Wo sind sie eigentlich, die guten Nachrichten? Gute Frage. Eine Antwort darauf halten Sie gerade in den Händen: Das Medienmagazin NITRO hat 18 wilde Jahre durchgehalten. Ich selbst durfte in den vergangenen sieben Jahre mitwirken. Ein guter Zeitpunkt, um einmal abzuklopfen, ob sich bei dem Vermeldeten in den Ausgaben der letzten Jahre etwas zum Guten verändert hat.
Wir legen ja oft und gerne den Finger in die Wunde, aber wir freuen uns auch, wenn sich etwas bewegt. NITRO begleitet Medien noch immer kritisch, aber nicht ausschließlich. Längst haben wir auch gesellschaftliche und politische Entwicklungen im Blick und sind dabei für manchen unbequem. Nun möchte ich den Einfluss, den ein kleines Berliner Medienmagazin hat, nicht größer machen, als er ist, aber wir sind ganz nah dran, verdammt nah – an den Berufspolitikern. Schließlich bekommt jede(r) Bundestagsabgeordnete eine NITRO-Ausgabe in sein Postfach. Ob das NITRO-Magazin dann gelesen wird, wissen wir natürlich nicht, aber ganz ehrlich: Was spricht dagegen?
Also Butter bei die Fische, Karten auf den Tisch, Fakten, Fakten, Fakten: Was hat sich seit dem einen oder anderen von mir verfassten Beitrag verändert? Beginnen wir mit unserem ureigensten Thema – den Medien.
NITRO-Urgestein, Bildchef und Fotograf Bernd Lammel, hatte 2017 die BBC World News in London besucht und eine große Reportage mitgebracht. Ich habe mir dazu die Geschichte der gesamten BBC angesehen und analysiert, wie es um „Old Auntie BBC“ im digitalen Zeitalter steht. (Big, bigger, BBC; NITRO 4-2017 Elitejournalisten).
Die BBC war in jenem Jahr mal wieder angehalten zu sparen, unter den Tories-Regierungen galt die Sendergruppe als linkslastig und unbequem. Schon im Herbst 2010 beschloss der damalige Premierminister James Cameron, die Rundfunkgebühr einzufrieren, die Rundfunkanstalt musste sich etwas einfallen lassen, was sie auch tat. Zum Zeitpunkt unserer Berichterstattung war die BBC finanziell sogar recht gut aufgestellt, denn die auf dem gesamten Erdball vertriebenen BBC World News spülten über Lizenzgebühren aus dem Ausland und durch mehr als eine Milliarde Euro in die Kassen. Doch das reicht aktuell nicht mehr. Im Januar 2022, im Jahr des 100. Geburtstags der BBC, verordnete die damalige Kulturministerin Nadine Dorries die jüngste Einsparmaßnahme – 337 Millionen Euro weniger soll die Rundfunkanstalt ausgeben. Die BBC selbst rechnet inflationsbedingt mit Einnahmeverlusten von bis zu zwei Milliarden Euro in den kommenden Jahren. Die BBC wird dies – wie bisher – vor allem durch Angebotsreduzierung und Konsolidierungsmaßnahmen umsetzen, und auch das Personal wird weniger. In den vergangenen zwei Jahren verließen bereits 1200 Mitarbeiter das Haus. Darüber hinaus hat der Ruf der British Broadcasting Corporation Schaden genommen. Die BBC muss sich mit dem Vorwurf der „False Balance“ auseinandersetzen. Die Ursache liegt in der Berichterstattung zum Brexit. Tatsächlich hatte der Sender bei Diskussionen um den Austritt aus der Europäischen Union stets auch Ökonomen zu Wort kommen lassen, die behaupteten, dass das Ausscheiden aus der EU (Januar 2020) die britische Wirtschaft beflügeln würde. Das Problem dabei: Es gab kaum Fachleute, die davon überzeugt waren.
Die ehemalige BBC-Mitarbeiterin Emily Maitlis sagte dazu gegenüber der ARD: „Unsere Producer brauchten keine fünf Minuten, um 60 Wirtschaftswissenschaftler zu finden, die den Brexit kritisierten. Und es waren fünf Stunden nötig, um eine einzige Stimme zu bekommen, die dem widersprach. Aber als wir auf Sendung gingen, hatten wir einen von jedem Standpunkt.“ Eine „falsche Ausgewogenheit“ also, die der BBC bis heute nachhängt.
Trotzdem halten nach einer Umfrage von 2021 mehr als 65 Prozent der Engländer die „Alte Tante“ weiterhin für vertrauenswürdig. Immerhin liegt das – besonders von der Johnson-Regierung favorisierte – Abo-Modell bis 2027 auf Eis, dann muss die Royal Charter über die BBC erneuert werden. In diesem Fall würden keine Gebühren mehr von jedem Bürger erhoben, sondern man müsste sich freiwillig für die BBC entscheiden. Die Sendeanstalt stünde dann in Konkurrenz zu Spotify, Netflix und Co. Bis dahin können noch viele Regierungen in Großbritannien kommen und gehen, wie wir jüngst gelernt haben. Da passt es, dass die BBC zu alter Stärke zurückfindet.
Die Leiterin des ARD-Studios in London, Annette Dittert, stellte in einem Gespräch mit der Tagesschau fest, dass die Journalisten der BBC in Interviews mit Politikern wieder mutiger und frecher werden. Die Zeit der „False Balance“, sie scheint vorbei zu sein; die BBC hat zu alter Form zurückgefunden und ist bis mindestens 2027 für jeden Briten zu empfangen. Das sind gute Nachrichten.
In NITRO 1-2018 „Digitalisierung“ prophezeite ich, dass wir in Zukunft unsere Turnschuhe am PC konfigurieren und im Adidas-Werk in Ansbach oder Atlanta (USA) „ausdrucken“ lassen können. Daraus wurde nichts – zumindest nicht auf Dauer. Bereits im April 2020 machte der fränkische Sportartikelhersteller seine sogenannten „Speedfactories“ dicht. Diese waren Teil der globalen Strategie von Adidas, die Produktion und den Vertrieb zu dezentralisieren, da es in der Lieferkette immer wieder zu Engpässen kam. Letztendlich war aber die vollautomatisierte Produktion wohl doch aufwändiger als gedacht. Es ist offenbar immer noch billiger und effizienter, Niedriglöhner in Entwicklungsländern zu beschäftigen und die Modetreter in die ganze Welt zu verschiffen. Immerhin kommen die Maschinen nicht auf den Schrott, sondern Teile der Speedfactories sollen in Asien weitergenutzt werden.
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