uhr abends fast keine Frau mehr auf der Straße

? Könnten Sie sich nach dieser Erfahrung vorstellen, sich in Indien nicht nur als Kati im Film, sondern auch als Anna Maria Sturm selbst zu finden?

! Damit habe ich es jetzt nicht so. Natürlich reisen viele Menschen dorthin, besuchen Ashrams oder trampen quer durchs Land. Das ist ja auch toll. Der Lebensstil der Menschen ist komplett anders als bei uns. Der Druck unseres Lebens fällt weg, es gibt so ein Laisser-faire. Aber für eine Frau ist es sicher nicht unproblematisch, das Land allein zu erkunden. In Delhi ist ab acht Uhr abends fast keine Frau mehr auf der Straße, es gibt leider auch viele Vergewaltigungen und Überfälle. 

? Also könnten Sie nicht das Gleiche tun wie die Kati, die Sie im Film spielen: Die setzt sich ohne Zögern in den Flieger nach Delhi, um dort nach ihrer Freundin zu suchen.

! Doch, das kann ich mir sehr wohl vorstellen. Prinzipiell reise ich sehr gern allein. Das finde ich immer spannend, weil man in einer fremden Gegend sehr mit sich selber konfrontiert wird, und das tut gut. Das ist immer ein recht kreativer Prozess, den ich durchmache, weil ich da viel über mein Leben und über mich selber nachdenken kann. 

Marcus H. Rosenmüller ist einer meiner Lieblingsregisseure

? Und wie fühlen Sie sich dabei?

! Das kommt auf die Tagesform an. Oft ist es auch total einsam, und man denkt: Was soll das eigentlich alles bringen? 

? Kommen wir zurück zum Film. Zwischen dem zweiten und dritten Teil liegen sechs Jahre. War das für Sie nicht seltsam, noch einmal an die alte Geschichte anzudocken? Sie haben sich ja in dieser Zeit auch verändert.

! Ich fand das eigentlich gerade spannend, dass so eine lange Zeit dazwischen lag. Ich habe mich zwar verändert, bin älter geworden, aber es ist mir überhaupt nicht schwergefallen, wieder in diese Rolle hineinzuschlüpfen. Im Gegenteil, das war, als käme ich zu einer alten Freundin zurück. Und mit der Erfahrung, die ich in der Zwischenzeit gesammelt hatte, konnte ich die Figur wieder ausfüllen und neu beleben.

? Es heißt, Marcus H. Rosenmüller sei einer Ihrer Lieblingsregisseure.

! Ein sehr wichtiger.

Kinofilm „Sommer der Gaukler“

? Warum arbeiten Sie so gerne mit ihm?

!Mit ihm habe ich meinen allerersten richtigen Film gedreht; er ist ein ganz besonderer Mensch mit einer großen Kraft und Energie; er liebt seine Figuren und liebt das, was er tut. Das hat mich natürlich angesteckt, und ich bin seinen Weg mitgegangen. Auch in seinem Kinofilm „Sommer der Gaukler“ hat er mich besetzt. Mit Rosi drehen ist toll, denn er fordert wirklich was von dir, und vor allem fordert er dich auf zu einer kreativen Mitarbeit – also mitzudenken, auch beim Text. Er fragt einen auch immer: „Würdest Du das so sagen?“ Das kommt ganz selten vor, dass das jemand macht. Das ist anstrengend, aber es ist auch der Mühe wert, denn dadurch wird ein Film echter, ehrlicher, tiefer. 

? Aber honoriert das auch das Publikum? Den ersten Teil („Beste Zeit“) der Trilogie sahen 123000 Kinobesucher, den zweiten Teil („Beste Gegend“) weniger als die Hälfte. Haben Sie eine Ahnung, wie viele sich den dritten Teil „Beste Chance“ ansehen?

! Da bin ich schon gespannt.

? Er soll zuerst und vor allem in den südlichen Bundesländern Deutschlands gezeigt werden. Also dort, wo die Geschichten spielen.

! Deswegen habe ich mich ja auch gefreut, dass Sie mich als Berliner Magazin zum Interview eingeladen haben, denn normalerweise kommen die Anfragen aus Süddeutschland, weil wir im Film schon richtig derbes Bayerisch sprechen, das in den nördlichen Regionen nur wenige verstehen.

Ich bin nicht Schauspielerin geworden, um nur einen Typ zu verkörpern

? Aber die Probleme, die sie im Film darstellen, haben Jugendliche doch überall – also beispielsweise heimlich mit dem Auto der Eltern fahren und dann einen Crash machen.

! Stimmt, das ist universal. Es nervt mich auch, wenn ein Film wie unserer mit bayerischer Kulisse und Dialekt gleich Heimatfilm heißt. Natürlich geht es auch um Heimat, aber in dieser Trilogie geht es eigentlich um viel mehr als das. Es geht um Jugend, es geht ums Aufwachsen, es geht um Freundschaft, um Liebe, Vertrauen und Verrat. 

? Komischerweise spielt der Dialekt, wenn der „Tatort“ aus München kommt, überhaupt keine Rolle. 

! Stimmt.

? Aber Sie möchten nicht aufs Bayerische abonniert sein, haben Sie in einem Interview gesagt.

! Stimmt auch.

? Und deshalb haben Sie sich vom „Polizeiruf 110“ verabschiedet? Viele Kollegen haben Ihnen deshalb den Vogel gezeigt und gesagt: Wie kann sie nur?

! Wenn ich gute Filme machen kann, dann ist es mir egal, was für einen Dialekt ich in dieser Rolle spreche. Aber wenn man diese Rolle einmal erfolgreich gespielt hat, bekommt man immer die gleichen Angebote. Das hat mir ein bisschen die Luft abgeschnürt, denn ich bin ja nicht Schauspielerin geworden, um nur einen Typ zu verkörpern. Natürlich könnte ich diese Anforderung immer wieder bedienen, viel mehr Filme im Dialekt drehen, aber das ist mir einfach zu langweilig, da kann ich mich nicht entwickeln. Ich will mich ausprobieren. Das war ein Grund, beim „Polizeiruf 110“ aufzuhören. 

Berlin ist eine tolle Stadt, sie passt besser zu mir als München

? Aber die Rolle machte Sie bundesweit bekannt.

! Das ja, auf jeden Fall.

? Und dann standen Sie neben einem so großartigen Schauspieler wie Matthias Brandt vor der Kamera.

! Natürlich. Das war auf einem hohen Niveau, das Ganze, und eigentlich war es eine völlige Idiotenentscheidung. 

? Aber Sie bewiesen Mut zum Risiko.

! Ich wusste wirklich nicht, was kommt, und es war ein langer Prozess, bis ich gesagt habe, ich höre auf. Ich wollte mich damit auch davon lösen, dass ich so eine Sicherheitsschiene fahre. 

? Inzwischen leben Sie in Berlin… 

! …und habe hier meine erste eigene Wohnung in einer komplett anderen Stadt bezogen. Berlin ist eine tolle Stadt, finde ich. Sie passt besser zu mir als München zum Beispiel. 

? Warum?

! Ich fühle mich freier in Berlin. Man hat zum Beispiel nicht den polizeilichen Druck, den ich in München immer spüre, dass alles so reglementiert ist. Das fühle ich in München ganz stark, dass da auf alles aufgepasst wird. Natürlich ist es auch eine wunderschöne, saubere, ruhige Stadt mit einem tollen Lebenskomfort, aber Berlin hat halt etwas Wilderes, finde ich. 

Polizeiruf 110 mit „Der Tod macht Engel aus uns allen“.

? Und welche Figur würde Sie jetzt, nach den Dreharbeiten im schönen Bayern, als Schauspielerin am meisten reizen? 

! Das ist projektabhängig: Welche Regisseurin oder welcher Regisseur plant da einen neuen Film oder ein Theaterstück? 

? Aber welche Figur würde Sie am meisten reizen? Auf welchen Charakter hätten Sie Lust?

! Das Spannende beim Spielen ist ja, dass man etwas spielt, was man nicht ist, was man nicht kennt. Da gibt es soooo viele Möglichkeiten. Ich lasse mich gerne überraschen. Zum Beispiel könnte ich mir vorstellen, einen todtraurigen Menschen zu spielen, der überhaupt nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Der sich fragt, warum er am Morgen überhaupt aufstehen soll, der gerne Karriere machen würde, aber einfach nicht weiss, wie das geht. 

? Sie haben schon zweimal den Grimme-Preis bekommen und sind für den Bayerischen Filmpreis nominiert. 

! Ich bin nominiert, ja, für den „Polizeiruf 110“ mit „Der Tod macht Engel aus uns allen“.

Ich sehe Preise nicht als das Nonplusultra

? Und wie wichtig ist so was? Wird Ihre Karriere dadurch einen neuen Schub bekommen? 

! Also im Filmgeschäft, glaube ich, sind solche Preise ziemlich wichtig. Ich habe mich natürlich gefreut über die Nominierung, denn es war meine erste persönliche, und der Film liegt mir sehr am Herzen. Und dass Menschen meine Arbeit gut finden, ehrt mich, und das freut mich wirklich. Ich sehe Preise aber nicht als das Nonplusultra.

? Und was machen Sie, wenn es keine Rollenangebote mehr gibt? Doch weiter Pharmazie studieren? Sie wollten ja ursprünglich Apothekerin werden, und das ist auch ein schöner Beruf.

! Ja, das habe ich versucht. Meine Familie hatte eine Apotheke, und ich sollte die Familientradition fortsetzen. Das ist natürlich ein gemachtes Nest, so eine Apotheke – wenn man gut ist und was von Pharmazie versteht: Ja, super! Aber während des Studiums habe ich gemerkt, dass mir dieses Fach nicht liegt, dass ich dafür einfach zu schlecht bin. Bei meinen Versuchen ist ja alles explodiert, alles in die Luft gegangen, weil man da total genau sein muss und nicht alles Pi mal Daumen abmisst wie beim Backen. Nicht so: ach, pfff. 

?: Sie haben dann Ihrem Professor gesagt: „Ich habe eine gute Nachricht für uns beide!“

! Genau. 

? „Ich höre auf.“ 

! Ja, das war auch wirklich eine gute Entscheidung, denn noch heute graust mir bei dem Gedanken, ich müsste mich jeden Tag in eine Apotheke stellen. Letztendlich war es auch eine gute Nachricht für die Kunden, die zu mir gekommen wären und mich gefragt hätten: Kann ich die beiden Medikamente miteinander kombinieren? Und ich hätte gesagt, schauen Sie halt mal auf die Packungsbeilage. Deshalb bin ich in meinem jetzigen Job auch viel besser aufgehoben.

Interview: Bettina Schellong-Lammel und Heide-Ulrike Wendt

 

 

Anna Maria Sturm wurde 1982 in Regensburg geboren und verbrachte ihre Jugend im benachbarten Schwandorf. Nach dem Abitur begann sie 2002 ein Pharmaziestudium in München.

Ende 2003 wechselte sie an die Otto-Falckenberg-Schule, an der sie Schauspiel studierte und die sie 2006 mit einem Diplom abschloss. Noch während der Ausbildung gab sie ihr Bühnendebüt an den Münchener Kammerspielen im Theaterstück „Engel“, und Regisseur Marcus H. Rosenmüller holte sie für „Beste Zeit“ vor die Kamera. Die Fortsetzung „Beste Gegend“ kam 2007 in die Kinos. 2014 läuft der dritte Teil „Beste Chance“ an. Im Dezember 2010 brillierte sie in einer Hauptrolle in „Nie wieder frei sein“, einem “ „Tatort“ des Bayerischen Fernsehens, der 2011 den „Grimme-Preis“ bekam. Im Frühjahr 2011 spielte Anna Maria Sturm im Stück „They shoot horses, don’t they“ (Werkraum der Münchner Kammerspiele) unter der Regie von Susanne Kennedy. Ab 2011 war sie als Ermittlerin im Münchner „Polizeiruf 110“ an der Seite von Matthias Brandt zu sehen. Nach ihrem fünften Fall, „Der Tod macht aus uns allen Engel“, stieg sie allerdings wieder aus. Matthias Brandt ermittelt nun allein weiter. 

 

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