Von Gunnar Fehlau
Man könnte das Verhältnis zwischen Fahrrad und Medien als kompliziert, wenn nicht gar gestört bezeichnen. Das ist sehr schade, denn das Fahrrad bietet viele Themen und damit eine Chance für mehr Reichweite und Auflage. Eine Bestandsaufnahme von Gunnar Fehlau.
Z um Einstieg gleich mal die große Keule: „Das Fahrrad ist Teil der Lösung und nicht Teil des Problems.“ Belege? Gerne: In nahezu jedem lokal-gesellschaftlichen Themenfeld heißt meine Antwort: Steig aufs Rad! Nein, natürlich nicht für jeden und immer, aber für mehr Menschen und häufiger. Parkplatzsorgen? Feinstaub? Bewegungsmangel? Übergewicht? Stress? … Nennen Sie ein Schlagwort, ich liefere Ihnen den Aspekt des Rades, der die Themenstellung positiv auflädt: Verödung der Innenstädte? Radfahrer konsumieren im Nahfeld ihrer Wohnlage mehr als Autofahrer. Auch Radfahrer als Touristen konsumieren deutlich mehr und regionaler. Radgeschäfte sind ein prosperierender Einzelhandelsbereich, der gegenüber der „grünen Wiese“ zulegt und dem Internethandel standhält. Die lebenswertesten Städte der Welt sind jene, die bereits als sehr fahrradfreundlich gelten (Kopenhagen, Amsterdam, Portland) oder sich auf den Weg dahin gemacht haben (Oslo, Barcelona). Diese Geschichten lesen wir aber allzu selten. Warum?
Ich muss aufpassen, dass das hier nicht zur Publikumsbeschimpfung gerät, wir sind ja in einem Medienmagazin. Nähern wir uns also sanft. Die Lebensrealität vieler Journalisten ist nicht nur bekanntermaßen „beziehungsfeindlich“ (hohe Scheidungsraten), nein, sie ist auch recht fahrradunfreundlich: lange Arbeitszeiten, oft an den Eckstunden des Tages, viel Reisetätigkeit und oft mit brutalem Termindruck im Rücken. Da gehören schon viel intrinsische Motivation und ein bisschen Phantasie dazu, um Mobilität abseits von Autos ins eigene Leben zu integrieren.
Ein kultiges Beispiel ist sicher „Zik“ alias Heinz-Walter Friedriszik, der als Fotograf für den Kölner Express auf Rollschuhen seinem Beruf nachging. Ansonsten gilt: Medienschaffende sind allzu oft vorrangig Autofahrer. Sie können sich eine gelungene Mobilität jenseits der eigenen Hände am eigenen Lenkrad nur schwer vorstellen. Sie trauen dieser „anderen Mobilität“ in jeder Hinsicht wenig zu. So konnte das E-Bike, also ein Fahrrad mit Unterstützung durch einen Elektroantrieb, zu einem Verkaufsschlager werden, lange bevor eine breite Medienöffentlichkeit davon Notiz nahm. „Bis auf den heutigen Tag nach 30 Jahren betrachte ich staunend, wie gering das Wissen und die Einordnungsfähigkeiten von Nicht-Fach-Journalisten zum Thema Fahrrad sind. Da heben Kollegen auf Dinge ab, wie etwa LED-Beleuchtung, die seit zehn Jahren de facto Standard an Neurädern sind“, erklärt ein Journalist, der unter anderem langjähriger Redakteur im Mobilitäts-Ressort einer überregionalen Tageszeitung war. Die Benennung des Ressorts zeigt einen weiteren Aspekt des Dilemmas auf: Sie heißen „Motor“ oder „Auto“ und noch selten „Mobilität“. Und der Weg dahin kann schwer sein, wie Insider etwa aus der Spiegel Online-Redaktion berichten, als das Ressort „Auto“ seinen Namen wechseln sollte. Und obwohl die „harten Klick-Zahlen“ eindeutig fürs Thema „Fahrrad“ sprachen, seien teils hanebüchene Argumente gegen eine Radberichterstattung in die Diskussion gebracht worden.
Hinter vorgehaltener Hand sagen Redakteure von Tageszeitungen und Magazinen, was sie offiziell nie bestätigen würden: Der Fahrradbranche fehlt es an Potenz, um ein Anzeigenumfeld für die thematische Berichterstattung zu buchen. In dieser Content-Gleichung ist das Fahrrad stets die Variable und das Auto das Axiom. Zwei Dinge sind an dieser Betrachtung gefährlich: Zum einen ist es eine populistisch infame Zuspitzung, Fahrrad und Auto zu einem unversöhnlichen thematischen Gegensatzpaar ähnlich einem Frontverlauf in einem Stellungskrieg zu verdichten. Angesichts etwa der Tatsache, dass gut 90 Prozent aller Radfahrer über 18 Jahren auch einen Führerschein besitzen, wird klar, den Radfahrer und die Autofahrerin als monomobiles Wesen gibt es in freier Wildbahn kaum. Zum anderen verbauen sich Redaktionen mit dieser Perspektive den Weg in eine moderne und zeitgemäße Berichterstattung über Mobilität, die auch als ein prototypischer Versuchsballon für neue Berichterstattung und neue Monetarisierungsmodelle urbar gemacht werden könnte. Das kann sowohl etwas grobschlächtig mit eingepflegten Affiliate-Links passieren oder auch mit virtuoserem Spiel die Kasse klingeln lassen. Fahrrad wäre sogar ein dankbares Spielfeld, weil es hier keine Historie der Mediabuchung und daraus resultierende Altlasten und eingespielter Rituale gibt. Dass hier übrigens die Inhalte in der Pflicht sind, mehr oder weniger direkt für Verdienst zu sorgen, ist kein Einzelschicksal des Themas Fahrrad. Wir erinnern uns: „Normale Verlage haben in ihrer Geschichte nie mit Publizistik Geld verdient.“ (Kurt W. Zimmermann im Kress-Report). Was will uns das sagen? Medien der Moderne haben stets von den Anzeigen gelebt und ein Endverbraucherpreis (EVP) war immer nur „wirtschaftliches i-Tüpfelchen“.
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