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Wenn der Staatsanwalt klingelt: Quellenschutz und Redaktionsgeheimnis
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Wenn der Staatsanwalt klingelt: Quellenschutz und Redaktionsgeheimnis 

Die Exekutive erliegt immer wieder mal der Versuchung, bei unliebsamer Berichterstattung das Recht zu ihren Gunsten auszulegen. Besonders die Veröffentlichung dienstlicher Interna ist ihr ein Dorn im Auge. Doch auch wenn dafür zum Teil ein langer Weg durch die Instanzen erforderlich ist: Das Grundgesetz schützt die publizistische Tätigkeit der Medienangehörigen.

Von Cord Henrich Heinichen

Im April 2005 wurde im politischen Kulturmagazin Cicero ein Artikel des Journalisten Bruno Schirra über einen vom jordanischen Terroristen Abū Musʿab az-Zarqāwī angeblich mit Rückendeckung des Iran geplanten Chemiewaffenanschlag veröffentlicht. Im Text zitierte Schirra aus einem als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ klassifizierten Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA), unter anderem auch Telefonnummern, die der Statthalter der al-Qaida im Irak verwendet haben sollte. Wegen der Vertraulichkeit des Berichts stand der Verdacht einer von einem BKA-Mitarbeiter begangenen strafbaren Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht (§ 353b Strafgesetzbuch) im Raum. Schirra wurde verdächtigt, durch die Veröffentlichung strafbare Beihilfe geleistet zu haben.

Im September 2005 erteilte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily die bei solchen Straftaten erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht Potsdam daraufhin die Durchsuchung des Berliner Hauses des Journalisten und der Redaktionsräume des Cicero in Potsdam an sowie die Beschlagnahme eventuell gefundener Beweismittel. BKA-Beamte durchsuchten daraufhin das Haus Schirras sowie die Redaktionsräume des Cicero und beschlagnahmten dabei auch Recherchematerial. Das Amts- und das Landgericht Potsdam wiesen die dagegen eingelegten Rechtsmittel in erster Instanz und zweiter Instanz als unbegründet zurück.

Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht

Hiergegen setzte sich der damalige Chefredakteur des Cicero, Wolfram Weimer, mit einer Verfassungsbeschwerde zur Wehr, der das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 mit der Begründung stattgab, dass die gerichtlichen Zurückweisungsbeschlüsse die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit verletzt hätten. Schon im sogenannten Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei entschieden worden, dass Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei Medienangehörigen unzulässig seien, wenn sie – wie im Cicero-Fall – ausschließlich oder vorwiegend dazu dienten, den Informanten zu identifizieren. Zudem sei Schirra der ihm vorgeworfenen Beihilfe zum Geheimnisverrat nicht – wie erforderlich – „dringend“ verdächtig, sondern nur „hinreichend“.

In einem zehn Jahre nach der Durchsuchung beim Cicero-Magazin als Streitgespräch geführten Interview mit Otto Schily und Wolfram Weimer, das in der Novemberausgabe 2015 des Cicero erschien, erklärte Otto Schily seine Verfolgungsermächtigung gleichwohl für „richtig“ und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für „falsch“. Zwar sei er „ein großer Anhänger der Pressefreiheit“, die Entscheidung beruhe aber bereits auf einem „Denkfehler“, der „einem Verfassungsrichter eigentlich nicht unterlaufen dürfte“. Es sei „hochproblematisch“, wenn „das Bundesverfassungsgericht das Vertrauensverhältnis zwischen der Presse und einem Straftäter schützt“. Und er sei „sehr erstaunt“, wenn er höre, dass das integraler Bestandteil der Pressefreiheit sei. „Der Staat“ hätte „ein Anrecht darauf, dass seine Geheimnisschutz-Vorschriften eingehalten“ würden. Er könne auch nicht verstehen, was denn an der Geschichte für die Öffentlichkeit interessant sei.

Grundgesetz schützt die publizistische Tätigkeit der Medienangehörigen

Nachdem bereits der für seine Äußerung: „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“ bekannte damalige Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU) im Zuge der sogenannten Spiegel-Affäre die Verhaftung des Spiegel-Redakteurs Conrad Ahlers in Spanien als „etwas außerhalb der Legalität“, aber moralisch einwandfrei bezeichnet hatte, lassen die in dieser Tradition stehenden Äußerungen Otto Schilys (Grüne, SPD) befürchten, dass die dem jeweiligen Bundesinnenminister zugewiesene Rolle eines „Hüters der Verfassung“ den Bock zum Gärtner macht.

Als Public Watchdog sind die Medien für das Funktionieren eines demokratischen Staates und einer demokratischen Gesellschaft besonders wichtig, wenn staatliches Handeln und behördliche Entscheidungen wegen ihres vertraulichen oder geheimen Charakters demokratischer oder richterlicher Kontrolle entzogen sind. Der alle Lebensbereiche betreffende Beitrag der Medien prägt die individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Um diesen Beitrag leisten zu können, schützt das Grundgesetz die publizistische Tätigkeit der Medienangehörigen, das heißt der Personen und Organisationen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten beziehungsweise der Unterrichtung oder der Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben. Dieser Schutz reicht von der Recherche (Informationsbeschaffung) bis zur Verbreitung der Nachricht oder Meinung. Weil auf der Hand liegt, dass Medienangehörige bei der Informationsbeschaffung auf private Mitteilungen nicht verzichten können, diese Informationsquellen aber nur dann ergiebig fließen, wenn sich Informanten grundsätzlich auf die Wahrung ihrer Anonymität BKA-Mitarbeiter verlassen können, sind vor allem die Geheimhaltung der Informationsquellen (Informant und Recherchematerial, soweit es Rückschlüsse auf den Informanten zulässt) und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und Informanten grundrechtlich geschützt.

Informationsempfänger nicht generell von strafprozessualen Maßnahmen ausgenommen

Zugleich kann vernünftigerweise nicht bezweifelt werden, dass die Sicherung des Rechtsfriedens durch das Strafrecht eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt und eine wirksame Strafverfolgung zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten unerlässlich ist. Dies gilt prinzipiell auch dann, wenn es um den strafbaren Verrat von Dienst-, Privat-, Berufs- oder Geschäftsgeheimnissen geht. Dabei sind Journalisten und Journalistinnen als Informationsempfänger nicht generell von strafprozessualen Maßnahmen ausgenommen. So wenig, wie dem Rechercheinteresse der Medien grundsätzlich Vorrang vor dem staatlichen Interesse zukommt, Geheimnisverrat zu verfolgen, hat Otto Schily mit seiner Ansicht recht, dass das Strafverfolgungsinteresse beim Verrat vertraulicher oder geheimer Informationen grundsätzlich Vorrang vor dem Rechercheinteresse habe. Für das Verhältnis zwischen der Pressefreiheit und dem Schutz vertraulicher oder geheimer Informationen gilt vielmehr der Grundsatz, dass die Öffentlichkeit von Unterlagen die Regel, Geheimhaltung die Ausnahme ist. Zudem ist die Antwort auf die Frage, welche Informationen von öffentlichem Interesse sind, nicht dem Staat vorbehalten, sondern von den Medien zu beantworten.

Zwar hat die Strafverteidigerin Stefanie Schork 2012 in der Neuen Juristischen Wochenschrift nicht ganz zu Unrecht darauf hingewiesen hat, dass diese Einschätzungsprärogative (sinngemäß: Beurteilungsspielraum, Anm. d. Red.) der Medienangehörigen bisweilen als Freibrief für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten missverstanden wird. Der ganz überwiegenden Mehrheit der Medienangehörigen wird aber nicht abgesprochen werden können, dass sie sich in gutem Glauben auf der Grundlage exakter Tatsachen äußert und zuverlässige und genaue Informationen unter Beachtung ihres Berufsethos liefert. Die Pressefreiheit schützt Medienangehörige, die sich bei ihrer publizistischen Tätigkeit entsprechend verhalten – und nicht etwa auf die Idee kommen, einen Geheimnisträger zu einem Geheimnisverrat anzustiften, zum Beispiel durch Zahlung von Geld für eine geheime oder vertrauliche Information – vor staatlichen Maßnahmen, die darauf abzielen, den Informanten zu identifizieren, der ihnen vertrauliche oder geheime Informationen gegeben hat.

Beschlagnahme von Recherchematerial

Eine hierauf gerichtete Durchsuchung der Wohnung oder des Arbeitsplatzes des Journalisten oder der Journalistin und die Beschlagnahme von Recherchematerial sind daher unzulässig. Verlangen Polizeibeamte im Auftrag der Staatsanwaltschaft gleichwohl mit diesem Ziel Einlass und können durch Vorzeigen ihrer Dienstausweise sowie eines Durchsuchungsbeschlusses belegen, dass ihnen geöffnet werden muss, sollte ihnen höflich und respektvoll begegnet werden. Die Kommunikation mit den Polizeibeamten sollte allerdings darauf beschränkt werden, das Abfotografieren des Durchsuchungsbeschlusses mit dem Smartphone zu verlangen, der Durchsuchung ausdrücklich zu widersprechen, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oder wenigstens eines Zeugen zu fordern sowie die Aushändigung des Protokolls der Durchsuchung und des dabei gegebenenfalls beschlagnahmten Materialswie Schriftstücke, Ton-, Bild- und Datenträger, Abbildungen und andere Darstellungen. Dabei sollte überprüft und darauf hingewirkt werden, dass der Widerspruch gegen die Durchsuchung und eine etwaige Beschlagnahme im Protokoll ausdrücklich vermerkt ist. Um eine Verwertung der bei der Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse zu verhindern und die beschlagnahmten Unterlagen zurückzubekommen, muss gegen die gerichtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung beim erlassenden Gericht Beschwerde eingelegt werden.

Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten

Um den Informanten vor Entdeckung zu schützen, dürfen Medienangehörige in einem etwaigen Strafverfahren, in dem sie nicht sowieso als Beschuldigte zum Schweigen berechtigt sind, die Aussageverweigern, etwa über die Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, über deren Inhalt sowie über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen (§ 53 Strafprozessordnung). Das Zeugnisverweigerungsrecht über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen entfällt allerdings, wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen soll oder wenn die Ermittlungen bestimmte Straftaten wie zum Beispiel Friedensverrat, Landesverrat, Vergewaltigung und Geldwäsche zum Gegenstand haben und die Sachverhaltserforschung oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Jedoch kann auch in diesen Fällen die Aussage verweigert werden, soweit sie, wie oben bereits beschrieben, zur Offenbarung der Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten beziehungsweise der ihm im Hinblick auf seine journalistische Tätigkeit gemachten Mitteilungen oder deren Inhalts führen würde.

Auch in einem Zivilprozess können als Zeugen geladene Medienangehörige die Aussage verweigern über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns von Beiträgen und Unterlagen sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt (§ 383 Zivilprozessordnung).

Um ihre unverzichtbare Rolle als Public Watchdog weiterhin spielen zu können, ist es unerlässlich, dass sich Medienangehörige auch künftig konsequent auf diese im Grundgesetz verbürgten Rechte berufen, und nicht selbsternannten „großen Anhängern der Pressefreiheit“ und vermeintlichen „Hütern der Verfassung“ die Deutungshoheit darüber überlassen, was die Öffentlichkeit zu interessieren hat und welche Informationen dafür im Interesse einer zuverlässigen und genauen Unterrichtung und Aufklärungbeschafftung verwendet werden dürfen.

 

Autorenkasten:

Cord Henrich Heinichen, Jahrgang 1959, studierte Jura in Regensburg, Berlin und Göttingen. Nach einer Tätigkeit als Verwaltungsrichter machte er einen MBA in Finanzdienstleistungen an der University of Wales. Nach langjähriger Tätigkeit als Partner einer Großkanzlei praktiziert er inzwischen als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht in eigener Anwaltssozietät Heinichen Laudien in Berlin.

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