Für viele Branchenkenner hat sich Berlin, die über Jahrzehnte geteilte Stadt, seit der Wende und dem Regierungsumzug 1999 zu einem der wichtigsten Medienstandorte, zur Hauptstadt der Nachrichten und des politischen Journalismus in Deutschland und Europa entwickelt. Nirgendwo sonst ist man näher am aktuellen Geschehen als hier. Auch die Mischung der Medien- und Kreativbranchen mit ihren vielfältigen Verbindungen ist einzigartig: Film, Fernsehen, Computerspiele, Web 2.0, Kommunikation und PR, Mode, Architektur, Kunst, Musik, Design und ein bunter Radio-, Zeitungs- und Verlagsmarkt machen die Region zu einem aufregenden, innovativen Ort für Medienschaffende und Kreative. „Berlin – Stadt der Chancen“ war deshalb auch das Motto des traditionellen Hoffestes des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit in diesem Jahr. NITRO sprach mit ihm über sein Verhältnis zur Hauptstadtpresse, faire Berichterstattung und den heißumkämpften Tageszeitungsmarkt.
? Herr Wowereit: Welche Tageszeitung lesen Sie zum Frühstück?
! Das ist ein ganzer Stapel, nicht nur eine einzige Zeitung.
„Berlin – Stadt der Chancen“ ist das Motto des traditionellen Hoffestes
? Lesen Sie die neuesten Nachrichten auf Papier oder online?
! Morgens früh ist es schon wichtig, die Zeitungen in der Hand zu haben – auch wegen der Platzierung und Aufmachung der einzelnen Themen. Aber wenn ich dazu komme, dann nutze ich im weiteren Tagesverlauf die Online-Angebote.
? „Berlin – Stadt der Chancen“ hieß das Motto des traditionellen Hoffestes des Regierenden Bürgermeisters in diesem Jahr. 98 Berliner Unternehmen präsentierten sich an Informationsständen rund um das Rote Rathaus, aber nicht ein Medienunternehmen (laut Übersicht von Berlin Partner GmbH)? Können Sie uns sagen warum?
! Das müssen Sie die Medienunternehmen fragen. Alle, die bei Berlin-Partner mit dabei sind, werden angefragt. Mal sehen, ob es in Zukunft mehr positive Resonanz bei den Medienunternehmen gibt. Aber bei den Gästen war ja an Medienleuten kein Mangel.
Die Breite der Medienwirtschaft in Berlin
? Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Hauptstadtpresse nach der Negativberichterstattung über das Chaos am BER im letzten Jahr und nach dem Wechsel im Vorsitz des Aufsichtsrats beschreiben?
! Da war sicher nicht jeder Bericht fair. Insbesondere dann, wenn so getan wurde, als habe das Problem beim Aufsichtsrat gelegen. Aber eklatante Fehler sind in der Flughafen-Geschäftsführung nun mal passiert, und letztlich stört mich das doch genauso wie es die journalistischen Beobachter stört. Dass solche Fehler massiv und auch polemisch kritisiert werden und dass dann teils auch unfair berichtet wird, das muss man aushalten. Entscheidend ist doch, dass es auf der Baustelle wieder voran geht. Und ich hoffe, dass bei positiven Nachrichten dann die Aufmerksamkeit auch noch da ist.
? Wie wichtig ist Berlin als Hauptstadt der Politik für die Medien, und welche Bedeutung hat der Medienstandort Berlin für die Politik?
! Ihre Formulierung spiegelt sehr schön die Wechselwirkung zwischen beiden Seiten. Die Medien müssen in der Hauptstadt sein, denn nur hier sind sie nah dran am Geschehen. Und dass in einer Mediendemokratie die Politik diesen Weg nutzen muss, um sich den Bürgerinnen und Bürgern mitzuteilen, liegt auf der Hand. Berlin hat inzwischen allerdings auch mit Erfolg darum geworben, dass sich viele wichtige Akteure der Medienwirtschaft für unsere Stadt interessieren. Insbesondere wenn man die Breite der Medienwirtschaft in Berlin sieht – von klassischen Verlagen bis hin zu Internet- und Gamesindustrie – ist Berlin heute auch wirtschaftlich Deutschlands Medienstandort Nummer eins.
Wirtschaftskraft der Zeitungen im digitalen Zeitalter
? Ist Berlin in den letzten 24 Jahren eine so bedeutende Medienstadt geworden, wie es Hamburg früher war?
! Man muss gar keine historischen Vergleiche anstellen. Wichtig ist auch medienwirtschaftlich heute das Internet. Dadurch sind andere Standorte vielleicht nicht mehr ganz so wichtig. Geblieben ist natürlich trotzdem die eher dezentrale Orientierung der deutschen Medienwelt, die aus dem Föderalismus resultiert. WDRund NDRzum Beispiel sind starke ARD-Sender, Frankfurter Allgemeineund Süddeutsche Zeitungsind wichtige überregionale Blätter. Das sind Medien, die in Berlin vertreten sind, die aber nicht hier gemacht werden.
? Der Tageszeitungsmarkt in Berlin ist heiß umkämpft – hier erscheinen so viele Tageszeitungen wie in keiner anderen deutschen Stadt. Braucht Berlin aber wirklich elf davon?
! Lassen Sie uns doch froh darüber sein. Wichtig ist nur, dass dadurch dann auch echte inhaltliche Vielfalt entsteht. Und ich registriere sehr wohl das Absinken der Auflagen und damit die Schwächung der Wirtschaftskraft der Zeitungen. Das ist aber nun einmal die Situation im digitalen Zeitalter, in der die Verlage dabei sind, ihre Schlüsse zu ziehen. Was ich bedauerlich finde, ist die Verarmung der Meinungsvielfalt auch durch die intensive Kooperation mancher Redaktionen. Denn es ist doch keineswegs so, dass ein anderer Titel heutzutage auch bedeutet, dass die Leserinnen und Leser andere Inhalte bekommen – Stichwort Mehrfachverwertung.
Zukunft von Tageszeitungen und Qualitätsjournalismus
? Seit Springer-Chef Mathias Döpfner Ende Juli den 920 Millionen Euro schweren Verkauf zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften an die Essener Funke Mediengruppe mit dem Ausbau der digitalen Geschäftsbereiche verkündete, steht die Branche allerdings Kopf. Der Verlag trennt sich von Papierprodukten wie derBerliner Morgenpostund will sein Geld stattdessen vor allem in papierlose Unternehmungen investieren. Für Döpfner ist es eine „Emanzipation vom Papier“. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
! Diese Nachricht ist natürlich bundesweit sehr aufmerksam wahrgenommen worden. Es gibt im Medienecho darauf durchaus unterschiedliche Einschätzungen, was sie bedeutet für die Zukunft von Tageszeitungen insgesamt, aber insbesondere für die Zukunft von Qualitätsjournalismus. Auch das Haus Springer hat bisher von Qualitätsjournalismus gesprochen. Die Gefahr wird nun immer größer, dass dafür zumindest im Printbereich wegen des Stellenabbaus noch weniger Raum bleibt. Und natürlich müssen wir uns auch in Berlin verlagsübergreifend angesichts der Auflagenentwicklung Sorgen um hochqualifizierte Arbeitsplätze machen, während noch ungewiss ist, ob das in der digitalen Medienwelt ausgeglichen werden kann. Dort hat Berlin ja immense Standortvorteile, und es sind auch schon viele neue Jobs entstanden. Also: ein spannender Prozess, in dem Gewohntes in Frage steht, hoffentlich nicht die journalistische Qualität.“
? Welche wirtschaftliche Bedeutung hat die Medienbranche für Berlin – Stichwort: IFA, Technologiepark (Filmstudios) Adlershof, Verlagshaus Axel-Springer und der Rundfunk Berlin-Brandenburg.
! Die Medienbranche ist wichtig für Berlin, aber wir haben keinen Grund, uns auf den Lorbeeren auszuruhen, sondern wir müssen neue Ideen entwickeln. In dieser Legislaturperiode haben wir uns die Popmusik vorgenommen und wollen Berlin besonders auf diesem medialen Feld weiter vorwärtsbringen. Das Berliner Musicboard hat mit der Arbeit begonnen, auch da sind wir Vorreiter.
Berlin als Stadt wird immer attraktiver
? Berlin ist als Hauptstadt ein Zentrum der aktuellen und politischen Medienberichterstattung. Mehr als 1 000 Journalisten melden regelmäßig die neuesten Nachrichten aus Berlin, darunter das ARD-Hauptstadtstudiound die Axel Springer AG mit der Hauptausgabe der BILD-Zeitung. Welche Initiativen könnte Berlin ergreifen, um weitere bedeutende Medienunternehmen in die Hauptstadt zu holen?
! Solche Initiativen, wie Sie es nennen, hängt man nicht an die große Glocke, falls man sie denn startet. Aber letztlich geht es doch darum, dass Berlin als Stadt immer attraktiver wird. Zum Beispiel durch die kulturelle Vielfalt in der Stadt, durch die Lebendigkeit Berlins, durch das Flair einer internationalen Metropole. Kreative Medienleute zieht es heute nach Berlin, darauf müssen wir aufbauen.
? 130 000 Menschen sind in der Medien- und Kommunikationswirtschaft vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen beschäftigt, und in keiner anderen deutschen Stadt gibt es mehr nationale und internationale Radio- und Fernsehsender als in Berlin. Macht Sie das unruhig oder zufrieden?
! Das sind gute Zahlen, die für Erfolg sprechen, und vielleicht ist das für eine Hauptstadt auch ein Stück weit normal. Zufriedenheit darf nicht dazu führen, dass wir schläfrig werden und neue Entwicklungen verpassen.
Berlinale, Medienwoche@IFA, Fashion Week, Modemesse Bread & Butter
? Medienträchtige Impulse gibt Berlin regelmäßig mit Events wie der Berlinale, der Medienwoche@IFA, den Deutschen Games-Tagen, der PopCom, dem ADC Festival, dem Art Forum, der Berlin Fashion Week oder der Modemesse Bread & Butter. Sind die mehr von nationalem Interesse oder werden sie auch international gefeiert?
! Die Filmfestspiele sind ohne Frage international von hohem Rang. Aber es braucht viel Zeit und Können, um ein Festival wie die Berlinale weltweit durchzusetzen und zu etablieren. Das ist ein Prozess, in dem die teils weit jüngeren Events, die Sie erwähnen, sicher noch nicht so weit gekommen sind wie die Berlinale. Aber gerade was die Modemessen angeht, kann man sagen, dass sie auf dem harten internationalen Markt inzwischen zu Marken geworden sind, die fest mit Berlin verbunden werden. Die Macher sind stetig am Ball, und sie erfinden ihre Veranstaltungen immer wieder neu. Wir helfen dabei, wo immer es geht, denn Berlin profitiert von ihrem Erfolg.
? Wie beurteilen Sie die Berichterstattung der nationalen und internationalen Medien über Berlin – eher fair oder unfair?
! Ausreißer gibt es immer, und in manchen Medien spüren Sie auch ausgesprochen unterentwickeltes Wohlwollen Berlin gegenüber. Das hat dann manchmal durchaus auch mit den Regionalinteressen ihrer Standorte zu tun. Aber grundsätzlich gilt: Berlins Ausstrahlung ist hervorragend, das zeigen nicht zuletzt die immer weiter wachsenden Besucherzahlen. International sowieso – und wenn man die genannten Regionalinteressen berücksichtigt, erklärt sich auch so manches Berlin-Bashing, wie es hin und wieder in einigen deutschen Medien stattfindet. Eine weltoffene, spannende Metropole wie Berlin muss eben auch damit leben, dass andere sich an uns abarbeiten.
Berlin wächst, es leben von Jahr zu Jahr mehr Menschen in Berlin
? Was hat Sie 2013 dabei am meisten geärgert und was am meisten gefreut?
! Richtig positiv sind Berlins Wirtschaftsdaten. Bei der Wachstumsrate, bei der Zahl neuer sozialversicherungspflichtiger Jobs sind wir bundesweit Spitze. Und Berlin wächst, es leben von Jahr zu Jahr einige zehntausend Menschen mehr in der Stadt. Das bringt auch neue politische Herausforderungen, zum Beispiel beim Wohnungsbau. Mein Dauerärger 2013, das gebe ich offen zu, bleibt der neue Flughafen, der die Stadt auch wirtschaftlich noch weiter nach vorne bringen wird. Auch da sind wir inzwischen auf gutem Weg.
? Inzwischen berichten die Medien nicht weniger interessiert und bissig über den Baubeginn des Berliner Stadtschlosses, in dem bereits 2019 Schätze der außereuropäischen Kulturen zu sehen sein sollen. Können Sie trotzdem ruhig schlafen, wenn Sie an das Fertigstellungsdatum denken?
! Beim Humboldt-Forum ist der Bund der Bauherr, insofern müssten sie da Herrn Ramsauer nach seinem Nachtschlaf fragen. Trotzdem verfolgen wir den Bau selbstverständlich mit hellwachen Augen. Bislang ist da alles nach Plan.
Das Interview führten Bettina Schellong-Lammel und Heide-Ulrike Wendt
Bettina Schellong-Lammel
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