Von Tobias Müller
Regelmäßig werden Journalisten bei Demonstrationen von Corona-Skeptikern angegriffen. Dabei bleibt es nicht nur bei Beleidigungen.
Ein Fotograf, der mit Boxhieben attackiert wird und dabei seine Brille verliert. Ein freier Journalist, der zu Boden gestoßen wird, eine Prellung und Schürfwunden erleidet. Ein Reporter des Berliner Tagesspiegels, der vor Hooligans fliehen muss. „Wir mussten unsere Berichterstattung kurzzeitig abbrechen, da eine größere Hooligan-Gruppe ohne polizeiliche Begleitung auf uns zu rannte“, twitterte der Journalist. Das sind nur drei Beispiele von Übergriffen auf Medienvertretern, die sich bei einer „Querdenken“-Demonstration mit mehr als 20 000 Teilnehmern gegen die deutsche Coronapolitik Anfang November 2020 im sächsischen Leipzig zugetragen haben. Anwesende Journalisten beschrieben die Polizei als zögerlich.
Insgesamt wurden an jenem Tag 29 körperliche Angriffe von Protestierenden auf Journalisten registriert. Tina Groll, Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU), sprach von einer „völlig neuen Dimension, was das Ausmaß der Gewalt betrifft“. Zudem kritisiert Groll auch die Zaghaftigkeit der Polizei, die die Pressefreiheit nicht ausreichend geschützt habe.
Schulterschluss von Rechtextremisten und Corona-Skeptikern
Ende März 2020 gab es in Berlin die ersten Proteste gegen die Coronapolitik der Regierung, und kurze Zeit später hätten schon die Attacken auf Journalisten begonnen, sagt Jörg Reichel, DJU-Landesgeschäftsführer in Berlin-Brandenburg. Meist würden die Journalisten beschimpft. „Körperliche Angriffe – Schlagen, Schubsen, Anspucken und Bedrängen – sind seltener. Es gibt keine landesweiten Statistiken, aber für Berlin gehen wir von mindestens einhundert Fällen von Behinderungen und Angriffen während der Arbeit aus“, sagt Reichel. Er mahnt vor einer stetigen Unterwanderung der Anti-Corona-Bewegung durch Rechtsextremisten. Mit ihren Slogans wie „Ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick“ oder „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot“ würden diese zunehmend bei solchen Veranstaltungen die Stimmung aufheizen und zu Gewalt gegen Medienschaffende insgesamt anspornen. Reporter seien mittlerweile ein gemeinsames Feindbild von Rechtsextremisten und Corona-Skeptikern, sagt Reichel, was den Schulterschluss erleichtere. Im Zweifelsfall sollten sich die Pressevertreter zurückziehen und aus der Distanz berichten, lautet sein Rat.
Attacken – und die Polizei schaut zu
Im Zuge der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen haben die Angriffe von Corona-Skeptikern auf Medienvertreter zugenommen. Allein von März bis Juni 2020 verzeichnete das European Centre for Press and Media Freedom rund 126 Attacken auf Journalisten, die meisten davon standen im Zusammenhang mit der Pandemie.
Wenige Tage vor der Eskalation in Leipzig wurde in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana der Fotograf Borut Zivulovic bei einer Anti-Lockdown-Demo von Protestierenden dermaßen zusammengeschlagen, dass er ins Krankenhaus musste. Nahezu zeitgleich veröffentlichte Reporter ohne Grenzen (ROG) einen Aufruf an die italienische Politik, Gewalt gegen Journalisten zu verurteilen. Denn innerhalb von zwei Wochen waren in Italien insgesamt neun Reporter in unterschiedlichen Städten bei Anti-Corona-Demonstrationen attackiert worden. Wie in Deutschland, heißt es im ROG-Schreiben, seien auch in Italien Rechtsextremisten in diese Attacken verwickelt gewesen.
Ende Oktober vergangenen Jahres berichtete der Presse-Service Wien über Bedrohungen und körperliche Angriffe auf Pressevertreter während einer Kundgebung gegen Corona-Maßnahmen. „Teilweise geschah dies unter den Augen der Polizei, die zu keinem Zeitpunkt einschritt“, heißt es in einem Tweet des Zusammenschlusses freier Fotojournalisten. Anfang November wurde ein ORF-Kamerateam, das von Protesten gegen den Lockdown berichtete, mit „Lügenpresse“-Sprechchören empfangen. Wegen dieser Ereignisse fordert die European Federation of Journalists einen besseren Schutz von Berichterstattern.
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