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Krimiautor Sebastian Fitzek: Der Rekordbrecher
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Krimiautor Sebastian Fitzek: Der Rekordbrecher 

Sebastian Fitzek ist einer der erfolgreichsten deutschen Autoren für Psychothriller, zu dessen Werken unter anderem Bestseller wie „Der Augenjäger“, „Das Kind, Noahund Passagier 23gehören. NITRO sprach mit dem „Rekordbrecher“ über seine Erfolge als Autor und darüber, wie er seine Themen findet.

NITRO: Als im Dezember 2013 Ihr Thriller „Noah“erschien, haben Sie den Lesern wahrscheinlich das Weihnachtsfest ziemlich verhagelt, denn Sie wollten mit „Noah“ ja nicht nur spannend und gut unterhalten, sondern auch ein Problembewusstsein schaffen, wie Sie in einem Interview bekannten. Weil es in „Noah“aber um nichts Geringeres als den Untergang der westlichen Zivilisation geht, war das, neben der Weihnachtsgans, schwere Kost. Und womit schocken Sie Ihre Leser Weihnachten 2015?

Sebastian Fitzek: Hundertprozentig genau weißich das noch nicht. Aber es wird erneut um ein globales Thema gehen, das in der westlichen Welt jeden betrifft. Und ich bin mir sicher, dass einige unserer Zeitgenossen ihr Alltagsverhalten, um es mal vorsichtig auszudrücken, überdenken werden. Ich sage nur Big Data. Sie hatten dieses Thema übrigens in Heft 2/2014 als Titelgeschichte und beweisen damit auch einen ziemlich guten Riecher.

Der typische Berliner in mir sagt bei Platz 1: Von nun an geht’s bergab.

? Jetzt steht wieder Weihnachten vor der Tür und Ihr neuester Thriller „Passagier 23“ganz aktuell auf Platz 1 der Bestsellerliste vom „Spiegel“. Ein besseres Geschenk konnten Sie sich, Ihrer Familie und den Lesern nicht machen, oder?

! Natürlich ist das etwas ganz Besonderes. Davor war „Noah“ mit Platz 2 mein bestnotiertes Buch. Und schon da bin ich ein bisschen zusammengezuckt und dachte: Viel besser kann es jetzt nicht mehr werden und eigentlich ist es immer schlecht, wenn man keine Steigerungsmöglichkeit mehr hat. Der typische Berliner in mir sagt bei Platz 1: Von nun an geht’s bergab.  Aber zum Glück bin ich nicht pessimistisch veranlagt. Beim Schreiben ermahne ich mich immer, nicht permanent daran zu denken: Wie wird das ankommen? Ist das spannend? Auch nicht an den Leser zu denken, den es ja so auch gar nicht gibt. Als ich anfing zu schreiben, habe ich überhaupt nicht an den Leser gedacht. Wie auch,  ich wusste ja noch gar nicht, wer mich lesen würde. Meine Prämisse war und ist: Ich möchte ein Buch schreiben, das ich selber gerne lese. Genauso wenig sollte man sich vornehmen, eine bestimmte Listenplatzierung zu erreichen oder etwa eigene Verkaufszahlen mit denen anderer Autoren zu vergleichen. Es gibt ein Sprichwort, das sagt: Wer vergleicht, wird unglücklich.

? Stimmt, der Spruch stammt von Kierkegard und heißt: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks. Und der Anfang der Unzufriedenheit.“

! Richtig. Und davor muss man sich hüten.

Die Idee, ein Buch auf einem Kreuzfahrtschiff spielen zu lassen

? Aber im Moment gibt es ja bei Ihnen mehr als genug Gründe zur Zufriedenheit.

Vor allem, wenn Leser mir von Ihrer Begegnung mit meinen Büchern erzählen. Neulich war da eine junge Frau in einer Buchhandlung, die mir offenbarte, dass sie ihr Abitur meinen Büchern zu verdanken hat. Weil sie in Deutsch auf der Kippe stand, musste sie ein Referat über die „Seelenbrecher“schreiben und bekam dafür eine Eins. Das hat sie so motiviert, dass sie ihr Abi machen konnte und jetzt anfängt zu studieren.

? Das hört sich an wie Rosamunde Pilcher, wir wollen aber mehr über„Passagier 23“erfahren. Sie sagten kürzlich in einem Interview, dass Sie keine Trends reizen, sondern immer nur Ideen. Sie schreiben nie über etwas, was vermeintlich angesagt ist. Aber Ihr neuester Thriller spielt auf einem  Kreuzfahrtschiff, und das ist ein absoluter Trend.

! Ja, das ist ein absoluter Trend und ich behaupte ja auch nicht, dass ich mir mit Absicht Themen aussuche, die nicht im Trend liegen. Die Idee, ein Buch auf einem Kreuzfahrtschiff spielen zu lassen, hatte ich aber bereits 2008, da las ich einen Artikel mit der Überschrift „Lost– wieso verschwinden immer so viele Menschen spurlos auf Kreuzfahrtschiffen?“ Die dort geschilderten Einzelschicksale waren sehr bewegend und ich sagte mir: Oh, da wirst du mal was drüber schreiben. Schon damals waren Kreuzfahrten sehr beliebt, aber die Passagierzahlen haben die 20-Millionen-Marke erst 2012 geknackt. Ich wundere mich aber ehrlich gesagt, warum so ein Kreuzfahrtschiff nicht sehr viel häufiger von anderen Autoren als Ort für das perfekte Verbrechen genutzt wird, denn das gibt es ja nur, wenn man die Leiche irgendwie verschwinden lassen kann.

? Und auf einem Kreuzfahrtschiff kann man die ganz einfach entsorgen: Zack über Bord!

! Genau. Zum einen ist also der Ozean der Komplize und zum anderen die Reederei, die keine Lust auf  Negativ-PR hat. Ich meine, da kann man als Thriller-Autor nicht umhin.

Negativrezensionen im Feuilleton ignoriert

? Bei „Spiegel Online“steht über Ihr neues Buch:„Ein sehr dicht geschriebener, sehr gewalttätiger Thriller, der von der ersten bis zur letzten Seite funktioniert. Keine Szene ist zu viel, keine Wendung so, wie man sie erwartet.“Schmeichelt Ihnen das?

! Es hat mich ehrlich gesagt verwundert. Als mir jemand die SMS schrieb: „Guck mal, was bei Spiegel Online steht“, habe ich zurückgeschrieben:„Oh Gott, jetzt floppt es.“

? Warum?

Weil ich bisher entweder ignoriert wurde oder es Negativrezensionen im Feuilleton gab. Und manchmal gibt es Feuilletonisten, die nehmen sich zum allerersten Mal einen normal spannenden Thriller vor, und weil sie sich mit dieser Art von Literatur noch nie zuvor beschäftigt haben, sind die auf einmal völlig gebannt und gefesselt und sagen: So was Tolles habe ich noch nie gelesen. Und jeder Fan von Thrillern fragt sich: Wieso jubelt der denn ausgerechnet dieses Buch so hoch?

? Wir haben bei „Spiegel online“aber auch zwei absolute Bescheidwisser gefunden, die in einem Gespräch den Leser von „Passagier 23“ zwei Dinge empfehlen: es auf keinen Fall in einem knarzenden Haus mitten im Wald zu lesen und keine Skrupel vor Seichtem zu haben. Die beiden vermuten außerdem, dass Sie ein durchschnittlich netter und langweiliger Mensch sind. Ist das angenehm, so etwas zu lesen?

Lustig.

Seit 2000 elf Thriller geschrieben

? Lustig?

Ja, es ist super lustig. Wenn man sich nämlich die Kommentare darunter durchliest, hat sich einer der Autoren durch seine Ehrlichkeit, er habe noch nie ein Buch von mir gelesen, bekäme  aber immer ein ungutes Gefühl, wenn er meinen Namen hört, ein Eigentor geschossen. Besonders geschickt ist das nämlich nicht, zu sagen: „Ich kenne den nicht, aber ich finde ihn erst mal doof.“ Denn damit bestätigt man ja jedes Vorurteil, das man dem Feuilleton entgegenbringt.

? Ich glaube, je giftiger die Kommentare sind, desto mehr Lust haben die Leute, das Buch zu kaufen und zu lesen.

!  Jein. Bei „Passagier 23“ passiert ja das Gegenteil. Das Feuilleton lobt mich und die Leute kaufen es trotzdem. Das ist spannend wie ein Thriller.

? Sie wissen ja sich, worunter Journalisten häufig leiden: Sie nennen es Schreibsperre. Dieses Problem scheinen Sie überhaupt nicht zu haben. Seit unserem letzten Interview im Jahre 2010 haben sie sechs Bücher auf den Markt gebracht.

! Ich weiß nicht genau, wie viele zwischen 2010 und 2014 entstanden, aber seit 2000 habe ich elf  Thriller geschrieben.

Ich habe nur Denksperren. Die hatte ich besonders bei „Passagier 23“

? Wie machen Sie das? Haben Sie nie eine Schreibsperre?

Ich habe nur Denksperren. Die hatte ich besonders bei „Passagier 23“. Nach achtzig Seiten musste ich nämlich aufhören mit dem Schreiben und noch einmal von vorne beginnen, weil sich meine Figuren zu sehr verselbstständigt hatten und die Story dadurch nicht mehr funktionierte. Im Exposé fällt einem so etwas nicht auf, beim Schreiben aber. Dann kann es schon mal eine Woche dauern, bis man weiß, ob es weitergeht, oder ob man noch einmal von vorne beginnen muss. Grundsätzlich finde ich es aber sehr gut, dass wir Autoren und Journalisten die einzige Berufsgruppe sind, die, wenn wir keine Lust haben zu arbeiten, bedauert werden. Wenn ein Bäcker sagt, er habe eine Backsperre und kann deshalb heute keine Brötchen backen, wird er nach Hause geschickt oder gefeuert. Da kommt keiner und sagt: „Ach, mit dem darfst du heute nicht reden. Der muss gestreichelt werden.“Das haben wir ganz gut gepflegt, und das sollte auch so bleiben, finde ich.

? Aber das hat Ihnen doch sicher auch keinen Spaßgemacht, nach achtzig Seiten von vorne zu beginnen. Kann es sein, dass Sie in irgendwelchen Kellergewölben arme geschundene Seelen zwingen, Ihre Bücher zu schreiben. Alexandre Dumas  wird so etwas ähnliches  nachgesagt …

!  Ja, das wird jedem Autoren nachgesagt, der einen höheren Output hat als andere. Und Autoren, die sehr viel mehr veröffentlichen als ich, gibt es viele: Ich denke da an Stephen King, Markus Heitz oder Ruth Rendell, die zusätzlich unter dem Pseudonym Barbara Vine jedes Jahr zwischen drei und fünf Bücher produziert. Ken Follett veröffentlicht nur alle zwei Jahre, aber das sind dann Schmöker von 1.200 Seiten. Das heißt, ein Buch pro Jahr ist kein Hexenwerk, wenn man das hauptberuflich macht. Die meisten schreiben ihre Erstlingswerke –so auch ich–zwischen den Terminen am Wochenende, am Abend, auf Zugfahrten. Wenn man dafür ein Jahr braucht: gar keine Frage. Wenn man aber nichts anderes zu tun hat, wenn das der Hauptberuf ist, ist es in meinem Genre durchaus zu schaffen, ein bis zwei Seiten am Tag zu schreiben und damit am Ende des Jahres ein Buch.

Meine Bücher sind in 24 Sprachen übersetzt

? Ihre Thriller wurden inzwischen in über zwanzig Sprachen übersetzt. Streben Sie 150 Sprachen an, mehr gibt es nämlich nicht auf der Welt.

Nein, inzwischen wurden meine Bücher in 24 Sprachen übersetzt, und das ist schon mehr als ich mir je erträumt hätte.

? Wo werden Sie am meisten gelesen?

!  In Deutschland, Österreich und der Schweiz natürlich als deutschsprachige Länder. Aber auch die Niederländer waren von Anfang an mit dabei. Auch in Frankreich und Italien liest man meine Bücher gern. Die meisten ausländischen E-Mails bekomme ich allerdings aus Südamerika. In England läuft das Geschäft ebenfalls sehr gut, in den USA etwas schleppender.

? 2012 wurde Ihr Buch„Das Kind“verfilmt. Gibt es weitere Filmprojekte?

!  Projekte ja. Von vielen meiner Bücher sind die Filmrechte optioniert. Ich war für„Therapie“ beispielsweise bei insgesamt 26 Drehbuchbesprechungen dabei und die Produzenten und Regisseure haben längst gewechselt. Das Filmgeschäft ist wahnsinnig zäh, wie ich gelernt habe.

? Werden Sie denn manchmal von Ihren Psychopathen im Traum besucht – so wie wir? Warum sollte es Ihnen besser gehen als uns?

!  Im Traum seltener. Eher, bevor ich über sie geschrieben habe. Nach wie vor gilt bei mir, dass ich mir meine Ängste, die sich anstauen, von der Seele schreibe. Ich muss sie irgendwie verarbeiten. Einige schreiben Tagebuch, ich schreibe Thriller. Danach kann ich diesen Figuren gelassener gegenübertreten als davor.

Ausgangspunkt für eine neue Geschichte

? Wissen Sie denn schon, was Sie Ihren Kindern zu Weihnachten schenken? Ein Buch von Ihnen dürfte es nicht sein, nicht mal signiert.

! Gerade heute habe ich gepostet, dass mich meine Tochter, sie ist vier Jahre alt, gefragt hat, ob ich mir eine Barbie zu Weihnachten wünsche. Da habe ich gesagt: „Nein, aus dem Alter bin ich raus. “Da sagte sie zu mir: „Na gut, Papa, dann schenke ich dir eine Erwachsenenpuppe.“

! Sie kann aber noch nicht schreiben?

Nein, aber sie hat sehr viel Phantasie. Zurzeit erzählt sie mir jeden Tag von ihren zehn Kindern, die alle in einem einem Ort namens Lendendorf wohnen. Man darf nur mit einem roten Auto dorthin fahren, außerdem wachsen da Schokoladenbäume. Irgendwann habe ich sie gefragt, ob wir mal nach Lendendorf fahren wollen. Wollte sie. Dann sind wir ins Auto gestiegen und sie sagte mir, wie ich fahren soll–erst links, dann rechts, dann noch mal rechts…. Schließlich landeten wir in Fürstenwalde und sie meinte, das wäre Lendendorf. Auf dem Rückweg bezweifelte sie dann allerdings schon, ob wir wirklich in Lendendorf gewesen waren. Ich hoffe, dass sie diese blühende Phantasie ein Leben lang behält.

? Das wünschen wir ihr auch, und natürlich ihrem Vater…

!….der die Reise nach Lendendorf eigentlich zum Ausgangspunkt für eine neue Geschichte machen könnte, wo ein kleines Kind immer und immer wieder behauptet, dass dort irgendetwas sehr sehr unheimliches passiert…

Das Interview führten Bettina Schellong-Lammel und Heide-Ulrike Wendt

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