Vor 80 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Ein Anlass, sich an die Verbrechen der Nationalsozialisten und an 1945 zu erinnern. Leider notwendiger denn je, denn die Ergebnisse einer Umfrage der amerikanischen Jewish Claims Conference offenbart bei jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren eklatante Wissenslücken bezüglich des Holocaust und den damit verbundenen Verbrechen der Nationalsozialisten. Es wurden acht Umfragen in zehn Ländern durchgeführt, um das Wissen und Bewusstsein über den Holocaust weltweit zu untersuchen.
Erinnerung, die. Substantiv, feminin.
„Wir brauchen eine Erinnerungskultur, die uns vor allen Dingen und zuallererst mit den großartigen Leistungen der Altvorderen in Berührung bringt.1 Björn Uwe Höcke, am 17. Januar 2017 in Dresden.
Geschichtsrevisionismus, der. Substantiv, maskulin.
Als Geschichtsrevisionismus oder Revisionismus bezeichnet man Versuche, ein wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich anerkanntes Geschichtsbild zu revidieren, indem bestimmte historische Ereignisse wesentlich anders, als in der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft dargestellt, erklärt oder gedeutet werden.2
Holocaust, der. Substantiv, maskulin.
40 Prozent der 18- bis 29-jährigen Deutschen wissen nicht, dass sechs Millionen Jüdinnen und Juden im nationalsozialistischen Deutschland ermordet wurden.3
Sich nicht erinnern zu wollen, ist eine Sache. Anderen die Möglichkeit zu nehmen, an der Erinnerung teilzuhaben, eine ganz andere. Es handelt sich hier jedoch beileibe um keine neue Idee. Schon Franz Josef Strauß, bayerischer Ministerpräsident von 1978 bis 1988, forderte bereits 1985, dass man „die Vergangenheit in der Versenkung oder Versunkenheit, besser gesagt, verschwinden lasse.“ 4 Er bezog sich dabei auf die Worte des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes eine historische Rede hielt, in der er unter anderem den 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ benannte. Zitat: „Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen.“ Weiterhin betonte er, dass für ihn die Mehrheit der Deutschen mitverantwortlich für die begangenen Verbrechen sei. Nicht Hitler und seine Helfershelfer oder gar der Friedensvertrag von Versailles.
Zwei Prozent der Befragten leugneten den Holocaust
Starke Worte, auch noch 40 Jahre später, und doch hat die Erinnerung der Verdrängung Platz gemacht. Bereits 2018 stimmte die CDU mit der AfD im Weserbergland gegen einen NS-Dokumentationsort. Das Projekt sei zu teuer, hieß es damals, zudem müsse man „Langsam mal anfangen, in dem Jetzt und Heute zu leben. Ständig dieses Aufwühlen, was passiert ist!“ 5 Immerhin blieb es bei dem Versuch. Die NS-Dokumentationsstätte am Bückeberg wurde realisiert.
Und doch sind wir wieder bei den 40 Prozent der jungen Erwachsenen, die die Zahl der ermordeten Jüdinnen und Juden im Dritten Reich nicht kennen. 15 Prozent der Befragten nahmen an, dass zwei Millionen Ermordete zu beklagen seien, zwei Prozent leugneten den Holocaust gar.
Schlimmer geht’s immer, wenn man in die USA blickt, wo die Jewish Claims Conference ebenfalls junge Menschen befragte: 54 Prozent wussten nicht, wie viele Menschen jüdischen Glaubens in der Zeit von 1933 bis 1945 von den Deutschen getötet wurden.
Kaum noch Opfer, die berichten können
Häme ob der „doofen Jugend von heute“ ist hier selbstverständlich fehl am Platz. Wie bereits eingangs erwähnt, müssen ganz besonders junge Leute überhaupt die Möglichkeit haben, sich erinnern zu können. Sie waren nicht dabei, wir waren nicht dabei, und diejenigen, die dabei waren, die Opfer wurden und noch über die Gräueltaten berichten könnten, kann man bald an zwei Händen abzählen. Schulunterricht allein ist da nicht genug – zudem sei daran erinnert, dass ausgerechnet das AfD-Mitglied Björn Höcke Geschichtslehrer war …
Die Anzahl der ermordeten Menschen ist das eine, die vollkommene Unkenntnis, was es mit dem Holocaust oder der Shoa auf sich hat, das andere. Auch hier kann die Jewish Claims Conference besorgniserregende Ergebnisse vorweisen: 46 Prozent der befragten französischen Millennials gaben an, noch nie etwas vom Holocaust gehört zu haben oder waren sich dessen nicht sicher.
Eine Mehrheit der Befragten aller Länder (mit Ausnahme Rumäniens) befürchtet gar, dass so etwas wie der Holocaust wieder geschehen könne. 53 Prozent der 18- bis 29-jährigen Rumänen und Rumäninnen sind gar der Meinung, dass die Zahl der Jüdinnen und Juden, die im Holocaust getötet wurden, stark übertrieben sei. 45 Prozent aller Umfrageteilnehmer in Ungarn und 44 Prozent in den USA gaben zudem an, dass das Leugnen des Holocaust in ihrem Land weit verbreitet sei.
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