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UTOPIE Verkehrswende
Paradigmenwechsel 
auf zwei Rädern
© Bernd Lammel
In Zukunft nachhaltig

Paradigmenwechsel 
auf zwei Rädern 

Was haben der Mangel an emissionsfreien Fahrzeugen und das Pilotprojekt „Neue Mobilität“ im Berliner Mierendorff-Kiez mit einem Produktionsstart im BMW Motorradwerk im Nachbarbezirk Spandau zu tun? Der neue E-Scooter von BMW soll platzsparend, leise und dennoch kraftvoll seinen Platz in der Mobilitätswende für Berufspendler finden.

Von Berlin aus liefern die Bayerischen Motorenwerke seit über 50 Jahren Motorräder in alle Welt. „Motoradfahrer kaufen einen Traum“, sagt Tim Diehl-Thiele, Pressesprecher BMW Motorrad. Die hohe Verkehrsverdichtung besonders in urbanen Räumen setzt dem Ausleben der Träume von PS-starken Zweirädern mit dem legendären Sound des Benzinmotors in Boxerbauweise immer mehr Grenzen. Frank Hansen, Strategiereferent für nachhaltige Mobilität bei der BMW Group, zählt die Motorradsparte zur emotionalen Mobilität. Jahrelang beschäftigte sich der Mobilitätsforscher mit dem Wandel der Fortbewegung und zunehmend mit der sogenannten Pflichtmobilität. Dabei geht es um den Weg zur Arbeit, die Pendler und die Wege in und aus den suburbanen Räumen. Er hat eine Vision der künftigen Mobilität, in der schon aus Platzgründen einspurige Fahrzeuge eine große Rolle spielen. Auf einem Schaubild weist er auf ein Stadtbild von München mit deutlich weniger Autos als heute, Schnittstellen zwischen Individualverkehr und ÖPNV, mit Ladesäulen an den wenigen Parkbuchten. Auf Nachfrage, ob so etwas tatsächlich Realität werden könnte, schwärmt er von dem Projekt „Neue Mobilität Berlin“ im Mierendorff-Kiez in Berlin-Charlottenburg. Die Rahmenbedingungen sind alles andere als ideal. Zu viele Parkflächen mit Pkw, die nur selten bewegt werden. Sie bestimmen das Bild in dem den Hauptverkehrsadern nachgeordneten Straßennetz in Wohngebieten. Das Projekt zeigt seit dem Start, dass ein Angebot von Carsharing, Rollern, leicht zugänglichem ÖPNV und klug angelegter Lieferzonen bereits ein Drittel der Bewohner bewogen hat, auf ein privates Auto zu verzichten.

Motorroller erobern weltweit immer mehr den knapper werdenden Raum auf den Straßen. In Asien sind sie schon lange prägend im Stadtbild, ebenso in Paris oder in der Roller-Hauptstadt Barcelona. Die rasante Zunahme brachte aber auch mehr Abgase und Lärmbelästigung mit sich.

BMW hatte schon früh den Trend und Kundenwunsch zu nachhaltigeren Lösungen erkannt und auch das Potenzial des Elektroantriebs für Kurzstrecken in Städten. 2011 wurde die funktionstüchtige Studie eines elektrischen Motorrollers namens „Concept E“ vorgestellt.

Tim Diehl-Thiele erinnert sich noch gut, als er damals von Skeptikern hörte: „Das bringt ihr nie in Serie!“ Technologische Entwicklung und Kosten hinkten den Benzin-Rollern noch hinterher, und doch gab es eine Zwischenlösung, die in Kleinserie ging: Der Elektro-Roller „C evolution“ wurde ein Jahr später vorgestellt. Seine Bauweise war aber noch weitgehend vom Austausch des Verbrennermotors durch einen Elektroantrieb geprägt. Er war dreimal teurer als die meisten Benziner und trotzdem ein Erfolg. So wurde er in Paris stadtbildprägend. Dabei half auch der politische Wille in der französischen Hauptstadt. Außerdem mehr Ladesäulen und hohe Parkgebühren auch für Zweiräder mit Benzinmotoren. Der „C evolution“ wurde im Berliner Werk von 2012 bis 2020 gebaut.

Im Herbst 2021 begann die Produktion des Nachfolgers unter der wenig emotionalen Bezeichnung „CE 04“. Inzwischen ist der CE 04 bestellbar.

Im Werk Berlin-Spandau schiebt das Montageband ununterbrochen Elektroroller vom Typ CE 04 in Richtung Qualitätskontrolle. Die Produktionsfläche für den Ende 2021 in Serie gegangenen Elektroroller hat das BMW-Werk hier vervielfacht. Heute wird dort produziert, wo früher Motorroller mit Verbrenner hergestellt wurden.

Ein Roboter presst unter Stickstoff­kühlung den Rotor in den Stator des Motors ein. Alle paar Minuten liefert er ein neues Herz für den Roller. Tino ­Hennicke und Sebastian Stamm montieren die Batterie­einheit, verschrauben den Aluminiumrahmen mit der Steuereinheit und der Abdeckung. Exaktes Arbeiten und permanente messtechnische Überprüfung­ ­sichern die Qualität, bevor die Energiequelle ans Montageband geht. Dort übernehmen Franziska Kunnick, Marco Marzoll und weitere Monteure die Aggregate. Neben dem Montageband lehrt Arif Kaya einen Auszubildenden die Montage von Bremsscheiben und Antriebsrad. Die Stimmung ist positiv. Man ist stolz, Teil einer nachhaltigen Zukunft zu sein.

Kevin Döhnel, Werksprojektleiter bei BMW in Berlin-Spandau, erklärt, warum es sich um ein völlig neues Konzept handelt. Der CE 04 baut auf einem Stahlrohrrahmen auf, in dem die Synchron-Elektromaschine rolleruntypisch fest eingebaut ist. BMW nutzt inzwischen bewährte Batterieantriebstechnik aus Serien-Elektro-Pkw. Die Antriebe werden selbst hergestellt, und die Fertigungstiefe ist stark gestiegen. Der Rotor des Motors wird direkt im Spandauer Werk gefertigt, der Stator kommt aus dem Werk Dingolfing. Der CE 04 ist ergonomisch durchdacht. Die 20 Batteriemodule bescheren dem Roller einen tiefen Schwerpunkt, der ihn trotz langen Radstands leicht manövrierfähig macht. In 2,6 Sekunden erreicht der kräftig durchziehende Elektromotor die 50 Kilometer pro Stunde. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 120 Kilometer pro Stunde. Kevin Döhnel beschreibt die praktischen Seiten: „Der Roller ist ideal für den Berufspendler, der am Tag 30 bis 40 Kilometer zurücklegt. Die Gesamtreichweite liegt bei 130 Kilometern. Das Handy findet Platz in einem geschlossenen und gekühlten Fach. Es kommuniziert mit dem großen Display. Helm und Ladekabel können am Zielort in einem abschließbaren Fach verstaut werden.“ Stolz fügt er hinzu, welch ein Hingucker der Roller sei. Wo er damit auftauche, höre er, wie „cool“ er sei.

Der CE 04 kann das Konzept für alle künftigen Elektromotorräder von BMW bieten. Helmut Schramm, Chef der internationalen Motorradproduktion und des Berliner Werks, sagt: „Alle zukünftigen neuen Modelle von BMW Motorrad im Bereich der urbanen Mobilität werden 100 Prozent elektrisch sein.“

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