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UTOPIE Verkehrswende
Berliner Zeitungsviertel Teil 1: Vom Zeitungsviertel zur Mediencity
(C) D-foto/Bernd Lammel
Historie

Berliner Zeitungsviertel Teil 1: Vom Zeitungsviertel zur Mediencity 

Nicht nur Deutschlands mächtigster Presseplatz und das größte Presseviertel der Welt entwickelte sich nach 1850 zwischen Berlin-Mitte und Berlin-Kreuzberg. Große Verlage wie Ullstein, Scherl und Mosse beherrschten bis 1945 das deutsche Zeitungs- und Zeitschriftengeschäft. Ein Rück- und ein Ausblick in zwei Teilen. 

Text: Bettina Iduna Kieke      Fotos: Bernd Lammel

„Extrablatt“, „Extrablatt“ schalte es in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik durch das Viertel, wenn Zeitungsjungen aufregende Neuigkeiten frisch aus den Druckereien unters Volk brachten. An solchen Tagen strebten die Berliner in das Karree zwischen Leipziger Straße im Norden, Mehringplatz im Süden, Wilhelmstraße im Osten und Lindenstraße im Westen, um eines der kostenlosen Blätter mit den Aufregern des Tages zu ergattern. Viel Leben herrschte zwischen Gründerzeit und dem Zweiten Weltkrieg in diesen Straßen, wo die Rotationsmaschinen zahlreicher Druckereien stampften und Journalisten, Drucker, Setzer, Boten, Buchhalter und Telefonistinnen in einer der Kaffeeklappen, so nannten die Berliner preisgünstige Speiselokale ohne Alkoholausschank, ihren Imbiss nahmen und Neuigkeiten austauschten.

Ausbau des Postwesens, des Eisenbahnnetzes, der Telegraphie

Das historische Berliner Zeitungsviertel entwickelte sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bankenviertel rund um die Jägerstraße und zum Konfektionsviertel zwischen Zimmermannstraße und Hausvogteiplatz zunächst langsam, aber ab 1874 unaufhaltsam. Bis dahin bremsten enorme finanzielle Belastungen wie Konzessionsgebühren, Kautionen und Stempelsteuern die Gründungslust von potentiellen Verlegern, so dass eine von Parteien oder von der Industrie unabhängige und breit gefächerte Presselandschaft kaum wachsen konnte. Außerdem entwickelte sich die für die Zeitungswirtschaft notwendige Infrastruktur erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. „Der Ausbau des Postwesens, des Eisenbahnnetzes, der Telegraphie und schließlich der Telephonie ermöglichten eine immer raschere Nachrichtenübermittlung und -verbreitung. ‚Aktualität’ war zur Forderung des Tages geworden. Schnell musste man sein, schneller als die Konkurrenz. Dazu gehörte nicht nur eine journalistische Spürnase für „Sensationelles“, sondern es wurden neue Organisationsformen nötig, die nur sehr kapitalkräftige Großunternehmen aufziehen konnten“, schreibt Annemarie Lange in das „Wilhelminische Berlin“ (1). Druckereien mit Maschinenschnellsatz und Maschinenschnelldruck für große Auflagen, neue Vertriebsmöglichkeiten über das Postzeitungsamt in der Dessauer Straße, Telefonie, Telegrafie, die schnellen Kontakte zu Großbetrieben und zu Banken, aber vor allem auch zur Politik ‑ all das gab es rings um die in der Berliner Mitte schnell erblühende Medienwirtschaft. Zeitungen und Journale entwickelten sich in dieser Zeit zur Massenware. Kurz vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden in Berlin 774 verschiedene Blätter verlegt: 67 amtliche, 62 politische (36 davon täglich), 40 religiöse, 206 für Kunst und Wissenschaft, 264 für Handel, Gewerbe und Landwirtschaft listet Gustav Dahms in „Das Litterarische Berlin (1895) illustriertes Handbuch der Presse in der Reichshauptstadt“ auf. (2)

Nachrichtenhandel ‑ der Staat mischt mit

In der Charlottenstraße 15/Ecke Zimmermannstraße verschickte Wolffs Telegraphisches Bureau (W.T.B.) seit 1849 Börsentelegramme und Depeschen von Politikern und wurde zur wichtigsten deutschen Nachrichtenquelle. W.T.B. versorgte auch Redaktionen mit Nachrichten, beschäftigte weltweit Korrespondenten, betrieb eigene Agenturen in vielen Hauptstädten und tauschte mit ausländischen Nachrichtenbüros Informationen aus. Unter Beteiligung von Regierung und Banken wurde die Agentur am 1. Mai 1865 zur Kommanditgesellschaft umstrukturiert und war fortan von der jeweiligen staatlichen Pressepolitik abhängig. Daneben konkurrierten noch Louis Hirschs Telegraphisches Büro und die Herold Depeschenbüro KG, beide im gleichen Haus in der Markgrafenstraße ansässig, um das Nachrichtengeschäft. Um gegen die übermächtige W.T.B. bestehen zu können, vereinten sich beide Einrichtungen 1913 mit zwei weiteren zur Telegraphen-Union, die aber erst nach dem Ersten Weltkrieg zu größerem Einfluss kam. (3) Die berühmtesten und größten Verlagshäuser in dem historischen Geviert waren zweifelsfrei Ullstein, Scherl und Mosse.

Mosses Inseratenplantage

Der Buchhandelsgehilfe Rudolf Mosse war gerade 24 Jahre alt, als er 1867 in der Friedrichstraße eine Anzeigenagentur eröffnete. Er suchte für die Reklame von Unternehmern die geeigneten Publikationen, unterstützte Firmen im Verfassen von Werbetexten, übernahm die Platzierung der Werbung auf gepachteten Seiten in- und ausländischer Blätter und kümmerte sich um die Abrechnung. Das ersparte den Unternehmern viel Zeit. Sein Geschäft mit den Inseraten wuchs und gedieh schnell. Schon bald überzog Mosse Deutschland mit Filialen seiner Zeitungs-Annoncen-Expedion; über 40 waren es bereits 1905. Bis 1914 hatte Mosse mehr als 100 Zeitungen unter Vertrag.

Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands ab den 1850er-/1860er-Jahren führte zu einem wahren Inseratenboom. Das veränderte die Tagespresse, denn plötzlich konnte man mit Zeitungen über das Drucken von Anzeigen Geld verdienen. Der Medienhistoriker Konrad Dussel verwies in seiner Abhandlung zum Pressewesen auf die Einschätzung von Ferdinand Lasalle, der in „Die Presse: ein Symptom des öffentlichen Geistes“ bereits 1863 publizierte: „Von Stund’ an handelte es sich also nicht darum, für eine große Idee zu streiten und zu ihr langsam und allmählich das Publikum hinaufzuheben, sondern umgekehrt, solchen Meinungen zu huldigen, welche, wie sie auch immer beschaffen sein mochten, der größten Anzahl von Zeitungskäufern genehm sind.“ (3) Es ging nunmehr rein um die verkaufte Auflage, eine Tatsache, die heute mehr denn je gilt.

Das Berliner Tageblatt–einflussreichste Hauptstadtzeitung

Um das Anzeigengeschäft noch profitabler zu machen, steckte Mosse seine nicht unerheblichen Gewinne in ein eigenes Blatt, und gründete die Berliner Lokalzeitung mit umfassendem Handelsteil, eine Zeitung als „Inseratenplantage“ wie er es nannte. Dieses bis dahin in deutschen Breiten unbekannte Unternehmensmodell, den Anzeigenteil in der eigenen Zeitung selbst zu betreuen, war sehr erfolgreich. Mosse vervielfachte in kurzer Zeit seine Abonnentenzahl. Daraus ging 1871 das deutschlandweit vertriebene und bald renommierte Berliner Tageblatt hervor ‑ der Anfang seines Presseimperiums. Es erschien im Druck- und Verlagshaus in der Neuen Friedrichstraße. Annemarie Lange: „Mosse machte auf originelle Art dafür Propaganda: Er ließ ausstreuen, sein Chefredakteur beziehe die gleichen Jahreseinkünfte wie der preußische Ministerpräsident, nämlich 50 000 Mark. Das imponierte.“ Darüber waren jedoch seine Redakteure verstimmt, denn sie bezogen ein deutlich weniger fürstliches Gehalt. Ein Großteil von ihnen verließ 1876 die Redaktion und gründete als Sozietät das Neue Berliner Tageblatt, das zwei Jahre später von Ullstein aufgekauft wurde. (1) Das war übrigens in der Zeit, als die Pressefreiheit in Deutschland das erste Mal gesetzlich geregelt wurde und zwar im Reichspreßgesetz (RPG), das am 7. Mai 1874 in Kraft trat. Aber schon vier Jahre später, mit dem Erlass des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (Sozialistengesetz) war es mit der Pressefreiheit wieder vorbei.

Das Berliner Tageblatt entwickelte sich schnell zur auflagenstärksten und größten liberalen Zeitung Deutschlands. Es gehörte im Ausland zu den meist gelesenen deutschen Blättern. Hans Lachmann-Mosse, Schwiegersohn und Nachfolger von Rudolf Mosse, trieb den Verlag 1932 in den Konkurs. Das Berliner Tageblatt ging als Teil der Konkursmasse an die Cautio GmbH, ein Instrument des Reichsministers für Propaganda Joseph Goebbels, wurde von den Nazis 1933 „gleichgeschaltet“, wie es in ihrer Terminologie hieß und 1939 ganz eingestellt. Der langjährige Chefredakteur, der bekannte Publizist und Kritiker Theodor Wolff, Cousin von Rudolf Mosse, floh 1933 zunächst in die Schweiz und starb nach den Qualen in zwei Konzentrationslagern 1943 im Jüdischen Krankenhaus in Weißensee.

„Vater der Sensationspresse“

Als es in seinem 1871 gegründeten Druck- und Verlagshaus in der Friedrichstraße zu eng wurde, erwarb Mosse, der nicht nur Verleger war, sondern auch Vorsteher der Jüdischen Reformgemeinde und Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, mehrere Grundstücke an der Jerusalemer Straße/Ecke Schützenstraße und ließ vom Architekturbüro Cremer & Wolffenstein ein neues großes Druck- und Verlagshaus im Neobarock erbauen. Dort erschienen zahlreiche Zeitungen, Journale und 130 Fachblätter, aber auch Handels- und Adressbücher, Almanache, Kataloge, Kunstbände. Mosse beschäftigte neben dem Scherl Verlag als erster Zeitungsverlag Sonderkorrespondenten, die von den Brennpunkten des aktuellen Geschehens berichteten und organisierte einen Depeschendienst. In Publikationen wird er deswegen auch als „Vater der Sensationspresse“ bezeichnet. Während des Spartakusaufstandes im Januar 1919 wurde das Mosse-Haus sehr zerstört. Deswegen beauftragte man den jungen Architekten Erich Mendelsohn mit dem Neubau der Fassade. Er setzte dem alten Kaiserzeit-Barock ein modernes aufstrebendes Portal im amerikanischen Stil entgegen.

Michael Bienert, Journalist und Stadtführer durchs Zeitungsviertel, findet: „Es ist schon interessant, dass in einer Zeit, wo baulich in Berlin kaum etwas passierte und das wirtschaftliche Leben fast darniederlag, ein Medienhaus die Chuzpe und die Mittel hatte, zu sagen: Hier setzen wir ein Zeichen. Wir stellen uns im Stadtraum als ein modernes amerikanisches futuristisches Unternehmen dar. Wie die Macht und Potenz von deutschen Medienhäusern nach außen tritt, das ist auch heute noch ein interessantes Thema.“

Ein Verlag für 15 Mark

Unweit vom Mosse-Haus, etwa da, wo in den 1960er-Jahren Springer sein Verlagshaus mit Druckerei baute, zog am 1. Oktober 1883 August Scherl in die Redaktionsräume seiner soeben gegründeten Verlags- und Pressegesellschaft. Die Redaktion befand sich in der Druckerei und Klischeeanstalt von Georg Büxenstein, Zimmertrasse 41-42. Büxenstein finanzierte die Verlagsgründung hauptsächlich, denn seine Großdruckerei war nicht ausgelastet. So kam ihm Scherls Idee von der Herausgabe einer eigenen Zeitung, des Berliner Lokal-Anzeigers – Central Organ für die Reichshauptstadt, gerade recht. Neben ihm waren noch der Journalist Hugo von Kupffer an dem Unternehmen beteiligt sowie Scherl selbst – nach Pleiten und Pannen jedoch nur mit 15 Mark, seinem gesamten Besitz. Der Berliner Lokal-Anzeigerstartete am 3. November 1883 als Sonntagsblatt mit einer Mega-Auflage von 200 000 Exemplaren, die kostenlos verteilt wurde. Kupffer leitete das Blatt als Chefredakteur 45 Jahre lang. Der Berliner Lokal-Anzeigergab vor, ein parteiungebundenes Medium zu sein und präsentierte sich als Nachrichtenblatt mit kurzen und leicht verständlichen Meldungen für jedermann. Die Idee, für jeden alles zu bieten, übernahm Scherl aus dem Ausland und kreierte damit den bis dahin in Deutschland unbekannten Typus des Generalanzeigers. Das war eine Konkurrenz, die von Mosse und von Ullstein in Hab-Acht-Stellung beäugt wurde und die den bis dahin üblichen Journalismus gehörig aufmischte. Der Berliner Lokal-Anzeigererschien ab 1885 täglich und wurde vier Jahre später durch eine Abendzeitung komplettiert. Bis dahin entstand Umsatz im Wesentlichen nur durch das Anzeigengeschäft, weswegen Scherl eine beträchtliche Höhe an Schulden, 600 000 Mark, aufhäufte und sich Büxenstein von ihm trennte.

Die Woche (1889) mit Fotoberichten aus der ganzen Welt

Nachdem sich die Auflage des Berliner Lokal-Anzeigers bei 150 000 Exemplaren eingepegelt hatte, kostete die Zeitung im monatlichen Abo lediglich eine Mark, bis dahin nur zehn Pfennig für die Zustellung. Mosses Tageblatt war drei Mal so teuer. (vergl. 3). Aber der Verlag kam jetzt richtig in Schwung, und Scherl produzierte eine Reihe weiterer Blätter wie die Illustrierte Die Woche (1889) mit Fotoberichten aus der ganzen Welt – ein weiterer neuer Typus, Der Tag(1890), eine Zeitung, die täglich zwei Mal herauskam, Die Gartenlaube (1903), Sport im Bild (1895) Kleiner Anzeiger, Arbeitsmarktfür Jobsuchende und andere. Unter den Druckern, Setzern und Journalisten galt Scherl als ausbeuterisch-raffgieriger, erzkonservativer und exzentrischer Unternehmer. Sein Imperium bestand 1910/11 aus sieben Unternehmen und verfügte über ein Stammkapital von 24 Millionen Mark. Dennoch kam er durch Experimente auf anderen Gebieten in finanzielle Schwierigkeiten, so dass sich Mosse bei ihm einkaufen konnte. Um die Übernahme durch den Juden Mosse zu verhindern, verkaufte Scherl die Stammanteile seines Verlags – ausgerechnet mit Hilfe jüdischer Hochfinanz ‑ an den „Deutsche Verlagsverein“,dessen einziger Zweck darin bestand, die August-Scherl-GmbH zu kaufen und zu verwalten. Scherl selbst setzte sich im Februar 1914 zur Ruhe. 1916 erwarb Dr. Alfred Hugenberg, Vorsitzender des Krupp-Direktoriums, Scherls Unternehmensnetz und baute es in den folgenden Jahrzehnten zum maßgeblichsten deutschen Medienkonzern aus. Hugenberg war der Wegbereiter für die Presse der Nationalsozialisten, verlor aber sein Imperium unter deren Druck. Die letzten Scherl-Publikationen wurden 1943 eingestellt.

Bei Ullstein erschien die überaus erfolgreiche BERLINER ILLUSTRIERTE ZEITUNG. Dieses Faksimile zeigt eine Ausgabe aus dem Jahr 1893. Zeitungsjungen verteilen Extrablätter mit Wahlergebnissen zur Reichstagswahl.

Ullsteins B.Z. am Mittag erobert den Boulevard

Die Zimmerstraße schien eine magische Anziehungskraft auf Verleger zu haben, denn auch der dritte unter den Großen, Leopold Ullstein, ließ sich 1877 zunächst dort nieder und wie Scherl ebenfalls in einer Druckerei (Stahl & Aßmann), die der Papiergroßhändler kaufte. Außerdem erwarb er das verschuldete Neue Berliner Tageblattund gestaltete es zum modernen Abendblatt um, das er Deutsche Unionnannte. Schon ein Jahr später kaufte er die Berliner Zeitungauf. 1880 bezog Ullstein in der Kochstraße seinen Neubau und entwickelte sich zum einflussreichsten Vertreter des Zeitungsviertels, der Zeitungen, Magazine, Romane, Sachbücher und die viel gekauften Ullstein-Bücher zum Preis von einer Mark anbot. Seine 1894 etablierte Berliner Morgenpost, die Mottenpost, wie sie die Berliner nannten, avancierte rasch zur auflagenstärksten Zeitung Deutschlands.

Den eigentlichen Clou landete er aber 1904 mit der Herausgabe des Boulevard-Blatts mit seriösem Anspruch B.Z. am Mittag, die ausschließlich im Straßenverkauf angeboten wurde. Eine Mittagszeitung gab es bis dahin nicht. Für Ullstein hatte das den Vorzug, dass seine Rotationsmaschinen besser ausgelastet werden konnten und die Stillstandszeiten am Vormittag wegfielen. Beide, die Berliner Morgenpostund die BZsind heute 100-prozentige Töchter der Axel Springer AG.

Frauen-, Kinder- und Special-Interest-Blätter

Vom Aufschwung des Straßenverkaufs profitierte auch die seit 1894 im Ullstein’schen Besitz befindliche Berliner Illustrierte Zeitung, die mit Karikaturen und Fotos brillierte und ganze Leserscharen mit Fortsetzungsromanen anlockte. Das Zeitschriftenspektrum von Ullstein erweiterte sich außerdem auf Frauen-, Kinder- und Special-Interest-Blätter. 1914 konnte Ullstein die älteste Zeitung der Stadt, das Sprachrohr des liberalen Bürgertums, die überregional renommierte Vossische Zeitung erwerben, was seine Stellung im Markt weiter stärkte.

Die Liste berühmter Autoren und Illustratoren, die für Ullstein arbeiteten, ist lang und reicht von Gottfried Benn, über Alfred Döblin, George Grosz, Klaus Mann bis zu Kurt Tucholsky, Arthur Schnitzler und Heinrich Zille, um nur einige zu erwähnen.

1927 verlegte Ullstein Verlagssitz und Druckhaus in den klinkerroten Neubau am Mariendorfer Damm in Berlin-Tempelhof. Im Zuge der sogenannten „Arisierung“ verlor die Familie Ullstein 1937 ihr Unternehmen. Die Nationalsozialisten benannten den Verlag in Deutscher Verlag um und brachten hier den Zentralverlag der NSDAP unter. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Familie Ullstein ihren Besitz zurück. Ende der 1950er-Jahre erwarb Axel Springer auf Grund einer Finanzkrise der Ullstein AG die Aktienmehrheit. Die Ullstein Buchverlage GmbH, ein Teil der früheren Verlagsgruppe, gehört heute dem schwedischen Medienkonzern Bonnier. Andere Verlagsteile gingen an die Bertelsmann AG.

Ein Kommunist wird Medienmogul

Auch die Arbeiterpresse hatte im Zeitungsviertel Druckereien und Verlage. So saß nach ihrer Neugründung 1891die Redaktion des Vorwärts, das Organ der SPD, in der Beuthstraße und später in verschiedenen Häusern der Lindenstraße. Rosa Luxemburg, die in der SPD-Parteizentrale und Parteischule Führungskräfte unterrichtete, lebte ab 1911 gleich neben dem Verlag in der Lindenstraße 2. Während des Spartakusaufstandes im Januar 1919 wurden die Räume des Vorwärtsvon Kommunisten erstürmt und besetzt. Dort waren Wochen zuvor Hetzartikel gegen die KPD publiziert worden, in denen die Autoren nicht vor Mordaufrufen zurückschreckten. Ab Sommer 1933 besetzten die Nazis SPD-Zentrale und Verlagshaus. Das Blatt wurde deshalb nun im tschechischen Karlsbad gedruckt. Ein Stück weiter ab, in der Hedemannstraße, quer zur Friedrichstraße, befand sich die Anzeigenabteilung derRoten Fahne, dem Organ der KPD.

In den 1920er-Jahren baute in der Wilhelmstraße der Kommunist Willi Münzenberg seinen Neuen Deutschen Verlag auf und aus. Dort erschienen die Tageszeitungen Welt am Abend, Berlin am Morgen und in der Schadowstraße die Arbeiter Illustrierten Zeitung(AIZ) mit einer Auflage von bis zu 400 000 Exemplaren. Nach dem Hugenberg-Konzern war der Verlag von Münzenberg der zweitgrößte in der Weimarer Republik.

Propagandahort der NSDAP

Auch die NSDAP wusste den weltbekannten Medienplatz für sich zu nutzen. Sie quartierte ihre Reichspressestelle im ehemaligen Iduna-Haus in der Charlottenstraße 82 ein, das der Iduna-Germania-Versicherungs AG gehörte, und im Zweiten Weltkrieg auch die „Schriftleitungen“ vieler NS-Zeitungen. In der Zimmerstraße 90/91 befand sich das Vorderhaus der zwischen 1884 und 1886 errichteten Markthalle III. Hier und in den benachbarten Häusern betrieb die NSDAP ab Januar 1933 die Berliner Niederlassung ihres Zentralverlages, die Franz Eher Nachfolger GmbH. In diesen Redaktionen entstanden Propagandablätter wie die Berliner Ausgabe des Völkischen Beobachtersund Das Schwarze Korps. Gedruckt wurde gleich nebenan, in der Zimmerstraße 87 bis 89. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Zeitungsviertel zum größten Teil zerstört. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich ein neues Medienquartier entwickelte.

 

Fortsetzung im nächsten Heft, März 2012.

 

 

Kasten

http://zeitungsviertel.de

Museum für Kommunikation: http://www.mfk-berlin.de/

Stadtführungen mit Michael Bienert: http://www.text-der-stadt.de/touren.html

Initiative Berliner Zeitungsviertel e. V.: http://berliner-zeitungsviertel.de

(1) Annemarie Lange: Das Wilhelminische Berlin, Dietz Verlag 1980

(2) Gustav Dahms: Das Litterarische Berlin, illustriertes Handbuch der Presse in der Reichshauptstadt, Verlag R. Taendler 1895

(3) Konrad Dussel: Deutsche Tagespresse im 19. und 20. Jahrhundert, LIT Verlag Münster, 2004

 

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