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Hollywood in Berlin: Ausstellung im Museum für Fotografie
Foto: Eve Arnold / Magnum Photos
Totale Kontrolle

Hollywood in Berlin: Ausstellung im Museum für Fotografie 

Eine hochkarätige Gruppenausstellung ist bis zum 20. November in der Helmut Newton Stiftung zu sehen mit Werken von Eve Arnold, Anton Corbijn, Philip-Lorca diCorcia, Michael Dressel, George Hoyningen-Huene, Jens Liebchen, Ruth Harriet Louise, Inge Morath, Helmut Newton, Steve Schapiro, Julius Shulman, Alice Springs und Larry Sultan zu sehen. Ergänzt werden diese durch Fotografien in Vitrinen von George Hurrell und Publikationen von Annie Leibovitz und Ed Ruscha.

Hollywood ist Marke und Mythos, seit Jahrzehnten eine Illusionsmaschine, die ihresgleichen sucht, nicht nur, wenn im Frühjahr die Oscars – oder offiziell: die Academy Awards – vergeben werden. Tausende von Akademie-Mitgliedern stimmen dann über die besten Filme des Vorjahres ab. Vor etwa hundert Jahren hatte die Ufa in Berlin eine vergleichbare Position und Macht, nach dem Zweiten Weltkrieg galt dies auch für Cinecittà in Rom als Produktionsstätte für Filme und als Aufenthaltsort von Schauspieler*innen und Regisseur*innen. Die großen europäischen Filmfestivals von Berlin, Cannes und Venedig mit ihren entsprechenden Preisen in den unterschiedlichen Kategorien – je nach Stadt sind es bekanntlich goldene und silberne Bären, Palmen oder Löwen – verursachen jährlich einen zusätzlichen Hype um das Medium Film. Doch auch jenseits von Europa und Amerika blüht trotz aller Untergangsszenarien noch immer das Kino: in Indien, vor allem in Bombay, dort in Anlehnung an „Hollywood“ unter dem Titel „Bollywood“, oder in Afrika, vor allem in Nigeria, das entsprechend als „Nollywood“ bezeichnet wird.

Helmut Newton war als Cineast begeistert vom Hollywood-Mythos

Die Ausstellung zeichnet das Faszinosum Hollywood nach, das noch immer viele Menschen auf der Suche nach Jobs in der Filmindustrie nach Los Angeles treibt. Wir sehen die Stars, offi­ziell und privat, die Villen der Schönen und Reichen oder filmbegeisterte Touristen sowie zahlreiche Nebenmotive wie Filmrequisiten in den Studios. Auch Helmut Newton war als Cineast begeistert vom Hollywood-Mythos. Immer wieder bezog er sich in seiner Fotografie auf das Kino, beispielsweise auf Verfilmungen von Raymond Chandler und dessen Alter Ego Philip Marlowe. Ebenso zitierte er konkrete Filmszenen, etwa von Alfred Hitchcock. Aber noch viel häufiger übernahm er subtil eine bestimmte Filmästhetik, wie die der französischen Nouvelle Vague.

Josef von Sternberg, Fritz Lang, Federico Fellini oder David Lynch

So wirken einige seiner Modeinszenierungen seit den 1960er-Jahren geradezu kinematografisch, und manche Porträts seit den 1970er-Jahren könnten überdies Film-Stills sein. Ob Josef von Sternberg, Fritz Lang, Federico Fellini oder David Lynch – es existieren zahlreiche subtile Andeutungen oder offensichtliche Annäherungen an das Kino in Newtons Werk. Auch rund um das Filmfestival von Cannes hat Newton in den 1980er- und 1990er-Jahren hin und wieder fotografiert, zum Beispiel Schauspieler*innen oder Mode an der Croisette. Diese Aufnahmen werden parallel zu „Hollywood“ in der Ausstellung ­„Helmut Newton. Riviera“ in Monte Carlo gezeigt.

Helmut und June ­Newton zogen um den ­Jahreswechsel 1981/82 von Paris nach Monte Carlo. Seitdem verbrachten sie die Wintermonate stets in Los Angeles, im Hotel Chateau Marmont, wo sich auch zahlreiche Prominente aus dem Filmbusiness tummelten. Newton war bereits in den 1970er-Jahren gelegentlich in die USA gereist, um dort für unterschiedliche Modemagazine zu fotografieren, doch erst in den 1980er- und 1990er-Jahren begann er, in und um Hollywood systematisch Schauspieler*innen, Regisseur*innen oder Musiker*innen zu porträtieren, ebenfalls im Auftrag von Magazinen.

Manche  Porträts veröffentlichte Newton später  in dem Bildband „Us and Them“

Für jeden und jede entwickelte Newton ein individuelles Szenario. Manche dieser Porträts veröffentlichte er später auch in dem Bildband „Us and Them“. Er entstand gemeinsam mit seiner Frau June, die nach ihrer Karriere als Theaterschauspielerin ab 1970 selbst erfolgreich unter dem Pseudonym Alice Springs als Fotografin arbeitete. In jener Publikation finden wir auf den Doppelseiten jeweils zwei Porträts, eines aufgenommen von Helmut Newton, das andere von Alice Springs, jeweils in Los Angeles und Umgebung. Wir sehen je zweimal David Hockney, Robert Evans, Anjelica und John Huston, Tina Chow, Timothy Leary, Hanna Schygulla oder Dennis Hopper, mit völlig unterschiedlichem Ausdruck in Mimik oder Gestik, gewissermaßen als private und als öffentliche Figur nebeneinander, einerseits sehr natürlich und zugewandt, andererseits inszeniert oder sich selbst inszenierend.

Im Chateau Marmont entstand seine berühmte Serie der „Domestic Nudes“

Neben den Auftragsporträts für Zeitschriften wie Vanity Fair oder New Yorker fotografierte Helmut Newton in Los Angeles immer wieder auch für den Playboy, unter anderem die deutsche Schauspielerin Nastassja Kinski. Im Chateau Marmont entstand seine berühmte Serie der „Domestic Nudes“ und in manchen Holly­wood-Filmstudios interessierte er sich für Requisiten. Knapp hundert Fotografien von Newton, aufgenommen in und um Hollywood, inklusive ikonischer und im Stiftungsarchiv wiederentdeckter Aufnahmen, sind in den vorderen drei Ausstellungsräumen der Stiftung ausgebreitet.

Darüber hinaus werden in der Gruppenausstellung dreizehn Fotograf*innen mit ihren Interpretationen von Hollywood präsentiert, wie üblich in größeren Werkgruppen. Der Hauptraum ist dem Medium Film und dem System Hollywood gewidmet: Schauspieler*innen-Porträts aus der frühen Hollywood-Zeit von Ruth Harriet Louise und George Hoyningen-Huene, weiterhin später entstandene Film-Stills und Filmsets von Steve Schapiro und mehreren Magnum-Fotograf*innen, darunter Eve Arnold und Inge Morath, die während der Dreharbeiten des John-Huston-Films „Misfits“ fotografierten.

Wir begegnen Greta Garbo, Joan Crawford, Ginger Rogers, Bette Davis, Charlie Chaplin und Gary Cooper

Ruth Harriet Louise, die erste Fotografin Hollywoods, und George Hoyningen-Huene werden mit einer Auswahl Vintage Prints präsentiert, von den 1920er- bis in die 1950er-Jahre; es war die Zeit, als die Porträtfotografien den Starkult und Glamour um die Hollywood-Mimen erst entstehen ließen. Wir begegnen Greta Garbo, Joan Crawford, Ginger Rogers, Bette Davis, Charlie Chaplin und Gary Cooper.

In einer Glasvitrine wird überdies eine umfangreiche Portfolio-Mappe mit etwas später entstandenen Aufnahmen von Georges Hurrell präsentiert. Er löste Ruth Harriet Louise 1930 als wichtigster Hollywood-Porträtist der großen Filmstudios ab und war später mit Helmut und June Newton eng befreundet. Steve Schapiro, auch „das Auge Hollywoods“ genannt und vor kurzem verstorben, fotografierte seit den späten 1960er-Jahren an mehr als 400 Filmsets; überdies stammen knapp 100 Filmplakate von ihm. Er konnte sich am Set gewissermaßen unsichtbar machen und dokumentierte gleichwohl so systematisch wie kein anderer die Entstehung der Filmklassiker „Taxi Driver“ und „The Godfather“. Für die Ausstellung wurde seine begleitende Arbeit für Roman Polanskis Film „Chinatown“ mit Jack Nicholson, Faye Dunaway und John Huston ausgewählt, der 1974 in Los Angeles entstand. Auch ein inhaltlicher Bezug zu Helmut Newton besteht, denn er hat die Genannten sowie den Produzenten Robert Evans einige Jahre später mehrfach porträtiert. Zudem basiert das Drehbuch auf den Kriminalromanen von Raymond Chandler, die Newton nach eigener Aussage allesamt gelesen hatte.

Die Sexszenen sind in Sultans Serie komplett marginalisiert

Im gleichen Raum, etwas separiert, hängen weiterhin fünf großformatige Farbaufnahmen aus Larry Sultans Bildserie „The Valley“, mit der er die Pornofilmindustrie nahe Hollywood untersucht hat – die größte überhaupt, gewissermaßen die ebenso lukrative Schattenseite der strahlenden Glamourwelt. In Sultans Aufnahmen am Rande der Sexfilmproduktion im San Fernando Valley, wo auch Filme wie „Chinatown“, „E.T.“ oder „Mulholland Drive“ gedreht wurden, begegnen uns vor allem weibliche und männliche Pornostars, die auf ihren Einsatz warten. Die Sexszenen sind in Sultans Serie komplett marginalisiert, er fokussiert seinen Blick vielmehr auf die inaktiven und bekleideten Protagonist*innen, beispielsweise Sharon Wild, die unter ihren Fans einen vergleichbaren Starkult genießen wie Schauspieler*innen aus Hollywood.

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Dr. Matthias Harder studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Philosophie in Kiel und Berlin. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie sowie Beiratsmitglied des European Month of Photography. Seit 2004 arbeitet er als leitender Kurator in der Helmut Newton Stiftung in Berlin und seit 2019 als Stiftungsdirektor. Harder publiziert darüber hinaus regelmäßig in internationalen Kunstzeitschriften wie Art in America, Aperture, Foam, Eikon oder Photonews und veröffentlicht Artikel in Büchern und Ausstellungskatalogen.

Sonderausstellung „HOLLYWOOD“

der Helmut Newton Stiftung

im Museum für Fotografie,

Jebensstraße 2, 10623 Berlin

bis zum 20. November 2022

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