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Ulrich Deppendorf: ARD Hauptstadtstudio – Ganz nah dran
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Fakten vs. Meinung

Ulrich Deppendorf: ARD Hauptstadtstudio – Ganz nah dran 

Ulrich Deppendorf, 1950 in Essen geboren, ging nach dem Studium zum WDR, für den er lange Jahre arbeitete. Anfang der 1990er-Jahre wurde Deppendorf Chefredakteur von Tagesschauund Tagesthemen. Von 1999 bis 2002 war er Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin und Moderator des Bericht aus Berlin, von 2002 bis 2007 Programmdirektor Fernsehen beim WDRKöln und seit Mai 2007 Leiter des ARD-Hauptstadtstudios. NITRO sprach mit ihm über die turbulenten Anfänge in Berlin, Wahlkampfberichterstattung und Sommerinterviews.

? Herr Deppendorf, Sie leiten das ARD-Hauptstadtstudioin Berlin seit 1999, allerdings mit einer fünfjährigen Unterbrechung. Waren die Anfänge in turbulenter Zeit in Berlin im Vergleich zur Routine in Köln anders als erwartet?

! Es war nicht anders, es war völlig neu, denn so etwas wie ein Hauptstadtstudio gab es ja davor in der ARD nicht. Es war damals das erste digitale Studio der ARD, und wir betraten damit technisches Neuland. Kollegen aus fast allen Sendeanstalten der ARD, ob Ausland oder Inland, kamen nach Berlin. Auch alle anderen Medien legten ihren Schwerpunkt nach Berlin, und ein ungeheurer Konkurrenzkampf begann. Für mich war das die wildeste Zeit, als wir hier mit der Berichterstattung begannen. Es waren Tage und Wochen, die ich vorher so in Bonn nie erlebt hatte. Journalisten prügelten sich um die besten Plätze bei Pressekonferenzen, Parteivorsitzende, bekamen Polizeischutz, weil die vielen Journalisten ihnen den Weg versperrten. Es gab sogar eine Sondersitzung der Bundespressekonferenz, wo wir uns mit den Pressesprechern der Verbände, Institutionen, Parteien und Ministerien besprachen, wie es in Berlin weitergehen soll. Mit der Zeit entspannte sich die Situation dann aber.

Als die Mauer fiel, war ich gerade mit Helmut Kohl in Warschau

? Sie waren also Gründer dieses Studios?

! Der damalige Intendant des WDRFritz Pleitgen sagte, Deppendorf geht nach Berlin, plant und eröffnet zusammen mit Jürgen Engert das ARD-Hauptstadtstudio, und beide übernehmen die journalistische Leitung. Der WDR hat dieses Hauptstadtstudio mit einer Beteiligung des damaligen SFB gebaut und finanziert.

? Sind Sie gern nach Berlin gegangen?

! Ja. Ich habe immer gesagt, ich will einmal in Berlin arbeiten und leben. Die Familie meiner Mutter kommt aus Berlin, und ich war als Junge oft hier, auch als die Mauer gebaut wurde. Als die Mauer fiel, war ich gerade mit Helmut Kohl in Warschau, und wir flogen von dort nachts nach Berlin, um bei diesem historischen Ereignis dabei zu sein.  Fritz Pleitgen, Jürgen Engert, Achim Trenkner und ich haben dann anderthalb Jahre die Berichterstattung über die Wende mitgestaltet.

? Es war eine Gänsehautzeit…

! Auf jeden Fall, ich habe damals zu meiner Frau gesagt: Jetzt kann ich eigentlich aufhören, denn so etwas erlebt man als Journalist nur einmal, wenn ein Land zusammenwächst. Mit dem Fall der Mauer hatte niemand gerechnet.

Bericht aus Berlin und Berlin direkt aus dem Hauptstadtstudio

? Von Anfang an übernahmen Sie die Moderation für den Bericht aus Berlin, ein ähnliches Format gibt es mit Berlin direkt vom ZDF-Hauptstadtstudio. Worin unterscheiden sich die beiden Sendungen?

! Die beiden Sendungen unterscheiden sich nicht sehr stark, aber das ZDF hat im Gegensatz zu uns einen etwas besseren Sendeplatz ‑ das sehen wir mit etwas Neid, aber vielleicht schaffen wir das auch noch. Ansonsten behandeln beide Sendungen die wichtigsten politischen Ereignisse der vergangen Woche oder schauen in die Zukunft. Beide Redaktionen kämpfen um die interessantesten Gesprächspartner der Woche, beide Formate haben 20 Minuten Länge, und bei uns und im ZDF gibt es zwei Moderatoren.

? Hätten Sie denn eine journalistische Idee, wie sich der Bericht aus Berlin (ARD) vom Format Berlindirekt (ZDF) unterscheiden könnte?

! Die hätte ich schon, würde sie aber erst einmal in der ARD besprechen wollen.

? Hat sich in den vergangenen Jahren an der Machart der Fernsehbeiträge etwas geändert?

! Die Sendungen sind sehr viel moderner geworden. Die Ausstattung der Studios hat sich verändert – wir haben meiner Meinung nach das schönste News-Studio in der ARD, mal abgesehen vom ARD-aktuell-Studio. Wir sendeten früher mehr Beiträge und luden weniger Gesprächspartner ein, heute ist es eher umgekehrt. Anfangs produzierten wir bunte Stücke über Berlin, aber die wurden von den Zuschauern nicht so gutiert. Die wollten, dass die Sendungen sehr politisch bleiben.

Foto © Bernd Lammel

? Es gibt im Internet eine Sendung mit dem Titel Deppendorfs Woche, in der Sie von den Mitarbeitern des Berliner Büros von tagesschau.dedanach befragt werden, was hinter den Nachrichten aus der Hauptstadt steckt oder welche Themen sich anbahnen, noch bevor sie Schlagzeile sind. Meinen Sie, dass Sie es mit dieser Sendung schaffen, Hintergründe zu beleuchten oder was versprechen Sie sich davon?

! Die Sendung ist bereits mehr als fünf Jahre alt, was mich selbst am meisten überrascht, aber ich glaube, ich war damals ein Vorreiter. Wir haben die Sendung damals gestartet, weil das Internet immer moderner wurde,und wir stellten uns die Frage: Bloggt Deppendorf genauso wie zum Beispiel Peter Frey vom ZDF? Und da entstand die Idee, es per Video zu machen, denn das können wir am besten. In diesem Format, das Platz für vier bis sechs Minuten Hintergrundgespräch bietet, bin ich ganz bewusst in einer völlig anderen Rolle und kann Themen zuspitzen. In einem Kommentar schrieb ein Zuschauer: „In dieser Sendung sieht man, wie Deppendorf denkt“. Es ist auch keine Sendung, bei der ich vom Teleprompter ablesen kann ‑ die Gespräche entwickeln sich vielmehr spontan.

Landtagswahl in Bayern und Bundestagswahl

? … aber das lieben die User des Internets ja so sehr …

! Genau. Die Reaktionen darauf, vor allem von jüngeren Leuten, sind oft erstaunlich. Ich war zum Beispiel mit der Bundeskanzlerin in Südkorea, wo Angela Merkel an einer Universität vor koreanischen und deutschen Studenten einen Vortrag hielt. Als ich aus dem Delegationsbus stieg, sprachen mich viele Studenten auf Deppendorfs Wochean, die sie jede Woche im Internet verfolgen. Auch aus Botschaften weltweit gibt es Feedback.

? Die diesjährigen Sommerinterviews fanden mitten im Wahlkampf statt. Spürten Sie bei Ihren Gesprächspartnern einen erhöhten Druck? Dieser Wahlkampf ist ja besonders, denn die Kanzlerin steht in den Umfragen ganz weit oben.

! Trotzdem ist die Wahl längst nicht entschieden. Spannend wird es vor allem in der letzten Woche, also in der Zeit zwischen der Landtagswahl in Bayern und der Bundestagswahl. Es sieht im Moment nicht vorteilhaft für die SPD aus, aber das kann sich noch ändern. Und was den Druck angeht: Angela Merkel war am 14. Juli zum ARD-Sommerinterview bei uns, und die Frage nach dem NSA-Skandal war brandaktuell. Frau Merkel war tatsächlich unter Druck, das konnte man ihr anmerken. Auch Rainer Brüderle war angespannt, er kam direkt aus der Reha zu uns und wirkte noch etwas angeschlagen, aber er wollte das Sommerinterview unbedingt machen.

? Führen Sie so ein Gespräch mitten im Wahlkampf mit einer anderen Strategie als üblich?

! Unsere Strategie ist nicht, unsere Gesprächspartner nach jedem Halbsatz zu unterbrechen, sondern wir bieten ihnen die Gelegenheit, etwas weiter auszuholen und zu erklären. Und alle Interviewpartner bekommen 18 Minuten Sendezeit. Man muss als Interviewer aber schon aufpassen, dass die Damen und Herren das Sommerinterview nicht für ihre Wahlwerbung nutzen.

Höhepunkt der Parteispendenaffäre im Bericht aus Berlin 

? Sind diese Interviews inzwischen Routine oder spüren Sie immer noch ein wenig Nervenkitzel?

! Jedes Sommerinterview und auch die Interviews beim Bericht aus Berlin sind etwas Besonderes, und wer behauptet, die seien nicht mit Nervenkitzel verbunden, der lügt.

? Halten Sie sich während der Gespräche immer an einen roten Faden oder erlauben Sie auch Abweichungen, wenn das Interview einen anderen Verlauf nimmt?

! Beim Sommerinterview, das wir im Gegensatz zum ZDF zu zweit führen, stimme ich mich mit Rainald Becker ab, welche Linie wir fahren. Aber wenn wir merken, das Gespräch geht in eine andere Richtung, dann räumen wir auch schon mal Themen zur Seite. Beim Merkel-Interview beispielsweise drehte es sich zwölf von 18 Minuten nur um den NSA-Datenskandal. Da wir merkten, wie wichtig dieses Thema war, ließen wir spontan andere Themen weg.

? An welchen Gesprächspartner erinnern Sie sich besondern gern beziehungsweise ungern? Mit wem war es am spannendsten?

! Ganz klar Helmut Kohl. Ich führte mit ihm auf dem Höhepunkt der Parteispendenaffäre im Bericht aus Berlin ein Live-Interview, in dem er sich zum ersten Mal zur Parteispendenaffäre äußerte. Aus den acht bis zehn Minuten, die vereinbart waren, wurden 35 Minuten ‑ der damalige Programmdirektor ließ es einfach laufen. Dieses interview war ein richtiger Kampf. Helmut Kohl saß mir nicht gegenüber, sondern war aus Mainz zugeschaltet. Am Anfang hat er mich mit meinen Fragen auflaufen lassen, aber ich habe immer wieder nachgefragt. Die vier Fragen, die ich ihm dann am Schluss stellte, müssen ihn so beleidigt haben, dass er anschließend zwei Jahre lang kein Wort mehr mit mir sprach.

Zehn Jahre lang Wahlkampfberichterstattung

? Er hat das ganz persönlich genommen?

! Ja, er sagte im Interview mit uns immer „Meine Damen und Herren“, als wäre er irgendwo in einer Halle und nicht in einem Fernsehstudio.

Ein wirkliches Ringen war auch das Interview mit Oskar Lafontaine in der Saarschleife. An diesem Tag stimmte die Chemie zwischen uns dreien überhaupt nicht, was passieren kann.

? Wie gehen Sie mit Kritik nach einer Sendung um?

! Ich habe zehn Jahre lang Wahlkampfberichterstattung gemacht, da wird man hinterher oft kritisiert. Aber man muss sich den Reaktionen stellen, denn wer am Herd steht, muss Hitze aushalten. Selten schreibt ein Zuschauer mal ein Lob, damit muss man umgehen können. Manches ist berechtigt oder begründet, dann muss man diese Kritik auch annehmen, nur mit anonymer Schelte kann ich nicht viel anfangen.

Nach Interview mit Oskar Lafontaine körbeweise Beschimpfungen

? Wie reagieren Sie, wenn Politiker bei einem Interview nur Wahlkampf-Sprech von sich geben?

! Siegmar Gabriel und Gregor Gysi beherrschen das perfekt. Da muss man sofort reagieren und das Gespräch unterbrechen. So entstehen Situationen, in denen alle übereinander reden und dann ist die Frage: Wer hat die besseren Nerven? Oder man sagt dem Gesprächspartner, das war jetzt aber gerade Wahlkampf und stellt die nächste Frage.

? Können Sie ihre Gesprächspartner auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, wenn sie spüren, dass die an der Realität vorbei reden?

! Wenn wir zum Beispiel andere Zahlen oder Ergebnisse haben, die auf Fakten beruhen, auf jeden Fall. Andererseits haben wir nur vier oder fünf Minuten und dann steht man vor der Frage: Unterbreche ich nach jedem Satz, und es kommt am Ende des Gesprächs nicht viel raus oder lasse ich ausreden. Wir werden im Übrigen von den Zuschauern richtig beschimpft, wenn wir den Interviewpartner ständig unterbrechen. Beim Interview mit Oskar Lafontaine bekamen wir körbeweise Beschimpfungen.

? Die Wirtschaftswoche kritisiert in ihrer Ausgabe vom 15. Juli 2013, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Interview mit der ARD ihre beiden wichtigsten politischen Eigenschaften zeigt, die sie zum Erhalt der Macht einsetzt: Merkel, die Nihilistin, und Merkel, die Meisterin der Einschläferung.

Weiter heißt es in der Wirtschaftswoche, die Kanzlerin hielte ihr Volk zum Narren und die ARD-Journalisten trügen staatstragend das Spielchen mit. Der Vorwurf steigert sich sogar in die Forderung, dass der ARD-Chefredakteur Ulrich Deppendorf solch ein Interview entnervt abbrechen müsste.

! Bei aller Liebe zu den Kollegen, wir machen keine redigierten Interviews. Bei den Kollegen kommen die Interviews anschließend anders raus, als sie geführt wurden. Deshalb halte ich unsere Interviews für glaubwürdiger und authentischer.

? Macht Ihnen solche Kritik etwas aus?

! Nicht mehr so viel wie zu Beginn.

? Über die Frage der Autorisierung wird in Deutschland immer wieder diskutiert.

! Die Süddeutschediskutiert zum Beispiel nicht mehr. Die macht keine Interviews mit Frau Merkel und mit Herrn Steinbrück, weil die ihre Interviews autorisieren wollen. Die New York Timeshat es auch abgelehnt, und ich halte das für absolut richtig.

Das Interview führten Bettina Schellong-Lammel-Lammel und Heide-Ulrike Wendt

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