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UTOPIE Verkehrswende
Nutzen statt besitzen
Foto: Bernd Lammel
Interviews

Nutzen statt besitzen 

Wie wird sich der Verkehr in den kommenden Jahren entwickeln? Mobilitätsforscher Andreas Knie ist sich sicher, dass sich viel bewegen muss: Deutlich weniger Individualverkehr, Abbau ­steuerlicher ­Förderungen etwa für Dienstwagen oder von Dieselkraftstoff. Von den derzeit wirkenden Politikern ­erwartet er zu dem Thema jedoch wenig. Verkehrsminister Andreas Scheuer etwa hält er für „ein Sprachrohr der Automobilindustrie“. ΝITROhat mit dem Wissenschaftler über veraltete Technologien, das Personenbeförderungsgesetz und Alternativen für Autos mit Verbrennungsmotoren gesprochen.

? Sie sind Sozialwissenschaftler am WZB und Professor für Soziologie an der TU Berlin. In den Medien werden Sie als Mobilitätsforscher bezeichnet. Worum genau geht es im Forschungsgebiet Mobilität?

!  Ich beschäftige mich, vereinfacht gesagt, mit der Frage, wie Menschen von A nach B kommen und und ob das symptomatisch für die soziale Entwicklung ist. Welche Verbindung gibt es zwischen der räumlichen Mobilität und sozialen Mobilität, wie kann eine Gesellschaft zukünftig durchlässiger werden.

?  Blicken wir zunächst noch einmal zurück ins vergangene Jahrhundert, als Autos begannen, die Straßen zu beherrschen. Damals waren Automobile noch kein Massenphänomen, sondern ein reines Statussymbol. Wie kam es dazu, dass Autos die Menschen nicht nur mobiler machten – sondern sie schrittweise immer mehr beherrschen, wie das heute der Fall ist?

!  Die Menschen wurden ja nicht erst mit dem Auto mobil. Denken Sie zum Beispiel an die Völkerwanderung oder an die Schifffahrt – seit hunderten Jahren überqueren Schiffe die Ozeane, und auch mit Pferden konnten die Menschen größere Distanzen überwinden. Dann kam die wunderbare Erfindung des Automobils, ein selbstfahrendes Gerät, das um 1900 sehr populär wurde und den Menschen eine enorme Unabhängigkeit brachte.

?  Damals aber noch nicht in Deutschland.

!  Stimmt. Das Auto hat sich zuerst in den USA rasant entwickelt. Viele Menschen hatten sehr schnell sehr viele Autos – nicht nur die reichen Amerikaner, ein Auto konnten sich auch normale Angestellte leisten. In Europa begann die Automobilität zuerst in Italien, Spanien und England – Deutschland war zu dieser Zeit kein Autoland, in Deutschland waren Eisenbahnen und Motorräder populär. Das Auto wurde in den 1930er-Jahren von den Nationalsozialisten als großes Prestigeprojekt ausgerufen, obwohl die nicht im Verdacht standen, den Amerikanern nachzueifern. Die Nationalsozialisten unterstützten den individuellen Transport in Verbindung mit dem Traum: „Eigenes Heim und eigenes Auto – durch unsere Politik wird das möglich.“ Sie haben damit begonnen, Autobahnen zu bauen und die Steuergesetzgebung fürs Auto und die Straßenverkehrsordnung zu etablieren. Nach dem Krieg wurde dieses Projekt in den 1950er- und 1960er-Jahren und ganz spürbar in den 1970er-Jahren nahtlos fortgesetzt und Deutschland entwickelte sich ebenfalls zu einem Auto-Land. Wohin das geführt hat, können wir heute erleben.

? Betrachten wir die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre. In den Städten und Ballungszentren hat sich die Situation dramatisch verändert. Verstopfte Straßen, Parkplatzmangel, Feinstaubprobleme, Megastaus auf Autobahnen. Trotzdem wollen viele Menschen das Auto nicht abschaffen. Können Sie sich erklären, warum die Menschen so uneinsichtig sind, wenn es ums Auto geht?

!  Daran hat die Politik einen großen Anteil. Nehmen wir das Beispiel Berlin. Hier wurden nach dem Krieg jede Menge Straßen gebaut, und es werden immer noch Autobahnen gebaut, damit Autos möglichst viel Platz haben. Auch die Steuergesetzgebung ist darauf aufgebaut, dass die Menschen Auto fahren sollen – besonders Dieselfahrzeuge. Die werden immer noch subventioniert – der Dieselpreis jedes Jahr mit acht Milliarden Euro! Die Politik und der Staat sagen immer noch: „Bitte, liebes Volk, fahre Auto, wir ermöglichen dir alles.“

In Berlin werden mehr Autos zugelassen als abgemeldet

?  Sie meinen, dass jeder, der kein Auto fährt, ökonomisch im Nachteil ist?

!  Absolut. Und der Effekt ist, dass heute in Berlin mehr Autos zugelassen werden als abgemeldet. Die Autopolitik ist noch gar nicht ernsthaft in Frage gestellt worden. Immer mehr Unternehmen sind in den letzten Jahren dazu übergegangen, ein Steuersparmodell einzuführen. Statt einer Gehaltserhöhung, die auch mit höheren Sozialabgaben verbunden wäre, erhalten die Mitarbeiter einen Dienstwagen. Ein fataler Trend, der nur möglich wurde, weil die Politik das Auto steuerlich fördert und subventioniert. 

?  Die jetzige Situation ist für Autofahrer aber sehr belastend und führt zu Stress und Aggressionen. Wie kann oder muss die Politik da ein Stoppschild setzen?

!  Leider muss man feststellen, dass die Bundespolitik bisher überhaupt keine Änderung vorgesehen hat. Da besteht der Verdacht, dass wir mit der Autoindustrie, insbesondere bei der Verbrennungsmotoren-getriebenen Autoindustrie, dasselbe erleben, was wir schon im Steinkohlebergbau und im Braunkohletagebau erlebt haben. Es wird eine Technologie künstlich am Leben gehalten, die eigentlich aus der Zeit gefallen ist – im Schulterschluss mit den Unternehmen und zum Teil mit den Gewerkschaften, um zu sagen: Lasst uns Arbeitsplätze sichern, lasst uns die Autoindustrie dauerhaft stabilisieren – und das mit dem Wissen, dass die Technologie nicht mehr zeitgemäß ist. Das bedeutet: Die deutsche Autoindustrie wird von der Politik massiv unterstützt – es soll keine Veränderung geben und der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer etabliert und profiliert sich als Sprachrohr der Autoindustrie. Er ist ein Autoverkehrsminister, der keinerlei substanzielle Umsteuerung vornehmen will.

? Es gibt aber auch Politiker, die das Problem erkannt haben und etwas ändern wollen. Die Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther machte Anfang März Schlagzeilen mit der Aussage: „Wir möchten, dass die Menschen ihre Autos abschaffen.“ Dafür wurde sie vom Boulevard als „Autohasserin“ und als „grüne Kommunistin“ beschimpft. Sie haben bereits im August vergangenen Jahres in der Berliner Zeitung gesagt: „Raus mit den privaten Autos aus den Innenstädten.“ Wurden Sie ähnlich hart angegriffen?

! Ja, natürlich. Wer in Deutschland bestimmte Themen anspricht, zum Beispiel ein Tempolimit, oder wer nur darüber nachdenkt, ob jeder ein privates Auto haben muss, der ruft damit sehr differenzierte Reaktionen hervor – negative und positive. Es gibt inzwischen viele Menschen, die sagen, wir brauchen Alternativen, denn das Auto ist nicht das Maß der Dinge. Viele sind inzwischen bereit, einen Wechsel einzuleiten. Hier ist die Politik gefragt, denn wer bereit ist, sein Auto abzuschaffen, der braucht Angebote. In Berlin ist das sehr gut machbar mit U-Bahn, S-Bahn, Bussen und Straßenbahnen. Auch Carsharing, Bikesharing und Tretrollersharing gibt es bereits.

Die Menschen optimieren sich, weil sie individuell mobil sein wollen.

?  In Berlin und anderen Großstädten ist der Verzicht aufs Auto sicher gut möglich, aber nicht alle Menschen leben in Ballungszentren. Auf dem Land sieht die Sache völlig anders aus. 

!  Ich gebe Ihnen recht, für ländliche Gegenden und kleinere und mittlere Städte müssen andere Alternativen geschaffen werden, die die Menschen dazu bringen, das eigene Auto abzuschaffen. Denn wenn wir ehrlich sind: Bei vielen stehen zwei Tonnen schwere Autos zu 95 Prozent der Zeit nur auf der Straße vor dem Haus oder in der Garage und sind drei Jahre nach dem Neukauf nur noch die Hälfte wert. 

?  Die Menschen sind aber uneinsichtig, wenn es um Individualität geht.

!  Die Menschen sind nicht uneinsichtig, die Menschen optimieren sich, weil sie individuell mobil sein wollen. Das ist ganz wichtig, doch es geht mit dem Auto schlechter. Durch die digitalen Medien und das mobile Internet haben wir aber jetzt Instrumente, das Auto neu zu kombinieren und können auch mobil sein. Fragen Sie junge Leute, die sagen Ihnen: Hätten wir Alternativen, brauchen wir kein Auto.

? Was könnten die Alternativen für Menschen sein, die in Gegenden leben, wo der öffentliche Personennahverkehr gar nicht mehr existiert, weil er in den vergangenen Jahren immer mehr zurückgefahren wurde? 

!  Das Personenbeförderungsgesetz, das viele Menschen überhaupt nicht kennen, ist ein sehr gutes Stichwort. Dieses Gesetz regelt den öffentlichen Verkehr und die Mobilität, mit der Menschen kommerziell transportiert werden. Denn Menschen von A nach B zu transportieren, ist in Deutschland nur mit einer Lizenz erlaubt. Eine solche Lizenz wäre natürlich eine Alternative, aber die bekommt niemand mit neuen und frischen Ideen, weil sie schon jemand anderes besitzt. 

?  „Jemand“ – der im Alten verhaftet ist?

!  Die Lizenz halten die, die sie schon immer hatten: Taxi- oder Mietwagenanbieter oder der Öffentliche Personennahverkehr kurz ÖPNV. Anderen wird die Lizenz verweigert. 

Vierzig Prozent der Menschen könnten gemeinsam mobil sein

?  Das ist das falsche Signal?

!  Absolut. Die Politik sendet damit das Signal: „Fahren Sie bitte alle Auto“, und so entsteht eine „Resteverwertung von Menschen“, die kein Auto fahren können – entweder, weil sie es sich nicht leisten können oder Menschen, die das Auto gern abschaffen möchten, beziehungsweise es bereits getan haben. Für diese Menschen bietet der Staat keine Alternativen. 

?  ÖPNV und Taxiinnungen haben aber einen Beförderungsauftrag, oder nicht?

! Der ÖPNV, wie wir ihn im Moment kennen, bietet Busse an, Straßenbahnen oder S-Bahn und sonst gar nichts. Und die Taxibetriebe tun das, was sie schon vor fünfzig Jahren gemacht haben. Eine gute Alternative wäre, wenn Menschen aus den ländlichen Räumen sagen dürften: Ich fahre bisher allein in meinem Fahrzeug, und um das zu optimieren, biete ich Plätze für Mitfahrer an, die in die gleiche Richtung oder in die nächste Stadt müssen. Das könnte neben dem Auto mit vier freien Plätzen auch ein Kleinbus mit zehn Plätzen sein. Diese freien Kapazitäten könnte man über eine Plattform anbieten und somit gut auslasten. Die ganze Organisation könnte sogar unter der Regie des ÖPNV passieren – die mobilen Internetanwendungen erlauben das. Vierzig Prozent der Menschen könnten gemeinsam mobil sein, wenn es erlaubt wäre, Fahrzeuge gemeinsam zu nutzen. Dafür müsste allerdings das Personenbeförderungsgesetz abgeschafft oder substantiell verändert werden. 

?  Voraussetzung allein ist der Wille? Die Taxiinnungen sind sehr sensibilisiert, seit Uber auf den deutschen Markt drängt. 

! Der Wille zur Veränderung ist die Grundvoraussetzung, dass sich etwas bewegt. Ridesharing oder Ride-Hailing, wie es neudeutsch heißt, wird immer stärker kommen. Unternehmen wie Uber zeigen, wie es geht. Uber ist jetzt schon mit Abstand das größte Verkehrsunternehmen der Welt und wird in den nächsten Jahren den größten Börsengang in der amerikanischen Geschichte generieren – mit Milliarden von Einnahmen. Die einfache Zukunftsformel von Uber heißt: „Nutzen statt Besitzen“. Wir wären gut beraten, wenn wir uns darauf einstellen würden. 

In Berlin und Hamburg gibt es Clever Shuttle, ein Anrufsammeltaxi

?  Hamburg hat einen Schritt in diese Richtung gemacht. Dort gibt es Sammelbusse, die nicht zur Taxiinnung gehören und mit denen man preiswerter fährt. Eine Strecke der gleichen Entfernung kostet im Taxi 14,50 Euro und im Sammelbus 4,50 Euro.

! Das Angebot von MOIA – so heißt das Unternehmen, das Sammelbusse anbietet – ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. In Berlin und Hamburg gibt es auch Clever Shuttle, ein Anrufsammeltaxi, das schon seit zwei Jahren fährt und schon über eine Million Kunden hat. Diese Beispiele zeigen: Die Menschen nehmen Alternativen an und sind nicht nur auf das eigene Auto fokussiert.

? So lange die Politik keine praktikablen Lösungen beziehungsweise Alternativen anbietet, bleiben Sprüche wie: „Freie Fahrt für freie Bürger“ in den Köpfen der Menschen.

! So lange in Deutschland das Auto das Maß aller Dinge bleibt, wird sich das nicht ändern. Das Auto ist im deutschen Rechtssystem ein sogenannter Gemeingebrauch – und das heißt, alles für das Auto. Dem Auto wird im Straßenverkehr alles untergeordnet. Der erste Schritt wäre, dass das Auto zurück in den Reigen der anderen Verkehrsmittel muss und nicht mehr privilegiert werden darf.

?  Die Situation zwischen Auto- und Fahrradfahrern ist ja inzwischen richtig beängstigend.

!  Das ist ein künstlicher Krieg. Die Zahl der Fahrradfahrer hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, aber die Infrastruktur auf den Straßen ist nahezu gleichgeblieben. Das heißt, wir haben Fahrradstreifen aus den 1930er- und 1940er-Jahren, die heute einem Massenverkehr genügen sollen. Da muss eigentlich jedem klar sein, dass das nicht funktionieren kann. Ich sehe aber auch eine positive Entwicklung …

?  … wo sehen Sie die?

!  Die zunehmende Anzahl an Fahrradfahrern kommt inzwischen aus den Reihen der Autofahrer, und die sind sehr wohl in der Lage zu erkennen, dass zusätzliche Fahrstreifen für Radfahrer notwendig sind. 

Das Referat für den Fahrradverkehr müssen Sie mit der Lupe suchen

?  Die Frage ist, wie werden Autos in den Innenstädten weniger?

! Dafür müssten die Preise für den Parkraum in den Innenstädten massiv steigen. Das Abstellen eines privaten Autos müsste mindestens 10 bis 15 Euro am Tag kosten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Anwohner handelt oder ob jemand einkaufen gehen möchte. Über den Preis könnte geregelt werden, dass weniger Autos die Innenstädte okkupieren und Autofahrer bereit wären, Alternativen zu nutzen. 

?  Verkehrsminister Scheuer sagte am 9. April 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er wird die „Rekordsumme“ von 200 Millionen in die Infrastruktur für Fahrradwege setzen. Ist das ausreichend?

!  Die Summe ist eher symbolisch. Wenn man bedenkt, was in die Infrastruktur von Autobahnen investiert wird, sind 200 Millionen ein Tropfen auf den heißen Stein. Schauen Sie sich das Organigramm des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur an und die darin aufgezeigten Abteilungen und Referate. Das Referat für den Fahrradverkehr ist so klein, das müssen Sie mit der Lupe suchen. Die großen Summen fließen nach wie vor in den Ausbau von Straßen für den Autoverkehr. Allein für die Verlängerung der A100 in Berlin werden gerade 600 bis 700, vielleicht auch 800 oder 900 Millionen Euro ausgegeben. Eine Autobahn, deren Planung aus den 1920er-Jahren stammt, die längst aus der Zeit gefallen ist. Die 200 Millionen Euro als „Rekordsumme“ zu bezeichnen, ist die Aussage eines Autoministers.

?  Bleiben wir in der Politik und kommen zum Diesel. Ich zitiere noch einmal aus der FAZ: Ministerpräsident Kretschmann sprach im März von einer „sehr guten Nachricht für Dieselfahrer“, weil die Fahrverbote in Stuttgart nicht auf die ­Euronorm-5-Fahrzeuge ausgedehnt werden. Solche Aussagen aus dem Mund eines grünen Ministerpräsidenten, was soll man davon halten?

! Ich kann es mir nur so erklären, dass er sich in ersten Linie als Ministerpräsident eines Bundeslandes sieht und erst in zweiter Linie als Grünen-Politiker.

Kein anderes Land hat sich so auf eine Dieselperspektive eingeschworen

?  Sind solche Aussagen nicht ein völlig falsches Signal?

!  Natürlich. Kretschmann hätte sagen können: Wir müssen sehen, dass wir vom Diesel wegkommen, weil der Diesel definitiv keine Zukunft hat. 

?  Zumal das andere Länder längst eingesehen haben …

! Deutschland ist eines der letzten Länder, die noch an den Diesel glauben. Kein anderes Land hat sich so auf eine Dieselperspektive eingeschworen wie Deutschland. Und die Begründungen sind immer Arbeitsplätze. Fest steht aber, wenn wir weiter am Diesel festhalten, werden wir diese Arbeitsplätze definitiv vernichten. Die Politik müsste handeln: Je schneller wir diese Technologie verlassen, desto besser – denn mit der Verbrennungsmotorentechnologie werden enorme Mengen an Schadstoffe produziert, die die Menschen krank machen.

?  Nicht nur Minister Scheuer hält am Diesel fest, auch die Boulevardpresse macht sich für den Diesel stark.

!  Ich kenne die Schlagzeile: „Bild kämpft für den Diesel“ …

? Da gibt es noch mehr Schlagzeilen …

„Das BILD-Manifest – Deutschland sollte stolz auf den Diesel sein!“, 

„Alles Lüge mit dem Diesel Feinstaub“, 

„Wir sind Diesel der Nation“.

Was ist von einer solchen journalistischen Berichterstattung halten? Bedient der Boulevard hier die simplen Instinkte von Autofahrern?

!  Die Bildzeitungs-Redakteure, insbesondere auch der Chefredakteur der Welt – ein Porschefahrer – schreiben ganz offenbar für sich selbst und suchen händeringend nach Argumenten, dass wir beim Diesel bleiben sollen. Ich habe übrigens über den Dieselmotor promoviert und gehe heute auch noch gern durch die Kantstraße. Dort befand sich das Büro von Rudolf Diesel, als er in den 1890er-Jahren in Berlin den Dieselmotor erfand und an seinen Patentanmeldungen gearbeitet hat. Das berührt mich natürlich auch, aber man muss auch wissen, wann etwas vorbei ist. Medien, die den Diesel weiter nach oben schreiben, sind Anzeigenkunden ­offensichtlich wichtiger als eine objektive redaktionelle Berichterstattung. 

?  An die Stelle des Verbrennungsmotors kann die Elektromobilität treten, der sich die Automobilkonzerne lange verweigert haben. Andere Länder sind da viel weiter. In Norwegen werden inzwischen mehr Elektroautos verkauft als ­Autos mit Verbrennungsmotoren …

!  Norwegen hat tatsächlich im März den Break-Even geschafft und zum ersten Mal mehr elektrische Fahrzeuge verkauft als Autos mit Verbrennungsmotor. 

Lasst uns die Dieselsubventionen runterfahren

 ? Wie hat Norwegen das hinbekommen?

!  Wer in Norwegen einen Porsche Panamera kauft, muss zu den 100.000 Euro, die das Auto kostet, 100.000 Euro Luxussteuer zahlen. Für einen Tesla, also ein Elektroauto, der ebenfalls 100.000 Euro kostet, fällt keine Luxussteuer an, und es wird auch keine Maut und keine Parkplatzgebühren fällig. Mit einem Elektroauto hat man in Norwegen tatsächlich freie Fahrt. 

?  Ist es also mit den richtigen Anreizen möglich, die Menschen zum Umdenken zu bewegen?

!   Norwegen zeigt, dass es geht. Norwegen ist aber nur ein Teil einer Bewegung – viele große Länder wie China ziehen nach und wollen es genauso machen. Die deutsche Autoindustrie wäre gut beraten, wenn sie in diesen Trend einsteigen und fortschrittliche Fahrzeuge bauen würde. Zur Ehrenrettung von VW möchte ich aber sagen, dass dort gerade ein Umdenken stattfindet. Zwar etwas spät, aber es ist dem Chef von Volkswagen, Herbert Diess, jetzt aufgefallen, das Autos mit veralteter Technologie zukünftig Ladenhüter sein werden. Jetzt beginnt VW damit, Lobby gegen sich selber zu machen. ­Während die Springer-Presse noch auf einem Stand von vor Jahrzehnten schreibt und diesen Wandel behindern will, sagen auch andere Konzerne: Lasst uns die Dieselsubventionen runterfahren und dafür sorgen, dass es mehr Vorteile für den batterieelektrischen Antrieb gibt. Es beginnt langsam, viel zu langsam, aber die Autoindustrie erkennt die Notwendigkeit der Förderung von Alternativen. Das Jahr 2019 und das Jahr 2020 werden industrie- und innovationspolitisch interessante Jahre.

?  Zur Mobilität gehört auch der Flugverkehr. Interessant ist hier die Entwicklung der Fluggastzahlen. Im Jahr 1970 gab es weltweit 310 Millionen Fluggäste, 2010 waren es schon zwei Milliarden, 2020 werden es vier Milliarden sein und 2040 werden acht Milliarden prognostiziert. Führt das zum Mobilitätsinfarkt?

!   Das Chicago-Abkommen von 1944 regelt, dass alle frei fliegen können und dass der Himmel für alle verfügbar sein muss. Die Idee dahinter war: Wer fliegt, lernt andere Länder und andere Völker kennen, und wer sich kennt, führt in der Regel keinen Krieg. Eine wunderbare Idee, die nur leider nicht an die heutigen Gegebenheiten und Entwicklungen angepasst wurde. Heute sind immer mehr Menschen mobil, die Bewohner großer Länder wie China fliegen um die Welt, weil sie es sich inzwischen leisten können. Hinzu kommt natürlich die politische Steuerung. Kerosin wird nicht besteuert und unterliegt auch keiner Mehrwertsteuer. 

Wer seine CO2-Bilanz verbessern will, muss Flüge minimieren

?  Internationale Flüge sind mehrwertsteuerfrei?

!   Und werden subventioniert. Rein hypothetisch: Wer heute in Berlin ein Luftfahrtunternehmen gründen und Nonstop-Flüge nach Chicago, New York oder Washington anbieten würde, der bekommt dafür Geld vom Berliner Senat. Warum? Weil Berlin die einzige Hauptstadt ist, die keinen Nonstop-Flug in die USA anbietet. Der letzte Nonstop-Flug ist mit Air Berlin untergegangen. Unglaublich, aber wahr.

 ? Abgesehen von der Peinlichkeit, dass Berlin den BER nicht fertigstellen kann …  

!  … abgesehen davon, dass die Wachstumszahlen international gesehen explodiert sind, soll weitergeflogen werden. Der Einfluss des Flugverkehrs ist beim Weltklimaproblem allerdings übersichtlich – bei den CO2-Werten beträgt er etwa vier Prozent. Wer sich seine individuelle Klimabilanz mal anschaut, dem wird aber auch schnell klar, wo er steht und wie viel er zum schlechten Klima beiträgt. Ein Flug in die Karibik ist fast genauso CO2-schädlich wie vier Jahre Autofahren. Wer seine CO2-Bilanz verbessern will, muss Flüge minimieren oder gar nicht mehr fliegen. 

 ? Und die Flugpreise werden durch den Konkurrenzdruck unter den Airlines immer billiger. 

!  Das ist skandalös. Von München nach Berlin fliegt man mit der Lufthansa für 48 Euro. Der Flug ist unter Umständen günstiger als die Taxifahrt zum Flughafen. Wir brauchen auch hier dringend ein Umdenken.

Vor allem die Bundesregierung sollte ein Signal setzen

?  Große Unternehmen gehen inzwischen dazu über, wichtige Meetings nicht mehr an einem Ort zu veranstalten, sondern per Videokonferenz. Ist das der richtige Weg?

!  Es ist ein Anfang. Universitäten analysieren ihre vielen Flugbewegungen inzwischen ebenfalls und suchen nach Möglichkeiten, sie einzudämmen. Vor allem die Bundesregierung sollte ein Signal setzen und darüber nachdenken, ob es 30 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch Ministerien in Bonn geben muss und die Beamten mehrfach in der Woche hin- und herfliegen sollten. Lösungen lassen sich finden, wenn man Lösungen will. 

?  Geben Sie uns zum Schluss bitte noch einen Ausblick. Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus – in den nächsten Jahren und Jahrzehnten?

!  Menschen müssen und werden kein eigenes Auto mehr besitzen. Alle Fahrzeuge, die zugelassen werden, haben keine Verbrennungstechnologie mehr, denn es spart Geld und ist für die Umwelt viel nutzbringender. Die Last an „Blechbüchsen“, die uns immer mehr Probleme bereitet, wird sich reduzieren, sodass die durch Autos „okkupierten Flächen“ sinnvoller genutzt werden können.

Das Interview führte Bettina Schellong-Lammel

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