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Migration macht uns aus
(c) Universität Dallas, Texas
Medien

Migration macht uns aus 

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Menschen migrieren, seit es sie gibt. Und mit den Menschen migrieren Ideen. Wenn Menschen zusammenkommen, entstehen durch Austausch unterschiedlicher Erfahrungen neue Ideen, die es uns erlauben, dass wir uns an eine Umwelt anpassen, die sich ständig verändert. In diesem Sinne ist Migration die Basis dessen, was wir heute sind. Man könnte sagen, Migration in Raum und Geist macht uns aus. Migration erzeugt Vielfalt und kulturellen Reichtum.

Diejenigen, die aus Furcht vor der Vielfalt und der Veränderung am liebsten in „vorgestellt ewigen Gemeinschaften“ leben würden, sollten sich bewusst machen, dass unsere Kultur auch auf lokaler Ebene das Resultat von Austausch und Migration ist. Die Hefe im Bier am Stammtisch in München kommt aus Patagonien. Die Paprika im ungarischen Gulasch ist aus Südamerika, genau wie der Chili im asiatischen Gericht. Der Pfeffer ist aus Indien. Und die Seide kam in der Antike aus China über Palmyra in Syrien. Für bayerische Knödel in Texas verwendet man am besten mexikanische Semmeln mit österreichischen Wurzeln. Den französischen Toast und den Baumkuchen kauft man in den USA in der japanischen Bäckerei im koreanischen Supermarkt. Und viele der wissenschaftlichen Ideen, auf die wir täglich vertrauen, etwa die Null in der Mathematik, haben wir geerbt von Wissenschaftlern aus der islamischen Welt, die weltoffener waren als weite Teile des christlichen Europa. Man könnte einfach das Magazin füllen mit derlei Anekdoten. Aus der Vielzahl solcher Einzelbeispiele ergeben sich quantitative Muster, deren Verständnis in der gegenwärtigen Debatte von Nutzen ist.

Ein Netzwerkansatz der Kulturgeschichte
Bereits seit 1885 kennt man sogenannte Gesetze der Migration, das heißt quantitativ nachweisbare, gleichbleibende Muster menschlicher Wanderung. Erstmals vorgestellt wurde eine Reihe solcher Gesetze von Ernst Georg Ravenstein, einem deutsch-englischen Geographen, selbst Migrant, basierend auf Volkszählungen in Großbritannien. Heute werden solche quantitativen Muster auf der Ebene von Individuen erforscht, basierend auf gebuchten Flugtickets, Pendlerbewegung zwischen Wohnung und Arbeit, Mobilfunkdaten sowie Logdaten aus sozialen Netzwerken. In einer Welt mit mehr als sieben Milliarden Menschen, deren Anzahl schneller wächst als exponentiell, ist solche Forschung zu Mobilität und Migration notwendig, um Verkehrsstaus, die Ausbreitung von Krankheiten und andere kulturelle Dynamiken besser zu verstehen. Es ist diese Situation, die uns dazu bewegt hat, kulturelle Migration über längere Zeiträume zu untersuchen. Handys, Internet und GPS gibt es schließlich erst im letzten Wimpernschlag unserer Geschichte, und auch systematische Volkszählung gibt es im Glücksfall, wie in den USA, erst seit 1790, oft aber nur über ein paar Jahrzehnte, und immer nach Nationen getrennt. Die Visualisierungen auf den vorhergehenden Seiten entstanden im Rahmen eines Projekts, das diese zeitliche Begrenzung durchbrechen sollte, was uns, im August 2014 in Science Magazine publiziert, auch gelang. Basierend auf einer Reihe großer Datensätze zu Geburt und Tod historischer Persönlichkeiten der letzten 2 500 Jahre konnten wir die Gesetze der Migration über mehr als 800 Jahre statistisch nachweisen (Artikel und Daten sind über www.cultsci.net frei zugänglich).

Die Gesetze der Migration
Zu den nachgewiesenen quantitativen Mustern gehört, dass die Anzahl der Orte langsamer wächst als die Anzahl der Menschen. Die extrem ungleiche Größenverteilung kultureller Zentren ähnelt der Popularitätsverteilung und Dynamik von Webseiten im World Wide Web. Zudem konnten wir nachweisen, dass die große Mehrheit der Menschen seit jeher innerhalb weniger hundert Kilometer vom Geburtsort stirbt, während ein geringerer aber gleichbleibender Teil sich über weite Strecken bewegt. In einfachen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, als gebürtiger Bayer in Guam südlich von Japan zu sterben, ist noch immer mehr oder weniger gleich groß wie im frühen 17. Jahrhundert. Globalisierung zeichnet sich weniger durch generelle Wahrscheinlichkeit der Migration aus als durch Frequenz und Geschwindigkeit. Dazu kommt natürlich das rasante Wachstum der Weltbevölkerung, wodurch immer massivere Migrationsbewegungen entstehen. Durch dieses radikale Wachstum verändern sich auch die Möglichkeiten radikal, sowohl positiv in der Ausbreitung von Ideen und Gütern wie negativ im Fall von Krankheiten.

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