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egoFM auf Erfolgswelle
Foto: egoFM
100 Jahre Radio

egoFM auf Erfolgswelle 

100 Jahre Radio bedeutet auch rund 40 Jahre privatrechtlicher Hörfunk in Deutschland.  Auf UKW war München die erste Stadt mit Privatradio. Ende Mai 1985 nahmen gleich drei Sender den Betrieb auf. Andrew Weber besuchte eine der wenigen erfolgreichen Neugründungen im Privatradio – egoFM.

Wer Mitte der 1980er-Jahre jung war, hörte den privaten Rundfunk. Er stand für Aufbruch, Hits und zeitgemäße Unterhaltung und nicht für piefiges Programm. Beim NDR etwa gönnte man in den 1980ern der Jugend gerade mal eine Stunde ihrer Musik. „Musik für junge Leute“ hieß das dann. Ja, es lief auch damals schon Werbung im Privatradio, aber das nahm man in Kauf, denn die Musik passte. Es dauerte einige Jahre, bis die öffentlich-rechtlichen Anstalten aufwachten und auch ihr Programmschema änderten oder gleich ganze Sender starteten, wie das Jugendradio N-JOY vom NDR, das dann dem Privatsender OK-Radio den Garaus machte, denn N-JOY sendete keine Werbung.

Neugründungen sind nach den Aufbruchszeiten selten geworden. Eine Ausnahme stellt egoFM dar. Erst 2008 ging der Sender an den Start und hat sich seitdem gut entwickelt. Die Reichweite nimmt stetig zu, zuletzt stieg sie um 26 Prozent (MA 2023 Audio). ΝITRO sprach mit dem Programmchef, Fred Schreiber, über den Erfolg von egoFM. Der sagt, man wolle wachsen, sehe sich aber trotzdem vor allem als Radiosender für die Stadt und die Hörerinnen und Hörer.

? Der Name egoFM irritiert ein wenig. Man denkt dabei an „Ich geb Gas, ich will Spaß“, um es mit einem Songtitel zu umschreiben. Heute hörte ich aber Themen zu einem Werbeumfeld mit Bioprodukten im Programm. Bio steht ja für Nachhaltigkeit und hat mit Egoismus eher weniger zu tun. Wie ist das zu erklären?

! Sie meinen, der Name passt nicht mit dem Produkt überein? Das kann sein. Der Name ist jetzt schon 15 Jahre alt, und man hat ihn aus Marketinggründen einfach beibehalten.

? Der Name scheint nicht zu schaden. Wenn man sich die Zahlen ansieht, schaut es für den Sender recht gut aus.

! Ja, es geht ordentlich nach oben, was im Audiobereich nicht überall der Fall ist. Üblicherweise gehört man schon zu den Gewinnern, wenn man nicht verliert.

? Woran liegt das? Was macht egoFM so erfolgreich?

! Zunächst einmal bewegen wir uns natürlich in einer Nische, die an alternativer Kultur und Subkultur interessiert ist. Das ist ein sehr enger Kreis, sowohl was die Musik- als auch die Themenauswahl anbelangt.

Wir versuchen, uns in diesem Bereich unverzichtbar zu machen. Wir sprechen eine Hörerschicht an, die vor allem im urbanen Raum zuhause ist. So langsam haben wir uns auch davon verabschiedet, nur ein Münchner Lokalradio zu sein. Mir ist es eigentlich wurscht, ob ich Hörer habe, die in Berlin, in Hamburg, in München oder in Stuttgart sitzen. Ich habe einfach gemerkt, dass Menschen, die in Ballungszentren leben, fast überall die gleichen Probleme haben.

? Was sind das für Probleme?

! Da geht es fast immer um Infrastruktur, um bezahlbaren Wohnraum, da geht es um Bildung und den Zugang dazu. Es geht auch immer um kulturelle Identitäten, die aufeinandertreffen. Natürlich freue ich mich auch über Hörer vom Land. Doch die Themen, die wir ansprechen, finden zu 90 Prozent in Ballungszentren statt. Wir versuchen, ein junges urbanes Jugendkulturradio zu sein. Wobei ich das Wort Jugend gern einklammere …

? Sie meinen keine Teenager?

! Genau. Denn der durchschnittliche egoFM-Zuhörer ist 33,3 Jahre alt. Was gleichzeitig der Umdrehungszahl einer LP entspricht.

? Und wie genau erreichen Sie diese Leute außerhalb der Musik?

! Zunächst einmal laufen wir nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herum und sagen, was alles schiefläuft. Wir wollen stattdessen jenen Menschen eine Plattform bieten, die Lösungen haben. Wann immer sich jemand individuell Gedanken macht, bezahlt oder unbezahlt, wie man das eine oder andere Problem lösen kann, damit der Planet nicht ganz so schnell untergeht, bieten wir diesen Menschen eine Plattform. Dabei ist es egal, ob das eine Firma, eine Einzelperson oder ein Musiker ist.

? Dass passt dann ja ideal zu den von Ihnen promoteten Bioprodukten.

! Natürlich. Wir sind ein privater Radiosender und müssen mit Werbung Geld verdienen. Als ich vor vier Jahren als Programmchef angefangen habe, habe ich etwas Neues eingeführt: Wir stellten das Programm von einem tagesaktuellen Medium auf ein Wochenmagazin um. Wie ein Magazin, das Sie am Kiosk kaufen können, mit einem plakativen Titel, mit einer guten Subline, in der Hoffnung, dass es sich verkauft. Für uns bedeutet das, dass wir uns eine Woche durchgehend mit einem Thema beschäftigen. Was zur Folge hat, dass wir auch Werbekunden anziehen, die sich gerne auf diese Themenwochen draufsetzen.

? Haben Sie dafür ein Beispiel?

! Wenn wir etwa über Infrastruktur in der Stadt sprechen, zum Beispiel über Radwege, dann suchen wir uns einen Sponsor, der auch ein Interesse daran hat, dass es mehr Lebensraum fürs Fahrrad gibt. Das ist in so einem Fall ein Bike-Hersteller. Vor einiger Zeit hatten wir uns mit dem Thema Mobilität beschäftigt, da haben wir mit den bayerischen Eisenbahngesellschaften kooperiert. Das ist ein wenig das Prinzip des Senders, sprich: Raus aus dem üblichen Werbeblock, rein in die Kooperationen. Hin zu solchen Kooperationspartnern, die wie wir ein Interesse daran haben, dass die Dinge vorangetrieben werden.

? Und das wird angenommen?

! Ja, das funktioniert jetzt seit vier Jahren. Da muss man sogar langsam aufpassen, dass wir uns nicht doppeln, aber die Inhalte reichen natürlich von gesellschaftspolitischen Themen bis zu popkulturellen Phänomenen. Also wenn zum Beispiel die Beatles ein Jubiläum feiern, dann werden wir uns eine Woche mit den Beatles beschäftigen. Oder wenn die Stadt mal wieder austrocknet, so wie es in diesem Sommer der Fall war, dann werden wir uns mal wieder damit beschäftigen, wo eigentlich unser Wasser herkommt.

? Was wären das in diesen Fällen für Kooperationspartner?

! Beim ersten Beispiel wäre es das Hard Rock Cafe, für das zweite Beispiel ein Mineralwasserhersteller. Der muss dann aber auch darauf schauen, dass die Produktion eines Liters Mineralwasser nicht 15 Liter Grundwasser kostet.

? Hatten Sie das Thema Wasser schon?

! Wir haben uns tatsächlich bereits mit dem Thema Wasser beschäftigt. Damals kooperierten wir mit einem Trinkwasserflaschenhersteller. Das war so ein Typ, der hatte sich auf der Uni mit jemandem zusammengetan, der leere Wodkaflaschen gesammelt hatte. Der hat angefangen, diese leeren Wodkaflaschen mit individuellen Logos zu bedrucken, und ein Internetbusiness aufgebaut. Mittlerweile ist daraus ein Unternehmen geworden, das einen zweistelligen Millionenumsatz erwirtschaftet.

? Aber passt das immer zu Ihren anderen Werbekunden? Sie kooperieren ja nicht nur wochenweise mit Unternehmen, sondern senden auch die klassische Rundfunkwerbung …

! Da haben Sie richtig zugehört, es gibt zwei Komponenten in der Werbung. Zum einen Werbepartner, die wir uns selbst aussuchen können, die wir auch selbst requirieren. Und zum anderen Werbung, die in unseren Werbeblock eingespielt wird. Auf die haben wir nur bedingt Einfluss. Aber wir versuchen auch da, langsam, Schritt für Schritt zu einem Austausch zu kommen. Es herrscht schon ein kleiner Verdrängungsmechanismus von Companies, die jetzt tatsächlich bei einem Radiosender, wie wir einer sind, reindrängen. Die bemerken, dass sie da eine Zielgruppe bekommen, die ein bisschen höher gebildet ist, die über ein höheres Einkommen verfügt und die vielleicht ein etwas mehr an dem einen oder anderen Spezialthema interessiert ist. Aber ja, nebenbei gibt es trotzdem die Werbung von McDonalds.

? Ich muss zugeben, dass Ihre Form der Werbepartnerkooperation bei mir funktioniert hat. An den Biohersteller kann ich mich erinnern, an die andere Werbung nicht. Höchstens, dass sie genervt hat.

! Das ist ein gutes Zeichen. Sie haben sich den Biohersteller gemerkt und den Rest vergessen. Das ist der beste Beweis dafür, dass wir für den Kunden ein gutes Programm machen.

? Wie lange wird das gutgehen? Wird es egoFM in zehn Jahren in dieser Form noch geben?

! Wir haben das Gefühl, dass wir ein Produkt haben, das funktioniert. Jetzt geht es darum, das Produkt zu skalieren. Sprich: Wir waren vor ein paar Jahren nur in Bayern zu hören und da nur über ein paar UKW-Frequenzen. Mittlerweile sind wir flächendeckend über DAB+ in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrheinwestfalen und Sachsen zu hören. Wir versuchen, einfach das, was wir hier machen, auf alle Menschen auszudehnen, die dafür in Frage kommen. Das sind Menschen in Ballungsräumen. Das ist unsere Entwicklung. Das Produkt stimmt, und wir versuchen uns zu vergrößern.

? Und das Radio selbst? Wird das Bestand haben, etwa in Bezug auf das Musikstreaming?

! Natürlich gibt es Streaming-Plattformen, die einfach alles plattmachen. Denen können wir nur mit Personalities und Qualität begegnen. Wir werden also immer erklären, wieso wir jetzt diese Musik spielen oder weshalb wir dieses Thema aufgreifen. Spotify sagt halt nur, wenn du einmal Dean Martin gehört hast, gefällt dir wohl auch Frank Sinatra. Das ist auch gut und mittlerweile recht clever. Und trotzdem finde ich es immer wichtig, dass du einen lebendigen Menschen hast, der am Mikrofon sitzt. Das Medium Radio ist genauso wenig tot wie vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren. Da hat man das auch schon alles gesagt. Erst war es das Fernsehen, dann das Internet, jetzt das Streaming. Aber man kann immer noch viel Geld mit Werbung im Radio verdienen. Die Budgets für Radiowerbung sind derzeit deutlich mehr angestiegen als etwa fürs Fernsehen. Man muss sich halt sehr viele Gedanken machen, was man für Ausspielwege hat und wie man die Leute erreicht.

? Und wie erreicht man die? Ich habe nur ein Radio im Bad …

! … Autofahrer zum Beispiel. Neuwagen etwa werden nur noch mit DAB+-Empfängern ausgeliefert. Das ist das eine. Das Zweite ist das Internetradio. Die wenigsten klappen ihr Laptop auf und hören Internetradio. Mittlerweile spielt sich das alles über das Mobiltelefon ab. Das heißt, man muss seine Audioinhalte und die optische Darstellung, wie man seine Inhalte präsentiert, dem Smartphone anpassen. Darin liegt die Zukunft. Du kommst nach Hause, und sofort verbindet sich dein Smartphone, das vorher mit deinem Autoradio verbunden war, mit deinem Audio-Bluetooth-Device. All diese Dinge muss man einfach mitdenken.

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