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UTOPIE Verkehrswende
Medienkritik unter beleidigten Leserwürsten

(c) Bernd Lammel

Medien

Medienkritik unter beleidigten Leserwürsten 

von Burkhard Schröder – Chefredakteur von 2004 bis 2007

Mit dem Gründen von Zeitschriften ist es wie mit der Ehe: Man sollte es einmal versucht haben, auch ganz ohne Vorkenntnisse. Kein Journalist wird zugeben, er könne so etwas nicht, aber das ist meistens gelogen. Wir waren damals naiv: Gibt es wirklich eine Marktlücke für ein Blatt (auf Papier!), das die eigene Branche kritisch unter die Lupe nimmt und sogar Unbequemes ausspricht?

Nein, gibt es in Deutschland nicht, aber wir haben es immerhin versucht. Das mag man strafmildernd hinzufügen. Schon der sperrige Titel Berliner Journalisten würde heute zu Shitstorms aus dem Glottisschlag-Milieu (die mit den Gendersterchen) führen: Wie konntet ihr es wagen, das generische Maskulinum für einen Zeitschriftentitel zu benutzen? Und seid ihr überhaupt divers? (Ja, mein Opa war Russe.)

Nun flüsternd und mit Altersmilde aus der Distanz: Wir waren alle erfahren und zum Teil Jahrzehnte in der Branche zu Hause. Das hatten wir aber niemandem verraten, sondern spielten mit dem Underdog-Image. Eine neue Medienzeitschrift, vorgestellt in den Räumen des Bundespresseamtes am 9. November 2004. Dann ist die Bude voll. Aber man sah, dass die anwesende Journaille mit den Ohren schlackerte: Wo sind die Promis? Wer seid ihr? Damals hielten noch viele Journalisten Google für eine Nachspeise, und WLAN zur Spontanrecherche gab es nicht.

Wenn man den Intelligenzquotienten eines Aschenbechers hat, aber oft im Fernsehen auftritt, was dort kein Hindernisgrund für mediale Multipräsenz ist, kann man auf mehr als vierstellige Verkaufszahlen für Printprodukte hoffen. Wir aber waren weder berühmt noch bekannt und mussten daher Inhalte und Fotos aufbieten, die andere nicht hatten. Jemand hätte damals die Frage stellen müssen, deren Antworten fast alle Geschichten hinreichend aufklären: Wo kommt die Kohle her? Wo geht die Kohle hin? (Mathew D. Rose)

Die Antwort endet leider, was Sprachpapst Wolf Schneider ausdrücklich verboten hat, auf -ung: Selbstausbeutung. Dazu das Prinzip Hoffnung – vielleicht interessiert das Thema Medienkritik irgendjemanden? Und wenn doch nicht viele, dann vielleicht diejenigen, die in Journalistenverbänden für Metatherorie der Branche zuständig sein wollen? Wir hofften, wie angesichts von Sodom und Gomorrha, auf die wenigen Gerechten, die sich nicht mit den berufstypischen Krankheiten infiziert hatten – mit unsubstantiierter Eitelkeit und Belehrungsresistenz.

In Wahrheit war alles viel komplizierter, aber diese Story ist erstens nicht sexy, und zweitens wollen diejenigen, die sie verstünden, sie nicht hören. Wir kamen alle aus dem Hauptstadtverband des DJV (Deutscher Journalistenverband). Dort gab es reichlich internen Zoff. Die Opposition, zu der wir gehörten, hatte ebenfalls gefragt: Wo geht die Kohle hin? Wird der defizitäre Presseball mit Mitgliedsgeldern finanziert? Wer darf abstimmen und wer sollte das nicht dürfen (heute würde man von „Scheinreferenden“ reden)? Der Bundesverband mischte sich in die Querelen im Berliner Mediensandkasten ein und verbrannte sehr viel Geld, um das Förmchenweitwerfen unter Verbandsfunktionären zu beenden, aber erfolglos (außer für die Anwälte).

Das war ein weiteres Motiv für uns, genau so naiv wie alle anderen: Il nous faut de l‘audace, encore de l‘audace, toujours de l‘audace! (Georges Danton). Die Öffentlichkeit interessiert das einen feuchten Kehricht, ähnlich wie heute: Journalisten, die sich irgendwo organisieren, denken zuvörderst darüber nach, wie man sich gegenseitig mit Preisen überhäufen könnte.

Jetzt die Gegenargumente – das, was gut war. Als Chefredakteur, so denkt sich das einfache journalistenferne Volk, sitzt man in einem Büro, lässt andere arbeiten und schaut ihnen ab und zu auf die Finger und verhunzte Sprache. Irgendwelche Staatsanwälte verlangten mich damals telefonisch zu sprechen, weil sie sich über Recherchemethoden informieren lassen wollten, und baten, mit dem „Vorzimmer“ des Chefredakteurs verbunden zu werden. Vorzimmer! Dieses Wort kannte ich als Freiberufler gar nicht. Es hörte sich aber wichtig an. Der Gedanke war verlockend: Mir als Chefredakteur winkt bei kommerziellem Erfolg ein Vorzimmer, womöglich mit einer hübschen Sekretärin!

Heute weiß ich, dass mich viele Kollegen, die wir für Artikel anheuerten, nicht ausstehen konnten: Ich schrieb deren oft sprachlich mäandernden und mit Blähdeutsch verunzierten Elaborate gnadenlos um. Alle Wörter mit -keit, -ung, -ion, -ieren werden auf das Niveau von Schillers Glocke gehoben: Verben! Hauptsätze! Er sagt es kurz und angenehm, was erstens, zweitens, drittens käm! Den Rest in die Mülltonne! Und dann auch noch zwangsweise E-Mails verschlüsseln! Geht ja gar nicht. Journalisten und technische Neuerungen? Wo kämen wir denn da hin?

Ein Rat an die Nachgeborenen: Chefredakteure müssen Teamplayer sein und dürfen weder Leser noch Kollegen vor den Kopf stoßen. Der Spiegel schrieb im Februar 1970: „Daß sich der deutsche Journalismus nie mit erfolgreicher Auflehnung verbunden hat, nie Teil einer Widerstandskultur gewesen ist wie der Journalismus Frankreichs, Englands oder Amerikas, ist das Handikap, das er aus zwei Untertanen-Reichen in die Reformzeit fortschleppt.“ Wie kommt man dagegen an? Wie rüttelt man auf? Muss man sich irgendwo anketten wie der geschätzte Kollege Günter Wallraff oder mit dem Messer ritzen wie ein Literat, dessen Name mir mit Vorsatz entfallen ist?

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