„Mit großer Trauer geben wir den Tod unserer geliebten Sinéad bekannt“, schrieb die Familie der irischen Sängerin Sinead O´Conner am 26. Juli an die weltweite Fan-Gemeinde.
NITRO (damals noch unter dem Titel Berliner Journalisten) sprach 2010 mit Sinead O´Conner über ihren Kampf gegen Kindesmissbrauch.
Ende der achtziger Jahre wurden weltweit erste Fälle von sexuellem Kindesmißbrauch in der irischen katholischen Kirche bekannt. Die Öffentlichkeit hielt diese Verbrechen aber für Einzelfälle und außerdem ein nationales Problem.
Die irische Sängerin Sinead O’Conner wurde als Kind selbst von ihrer Mutter misshandelt. Ihre Erfahrungen verarbeitete sie später in dem Song „Fire of Babylon“. Vor diesem Hintergrund beobachtet sie sehr genau den Umgang mit Menschen, die Opfer von Missbrauch werden. In der New Yorker TV-Show „Saturday Night“ machte sie in einer a-capalla-Version des Bob Marley-Titels „War“ auf die Kindesmisshandlungen aufmerksam. Am Ende des Songs zerriss sie vor laufender Kamera ein Bildnis des Paptes.
Ihre Popularität schwindet nach diesem Auftritt, als sie den selben Song später auf dem Bob Dylan-Jubiläumskonzert vorträgt, erntet sie Zuspruch und Häme gleichermaßen.
Später wurde Sinead O’Conner Teil eines Netzwerkes, das sich weltweit um die Aufklärung der klerikalen Missbrauchsfälle kümmert.
Diese schweren Verbrechen „unterliegen dem pontifikalen Geheimnis“, lässt der Vatikan 2001 in einer schriftlichen Anweisung in der Kirche verbreiten. Kindesmissbrauch wird im selben Dokument in der Schwere des Vergehens weitaus geringer bewertet als beispielsweise Ehebruch. Dieses Dokument machten die New York Times und der Berliner Tagesspiegel 2010 öffentlich. Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller wirft der Presse danach auf der Website des Bistums antikatholische Kampagnen vor und scheut nicht davor zurück, Journalisten vom SPIEGEL und der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit Hitlers Propagandaminister Goebbels gleichzusetzen.
Nach dem Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI an die irische katholische Kirche meldet sich Sinead O’Conner mit einem offenen Brief an die irische Presse zu Wort und bezeichnet den Brief als hohe Schule der Lüge.
Der Berliner Journalisten Verlag sprach exklusiv mit der Künstlerin über ihr Engagement für die Opfer und ihre Forderungen an die katholische Kirche.
Aus dem traurigen Anlass des Todes von Sinead O´Conner veröffentlichen wir das Interview aus der Ausgabe 24 hier eneut:
? Sie erhoben bereits 1992 Ihre Stimme gegen den Papst. Hatten Sie keine Angst, damit Ihre Karriere zu gefährden?
! Über meine Karriere habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich bin sowieso nicht gerne ein Popstar. Außerdem besitze ich längst so viel Geld, das ich es in diesem Leben nie ausgeben kann. Für mich war nur wichtig, etwas für die Kinder zu tun.
F: Ist es eine Genugtuung für Sie, dass achtzehn Jahre nach Ihrem Protest endlich viele Opfer an die Öffentlichkeit gehen, um die Wahrheit zu sagen?
A: Mein Ego ist dabei egal. Ich denke nur an die Opfer. Für sie ist es eine Befreiung, dass endlich die ganze Welt erfährt, was sie erleiden mussten. Die Medien berichten in allen Ländern, wie der Vatikan versucht, alles zu vertuschen und die Schuld auf einzelne Priester abzuwälzen.
Doch die Reporter und Journalisten sind hellwach und tauschen untereinander wichtige Informationen und Dokumente aus, die Licht ins Dunkel bringen wollen. Damit den Opfern Gerechtigkeit widerfährt, sind vor allem zwei Dinge wichtig: Erstens, dass der Vatikan eingesteht, diese Verbrechen vertuscht zu haben. Zweitens, dass die Opfer entschädigt werden für das Erlittene.Sie sind traumatisiert, scheitern immer wieder im Job und in ihren Partnerschaften. Sie brauchen Therapien, und die sind teuer. Es ist eine lebenslange Bürde, vergewaltigt worden zu sein. Ich habe gehört, dass solche Basisgruppen wie „Wir sind Kirche“ in Deutschland sich dafür einsetzen. In Irland sagen die Gläubigen, nicht die Klerikalen sind die Kirche, sondern wir. Wir holen sie uns deshalb von ihnen zurück. Obwohl es im Moment kaum einer glauben mag – Katholizismus kann tatsächlich wunderbar sein. Aber die Männer im Vatikan, die den Katholizismus vertreten, sind ganz und gar keine Christen.
F: Sie verdammen die Religion also nicht, sondern wollen sie heute nur anders leben?
A: Das Verschleiern und Vertuschen muss ein Ende haben. Es gibt nur diesen Weg,doch es ist sehr ungewiss, ob sich der Vatikan zu den Verbrechen bekennen wird. Die Kirche hat sich bisher jedenfalls nicht um ihre Kritiker gekümmert. Deshalb sollten loyale Katholiken die Messen boykottieren, die Kollekte oder die Kommunion verweigern, um das zu erzwingen. Wenn das Geld ausbleibt, entschuldigt sich der Vatikan sicher innerhalb von fünf Minuten. Passiert das nicht, stirbt die Kirche und dann kümmert es mich auch nicht.
F: Wie kann man Ihrer Meinung nach das Schlimmste verhindern?
A: Wir brauchen eine vollständige Revision der gesamten katholischen Kirche. Dazu gehören polizeiliche und juristische Ermittlungen gegen die höchsten Würdenträger in den jeweiligen Ländern, in denen Missbrauch stattgefunden hat. Danach müsste die Strafverfolgung im Vatikan und direkt beim Papst erfolgen. Ich glaube allerdings nicht, dass sie den Mut dazu haben.
F: War der Hirtenbrief des Papstes an die irischen Katholiken nicht eine Art Entschuldigung?
A: Nein. Dieser Brief steckt voller Lügen, denn er unterstellt beispielsweise, dass die höheren irischen Würdenträger unabhängig vom Vatikan gehandelt hätten. Ich kenne aber Dokumente, die beweisen, dass das nicht der Fall ist. Jeder kann dort nachlesen, dass die Bischöfe in Irland, Deutschland und anderswo den Anweisungen des Vatikans folgten. Bereits 2001 wurden sowohl die Klerikalen als auch die Opfer auf Geheimhaltung der Vergehen eingeschworen. Das war die Kirchenpolitik. In den Dokumenten werden die Verbrechen damit gerechtfertigt, dass sich zu viele Menschen von der katholischen Kirche abgewandt hätten. Das ist zynisch!
Der Vatikan hat nichts dazugelernt.
?Wann wurde in Irland das erste Mal öffentlich über Kindesmisshandlungen berichtet?
! Der erste Bericht, der so genannte Ferns-Report, wurde vor fünf Jahren veröffentlicht. Darin wurde 21 Priestern die Vergewaltigungen von mehr als hundert Kindern vorgeworfen. Vor einigen Wochen verkündete der Bischof von Ferns, dass das irische Volk eine gottgegebene Pflicht hätte, die finanziellen Entschädigungen der Kirche gegenüber den Opfern und die Gerichtskosten durch Spenden mitzutragen. Sie setzen sie damit unter Druck, weil sie wissen, dass einfache Menschen nicht den Mut haben, sich dem zu entziehen. Das ist teuflisch, denn sie wissen genau, wer die wirklichen Verantwortlichen sind und was sie getan haben.
Man muss blind sein, um nicht zu erkennen, dass Jesus nicht bei diesen Priestern ist. wären sie wahre Christen, hätten sie die Wahrheit schon vor Jahren ans Licht gelassen. Und wenn ich höre, dass ein Bischof in Deutschland sich von der Presse verfolgt fühlt wie in Nazideutschland, ist das nur ekelerregend.
Ich hoffe, dass die deutschen Medien darauf reagieren und auch darüber schreiben, welche Position die katholische Kirche im Dritten Reich tatsächlich hatte.
? Was hat die irische Regierung bisher unternommen?
! Das fragen sich viele Iren, denn die Vorwürfe stammen aus dem Jahr 1987. Seitdem wurde keiner der Verantwortlichen jemals länger als zwei Minuten von der Polizei vernommen. Vor einigen Tagen wurde in Dublin ein 82-Jähriger Mann, der an seniler Demenz leidet, verhaftet, weil er in einem Supermarkt ein paar Donuts mitgenommen und nicht bezahlt hatte. Die Polizei führte ihn in Handschellen ab sperrte ihn eine ganze Nacht ein. Aber ich kenne keinen Fall, wo einer der klerikalen Vergewaltiger von der Polizei verhaftet worden wäre. Die katholische Kirche will alles intern klären, ohne die staatliche Strafverfolgung, was nichts anderes heißt als vertuschen statt aufklären.
? Haben Sie gar keine Hoffnung, dass diese Verbrechen jemals geahndet werden?
Auf Regierungen kann man sich nicht verlassen, aber in katholisch dominierten Ländern könnte es langfristig zu Regierungskrisen kommen, wenn immer mehr Missbrauchsfälle in solchen Dimensionen bekannt werden. Die Katholiken haben ein Recht auf Geistliche, die wirklichen Beistand und Fürsorge leben.
Aber sie sorgen sich nicht um ihre Schützlinge und nichts wird sie dazu bewegen. Es ist so, als würde man Blut von einem Stein waschen. Dem Stein ist das egal.
Das Interview führte Bernd Lammel
Bernd Lammel
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