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80 Jahre Kriegsende
Mars: Reise zum roten Planeten
80 Jahre Kriegsende

Mars: Reise zum roten Planeten 

Wohl keiner der Planeten hat die Phantasie der Menschen so angeregt, Fachwelt und Öffentlichkeit gleichermaßen so beeindruckt wie der erdähnliche Mars. Durch seine ihm eigene rötliche Färbung gab er Anlass zu unzähligen Legenden, Hypothesen und Spekulationen. Die Frage nach Leben ist ein zentrales Thema und Motor der Marsforschung.

Von Dr. Torsten Gemsa

Antworten auf dieses Themen­spektrum lassen sich in dem durch Inhalt, Auswahl, Format und Druckqualität außergewöhnlichen Text-Bildband „Mars“ finden. Dem illustren US-Macherteam gehören drei Frauen und zwei Männer an, deren Denkansätze nicht unterschiedlicher sein könnten: eine Dichterin, eine Kuratorin, eine Planetenforscherin sowie ein Chef-Wissenschaftler und ein Chef-Ingenieur der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA.

Dem poetischen Vorwort folgt ein episodenhafter Exkurs in die bizarre Geschichte der modernen Mars-Popkultur. Der Ingenieur, der seit 40 Jahren robotische Raumfahrzeuge entwirft und testet, gibt im Kapitel „Da Sein“ einen faszinierenden Einblick in eine unvorstellbare (außer-)irdische Technik. Er berichtet, wie die Entwickler täglich unzählige widersprüchliche Emotionen durchleben, denn jedes Übersehen einer unbedeutenden Winzigkeit könnte zum Scheitern einer kompletten Mission führen.

Last but not least betrachtet der ­frühere Direktor des NASA-Planetenprogramms James L. Green die allumfassende „Suche nach Leben“ aus wissenschaftlicher und philosophischer Sicht. Wenngleich der entscheidende Beweis noch aussteht, so lassen die aufgefundenen Indizien auf ­einen wasserreichen, grünen (?) und belebten (?) Ur-Mars schließen.

Der Planet des Unheils und der Monster

Tauchen wir in die Geschichte ein: Die Römer verglichen Mars mit ihrem Kriegsgott. Seine Farbe ließ an Feuer und Krieg erinnern. Und Krieg bedeutete Blutvergießen. Auch die Astrologen nährten die Vorstellung des Mars als unheilbringendem Planeten. So galt er seit Jahrtausenden als ein wenig vertrauenerweckender Ort. Dies alles hat zwar seinem Prestige geschadet, nicht ­jedoch dem Interesse an ihm: Erd- und Mars­tage sind fast gleich lang, er besitzt einen der Erde analogen Jahreszeitenrhythmus und mit Eis­kappen bedeckte Pole. Warum nicht auch intelligente Lebewesen, Marsianer?

1877 entdeckte der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli ein seltsames Netz feiner Linien auf der Marsoberfläche. Ein Übersetzungsfehler bringt den Stein ins Rollen und die Marsianer zum Leben. Aus Schiaparellis „canali“ (Rillen) wurden „Kanäle“, also künstliche Bewässerungssysteme. Seine „Entdeckung“ löste erwartungsvolle Euphorie aus.

Klassiker-Bestseller „Auf zwei Planeten“ von Kurd Laßwitz

Das Marsfieber steckte auch Percival Lowell an. 1894 errichtete er zur Marsbeobachtung ein privates Observatorium bei Flagstaff im US-Staat Arizona in 2000 Metern Höhe. Bedeutende Astronomen arbeiteten für ihn. Wer jedoch an Lowells Kanaltheorie zweifelte, wurde gefeuert. Kein ­Wunder, dass seine Mitarbeiter schon bald 700 Wasser­straßen mit zum Teil gigantischen Ausmaßen „entdeckten“. Lowell interpretierte das Linien­netz als ein von Marsianern geschaffenes ­Kanalsystem, um das Wasser von den schmelzenden Polkappen zu ihren Ansiedlungen in Äquatornähe zu leiten.

Doch so friedfertig wie bei Lowell blieben die Marsianer nicht lange. Edgar Rice Burrough, der Vater des legendären Tarzan, leitete 1912 mit seinem Roman „Die Prinzessin vom Mars“ einen erfolgreichen elfbändigen Marszyklus ein. Ein Mann aus Virginia wird auf geheimnisvolle Weise zum roten Planeten gebeamt. Dort lernt er neben sechsbeinigen Kreaturen und furchterregenden grünen Monstern auch eine blonde vollbusige Marsjungfrau von vollkommener (irdischer Magazin-)Schönheit kennen. Letztere gerät laufend in gefährliche Situationen, aus denen sie von ihrem Supermann in letzter Sekunde gerettet wird.

In den 1897/98 erschienenen Klassiker-Bestsellern „Auf zwei Planeten“ von Kurd Laßwitz sowie „Der Krieg der Welten“ von Herbert George Wells versetzen bereits Marsinvasionen die Erdbewohner in Angst und Schrecken. 1938 löste die realistische Rundfunkbearbeitung von „Krieg der Welten“ durch den damals noch unbekannten 23-jährigen Regisseur Orson Welles eine Massenpsychose in Amerika aus. Am Sonntag, dem 30. August 1938 unterbrach um 20:15 Uhr CBS das laufende Programm mit einer Sondermeldung: „Seit Jahren wird die Erde von Marsmenschen beobachtet, genialen und dämonischen, kalten und gefühllosen Wesen. Ihr Ziel besteht in der Vernichtung der Zivilisation auf unserem Planeten.“ Dann folgten Berichte von der Invasion sowie Direktübertragungen aus den Katastrophengebieten. Lähmendes Entsetzen packte die Zuhörer, die das Vordringen der Marsianer mit ihren Todesstrahlen „live“ miterleben müssen. Sechs Millionen Menschen erfasste panische Angst. Sie stürzten aus ihren Häusern, Autofahrer fuhren Amok, Verkehrs- und Kommunikationsnetze brachen zusammen. Zahlreiche Tote und Schwerverletzte waren die schreck­liche Bilanz dieses Hörspiels.

Abschied von den kleinen grünen Marsmännchen

Doch Monster hin und Marsianer her. Als hundert Jahre nach Schiaparellis Mars­kanalentdeckung mit Viking 1 und 2 zwei Landeapparate der NASA weich auf dem roten Planeten niedergehen, tauchte kein Marsianer auf, um die Sendboten der Menschheit zu empfangen. Es besteht kein Zweifel: Die grünen Marsmännchen sind tot. Auch die stille Hoffnung zahlreicher Wissenschaftler, wenigstens niedere Lebensformen auf der Marsoberfläche zu­ ­finden, wurden jäh zerstört. Selbst Mikroorganismen konnten an den Lande­stellen nicht gefunden werden. Die Marsober­fläche ist steriler als der beste Operationstisch. Rot gleich tot, so lautete die Quintessenz. Aber vielleicht suchte man nur an den falschen Stellen nach Leben?

So unterschiedlich Erde und Mars auch sein mögen: Viele durch Wind, Wasser und Frost geprägte Landschaftsformen ähneln sich in geradezu verblüffender Weise. Sie sind ein Indiz dafür, dass beide Planeten über einen großen Zeitraum eine ähnliche Entwicklung durchlaufen haben müssen.

Von der Erde wissen wir, dass selbst die abgebrühtesten Organismen ohne Wasser nicht auskommen. Überträgt man diese Erkenntnis auf den Mars und berücksichtigt dabei den gesicherten Nachweis der Mineralien, die sich nur im Wasser gebildet haben können, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit fossiler Lebensspuren.

Aber reichte der urzeitliche Abschnitt zur Bildung von Leben überhaupt aus? Ja, sagt die Wissenschaft. Da war Zeit genug, um niedere Lebensformen hervorzubringen. Fossile Lebensspuren sind denkbar. Auch die Erde war vor drei Milliarden Jahren ein Planet der Mikroben. Die weitere Suche muss deshalb lauten: Folge dem Wasser, denn dort ist Leben.

Rostrote Weltwunder unter rosa Himmel

Der Mars bietet zukünftigen Besuchern alles andere als eine lebensfreundliche Umgebung. Seine Temperaturen können nach Region sowie Jahres- und Tageszeit zwischen plus 10 und minus 125 Grad Celsius schwanken. Dazu kommt die auf die Marsoberfläche prallende tödliche UV-Strahlung der Sonne. Die etwa einhundertmal dünnere Atmosphäre ähnelt der von Autoabgasen: 95 Prozent Kohlendioxid, der Rest entfällt auf Stickstoff, Argon, Kohlenmonoxid, Ozon, Sauerstoff, Wasserdampf, Xenon und Krypton.

Raumsonden wurden mit monatelangen globalen Staubstürmen konfrontiert. Doch ansonsten ist es still, nur ab und zu wirbelt ein Windstoß feinen Staub auf, erscheint eine Eiskristallwolke am Himmel und löst sich bald wieder auf. Regen gibt es nicht. Aufgrund des niedrigen atmosphärischen Drucks würde flüssiges Wasser explosionsartig verdampfen.

Dass es in der Frühzeit reichlich flüssiges Wasser in Seen und Flüssen gab, beweisen nicht nur die ausgetrockneten Flusstäler, sondern auch die auf der Marsoberfläche gefundenen Ablagerungen von Sulfaten und Silikaten. Diese können nur bei längerer Einwirkung von Wasser entstehen. Sicher ist auch, dass der Mars vor Urzeiten über ein wärmeres, feuchtes Klima verfügte. Doch vor etwa zwei Milliarden Jahren setzten geologische und klimatische Veränderungen sowie gewaltige Überschwemmungen ein. Wo ist das Wasser geblieben? Ein Teil ist in den Weltraum entwichen, aber sehr viel fossiles Wasser befindet sich unter der Marsoberfläche, allerdings in gefrorener Form.

Zu den interessantesten Ergebnissen gehören die Erkenntnisse zum Vulkanismus. Dieser wandelte sich im Laufe der planetaren Entwicklung über viereinhalb Milliarden Jahre stark. Im marsianischen Hochland kam er vor etwa drei Milliarden Jahren zum Erliegen. In jüngerer geologischer Zeit konzentrieren sich die Aktivitäten auf einige Vulkane in der Nähe des Nordpols. Die jüngsten vulkanischen Ablagerungen sind etwa zwei Millionen Jahre alt. Nach geologischem Zeitverständnis bedeutet das, dass der Mars nicht tot ist.

Aus einer früheren Entwicklungsphase stammen auch jene rostroten Weltwunder, die Aufnahme ins Guinness-Buch der Rekorde fanden. Dazu gehört Olympus Mons, der mit 22 Kilometer Höhe und 600 Kilometer Basisdurchmesser größte Vulkan unseres Sonnensystems. Oder Valles Marineris, das größte Tal unseres Planetensystems. Es stellt mit 4000 Kilometern Länge, 200 Kilometern Breite und 7 Kilometern Tiefe ein gigantisches Grabensystem dar, demgegenüber der Grand Canyon in Arizona wie eine lächerliche Ackerfurche erscheint. Doch als die vielleicht größte Überraschung erwies sich die Farbe des Marshimmels: Sie ist rosa!

Menschen zum Mars: Die Zeit hierfür ist reif.

Seit 1960 brachten die Erdlinge 50 Raumfahrtmissionen in Richtung Mars auf den Weg. Sie kamen aus der Sowjetunion und Russland, den USA, aus Europa, China, Japan, Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. In sechs Jahrzehnten bahnbrechender Forschungsmissionen enthüllten sich nach und nach die Geheimnisse des roten Planeten und offenbarten eine Welt, die unserer gar nicht so unähnlich ist.

Führender Akteur der Marsforschung war und ist die NASA. Die einzigartigen optischen Beweise hierzu finden sich in den drei großartigen Bildteilen des Buches. Aus zigtausenden NASA-Fotos wurden wenige hundert Dokumente ausgewählt, die fast zwei Dutzend Marsmissionen repräsentieren. Sie reichen von der weltweit ersten Nahaufnahme des roten Planeten durch Mariner 4 (1965) über die ausgefeilten Landetechniken der NASA bis zur aktuell aktiven Mission mit dem Rover Perseverance („Beharrlichkeit“). Sie belegen die rasante Entwicklung der Marsforschung und bilden zugleich die optischen Höhepunkte des Text-Bildbandes.

Aber wo viel Licht, ist auch ein wenig Schatten: Sämtliche Bildunterschriften sind in Englisch ausgeführt. Angesichts drei zusammenwirkender Spezialstrecken – Bildtechniken, Geowissenschaften und Raumfahrt – wäre eine sowohl eindeutige als auch verständliche Übersetzung wünschenswert gewesen.

Zurück zum Mars 2025: Der mit 23 Kameras, Mikrofonen, Bohrtechnik sowie dem Kleinhelikopter Ingenuity („Einfallsreichtum“) ausgerüstete Rover Perseverance erkundet seit 2021 einen ehemaligen Kratersee. Der Helikopter absolvierte 72 Erkundungsflüge. Die vom Rover entnommenen Bodenproben werden vor Ort deponiert. Sie sollen bei der kommenden Mars-Sample-Return-Mission zur Erde gebracht werden. Diese Rückführungsmission dient zugleich als Generalprobe für den bemannten Marsflug.

Wann werden die ersten Menschen zum Mars aufbrechen? James L. Green sieht sie frühestens Anfang der 2040er-Jahre starten. Vorausgesetzt, alles läuft perfekt.

Die Autoren (alle USA)

Nikki Giovanni (†, 2024) war eine Dichterin, Professorin und Aktivistin.

James L. Green, Weltraum-Physiker, war lange Zeit Direktor des NASA-Planetenprogramms und Chefwissenschaftler der NASA. Er leitete mehr als ein Dutzend Missionen, ­darunter die Landung des Curiosity-Rovers
auf dem Mars.

Emily Lakdawalla ist Planetenforscherin und Wissenschaftsautorin.

Rob Manning ist Chefingenieur am Jet ­Propulsion Laboratory und Chefingenieur des Mars-Programms der NASA. Er entwirft, testet und steuert robotische Raumfahrzeuge.

Margaret A. Weitekamp ist Vorsitzende der Abteilung für Weltraumgeschichte am Smithsonian National Air and Space Museum, wo sie die Sammlung von Weltraum-Artefakten kuratiert.

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