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Bergkarabach
Ausland

Bergkarabach 

Reportage Von Bettina Schellong-Lammel und Bernd Lammel, Mitarbeit Raksana Jivishova

1918 bis 2018 – in diesem Jahr begeht die demokratische Republik Aserbaidschan ihr 100-jähriges Bestehen. Hundert Jahre, die geprägt sind von einer kurzen Unabhängigkeit, langer sowjetischer Besatzung und einem Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien, der seit 27 Jahren ein eingefrorener Konflikt ist, für den es keinen Ausweg zu geben scheint. Ende August 2018 besuchte Angela Merkel als deutsche Kanzlerin erstmals die Kaukasus-Region, und sie versprach, sich um eine friedliche Lösung im Sinne des Völkerrechts zu kümmern. Die Wiederkehr der Besatzung mit russischer Hilfe vor drei Jahrzehnten und die Gründung der kurzlebigen Demokratischen Republik Aserbaidschan vor 100 Jahren sind eng mit geopolitischen Interessen verbunden. NITRO war vor Ort, hat Betroffene befragt und einen Blick in die aktuelle Geschichte des Landes gewagt.

Ob Syrien, Irak, Afghanistan oder der Jemen, an aktuellen Krisen, Kriegen und Brandherden mangelt es in der Welt nicht. Da braucht es schon die Kanzlerin, um ein Gebiet in die Öffentlichkeit zu rücken, das von den Medien nur wenig Beachtung findet – Aserbaidschan und der seit Jahrzehnten andauernde Bergkarabach-Konflikt. Angela Merkel versprach bei ihrem Besuch, sich um eine friedliche Lösung im Sinne des Völkerrechts zu kümmern. Ob es bei Lippenbekenntnissen bleibt, ist abzuwarten, aber die Region hat Aufmerksamkeit verdient.

Armenien besetzt 20 Prozent des Territoriums von Aserbaidschan

Vielen Deutschen in Ost wie West kommt beim Stichwort Armenien sofort „Radio Jerewan“ (oder Radio Eriwan) in den Sinn. Der Galgenhumor mit den fiktiven Anfragen war in Zeiten des Kalten Krieges eine beliebte politische Satire. Die Anfrage an Radio Jerewan könnte heute lauten: „Ist der Konflikt um Bergkarabach lösbar?“ Wie damals müsste auch heute die Antwort mit der Floskel: „Im Prinzip ja, aber …“ beginnen. Der Grund: Die Konfliktparteien stehen sich unversöhnlich gegenüber. Armenien hat im Laufe des Krieges 20 Prozent des Territoriums von Aserbaidschan besetzt und deklariert sein Handeln als „Befreiungskrieg“. Begründet wird die Besatzung mit jahrhundertealter Historie und in einer Auslegung des Selbstbestimmungsrechts der Karabach-Armenier, welche die territoriale Integrität ignoriert. Es lehnt sich an die leninsche und stalinistische Lehre an, mit der die ehemalige Sowjetunion nach und nach Kolonien der russischen Zaren, die am Ende des ersten Weltkriegs oder vorher verloren gegangen waren, heim ins Sowjetreich holte. Militärische Intervention wurde mit Reaktion auf Hilfsersuchen begründet.

2010 bereisten OSZE-Vertreter ­erstmals die besetzten Gebiete

Im Machtvakuum der zerfallenden Sowjetunion flammten Konflikte auf, die vorschnell als rein religiös und mit ethnischen Gegensätzen begründet wurden. So schrieb Peter Scholl-Latour 1991 von „islamischen Randrepubliken“. Sein Verlag setzte zur Bewerbung des Buchs „Den Gottlosen die Hölle: der Islam im zerfallenden Sowjetreich“ sogar auf alarmistische Panikmache und warnte vor 50 Millionen Muslimen aus der ehemaligen Sowjetunion, die sich für den Gottesstaat rüsteten. Wer sich das Druckwerk kaufte, so hieß es, werde die ganze Wahrheit über die Bedrohung erfahren.

Ähnlich simplifizierend wird oft der lang­anhaltende Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan interpretiert. Da sind die christlichen Armenier und muslimischen Aserbaidschaner, die sich einen Religionskrieg liefern. Der für die Zivilbevölkerung unakzeptable Status quo scheint selbst unter den Augen der machtlosen OSZE-Minsk-Gruppe, festgeschrieben. Bereits 2010 bereisten OSZE-Vertreter erstmals die besetzten Gebiete und stellten in ihrem Bericht fest, dass „Städte und Dörfer, die vor dem Konflikt existierten, verlassen und fast vollständig in Ruinen liegen“. Weil es keine verlässlichen Zahlen gibt, schätzt die OSZE die Bevölkerung auf 14 000 Personen, die in kleinen Dörfern und Städten wie Laçın und Kelbajar leben, die neben Bergkarabach seit 1993 ebenfalls armenisch besetzt sind [www.osce.org/mg/76209].

Keine diplomatische Anerkennung der Republik Karabach

Auf Grundlage der UNO-Charta, Artikel 2, Absatz 4, die die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates garantiert oder die mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt ausschließt, wurde im April 1993 die UNSC Resolution 822 [unscr.com/en/reso
lutions/822] beschlossen.

Sie sieht den Abzug armenischer Truppen aus den besetzten Gebieten vor und die Rückgabe der Territorien an Aserbaidschan. Die Situation ist seit 27 Jahren unverändert. Kein Staat der Welt hat die Republik Karabach diplomatisch anerkannt, nicht einmal Armenien. Jerewan beschuldigt – obwohl armenische und russische Truppen aserbaidschanisches Land besetzt halten – Aserbaidschan eines breit angelegten Überfalls auf die armenische Bevölkerung in Bergkarabach.

So argumentierte der damalige armenische Präsident Sersch Sarkisjan schon 2016 bei einem Staatsbesuch in Berlin. In Bergkarabach hätten schon immer Armenier gesiedelt, war seine vereinfachte Erklärung des ethnischen Anspruchs auf das Gebiet und das Selbstbestimmungsrecht, bei dem andere Volksgruppen ausgeblendet werden.

Die ganze Reportage können Sie im aktuellen Heft „Pressefotografie“ nachlesen.

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