Seit einem Jahr ist Frank Überall Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), und viele Kollegen sagen, seitdem wird der DJV in der Öffentlichkeit wieder wahrgenommen. Die Situation der Journalisten in Deutschland ist schwierig geworden. Seit Jahren gibt es einen Aderlass in den Verlagshäusern, Sendern und Medienbetrieben, und die Zahl der freien Journalisten, die sich mit geringen Honoraren durchschlagen müssen, steigt. Andererseits werden in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten solide Gehälter gezahlt und in den großen Verlagshäusern gibt es oft übertarifliche Entlohnung. Die Schere klafft auseinander, und die Gewerkschaften leiden unter Mitgliederschwund. NITRO fragte Frank Überall, wie er diesen Abwärtstrend stoppen will und wie die Zukunft des Journalismus aussieht.
NITRO: Herr Überall, fast die Hälfe der Journalisten in den Landesverbänden des DJV sind nicht mehr in einem festen Arbeitsverhältnis – Tendenz steigend. Diese Kollegen haben es schwer, mit den Honoraren der Redaktionen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Im „Schutzraum“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und in den großen Medienhäusern verdienen die Kollegen aber noch anständig. Wenn diese Tendenz anhält und wir immer mehr freie Journalisten in prekären Arbeitsverhältnissen haben, wird sich das auf die Qualität des Journalismus auswirken. Wie will der DJV hier gegensteuern?
Überall: Frei heißt nicht automatisch prekär, und fest angestellt heißt nicht automatisch Schlaraffenland. Auch bei den festangestellten Kollegen haben wir inzwischen den Trend, dass Redaktionsabteilungen ausgegliedert werden und dass Verlage keinen Tarif mehr zahlen. Das Bild ist differenziert. Wir stellen aber insgesamt eine Abwärtsspirale fest, auch wenn es einigen immer noch besser oder sehr gut geht. Das Problem ist, dass die Menschen für Journalismus nicht mehr bezahlen wollen.
NITRO: Woran liegt das nach Ihrer Meinung?
Überall: In den Medienhäusern wurden ganz große Fehler gemacht. Es wurde Geld beim Kernprodukt gekürzt, nämlich bei den Inhalten. Darauf müssen wir als DJV eine Antwort finden. Wir müssen unserem Werbeclaim „DJV – die Profis“ gerecht werden und wieder deutlicher machen, welche Rolle der Journalismus in dieser Gesellschaft spielt und auch, welche Rolle der Journalismus ökonomisch spielt.
NITRO: Es geht also nicht nur um Inhalte, sondern auch ums Geld?
Überall: Ja. Die Medienunternehmen tun sich keinen Gefallen damit, den eigentlichen publizistischen, redaktionellen, journalistischen Kern ihrer Arbeit auszuhöhlen und dort zu sparen. Das kann nicht funktionieren. Das betrifft Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ebenso wie Sender oder Onlineportale: Journalismus ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das müssen wir deutlich machen, und das ist auch für uns eine enorme Herausforderung. Wir dürfen uns nicht unterbuttern lassen und müssen auch junge Kollegen, die in den Beruf einsteigen, dazu ermuntern, ihre Stimme zu erheben. Und wir müssen unsere Interessen weiterhin und noch stärker und klarer formulieren. Das tun wir inzwischen aber nachhaltiger als bisher.
NITRO: Auch gegenüber der Politik?
Überall: Unbedingt. Manche Türen im Bundestag haben schon ganz blanke Griffe vom vielen Klinkenputzen. Wir versuchen, allen Parteien klarzumachen, dass es beim Journalismus keinen Aderlass geben darf. Wir sind aber nicht die Einzigen, die Klinken putzen.
NITRO: Die Lobby der Verleger kann das auch gut.
Überall: Sogar verdammt gut, und sie machen es sehr intensiv, sehr professionell und mit sehr hohem Personaleinsatz. Es ist unsere Aufgabe, für die verschiedenen Berufsgruppen und auch für die verschiedenen Beschäftigungs- oder Auftragsgruppen die Interessen der Stärkung des Journalismus deutlich zu formulieren und durchzusetzen. Wenn wir unsere Forderungen nicht formulieren, haben wir keine Chance. Das darf nicht passieren.
NITRO: Was erwartet der DJV von der Bundesregierung?
Überall: Klare Positionierung zugunsten der Journalisten beim Urhebervertragsrecht, wo man schon das kalte Grausen bekommen kann, wenn im Koalitionsvertrag steht, man will die Situation der Urheber verbessern, und an manchen Stellen hat man dann den Eindruck, dass alles schlechter wird. Es wäre außerdem gut, wenn zügig ein Presseauskunftsrecht auf Bundesebene auf den Weg gebracht wird. Als Tiefschlag habe ich die Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung empfunden, die Berufsgeheimnisträger wie uns, aber auch andere Berufsgruppen wie Anwälte, nicht hinreichend schützt. Es gibt verdammt viel zu tun.
NITRO: Stichwort unterschiedliche Berufsgruppen. Müsste sich der DJV als Berufsverband nicht für andere Berufsgruppen, die unmittelbar mit dem Journalismus zu tun haben, öffnen? Die haben beziehungsweise bilden ja bereits eigene Verbände.
Überall: Stimmt, es gibt einen Verband für freie Journalisten und einen für recherchierende Journalisten. Was uns aber stark macht, ist die große Solidargemeinschaft, denn der DJV hat noch immer über 34 000 Mitglieder – und zwar hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten. Und an diesem Alleinstellungsmerkmal sollten wir nicht rütteln. Wir müssen uns aber fragen: Was macht den Journalismus heute aus und welche Berufsbilder entstehen neu? Wir sollten darauf achten, dass angrenzende Berufsgruppen einen klaren journalistischen Kern haben.
NITRO: Der Journalismus verändert sich aber rasant …
Überall: Es verändert sich unglaublich viel und schnell. Und wohin sich der Journalismus verändert, darüber wie man Journalismus im wahrsten Sinne des Wortes verkaufen kann, muss sich der DJV auch Gedanken machen. Einige unserer Landesverbände öffnen sich bereits verwandten Berufsgruppen.
NITRO: Nämlich wer?
Überall: Zum Beispiel Wissenschaftler. Ich bin ja nicht nur DJV-Vorsitzender, sondern auch Wissenschaftler an einer Hochschule. Ich halte es für sinnvoll, in den Fächern Journalismus, Medien- oder Kommunikationswissenschaften für den Berufsverband zu werben, und zwar nicht nur unter den Studierenden, sondern auch beim Lehrpersonal. Und in vielen Satzungen der Landesverbände ist das inzwischen auch verankert.
NITRO: Wo und wie wird das kommuniziert?
Überall: Noch nicht ausreichend. Ich würde es zum Beispiel für sinnvoll halten, eine Facebook-Gruppe aufzumachen. Dort könnte der aktuelle Stand wissenschaftlicher Studien und Einschätzungen kommuniziert und auf Veranstaltungen hingewiesen werden. Das macht aber erst richtig Sinn, wenn wir auch die Landesverbände so weit haben, dass sie sich beteiligen beziehungsweise die Idee aufnehmen.
NITRO: Die Landesverbände müssten sich doch über eine solche Initiative freuen.
Überall: Ja. Zumal wir es bei den Wissenschaftlern mit einer Berufsgruppe zu tun haben, die in der Regel nach W-Besoldung bezahlt wird und auch einen ordentlichen Beitrag zahlen würde.
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Bettina Schellong-Lammel
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