Die goldene Kuppel der Synagoge gehört zu den Wahrzeichen der Berliner Mitte. Anknüpfend an die Tradition der Neuen Synagoge versteht sich die Stiftung Neue Synagoge Berlin − Centrum Judaicum als Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Ein „Bet-ha-Knesset“, eine Synagoge, war immer nicht nur Betstätte, sondern auch Versammlungshaus, Lehr- und Lernstätte. Das Centrum Judaicum hat in diesem Sinne die Aufgabe, die Geschichte der Juden in Berlin und seinem Umfeld aufzuarbeiten. Es will an die Leistungen der jüdischen Bevölkerung erinnern und das Gedenken an die jüdischen Opfer bewahren. Es archiviert die entsprechenden Dokumente, arbeitet sie auf und publiziert sie. Dazu arbeitet die Stiftung mit anderen jüdischen wie nichtjüdischen Institutionen zusammen. Wechselnde Ausstellungen sollen über die ständige Präsentation hinaus bewirken, dass jüdische Geschichte plastisch und begreifbar wird. Das Centrum Judaicum ist eine Informationsstelle für jüdisches Leben und sieht sich als Brücke zwischen ost- und westeuropäischem Judentum, indem es jüdische Positionen zu Themen unserer Zeit formuliert. NITRO sprach mit Dr. Hermann Simon, Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin − Centrum Judaicum, über jüdisches Leben in Berlin.
Meine Mutter war also Repressalien der Nazis ausgesetzt
? Herr Dr.Simon, bei Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933 lebten in Berlin über 160 000 Juden. Auch Ihre Großeltern und Ihre Mutter, die damals Anfang 20 war. Wie haben sie überlebt? Wer half Ihnen?
! Sowohl mein Vater als auch meine Mutter hatten das Glück, sich retten zu können. Sonst würde ich ja gar nicht existieren. Während mein Vater noch nach Kriegsausbruch emigrieren konnte, hat meine Mutter das aus vielen Gründen nicht geschafft. Sie war also den Repressalien der Nazis ausgesetzt, musste unter anderem Zwangsarbeit leisten. Im Juni 1942 entzog sie sich der geplanten Verhaftung durch die Gestapo und lebte fortan im Untergrund. Ihre Lebensgeschichte wird im März 2014 im S. Fischer Verlag erscheinen.
? Von den 160 000 Juden in Berlin erlebten nur 8 000 im Mai 1945 die Befreiung. Wie viele verließen danach Deutschland, wie viele blieben in Berlin?
! Genaue Zahlen anzugeben, ist sehr schwierig. Die 8 000, die es in der unmittelbaren Nachkriegszeit gab, waren zum geringsten Teil Berliner Juden. Ein großer Teil von diesen meist aus Ost- und Mitteleuropa stammenden Menschen verließ bald Deutschland in Richtung Erez Israel und USA.
Die Eheleute Nelly und Erich Cohn sind feste Größen meiner Kindheit
? Wer half den Überlebenden nach dem Krieg?
! Zunächst bildeten sich um die Synagogen verschiedene Anlaufstellen, wo man sich registrieren lassen konnte. So entstanden Verzeichnisse der Überlebenden, die später auch in der Emigranten-Zeitung Aufbau gedruckt wurden. Diese Zeitschrift erschien in New York in deutscher Sprache. Die Jüdische Gemeinde wurde von internationalen jüdischen Organisationen unterstützt. Auch die vier Mächte halfen.
? Stellten sich die Deutschen ihrer Verantwortung gegenüber den Überlebenden?
! Manche ja, manche nein. Nach meiner Kenntnis hatten es die Überlebenden nicht leicht. Die Ämter waren ihnen nicht unbedingt freundlich gesonnen. Dort saßen ja dieselben Sachbearbeiter wie vorher.
? Die aktuelle Ausstellung „Bleiben?! Juden im befreiten Berlin“ beschäftigt sich mit dem Versuch der Überlebenden des Holocaust, ein neues Leben aufzubauen und porträtiert Menschen, die blieben und damit den Grundstein für ein neues jüdisches Leben in Berlin legten. Welche dieser Persönlichkeiten sind Ihnen besonders nahe?
! Das kann man schwer, das kann ich schwer sagen. Nahe sind mir natürlich die, die ich besonders gut kannte. Die Eheleute Nelly und Erich Cohn sind feste Größen meiner Kindheit und sind mir ganz deutlich in Erinnerung. Später – als Student – lernte ich den Pankower Glasermeister Selbiger kennen, den wir in der Ausstellung porträtiert haben. Es ist schon spannend, Menschen die man persönlich kennt oder kannte, dann in Akten zu begegnen und über sie zu forschen.
Veranstaltungen des Centrum Judaicum oder der Jüdischen Gemeinde
? Wie kann man sich nach all diesen Verbrechen dazu entschließen, in Deutschland zu bleiben?
! Man kann, beziehungsweise man konnte, und zwar immer wissend, dass es doch auch Menschen gab, die den Verfolgten geholfen haben.
? Wo ist jüdisches Leben heute in Berlin sichtbar und mitzuerleben ?
! Die Frage ist doch, wie Sie jüdisches Leben definieren. Mitzuerleben ist es zum Beispiel bei den verschiedensten Veranstaltungen des Centrum Judaicum oder der Jüdischen Gemeinde. Alljährlich finden die Jüdischen Kulturtage statt, die von tausenden Menschen besucht werden. Die über 15 000 Israelis, die hier leben, bringen die israelische Kultur hier ein.
? Ist die jüdische Religion, die schriftliche und mündliche Lehre, noch tief in den Menschen verwurzelt?
! Bei manchen ja, bei manchen nein. Judentum, so hat mal jemand formuliert, ist keine „Kochtopfreligion“. Er erklärte mir dann: Man schaut nicht dem Nachbarn in den Kochtopf. Jeder kann das handhaben wie er will. Das Spektrum reicht von orthodox bis liberal.
Ich bin sicher, dass die Mehrheit nicht antisemitisch denkt
? Ist Antisemitismus im täglichen Leben immer noch spürbar?
! Menschen, die antisemitische Vorurteile haben, gibt es vermutlich in allen Ländern Europas, und nicht nur dort. Die Frage ist doch, wie sieht der Mainstream aus. Und ich bin sicher, dass die Mehrheit nicht antisemitisch denkt.
? Bereiten Ihnen solche Übergriffe wie letztes Jahr auf Rabbiner Daniel Alter Sorge?
! Ja. Beruhigend ist aber, wie viel Solidarität Herr Alter erfahren hat.
? Die Presse berichtet immer wieder darüber, wie tief zerstritten die Jüdische Gemeinde in Berlin sein soll. Ist das wirklich so?
! Ja, so ist es, aber die Probleme sind nicht unlösbar. Sie sind vor allem dann lösbar, wenn man sich klar macht, mit welchen Problemen die Generation vor mir zu kämpfen hatte.
? Fühlen Sie sich heute in Berlin zu Hause?
! Ja, ich fühle mich in Berlin zu Hause. Ich bin hier geboren, kenne die Stadt bestens und spreche die Sprache.
? Was bedeutet Heimat für Sie?
! Heimat bedeutet für mich Berlin. Oder Berlin bedeutet für mich Heimat.
Das Gespräch führten Bettina Schellong-Lammel und Heide-Ulrike Wendt.
Geschichte der Synagoge Berlin
Zum jüdischen Neujahrsfest 1866 wurde die Neue Synagoge feierlich eingeweiht. Die bis dahin einzige Gemeindesynagoge in der Heidereutergasse reichte für die rasch wachsende jüdische Bevölkerung der Stadt schon seit geraumer Zeit nicht mehr aus. Mit ihren 3200 Sitzplätzen war die Neue Synagoge nun das größte jüdische Gotteshaus Deutschlands.
Der Gottesdienst in der Synagoge folgte dem sogenannten Neuen Ritus. 1868 wurde eine Orgel eingebaut. Der Berliner Architekt Eduard Knoblauch (1801-1865) ließ sich bei seinem Entwurf von dem maurischen Stil der Alhambra in Granada inspirieren. Die von vergoldeten Rippen überzogene Kuppel war mehr als 50 Meter hoch und wurde durch die Anwendung modernster Bautechniken über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt.
Während des Novemberpogroms 1938 wurde die Neue Synagoge vor größeren Schäden bewahrt. Im Zweiten Weltkrieg jedoch wurde sie von Bomben schwer beschädigt.
Als man später, im Jahre 1958, den Synagogenhauptraum sprengte, standen nur noch die an der Straße gelegenen Gebäudeteile. Im Mai 1995 wurde das Gebäude mit der ständigen Ausstellung “Tuet auf die Pforten” wieder geöffnet. Im Juli 1988 wurde die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum ins Leben gerufen mit der Aufgabe „ die Neue Synagoge in der Berliner Oranienburger Straße für gegenwärtige und künftige Generationen als bleibendes Mahnmal wiederaufzubauen und ein Zentrum für die Pflege und Wahrung jüdischer Kultur zu schaffen.“Am 10. November 1988 wurde symbolisch der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt. Die Stiftung ließ in den nächsten sieben Jahren von der Synagoge nur das aufbauen, was noch vorhanden war. Dabei sollten die Narben, die die Geschichte verursacht hat, deutlich zu sehen sein. Dazu gehörte auch die Gestaltung der Fläche, die nach dem Abriss des Hauptraums der Synagoge 1958 entstanden war. Hier wurden die frühere Innenwand und die letzten Reste Mauerwerk, die in den Hauptraum der Synagoge führte, durch eine gläserne Konstruktion geschützt. Der Umriss des Baus sowie die tragenden Pfeiler, auf denen einst die Frauenempore und der Umgang für die Orgel ruhten, wurden durch eingelassene Granitplatten auf dem Erdboden gekennzeichnet.
Am Abend des 7. Mai 1995 fand die feierliche Eröffnung in Anwesenheit des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers, des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie den Vertretern Berlins und der Berliner Jüdischen Gemeinde statt.
Das Archiv der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum wird seit 1990 kontinuierlich aufgebaut. Gegenwärtig umfasst es rund 400 laufende Meter Archiv- und Sammlungsgut, rund 2 500Mikrofilme sowie über 10 300Mikrofiches.
Ausstellung:
Die Novemberpogrome 1938 in Diplomatenberichten aus Deutschland 12. November 2013 bis 11. Mai 2014 75 Jahre nach den Pogromen widmet sich die Ausstellung den Berichten ausländischer Diplomaten über die Ereignisse im November 1938. Wie schilderten die Vertreter anderer Staaten den Ausbruch offener Gewalt gegen die Juden in Deutschland? Wer waren die Verfasser der Berichte? Und wie reagierte das Auswärtige Amt auf Interventionen ausländischer Missionen? Dokumente aus über 20 Ländern werfen ein neues Licht auf die Diplomatiegeschichte des Jahres 1938. Sie zeigen, wie die Pogrome international wahrgenommen und wie von Innen nach Außen berichtet wurde.
Bettina Schellong-Lammel
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