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An den Rändern der Welt
Interviews

An den Rändern der Welt 

Seit 30 Jahren ist der Naturfotograf Markus Mauthe fernab üblicher Reiserouten mit seiner Kamera unterwegs, um noch unbekannte Winkel der Erde auszuleuchten. In Kooperation mit der Umweltorganisation Greenpeace entstanden dabei seit 2003 die erfolgreichen multimedialen Live-Shows „Planet der Wälder“ und „Naturwunder Erde“. In seinem aktuellen Projekt „LOST“ steht der Mensch im Fokus.

Fotos von Markus Mauthe

Drei Jahre lang begab sich Markus Mauthe in Afrika, Südamerika, in Asien und am Nordpolarkreis auf die Suche nach indigenen Gesellschaften, die abseits unserer modernen Welt noch dicht an den Wurzeln ihrer Kultur leben.

Er dokumentierte ihren Alltag in Savannen, Wäldern, auf dem Ozean und in der arktischen Tundra. Für seine neue Live-Fotoreportage setzte sich der Fotograf zudem mit den weltweiten Veränderungen auseinander, die heute auf Menschen und Natur einwirken – wie industrielle Landwirtschaft, Klimakrisen und Ressourcenverschleiß.

Der Wandel, so Mauthes Beobachtung, ist selbst in den scheinbar entlegensten Ecken der Welt angekommen. Auch bei den Awá, einer von 320 Bevölkerungsgruppen im Amazonasgebiet. Pfeil, Bogen, Kleidung und Schmuck zeugen noch von ihrem traditionellen Leben im tropischen Urwald. Seit Tausenden von Jahren haben die Awá in einer nahezu perfekten Symbiose von und mit dem Wald gelebt. Doch keinen Kilometer von ihrem Dorf entfernt donnern jeden Tag Hunderte mit Eisenerz beladene Züge vorbei und bringen immer mehr Siedler mit, die in ihre Lebensgebiete vordringen.

Paradiesisch wirken auf den ersten Blick auch die Inselwelten Südostasiens. Hier hat sich der Fotograf auf die Spuren der Bajau begeben, eines Volks von Seenomaden, das einst auf bunten Hausbooten im Meer zu Hause war. Vor der malaysischen Insel Mabul fotografierte er eine Familie, die in ihrem Leben kaum einen Fuß auf festes Land gesetzt hat und deren Alltag noch untrennbar mit dem Ozean verbunden ist. Ihre Lebensweise ist heute die Ausnahme: Der Großteil der Bajau wohnt inzwischen in festen Stelzenhäusern. Auch von ihrer traditionellen Art, mit selbstgebauten Taucherbrillen und Harpunen zu fischen, ist wenig geblieben. Heute behelfen sie sich oft mit Dynamitfischerei, um das Wenige an die Oberfläche zu bringen, das ihnen die internationalen Fangflotten übrig gelassen haben.

Wie anpassungsfähig an extreme Lebensbedingungen der Mensch ist, erlebte Markus Mauthe im Nordosten Russlands nahe dem Polarkreis. Das indigene Volk der Tschuktschen zieht als Nomaden mit seinen Rentierherden durch die Weiten der Tundra. Jahrhundertealtes Wissen hilft ihnen, bei Temperaturen bis zu minus 40 Grad zu überleben. Der Fotograf hatte Glück und durfte bei einer Migration der Rentiere dabei sein: einer Formation von über 1 400 Tieren, deren Anblick spektakuläre Bilder erzeugt. Doch die Zukunft des Nomadenvolks und seiner Tiere ist ungewiss: Bedingt durch den Klimawandel regnet es immer häufiger in der arktischen Tundra. Kommt es zu einem erneuten Kälteeinbruch, gefriert der Schnee. Darunterliegende Flechten und Moose – die Nahrungsgrundlage der Rentiere – bleiben unter der harten Eisschicht für die Tiere oftmals unerreichbar. Immer öfter verhungern ganze Herden, weil sie nicht mehr an ihre Futterquellen gelangen.

Mehr als 20 indigene Gesellschaften hat der Ausnahmefotograf und passionierte Umweltaktivist für sein neues Projekt besucht. Mauthe dokumentiert ihre noch existierenden Gebräuche und Traditionen, um deren einzigartigen Wert für die kulturelle Vielfalt unseres Planeten festzuhalten. Im Blick behält er die Schönheit und Vielfalt der Lebensformen wie schon zuvor in seinen Natur-Fotoprojekten für Greenpeace. So gelingen ihm berührende und eindringliche Porträts und bildgewaltige Szenen aus dem kulturellen Alltag der Gesellschaften. Zugleich sind sie Appell, sich darüber bewusst zu werden, dass die Konsumansprüche der westlichen Welt nicht nur die biologische Vielfalt vernichten, sondern auch einen massiven Kulturverlust zur Folge haben. Karoline Krenzien und ­Simone Wiepking haben mit dem Naturfotografen Markus Mauthe über seine Reisen zu den Rändern der Welt, über bedrohte Naturvölker und über Klimaveränderungen, denen diese Menschen ausgesetzt sind, gesprochen.

? Herr Mauthe, seit 30 Jahren sind Sie mit Ihrer Kamera unterwegs und bringen faszinierende Bilder aus den verschiedensten Lebensräumen unserer Erde mit. Diesmal haben Sie vor allem Menschen in den Fokus Ihrer Arbeit gerückt und es sich zum Auftrag gemacht, indigene Gemeinschaften zu porträtieren. Wie kam es zu diesem Vorhaben? 

! Tatsächlich lag der Schwerpunkt meiner Arbeit in den vergangenen Jahren darauf, die Vielfalt und Schönheit der Natur abzubilden. Ich habe beispielsweise sehr viel in Wäldern gearbeitet. Meine Fotos habe ich immer gezielt genutzt, um auf die Veränderungen hinzuweisen, denen die Natur ausgesetzt ist. Das aktuelle Projekt nimmt nun die Perspektive derer ein, die allgemeinhin noch enger mit der Natur verbunden sind als der Großteil der Menschen heute. Es ist praktisch eine logische Fortsetzung meines bisherigen Tuns. Nun richte ich meinen Blick nicht nur auf die Natur und Umwelt, sondern auf die Menschen, die darin leben.

? Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit und was treibt Sie an?

! Ich hatte und habe das Privileg, in meinem Leben viel reisen zu dürfen. Dies hat mir die Möglichkeit eröffnet, sehr viel von unserem wunderschönen Planeten erkunden zu können. Diese Erfahrung möchte ich in Form meiner Bilder und Berichte an andere weitergeben. Das Feuer meiner eigenen Begeisterung für die Schönheit und Vielfalt intakter Natur und deren Bewohner möchte ich mit meiner Arbeit bei möglichst vielen Menschen ebenfalls entfachen – sei es mit meiner Fotografie, meinen Live-Reportagen oder in meinen Büchern. Denn nur was wir lieben und was uns gegenwärtig ist, sind wir auch bereit zu schützen.

? Wie haben für dieses Projekt 13 Reisen unternommen und 22 indigene Volksgruppen besucht. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Auswahl getroffen?

! Ich hatte zwei Ansätze. Zum einen wollte ich die ungeheure Anpassungsfähigkeit des Menschen darstellen, deshalb habe ich vier unterschiedliche Lebensräume ausgewählt: Wald, Grasland, ­Wasser und Eis. Dafür war ich in Afrika, in Asien, am Nordpolarkreis und in Südamerika unterwegs. Ich versprach mir davon eine ungeheure Fülle an spannenden Geschichten und Motiven, denn das Leben im heißen Tropenwald erfordert natürlich ganz andere Fähigkeiten als das Überleben bei 50 Grad unter Null im arktischen Norden der Erde. Außerdem wollte ich kulturelle Besonderheiten dokumentieren wie die Gesichtstätowierungen der Chin-Frauen in Myanmar.

? Wie war es Ihnen möglich, die Menschen vor Ort kennenzulernen?

! Jede Begegnung verläuft anders und folgt doch einem gewissen Protokoll. Es macht natürlich einen großen Unterschied, ob man zu Menschen reist, die an Touristen gewöhnt sind, oder Dörfer besucht, die eher weniger Kontakt mit Besuchern aus anderen Kulturkreisen haben. Grundsätzlich habe ich immer einen einheimischen Guide bei mir, der mit den korrekten Verhaltensweisen innerhalb der besuchten Gemeinschaften vertraut ist und natürlich auch deren Sprache spricht. Wo es möglich war, sind wir über einen Zeitraum von mehreren Tagen in den Dörfern und Gemeinschaften geblieben. Dabei haben wir immer den nötigen Ausgleich gesucht zwischen hinreichender Nähe für unsere Dokumentation und respektvoller Distanz, um nicht aufdringlich zu sein.

? Einige Destinationen haben Sie nicht zum ersten Mal besucht, sondern waren dort schon früher unterwegs. Wie haben Sie es erlebt, dorthin zurückzukehren? Was hat sich verändert?

! Ich habe das Projekt mit dem südlichen Afrika begonnen, weil es mir von meiner ersten Afrikareise Anfang der neunziger Jahre – damals noch als junger Fotograf – vertraut war. Da bisher ja eher Landschaften und Tiere mein fotografisches Metier waren, hatte ich durchaus Respekt vor der Herausforderung, mich nun drei Jahre lang mit Menschen zu beschäftigen. Da tat es gut, nicht mit etwas gänzlich Unbekanntem zu beginnen, und so habe ich die San und Himba besucht. Schon diese erste Reise hat gezeigt, was sich dann wie ein roter Faden durch die gesamte Arbeit gezogen hat: Die Welt ist in einem rasanten Wandel, und kaum etwas bleibt, wie es ist. Die Kultur der San findet praktisch nur noch in Schaudörfern für Touristen statt, und die Himba kämpfen im nördlichen Namibia um das Überleben ihrer Rinder, weil es im Mittel in dieser sowieso schon trockenen, ariden Gegend immer weniger regnet.

? Gibt es indigene Gemeinschaften, die Sie besonders beeindruckt haben?

! Beeindruckt war ich eigentlich von allen Besuchen. Der Großteil dieser Menschen lebt unter Bedingungen, die für uns mit unserem westlichen Lebensstil kaum erträglich wären. Sei es wegen des Mangels an sauberem Wasser oder einer ausgewogenen Ernährung, wegen extremer Umweltbedingungen wie Hitze oder Kälte oder des Fehlens von praktisch jeglicher Bequemlichkeit. Zwei Beispiele kann ich aber nennen, die ich besonders beachtenswert fand: Die Volksgruppe der Mundari lebt im Südsudan, nur wenige Autostunden von der Hauptstadt Juba entfernt. Diese Weltregion kennt seit vielen Jahrzehnten nur den Zustand des bewaffneten Konflikts. Trotzdem ist die Gemeinschaft der Mundari bis heute in ihren sozialen und kulturellen Strukturen intakt. Sie leben in enger Verbindung mit ihren großhornigen Rindern, worüber sie auch ihre kulturelle Identität definieren.

Auch die Padaung, ein Bergvolk in Myanmar, sind mir stark in Erinnerung geblieben. Die Frauen tragen zeitlebens schwere Messing­ringe um ihren Hals, die ihre Schultern nach unten drücken, was den Hals länger wirken lässt. In Zeiten der Globalisierung verschwindet heute ein Großteil der kulturellen Eigenheiten mit rasanter Geschwindigkeit. Deshalb finde ich es umso erstaunlicher, dass gerade diese Tradition freiwillig weitergeführt wird. Auch heute noch tragen viele junge Mädchen stolz ihre im Laufe des Lebens zahlreicher werdenden Ringe um den Hals.

Lesen Sie das ganze Interview im aktuellen Heft „Pressefotografie“.

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