Eigentlich sollten Google und weitere Tech-Konzerne den Medien in Europa Geld für die Nutzung ihrer Inhalte zahlen. Doch während die Presse anderswo Millionen an Lizenzgebühren kassiert, kommt hierzulande wenig an. Das Nachsehen haben insbesondere Journalisten.
Die Bundesregierung jubelt. Der Bundestag hat das neue Urheberrecht beschlossen. Deutschland wird „fit für das digitale Zeitalter“, sagt Christine Lambrecht. Es ist der Sommer 2021. Nachdem die Urheberrechtsreform auf EU-Ebene erbittert umkämpft war, geht die deutsche Umsetzung fast geräuschlos über die Bühne. Das Gesetz schaffe einen „fairen Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten“, verspricht die damalige Bundesjustizministerin. Soweit die politische Ankündigung. Doch die Realität ist komplizierter.
Die Urheberrechtsreform führt auch das umstrittene Leistungsschutzgesetz ein. Mal wieder: In Deutschland ist so ein Gesetz bereits 2013 verabschiedet worden und gescheitert. Diesmal soll es anders sein: In Zukunft müssen Google und andere Internetkonzerne europaweit Geld an Presseverlage zahlen, wenn sie Vorschautexte von Nachrichtenmedien in Suchergebnissen anzeigen. Die Vergütung dafür soll Millionen Euro in die Taschen der Medien spülen, dafür hatte die Branche kräftig lobbyiert. Ein Ausgleich dafür, dass sie im Internet so wenig vom Werbekuchen abbekommt, den die Silicon-Valley-Riesen unter sich aufteilen.
Zugleich verhandeln die Verlage einen weiteren Ausgleich in das Gesetz: Sie sollen zukünftig wieder an den Urheberrechtseinnahmen ihrer Autoren aus der Kopiervergütung beteiligt werden, was zuvor vom Bundesgerichtshof gekippt wurde. Im Gegenzug kriegen die Journalisten einen „angemessenen“ Anteil aus dem neuen Leistungsschutzrecht, mindestens ein Drittel. So steht es im Gesetz: Google zahlt, die Verlage kassieren, und auch die Journalisten profitieren.
Doch dass besonders viel Geld bei ihnen ankommt, darauf dürfen die Journalisten in Deutschland nicht hoffen. Die Umsetzung des Leistungsschutzrechts stockt. Einige Verlage streiten noch mit Google über die Höhe einer angemessenen Vergütung. Andere große Häuser machen inzwischen lukrative Nebengeschäfte mit Google, lassen sich aber beim Leistungsschutzrecht mit verhältnismäßig kleinen Beträgen abspeisen. Solche Einzeldeals könnten die Branche teuer zu stehen kommen. Googles Teile-und-Herrsche rüttelt an dem Versprechen eines „fairen Ausgleichs“ zwischen allen Beteiligten.
Kleiner Geldsegen aus der Blackbox
Zwar haben nach Angaben von Google inzwischen 400 Medien in Deutschland bereits Lizenzverträge mit dem Konzern abgeschlossen und empfangen Geld aus dem Leistungsschutzrecht. Darunter finden sich große Namen wie der Spiegel, die Zeit, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die SZ, aber auch Regionalverlage wie die Funke Mediengruppe und Madsack oder kleinere Medien wie Celebrity News. Doch während in Frankreich, das die EU-Urheberrechtsrichtlinie als Erstes umgesetzt hat, an einzelne Medien Millionenbeträge fließen, kommen in Deutschland selbst große Verlagshäuser nicht über ein paar hunderttausend Euro pro Jahr hinaus. Das erzählen Verlagsmanager, die nicht öffentlich über das Thema sprechen wollen. Genaue Beträge legen weder Google noch die Verlage offen.
Googles Instrument zur Begleichung des Leistungsschutzrechts heißt „Extended News Previews“. Auf Anfrage betont das Unternehmen, dass es sich hierbei um „freiwillige“ Lizenzverträge „für bereits vorhandene Vorschauen von Presseinhalten“ handele, „obwohl das neue Leistungsschutzrecht dies für diese sehr kurze Textausschnitte möglicherweise nicht einmal verlangt“. Tatsächlich stellt das EU-Urheberrecht reine Links und im Rahmen einer Snippet-Ausnahme auch „sehr kurze“ Auszüge von der Zahlungspflicht frei, ohne zu definieren, was genau das bedeutet.
Bei „Extended News Preview“ einigen sich Verlage mit Google auf einen Betrag, für den der Konzern weiterhin Teaser zu ihren Inhalten in seiner Suche anzeigen darf. Wobei das Wort „einigen“ den falschen Eindruck vermittelt: „Ich wüsste nicht, dass ein deutscher Verlag Erfolg bei dem Versuch gehabt hätte, hier mehr zu verhandeln“, erzählt uns der Geschäftsführer eines der größten deutschen Online-Medien.
Medienmanagern zufolge beruft Google sich auf ein „Auszahlungs-Tool“, das die Ansprüche der einzelnen Medien errechne. Wie genau das funktioniert, das weiß nur Google. Sie wüssten lediglich, dass es Faktoren gebe, erzählen uns Geschäftsführer. Erstens, wie viel Reichweite erhält eine Website via Google? Zweitens, wie viele Artikel der Website erscheinen in einem werberelevanten Suchumfeld, in dem tatsächlich Anzeigen geschaltet und Umsätze generiert werden? Und als Drittes ein Sockelbetrag je nach Größe des Mediums. Überprüfen können die Verlage die Berechnung nicht.
Google betont auf Anfrage, seine Berechnungen beruhten auf „einheitlichen Kriterien“. Dazu zähle „wie oft eine Nachrichtenwebsite angezeigt wird und wie viel Werbeeinnahmen auf Seiten generiert werden, die auch Vorschauen von Nachrichteninhalten anzeigen“. Genauer erklären will es der Konzern nicht.
Ein Streit, der Jahre überdauert
Mit Google um Geld zu streiten, ist Teil der politischen Identität einiger Verlage. Bereits 2009 rief der Kongress des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zum Kampf für ein Leistungsschutzrecht auf. Die Regierung von Angela Merkel unterstützte die Verlage dabei – gegen die Warnungen von Stimmen aus der Branche und der Zivilgesellschaft. Die Kritik: Das Leistungsschutzrecht schade dem freien Informationsfluss im Netz, weil es mit der Artikel-Vorschau auch Verlinkungen dem Urheberrecht unterwerfe und damit eines der Grundprinzipien des offenen Netzes gefährde. Darüber hinaus würden davon am Ende vor allem Branchengrößen profitieren, die dadurch gleichzeitig abhängiger von Googles Geld würden.
EU und Bundesregierung versprachen, die Kritik bei der Neuauflage des Leistungsschutzrechts zu berücksichtigen. Doch davon sei nicht viel zu merken, sagt Till Kreutzer, Urheberrechtsexperte bei iRights.Law. Das Leistungsschutzrecht bringe „jede Menge Rechtsunsicherheit“, weil zentrale Begriffe undefiniert blieben. So etwa die Frage, wie lang und was genau eigentlich Vorschautexte sind, die Internetdienste auch ohne Gebühr anzeigen dürfen. Solche Unsicherheiten und damit verbundene Gerichtsverfahren könnten Großkonzerne gut aushalten, für kleinere Dienste und Startups, die den Markt mit Konkurrenz beleben könnten, sei das jedoch ein „Killer“.
„Man tut immer so, als ob das Gesetz nur den Markführer Google beträfe, aber es bezieht sich nicht nur auf Suchmaschinen, sondern beispielsweise auch den sehr diversen Markt der News-Aggregatoren“, kritisiert der Jurist. Jetzt auf die Umsetzung und Auswirkungen des neuen Urheberrechts zu schauen, sei deshalb besonders wichtig, so Kreutzer. „Das Leistungsschutzrecht ist gekommen, um zu bleiben. Damit müssen wir jetzt leben.“
Dass das so kam, war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Nach der ersten Einführung 2013 knickten die Verlage innerhalb einer Woche ein. Google hatte angedroht, ihre Websites schlicht bei Google News rauszuwerfen, wenn sie auf Vergütung ihrer Inhalte beharrten.
In den folgenden Jahren startete Google eine 150 Millionen Euro schwere Charmeoffensive bei den europäischen Verlagen. Mit Geldgeschenken in Form von Projektförderungen wollte der Konzern neue Anläufe für ein Leistungsschutzrecht oder „Google-Steuern“ abwenden. Doch die Scheckbuchdiplomatie der „Google News Initiative“ half wenig – 2019 verabschiedete die EU ihre Urheberrechtsrichtlinie, die auf Druck der Verlagsbranche auch ein europaweites Leistungsschutzrecht enthielt. Diesmal sollte Google tatsächlich gezwungen werden, einen Teil seiner Werbeeinnahme an Medien abzutreten.
Gelungen ist das in Frankreich. Dort stimmte Google im Juni diesen Jahres Zahlungen an rund 120 Verlagshäuser zu. Der Konzern, der sich zunächst geweigert hatte, entgeht damit einer Wettbewerbsstrafe von 500 Millionen Euro. Die genaue Höhe der nun vereinbarten Zahlungen an die Verlage ist nicht bekannt. Doch einzelne Verträge lassen vermuten, dass französische Häuser deutlich mehr Vergütung aus dem Leistungsschutzrecht bekommen als deutsche. So erhält die Le-Monde-Gruppe für 2022 rund 1,5 Millionen Euro von Google. Das zeigt der Vertrag, der hier im Volltext zu lesen ist.
Rechtsstreit vorprogrammiert
Während in Deutschland einzelne Verlage eher keine Millionenbeträge aus dem Leistungsschutzrecht erhalten, stellt eine Gruppe von Pressehäusern unter Führung des Axel-Springer-Verlags saftige Forderungen. Die Verwertungsgesellschaft Corint Media fordert im Namen der Branche elf Prozent der gesamten Werbeeinnahmen des Konzerns in Deutschland – 1,2 Milliarden Euro. Da Corint rund ein Drittel der Verlage vertritt, wären das allein für diese Häuser rund 420 Millionen Euro. Nach Schätzungen von Corint bietet Google hingegen allen deutschen Verlagen insgesamt rund 10 Millionen Euro. Das ist eine riesige Kluft – ein langer Rechtsstreit ist vorprogrammiert.
Wer überhaupt eine Vergütung nach dem Leistungsschutzrecht bekommen soll, ist rechtlich äußerst vage definiert. Praktisch fällt darunter jede Nachrichtenseite, die sich als journalistisches Medium bezeichnet und regelmäßig Artikel veröffentlicht. Google selbst beklagt bei einem Lobbytreffen mit der EU-Kommission, es fehle eine klare Definition, wer eine „Presseveröffentlichung“ („Publisher“) im Sinne des Gesetzes sei – daher wäre es „manchmal schwierig herauszufinden, wer potenzielle Leistungsberechtigte sind“. Öffentlich wird dieser Satz durch Gesprächsnotizen der Kommission, die die NGO Global Witness angefragt hatte. Die Kommission erwidert, dass es an der Branche liege, selbst Standards zu setzen.
Google fordert nach eigenen Angaben anspruchsberechtigte Medien dazu auf, Verträge für „Extended News Previews“ abzuschließen. Wen er dazu eingeladen hat, verrät der Konzern nicht. In der Branche wird spekuliert, dass grundsätzlich alle bei Google News vertretenen Quellen ein Angebot erhalten. Damit haben allerdings womöglich auch rechte Portale wie „Achse des Guten“ und „Tichys Einblicke“ Anrecht auf eine Vergütung. Google antwortete nicht auf unsere Anfrage, ob auch Medien, die regelmäßig Falschinformationen verbreiten, Geld aus dem Leistungsschutzrecht erhalten.
Lesen Sie den ganzen Artikel im aktuellen Heft.
Ingo Dachwitz ist Kommunikationswissenschaftler und seit 2016 Redakteur bei netzpolitik.org. Er schreibt und spricht über Datenpolitik, Überwachungskapitalismus und den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Er moderiert Diskussionen, gibt Workshops für junge und ältere Menschen in digitaler Selbstverteidigung und lehrt gelegentlich an Universitäten zur politischen Ökonomie digitaler Medien. Er ist Co-Autor der Studie „Medienmäzen Google“ über Journalismus-Förderungen des Konzerns. Ingo Dachwitz ist Mitglied des Vereins Digitale Gesellschaft.
Alexander Fanta berichtet als EU-Korrespondent von netzpolitik.org über die Digitalpolitik der Europäischen Union. Er schreibt über neue Gesetze und recherchiert investigativ über große Technologiekonzerne und ihr Lobbying. Er ist Co-Autor der Studie „Medienmäzen Google“ über Journalismus-Förderungen des Konzerns. 2017 war er Stipendiat am Reuters-Institut für Journalismusforschung an der Universität Oxford, wo er zur Automatisierung im Journalismus forschte – davor Außenpolitikjournalist bei der österreichischen Nachrichtenagentur APA.
Ähnliche Beiträge
Neueste Beiträge
Trump oder Harris – wie wählt Arizona?
Spiegel- Chefredakteur Dirk Kurbjuweit wünscht seinen Lesern zwei Tage vor den US-Wahlen einen erholsamen Sonntag. Zuvor beschrieb er den aktuellen Wochentitel „Es geht um alles“ des SPIEGEL als Untergangsszenario. „Sollte Trump in der kommenden Woche gewinnen, wird die Welt eine andere sein“, schrieb Kurbjuweit. Ein…
Medialer Aufbruch vor 35 Jahren
Von Heiko Hilker Von außen schien es unerklärlich: Medien, denen man vor Monaten nicht getraut hatte, wurden plötzlich massenhaft gelesen, gesehen oder gehört. Dabei hatte es in den Redaktionen nur wenige Veränderungen gegeben. Doch im Herbst 1989 reformierten sich viele DDR-Medien schnell und von innen…