Abgemahnt – wie die BBC-Moderatorin Emily Maitlis Opfer ihrer eigenen, objektiven Berichterstattung wurde und die ARD-Korrespondentin Annette Dittert als „Anti-Regierungs-Aktivistin“ verunglimpft wurde.
Die Gala fiel aus im vergangenen Herbst. Der Preis wurde dennoch vergeben, improvisiert auf den Straßen von London. Und so holten wir Emily Maitlis vor dem Hauptquartier der BBC am Portland Place ab, um die Verleihung mit ihr unter freiem Himmel aufzuzeichnen. Das Fernsehen braucht Bilder, auch in Zeiten von Corona, ein Fernsehpreis umso mehr. Emily Maitlis weiß das, und sie schlägt deshalb vor, unter der erst 2017 aufgestellten Orwell-Statue vorbeizulaufen. „Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann ist es die Freiheit, Dinge zu sagen, die die Leute nicht hören wollen“, ist in Stein gemeißelt dahinter an der Wand zu lesen.
Emily Maitlis ist einer der großen Stars der BBC und hat am eigenen Leib erfahren, was geschieht, wenn man Orwell zu wörtlich nimmt. Die Statue kam eigentlich ein bisschen zu spät. Ein Jahr nach dem Brexit-Referendum, das der BBC das Leben so viel schwerer gemacht hat und damit auch das von Emily Maitlis. Denn seitdem ist der Sender zwischen die Fronten eines Kulturkriegs geraten, dessen erstes Opfer er nun selbst werden könnte.
Nur zwei Tage, nachdem Boris Johnson im Dezember 2019 die Wahl gewonnen hatte, begann sein Regierungsapparat aus allen Rohren gegen den Sender zu feuern. Der Finanzminister erklärte, man müsse den „Zwangscharakter“ der BBC-Gebühren neu überprüfen, Johnson selbst hatte bereits im Wahlkampf gefragt, ob die BBC nicht privatisiert werden solle, die Kulturministerin setzte nach. Auftakt einer Kampagne gegen den Sender, die bald deutlich schriller wurde als viele der vorherigen. An Kritik von Regierungsseite, egal welche Partei am Ruder war, ist die BBC seit vielen Jahren gewöhnt. Aber diesmal geht es ums Ganze. „Verblendete linksliberale Remainer-Elite“ ist noch eines der sanfteren Schimpfworte, wenn man mit Vertretern des libertären Rechtsaußen-Flügels der Tories spricht.
Die Zerstörung der BBC
Kein Wunder also, dass auch Maitlis als prominente Frontfrau des allabendlich ausgestrahlten Nachrichtenmagazins „Newsnight“ schnell zur Zielscheibe wurde. Denn Maitlis ist eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt, auch dann nicht, wenn es um die Regierung geht. Als Boris Johnsons mächtiger Chefberater Dominic Cummings mitten im ersten strengen Lockdown im Mai die Regeln brach und privat quer durch halb England fuhr, drang der allgemeine Aufschrei darüber bis auf die Titelseiten der rechten Boulevardpresse. Johnson ließ ihn dennoch ungeschoren davonkommen. Noch nicht einmal zu einer Abmahnung konnte er sich durchringen. Maitlis eröffnete daraufhin am Abend ihre „Newsnight“ folgendermaßen: „Dominic Cummings hat die Regeln gebrochen. Das Land kann das sehen und ist schockiert, dass die Regierung das offenbar nicht kann.“
Abgemahnt wurde am Ende sie. Für genau diese Sätze. Das Erstaunliche daran: Die Downing Street musste kaum etwas dafür tun. Es war die BBC selbst, die sich schon am nächsten Morgen öffentlich für diese Moderation entschuldigte. Diese Passage habe nicht dem Prinzip der Unparteilichkeit entsprochen, dem man sich verpflichtet habe. Nicht das „ganze Land“ sei empört gewesen. Mit Maitlis und der Redaktion selbst wurde vorher nicht gesprochen.
Die schnelle Defensive der BBC ist nur auf den ersten Blick überraschend. Dominic Cummings gilt als Urvater der Idee, die BBC in ihrer jetzigen Form zu zerstören. Schon 2004 erklärte er sie in einem Essay zum „Todfeind der Konservativen Partei“. Sein Plan: Zunächst müsse man die „Glaubwürdigkeit der BBC unterminieren, um dann parallel ein „Äquivalent zum amerikanischen Fox News“ zu schalten. Nun, im Zentrum der Macht angekommen, ließ Cummings kaum eine Gelegenheit aus, um zu verdeutlichen, dass er mit diesen Plänen ernst machen will. Ein Kurs, der von den allermeisten Tories offen unterstützt wird und an dem auch sein in dieser Woche angekündigter Abgang zum Ende des Jahres wenig ändern dürfte. Die BBC, deren Finanzierung direkt und ausschließlich von der Zentralregierung in London abhängt, muss sich ihre Schlachten sorgfältig aussuchen. Die um Emily Maitlis wollte sie ganz offensichtlich nicht antreten.
Lesen Sie den ganzen Text in der aktuellen Ausgabe.
Quelle: Erstabdruck F.A.Z
Annette Dittert ist ARD-Korrespondentin in London und war Mitglied der Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises. Eine offizielle Preisverleihung fand wegen des Coronavirus 2020 nicht statt, dafür sendete der NDR ein 45-minütiges Porträt von Emily Maitlis.
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