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UTOPIE Verkehrswende
Für dialogische Nachhaltigkeit
© Bernd Lammel
In Zukunft nachhaltig

Für dialogische Nachhaltigkeit 

Professor Doktor Günther Bachmann leitete fast 20 Jahre als Generalsekretär die Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) in Berlin. Deren Aufgabe ist es, die Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeit zu beraten und zu unterstützen. Bachmann ist Nachhaltigkeits- und Umweltwissenschaftler und auch nach seinem Ausscheiden beim RNE weiter unermüdlich unterwegs, um Nachhaltigkeit zu fordern, zu fördern und zu helfen, Nachhaltigkeit umsetzen. NITRO traf ihn zum Gespräch.

? Herr Professor Bachmann, im Jahr 2010 ordnete Ulrich Grober (deutscher Publizist und Autor des Buchs „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit“, Anm. d. Red.) unser Thema wie folgt ein: „Die Idee der Nachhaltigkeit ist weder eine Kopfgeburt moderner Technokraten noch ein Geistesblitz von Öko-Freaks der Generation Woodstock. Sie ist unser ursprüngliches Weltkulturerbe.“ Sie selbst haben einmal postuliert: „Nachhaltigkeit ist keine Modeerscheinung, sondern ein Megatrend.“ Ist Nachhaltigkeit noch angesagt?

! Ja, unbedingt. Derzeit ist ein Maximum an Bekanntheit erreicht. Entscheidend dafür war ein Doppelerfolg 2015: Einerseits gelang das Paris-Agreement im Klimaschutz, andererseits wurden die 17 Nachhaltigkeitsziele bei der UN verabschiedet. Damit sind zweierlei Dinge geschehen: Einerseits ist das Wort Nachhaltigkeit angefüllt worden mit sehr vielen konkreten Inhalten, und zweitens hat man den Schritt gewagt, es zu quantifizieren, also auf die Zukunft zu gucken und zu sagen: Erstens wollen wir in 2030 dieses, in 2050 jenes.

Das hat es zwar professionalisiert, aber man muss auch sagen, dass das heutige Maximum an Bekanntheit und Zustimmung zur Nachhaltigkeit einhergeht mit einem Minimum an geistigem Anspruch, weil es in aller Regel doch sehr vereinfachend und verflachend genutzt wird. Da wird dann postuliert: Ich bin bei den Guten, weil ich das Wort Nachhaltigkeit buchstabieren kann.

Aber das reicht natürlich nicht. Ich bin der Meinung, dass man auch Inhalte einfordern muss. Das ist häufig zu unbequem, denn es ist viel leichter, eine Party der Zielkonflikte zu veranstalten und alles Mögliche tun zu wollen. Dieses nur mit Zielen zu belegen und auf die Umsetzung nicht zu achten, scheint im Moment das Schicksal der Sustainable Development Goals – kurz SDG – zu sein. Das ist auch ein Problem in Deutschland, was die Ziele der jetzigen Regierung angeht.

? Immerhin hat diese verkündet, die Verbindlichkeit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zu erhöhen. Können wir uns da beruhigt zurücklehnen?

! Nein, auf keinen Fall. Leider steht die von Ihnen zitierte Passage in der Koalitionsvereinbarung unter „ferner liefen“ und nicht vorne in der Präambel. Alles gut und schön, eine stärkere Gewichtung für die Nachhaltigkeitsstrategie – aber bei der Umsetzung hapert und knirscht es dann. Ein Beispiel sind die zwei Prozent Windkraftfläche, die der Bundeswirtschaftsminister jetzt haben will für die Erneuerbaren Energien. Klar, zwei Prozent wären schön. Aber setzen Sie als Bundesregierung mal zwei Prozent durch. Es gibt keine Folgepflicht der Länder auf diesem Gebiet. Wir können nicht rein regieren in die Raumordnung der Länder von der Bundesseite. Aber natürlich stimmt jeder zu: Zwei Prozent, na klar, das machen wir jetzt mal. Aber dann kommt der NIMBY-Effekt: „Nicht in meinem Wald, nicht auf meiner Wiese und nicht bei meinem Rotmilan.“ Insofern bleibt das so ein bisschen plakativ und ist eine Einladung für Zielkonflikte. Gut wäre es, wenn man sagen würde, nach welchem Verfahren man eigentlich diese Zielkonflikte auspendeln möchte.

? Das heißt, Sie sehen in Deutschland im Prinzip auch keinen ehrlichen Umgang mit dem Thema, bei denen, auf die es für diese Veränderungen ankommt?

! Das wird schon eine schwierige Zeit. Wir werden auch als Bewegung damit konfrontiert, dass Ziele nicht erreicht werden und dann diejenigen, die eh nicht überzeugt sind, fragen werden: Ja, wenn wir das nicht erreichen, was sollen wir dann mit dem Ziel? Also wird es eng werden. Aber ich würde jetzt nicht sagen, das sind unehrliche Ziele. Bei den fälligen Maßnahmen jedoch hapert es oft.

? Im März vorigen Jahres wurde bei der Vorstellung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie auch konstatiert, dass lediglich vier von zwölf Nachhaltigkeitszielen bis 2020 erreicht wurden. Woran lag es? Sind das diese Zielkonflikte?

! Wissen Sie, einige Regierungsprofis aus den letzten Jahren haben mir hinter vorgehaltener Hand gesagt: „Wenn wir verstanden hätten, worauf wir uns einlassen beim Ziel 30 Hektar, beim Ziel 20 Prozent Ökolandbau, hätten wir das Ziel nie aufgeschrieben. Wir haben nicht richtig aufgepasst. Jetzt haben wir es auf Papier, jetzt müssen wir damit umgehen.“ Das ist die Realität. Und aufgepasst heißt, sie hätten das Ziel nie durchgehen lassen.

Jetzt zur Frage: Woran liegt es? Über alle Sachbereiche hinweg glaube ich, dass die Kraft der Menschen in den Kommunen und ländlichen Räumen gar nicht genutzt wird, um solche Ziele zu erreichen. Wenn ich den Konflikt Wind und Naturschutz betrachte und sehe, wer von dem Windrad profitiert, das da irgendwo auf Grünland gestellt wird, dann sind das eben nicht die Bauern oder die örtliche Community, die dort lebt und im Zweifelsfalle eine Volksabstimmung macht. Das sollten wir besser wissen, denn wir haben 2011 beim Thema Atomausstieg schon gesagt: Der wird nur gelingen, wenn man den Nutzen von neuen Energien auch denen zukommen lässt, die die Lasten tragen, also ein Nutzen-Lasten-Ausgleich. Das haben wir bisher nur in ganz wenigen Bereichen wirklich gut hinbekommen. Das bringt uns Zielkonflikte ein.

Eine Regierung braucht dafür eine Strategie, und da müssen alle Ressorts mit ihren unterschiedlichen Problemen und Lösungen berücksichtigt werden und gegenüber der Öffentlichkeit Rapport leisten. Solange solche Strategien aber nur im Regierungsapparat ohne Beteiligung der Öffentlichkeit verhandelt werden, werden sie nicht funktionieren. Man muss mit der Öffentlichkeit arbeiten, auch mit Anerkennung von Leistungen, nur dann bekommt man es hin, dass mehr Menschen ermutigt werden, da mitzumachen. Und darum geht es letztendlich.

? Bereits seit 2009 gibt es die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Darin steht auch, dass in den Gesetzgebungsverfahren oder bei den Gesetzentwürfen unter anderem darzustellen ist, ob die Wirkungen des Vorhabens „einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen, insbesondere, welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat“.

! Ja, schon. Aber das muss man eben dann auch konkret und ordentlich durchführen. Solange es einfache Sachen sind, wie das Dosenpfand, kann man abschätzen, was dann mit dem Abfallaufkommen passiert. Aber wie ist es mit dem Erbschaftsrecht? Oder wie ist es mit der Niedrigzinspolitik der EZB? Ist da mal jemand auf die Idee gekommen zu sagen: Was heißt denn das eigentlich für die Nachhaltigkeit, wenn wir eine Inflation erzeugen? Haben wir die im Griff? Entwerten wir die Lebensleistung derer, die gespart haben? Und was heißt das für die Zukunftsinvestitionen?

Diese Dinge sind aber bisher nirgendwo ordentlich angesprochen worden. Eine Nachhaltigkeitsprüfung des Erbschaftsgesetzes zum Beispiel oder Erbschaftssteuergesetzes ist bisher nicht gemacht worden. Da traute sich keiner ran. Das sind aber die harten Themen. Genauso wie bei den Subventionen. Da gibt es auch die Passage: „Subventionen werden auf ihre Nachhaltigkeit geprüft.“ Und dann guckst du genauer rein und es stellt sich heraus: Ja, das ist eine Vorgabe des Finanzministers. Durchführen muss die aber jedes Ressort selbst, und zwar im Blick auf die eigenen Subventionen, die sie als Nutznießer des Systems ausgibt. Dann passiert da nichts. Die Geschäftsordnung ist zwar besser, als was wir jemals zuvor hatten. Aber es braucht auch einen unabhängigen Gatekeeper, der in der Lage ist, das abzuprüfen und der auch mal Widerworte gibt.

? Mit Blick auf die Rolle der Justiz mag sich der Eindruck aufdrängen, dass unser Thema bei den Gerichten besser aufgehoben ist. Nehmen wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz: Danach hat die Regierung sich bewegt, und zwar zügig. Geht es doch?

! Nur bedingt. Ich würde warnen davor, dass Umweltorganisationen ihr Heil darin sehen, Unternehmen zu verklagen. Gleichzeitig nämlich wollen sie, dass die Unternehmen offener kommunizieren, Berichte ­schreiben, transparent sind. In der Praxis ist es doch so, dass Mitarbeiter eines Unternehmens, die für Diskurs, Stakeholder-Kommunikation und Dialoge zuständig sind, intern mit massiven Problemen zu kämpfen haben, wenn dieses Unternehmen zur gleichen Zeit vor irgendeinem Gericht verklagt wird. Dann ist erstmal Schluss mit Dia­log und Stakeholder-Verfahren. Weil nämlich dann die Rechtsabteilung bestimmt: Du sagst jetzt mal gar nichts mehr in der Öffentlichkeit. Und deshalb muss man sich überlegen, wohin man eigentlich will. Will man in eine diskursiv starke Gesellschaft, die Nachhaltigkeit auch diskutieren kann, auch über die Grenzen von Unternehmen, Gesellschaft, Politik, Kultur hinaus? Oder will man eine starre Gesellschaft, wo alles nur noch „nach Gesetz und Verordnung“ geht, einklagbar ist und nicht diskutabel sein kann? Das finde ich auch für die Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewegung eine wichtige Überlegung, die meines Erachtens im Moment nicht stattfindet. Ich bin eher für die dialogische Nachhaltigkeit und nicht für die, die nur verbindliche Normen sucht und diese versucht durch öffentlichen Druck durchzusetzen.

? Nachhaltigkeit betrifft uns alle, doch es berührt nicht alle. Lässt sich das ­ändern?

! Schauen Sie auf das Project Everyone mit seinen kommunikativen Leistungen und Ideen für die SDGs. Wieso haben wir sowas in Deutschland eigentlich nicht? Wenn ich sehe, dass man in Berlin für die Berliner Verkehrsbetriebe Werbung machen kann, die Preise bekommt, die die Menschen berührt, die auch an Herz und Sinne appelliert und die auch rüberkommt – ja, dann frage ich mich, wieso sollte das mit Nachhaltigkeit nicht gehen?

? Sie haben ja auch versucht, andere Zugänge zu schaffen.

! Ja, ich habe das bei unseren Veranstaltungen gemacht, und mehr als einmal habe ich dann in den Zuschauerraum geschaut und Tränen in den Augen gesehen. Weil Menschen, die sonst als hartgesottene Politiker oder Politikerinnen durchgehen, berührt waren von einem Straßenchor oder von Kindern, die getanzt haben. Und diese Berührung, die das Thema Nachhaltigkeit durchaus schaffen kann, die klappt eben regelmäßig nicht. Oder geht verloren, oder wird gar nicht versucht in dem üblichen Konferenzialismus  von Nachhaltigkeit, wo man nur bedeutsame Worte wechselt. Und das halte ich für einen Fehler. Man kann das ganz anders machen. Es bräuchte jetzt jemanden, der den großen deutschen Werbeagenturen sagt: Leute, ihr verdient im Moment viel Geld – wo ist eigentlich eure Pro-bono-Leistung für die Gesellschaft?

Nehmen wir die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland, zehn Stadien, zehn Orte. Wenn man jetzt analog der Geschäftsordnung der Bundesregierung vorginge, würde man sagen: Die zehn Orte, die Stadien, die machen wir jetzt alle mit Grünstrom und es wird ordentlich recycelt und vielleicht finden wir sogar noch eine ökologische Saatenmischung für den Rasen. Das sollte doch klappen angesichts des DFL-Beschlusses, Nachhaltigkeit zum Lizenzierungskriterium für die erste und die zweite Bundesliga zu machen.

Und wenn die Bundesliga jetzt darüber nachdenkt, bis 2030 klimaneutral zu sein, dann sage ich doch als Gesellschaft: Freunde, die Wette gilt. 2024 machen wir in den sechs Wochen, während hier gespielt wird, ganz Deutschland klimaneutral. Und zwar so, dass es ein Mitmachprojekt ist. Der Bäcker in Passau, die Schule in Eisenach und die Kirche in Aurich – alle machen mit, auf ihre eigene Weise, mit eigenen Projekten. Das wäre mal ein angemessenes Unterfangen!

Lesen Sie das ganze Interview in der aktuellen Ausgabe.

Das Interview führte Klaus-Henning Groth

Prof. Dr. Günther Bachmann ist Publizist und Moderator. Er war von 2001 bis 2020 Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung und zuvor 18 Jahre beim Umweltbundesamt tätig. Er besitzt profunde Expertise in Nachhaltigkeit, Umwelt, Networking und Nicht-Regierungs-Governance zur nachhaltigen Entwicklung.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) ist ein Beratungsgremium mit Mandat der Bundesregierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am 1. Januar 2020 erneut 15 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für eine dreijährige Amtsperiode berufen. Erstmals berufen wurde der Rat im April 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder.

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