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UTOPIE Verkehrswende
Diesel zu Schienenkilometern
Mobilität der Zukunft

Diesel zu Schienenkilometern 

Von Andrew Weber

Zur Deutschen Bahn kann jeder Bundesbürger sein Leid klagen. Sei es die Pünktlichkeit im Fernverkehr, die unter 80 Prozent liegt, der Ausfall von Stellwerken oder schlicht mangelnder Service. Dabei wäre es dringend notwendig, in die Bahninfrastruktur zu investieren, denn wir werden nicht ewig Auto fahren können. 

Bei allen Diskussionen und Debatten zur Zukunft der Mobilität bleibt ein Faktor oft unberücksichtigt: der demografische Wandel. Seit 1972 segnen mehr Menschen das Zeitliche, als neue geboren werden, und spätestens 2031 geht die Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand. Prognosen zufolge sollen zu diesem Zeitpunkt etwa 78 Prozent von Deutschlands Bevölkerung in Städten leben. Man darf diese Einschätzung durchaus anzweifeln, denn die Mieten und Immobilienpreise erreichen dort seit Jahren astronomische Höhen.

Trotzdem wird es die Rentner – nein, vermutlich eher Pensionäre – in die Stadt ziehen, weil da die Wege noch kurz beziehungsweise mit Straßenbahn oder Bus zu bewältigen sind. Einkaufsmöglichkeiten, Haus- und Fachärzte oder Krankenhäuser gibt es vor allem in Großstädten im Überfluss. Der Rest bleibt abgehängt, denn über Jahrzehnte wurden Abermilliarden D-Mark und Euro in den Ausbau des Straßennetzes gepumpt, gleichzeitig der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) peu à peu ausgedünnt.

Ein Umdenken der Politik ist nicht abzusehen. Man rettet lieber den Diesel oder setzt auf Elektromobilität. Doch auch letztere wird an der Problematik nichts ändern können, dass alte Menschen – und nicht nur diese – besser nicht mehr Auto fahren sollten. In der Peripherie wird ihnen mangels Alternative nichts übrigbleiben, als mit ihrem Pkw an stillgelegten Bahnhöfen vorbeizufahren, um auf der (einst) grünen Wiese einzukaufen oder den Facharzt in der nächstgrößeren Gemeinde zu konsultieren.

Wir versiegeln seit Jahrzehnten die Landschaften. Allein in Bayern sind es täglich rund zwölf Hektar Land, die unter Beton und Asphalt verschwinden. Nicht nur mit Straßen, ganz klar, aber eben auch mit Gewerbegebieten vor den Orten, die gern an Autobahnen gelegen und nur mit dem Kraftfahrzeug zu erreichen sind. „Ein Auto, egal mit welchem Antriebsstrang ausgestattet, frisst viermal mehr Fläche, als ein effizienter öffentlicher Personennahverkehr benötigt“, rechnet der Verkehrsexperte Winfried Wolf in einem Interview mit dem Onlinemagazin Telepolis vor 1. Da läge es doch nahe, mit der „Bahn AG“ eine Lenkungsfunktion zu übernehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Pro-Kopf-Vergleich des Bündnisses „Allianz pro Schiene“2 zeigt deutlich, wer in Europa in den Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur investiert (2016). Allen voran die Schweiz mit 378 Euro pro Bürger, gefolgt von Österreich mit 198 Euro und Schweden mit 170 Euro. Deutschland, das Land in Europa mit dem höchsten Staatshaushalt, folgt abgeschlagen auf Platz acht, mit lächerlichen 64 Euro pro Kopf (gesamt: rund 5,3 Milliarden). Allein für den Ausbau der Bundesfernstraßen indes wurden im Jahr 2017 satte 8,95 Milliarden Euro ausgegeben, die höchste Summe, seit 1970 3.

Trotzdem fahren die Bürger mehr und gern mit der Deutschen Bahn, allen Widrigkeiten zum Trotz. Der Deutsche ist offenbar leidensfähig. Rund 148 Millionen Fahrgäste nutzten 2018 Fernverkehrszüge. Ein Rekord, aber einer der blendet, denn die Fahrgäste reisen nun zwar zum Beispiel schneller von München nach Berlin, kommen aber immer öfter nicht mehr ins nächste Dorf. Denn die vorhandenen Bahnverbindungen kommen vor allem Städten zugute. Das 1994 mit der Bahnreform gesetzte Signal „Fit für die Börse“ steht gleichbedeutend mit dem sukzessiven Abbau des Streckennetzes.

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Fußnoten

1  https://www.heise.de/tp/features/Neuer-Reform-Furz-4413769.html

2  
https://www.allianz-pro-schiene.de/presse/pressemitteilungen/eu-
ranking-deutschland-knausert-beim-schienennetz/

3  
https://www.deutschlandinzahlen.de/tab/deutschland/infrastruktur/verkehr-und-transport/ausgaben-fuer-den-verkehr

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