Karat, die mit Songs wie „Über sieben Brücken“, „Der blaue Planet“ oder „Albatros“ Klassiker schufen, war die einzige Band im Osten, die schon vor dem Mauerfall goldene Schallplatten in der Bundesrepublik gewann. Jetzt wird die Berliner Kultband 50 Jahre alt.
Text: Sebastian Frei, Fotos: Bernd Lammel
Obwohl zu jeder Bandbiografie neben dem üblichen Auf und Ab auch einige Besetzungswechsel gehören, wollte man der Berliner Band Karat daraus einen Strick drehen. Die hatte sich nämlich vor zwei Jahren von ihrem Bassgitarristen getrennt, und gleichzeitig verließ sie der Schlagzeuger – medial gab es dazu einen Aufschrei. Zudem wurde der Ex-Bassist nicht müde zu erwähnen, wie schrecklich das alles war. Falls es so war, müsste man ihm eigentlich gratulieren, dass er sich das nicht mehr antun muss. Der Schlagzeuger wiederum gab persönliche Gründe an, die er jedoch bisher noch nicht verraten hat. Bei seinem Abgang war er immerhin bereits 75 Jahre alt und wurde seit 2017 immer mal wieder vertreten.
Dass das so viele gedruckte Zeilen wert ist, ist offenbar ein ostdeutsches Phänomen, denn die über 20 Besetzungswechsel von BAP noch die 16 von Extrabreit, die über zehn von den Scorpions, die acht von den Rodgau Monotones oder die sechs von Alphaville – um nur einige wenige westdeutsche Bands zu nennen, bei denen sich das Besetzungskarussell schnell drehte – rauschten kaum beziehungsweise meistens gar nicht durch die Presse. Heinz Rudolf Kunze, Purple Schulz und Wolf Maahn trennten sich auch jeweils von ihren langjährigen Gitarristen, die für die Sänger etliche Hits komponierten – damit das auch mal irgendwo geschrieben steht. Natürlich ist es für jeden, der einen Job verliert, eine ganz persönliche Zäsur, und auch in einer Ehe, die auseinandergeht, gibt es mindestens zwei Wahrheiten. Ebenso wird gern betont, dass keines der jetzigen Karat-Mitglieder bei der Bandgründung dabei war. Genau genommen ist das richtig, denn Langzeitgitarrist Bernd Römer, der mit seinem Spiel nach wie vor Karat prägt, zählt „erst“ seit 49 Jahren zum Line-up, er kam 1976 dazu.
Karat hat alle Höhen und Tiefen überlebt
Doch wenn man das wirklich ganz genau auseinanderklamüsern will, müsste erwähnt werden, dass auch Ulrich „Ed“ Swillms, Karat-Keyboarder bis 1987 und Komponist vieler Band-Klassiker (und damit die Legende in dieser Band), schon einen Vorgänger hatte, nämlich den Musiker und Schauspieler Christian Steyer. Wenn das der Tenor bleibt, müssten beispielsweise auch Silly um ihr baldiges Jubiläum fürchten – aus den frühen Jahren, den Endsiebzigern, ist heute niemand mehr dabei. Vielleicht sollte man sich besser freuen, dass Karat alle Höhen und Tiefen überlebte, dass die Band nicht in die Bedeutungslosigkeit abdriftete, dass sie auch heute noch ihre Konzerte ausverkauft, neue Titel komponiert und neue Alben aufnimmt. Und dass sie jetzt ein rundes Jubiläum feiert: 50 Jahre Karat! Ein Jubiläum mit großer Tour, eigener Kreuzfahrt, die innerhalb weniger Tage ausverkauft war, und einem neuen Album.
Doch der Reihe nach. 1975 in Ostberlin gegründet, ging es ziemlich schnell, bis Karat endgültig in die Riege der wichtigsten Bands der DDR aufstieg. War die allererste LP „Karat“ (1978) noch ein Achtungszeichen, wurde schon Album Nr. 2, „Über sieben Brücken“ (1979), zum Klassiker. Der Titelsong stammte eigentlich vom Soundtrack eines gleichnamigen Fernsehfilms, und er bescherte nicht nur Karat, sondern auch Peter Maffay den bisher größten Hit. Maffay hatte nämlich die Nummer 1980 gecovert – erwähnte aber zumindest sporadisch, dass der Song eigentlich von Karat ist. Der Erfolg blieb fortan an der Seite der Karat-Musiker, und das Besondere war stets, dass die Band auch außerhalb der kleinen DDR Erfolge feierte – Karat ist die einzige Formation des Ostens, die bereits vor dem Mauerfall in Westdeutschland Goldene Schallplatten einheimste. Ihre Alben wie „Schwanenkönig“ und „Der blaue Planet“ zählen heute zu den Meilensteinen deutschsprachiger Rockmusik.
Claudius Dreilich seit 20 Jahren Sänger von Karat
Wenngleich sich der Erfolg der Achtziger ein Jahrzehnt später in dieser Dimension nicht wiederholen ließ, blieb Karat am Ball, und große Teile des Publikums blieb der Band treu. So füllte sie im Jahr 2000 zum 25-jährigen Bandjubiläum mühelos die Berliner Freilichtbühne Wuhlheide. Maffay kam vorbei, um „Sieben Brücken“ im Duett zu singen (was er bis heute aus diversen Anlässen immer mal wieder tut), doch die Sensation war perfekt, als der damals 30-jährige Claudius Dreilich die Bühne betrat, um den alten Karat-Song „Abendstimmung“ vorzutragen. Das Publikum und nicht zuletzt die Karat-Musiker waren verblüfft, denn Claudius ähnelte dem Sänger Herbert Dreilich, seinem Vater, sehr – sowohl optisch als auch stimmlich. Als dieser Ende 2004 einem Krebsleiden erlag, reifte die eigentlich naheliegende Idee unter den Karat-Musikern, dass Claudius Sänger der Band wird, die er schon seit frühesten Kindertagen kennt. Der Rest ist jüngere Karat-Geschichte – Claudius Dreilich ist nun schon seit 20 Jahren Sänger der Band.
Dabei war Herbert Dreilichs Sohn ein echter Glücksfall, denn ihm war es von Anfang an zu wenig, nur ein Plagiat seines Vaters zu sein. Natürlich, es geht darum, dem Erbe gerecht zu werden, es möglich zu machen, dass die Fans die alten Hits live hören können. Aber es geht auch immer darum, dass die Band sich weiterentwickelt und eben nicht zur Oldie-Kapelle mutiert. So bringt sich der Spross auch als Komponist und Texter ein. Weitere Songs stammen von Martin Becker, der seit 1992 – immerhin auch schon 33 Jahre – Keyboarder bei Karat ist. Beide zeichnen auch für die jüngste Produktion „Hohe Himmel“ für Kompositionen und Texte verantwortlich. Na ja, zumindest fast, denn drei Nummern schrieb Becker gemeinsam mit Hansi Biebl, dem bekannten Bluesgitarristen, der schon 1995 erstmals für Karat komponierte. Die Texte zu den drei Stücken lieferte Werner Karma, vor allem als früherer Silly-Texter bekannt. „Hohe Himmel“ ist kein typisches Jubiläumsalbum: keine Zusammenstellung alter Tracks, keine Neueinspielung ihrer großen Hits. Es ist vielmehr das Statement einer Band, die es nochmal wissen will, die mit jedem Ton deutlich macht, dass die Reise auch nach 50 Jahren weitergeht. Zweifelsohne profitiert das Werk auch von den Neuzugängen an Bass und Schlagzeug. Daniel Bätge und Heiko Jung, die unter anderem schon mit Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken, Jan Josef Liefers und Clueso zusammenarbeiteten, sorgen für den nötigen Groove und pumpen frische Energie ins Bandgefüge.
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