Neuestes Heft: Jetzt bestellen!

UTOPIE Verkehrswende
Seit 100 Jahren Radio aus Berlin!
pressefoto@ndr.de
100 Jahre Radio

Seit 100 Jahren Radio aus Berlin! 

Am Abend des 29. Oktober 1923 war es so weit: „Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400 Meter.“ Nach vielen Experimenten mit dem neuen Medium Radio begann im obersten Geschoss der Schallplattengesellschaft Vox der reguläre Rundfunkbetrieb in Deutschland.

von Anja Schäfers

D en Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, ging es förmlich weiter. Friedrich Georg Knöpfke, der Direktor der neugegründeten Radiogesellschaft Deutsche Stunde, begrüßte seine Hörerschaft: „Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig. Als erste Nummer bringen wir: Cellosolo mit Klavierbegleitung, Andantino von Kreisler, gespielt von Herrn Kapellmeister Otto Urak, am Flügel Herr Fritz Goldschmidt.“

Viele Hörerinnen und Hörer hatte diese erste Sendung nicht. Anfangs gab es nur 223 angemeldete Rundfunkteilnehmer, und die Reichweite des 250-Watt-Senders betrug nur wenige Kilometer. Das neue Medium startete inmitten von Inflation und Wirtschaftskrise, die Jahresgebühr für Rundfunk betrug 350 Milliarden Mark.

Doch dies war nur eine erste Momentaufnahme, denn der Hörfunk entwickelte sich in hohem Tempo weiter. Neben der Deutschen Stunde in Berlin gründeten sich in der folgenden Zeit im Deutschen Reich neun weitere regionale Rundfunkgesellschaften mit eigenen Programmen. Hatte der erste Sendetag nur eine Stunde gedauert, gab es bis 1925 zehn Stunden Programm täglich, am Ende des Jahrzehnts waren es bereits 14 Stunden.

Die Radiohörerschaft wuchs entsprechend: Nach zwei Jahren hatte sich über eine Million Rundfunkteilnehmer angemeldet, bis Ende des Jahrzehnts waren es über drei Millionen. Der Rundfunkbeitrag lag inzwischen bei erschwinglichen zwei Reichsmark. Eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1926 versprach: „1 000 frohe Stunden verschafft dir der Rundfunk für monatlich 2 Mark. Anmeldungen bei jeder Postanstalt.“

Die meisten Hörerinnen und Hörer besaßen anfangs Detektorempfänger und verfolgten das Programm über Kopfhörer. Noch in den 1920er-Jahren setzten sich Röhrenradios mit Lautsprechern durch. Mit diesen Geräten ließen sich Sender einfacher einstellen und auch weniger starke Sendesignale empfangen. Das Radiohören wurde dadurch komfortabler und vielseitiger.

Das Rundfunkprogramm der Weimarer Zeit legte Schwerpunkte auf Unterhaltung, Kultur und Bildung. Die regionalen Programme unterschieden sich anfangs stark voneinander, schließlich wurden die technischen und inhaltlichen Möglichkeiten des neuen Mediums noch ausgetestet. Viele Sendungen lehnten sich an klassische Vorträge oder Aufführungen an, es entwickelten sich aber auch eigene Radioformate wie das Hörspiel. Aus Mangel an Aufzeichnungsmöglichkeiten wurden viele Sendungen direkt ausgestrahlt. Neu dabei war Live-Sport. 1926 gab es die erste Übertragung eines Fußballländerspiels: Das Freundschaftsspiel Deutschland – Niederlande endete 4:2.

Zunächst war der Rundfunk privatwirtschaftlich und föderal organisiert, doch der Einfluss von Landesregierungen und des Reichspostministeriums nahm stetig zu. Die regionalen Rundfunkanbieter schlossen sich 1925 zur Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) zusammen. Im November 1932 wurden private Geldgeber schließlich ganz ausgeschaltet und der Rundfunk verstaatlicht.

Diese Entwicklung spielte wenige Monate später den Nationalsozialisten in die Hände. Nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt worden war, übernahmen die Nationalsozialisten die Macht im Rundfunk. Bis zu den Reichstagswahlen am 5. März 1933 nutzte die NSDAP den Hörfunk massiv für ihren Wahlkampf.

Kurz nach dieser Wahl formulierte der neue Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, welche Rolle der Rundfunk für die Nationalsozialisten spielte: „Ich halte den Rundfunk für das allermodernste und für das allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument, das es überhaupt gibt.“ In der Folge wurden die regionalen Rundfunkgesellschaften aufgelöst und einer zentralen Reichssendeleitung innerhalb der RRG untergeordnet.

Damit der Rundfunk eine möglichst große Hörerschaft erreichen konnte, förderten die Nationalsozialisten die Herstellung und den Vertrieb von preiswerten Radiogeräten, die kollektiv als „Volksempfänger“ in Erinnerung geblieben sind. Gab es im Jahr 1933 etwa vier Millionen Rundfunkteilnehmer, waren es zehn Jahre später bereits 16 Millionen.

Doch mit Empfangsgeräten allein war es nicht getan. Ein attraktives Programm sollte dafür sorgen, dass die Leute auch einschalteten und zuhörten. Daher fuhren die Nationalsozialisten die Anzahl politischer Sendungen und propagandistischer Reden zurück. Die Propaganda wurde subtiler und durchdrang bald das gesamte Programm. Wie von der Hörerschaft gewünscht, gab es weniger Bildungsprogramme und Vorträge als in Weimarer Zeiten, dafür mehr Musik und Unterhaltung. Bunte Abende und leichte Unterhaltungsmusik kamen auf die besten Sendeplätze, und auch Zielgruppen mit besonderen Vorlieben wurden bedient.

Nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 nahm die Bedeutung aktueller Informationen zu. Nachrichten, Wehrmachtsberichte und Sondermeldungen änderten sich im Verlauf des Krieges: anfangs siegesverwöhnt und auftrumpfend, später beschönigend und verheimlichend. Seit Kriegsbeginn stand das Hören ausländischer Sender unter Strafe. Je mehr die deutschen Erfolge nachließen, desto größer wurde allerdings das Interesse an Programmen wie dem deutschen Dienst der British Broadcasting Corporation (BBC).

Mit dem Zusammenbruch des „Tausendjährigen Reiches“ verstummte auch der Großdeutsche Rundfunk. Amerikanische, britische, französische und sowjetische Truppen übernahmen die noch vorhandenen Sende­anlagen und Rundfunkstationen. In den Trümmern der Städte sollte der Hörfunk den Besatzungsmächten als wichtiges Informa­tionsmedium dienen. Am 4. Mai 1945 meldeten sich die Briten mit dem ersten Sender der Alliierten für deutsche Hörerinnen und Hörer: „This is Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government. Hier spricht Hamburg, ein Sender der alliierten Militärregierung“. Wenige Tage später gingen das amerikanische Radio München und der sowjetische Berliner Rundfunk on air.

Die Besatzungsmächte folgten ihrer jeweils eigenen Vorstellung von Rundfunk. So errichteten die Briten in ihrer Zone nach dem Vorbild der BBC den zentral organisierten Nordwestdeutschen Rundfunk. Die Amerikaner sahen, dass im kriegszerstörten Deutschland kein kommerzieller Rundfunk möglich war, und setzten daher ebenfalls auf einen möglichst unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Anders als die Briten legten sie Wert auf eigenständige Sendeanstalten in jeder Region, und so entstanden noch im Jahr 1945 Radio Stuttgart, Radio Frankfurt sowie Radio Bremen.

Sinn und Zweck der Besatzungszeit war für die Westalliierten die Schaffung einer stabilen deutschen Demokratie. Um die politische Unabhängigkeit der Rundfunkanstalten dauerhaft zu sichern, sorgten Amerikaner und Briten gegen den Widerstand von deutschen Rundfunkverantwortlichen und Politikern dafür, dass der Einfluss von Landesregierungen und einer nationalen Behörde wie der Post begrenzt wurde.

Auch im Osten ging es um die Umsetzung des Staats- und Rundfunkverständnisses der Besatzungsmacht. Statt „Re-education“ hieß es hier „vospitanie v kultury“ (Erziehung zur Kultur). Neben dem Berliner Rundfunk entstanden in der sowjetisch besetzen Zone sechs Landessender mit regionalen Programmelementen, die die Sowjets 1949 an ostdeutsche Behörden übergaben. Die Unterstützung der Ideen des Sozialismus und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands waren gesetzte Ziele. Die politischen Konzepte und deren Umsetzung im Rundfunk veränderten sich allerdings mit der Zeit und waren nicht frei von Widersprüchen.

Der Wettstreit der Systeme fand in Ost- und Westdeutschland auch im Äther statt. 1952 wurden in der DDR aus den Regionalprogrammen drei zentral gelenkte Vollprogramme: Berlin I (später umbenannt in Deutschlandsender bzw. Stimme der DDR) sendete für ein westdeutsches Publikum. Umgekehrt strahlte RIAS Berlin (Rundfunk im amerikanischen Sektor) sein Programm nach Ostdeutschland aus, 1962 wurde in der Bundesrepublik für diesen Zweck auch der Deutschlandfunk als öffentlich-rechtliche Anstalt gegründet.

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Ausgabe „100 Jahre Radio“.

Dr. Anja Schäfers promovierte an der Universität Hamburg mit einer Arbeit zum amerikanischen Militärsender American Forces Network (AFN). In Publikationen und Ausstellungen beschäftigt sie sich mit der Medien- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts sowie Regionalgeschichte.

Ähnliche Beiträge