Disruptiver Medienwandel ist das Wort der Zeitungsbranche. Kein anderes Medium ist davon so betroffen wie die gedruckte Tageszeitung. Sinkende Abonnentenzahlen bedeuten schwindende Auflagen. Diese wiederum haben schrumpfende Anzeigenerlöse zur Folge. Ein Dominoeffekt, der die Zukunft der Tageszeitungen infrage stellt – das Wort Zeitungssterben macht die Runde.
von Bettina Schellong-Lammel-Lammel
Dabei haben Tageszeitungen eine lange Tradition. Die erste Tageszeitung erschien 1634 in Leipzig als wöchentliche Zeitung, zunächst ohne Titel, ab 1635 als „Ordentliche Wöchentliche Zeitungen“, mit Nachrichten von Kriegsschauplätzen. 1650 erwarb der Drucker Timotheus Ritzsch während der schwedischen Besatzung in Leipzig eine schwedische Zeitungslizenz und gab die „Wöchentlichen Zeitungen“ heraus. Das ist 387 Jahre her. Heute erscheinen in Deutschland täglich mehr als 330 Tageszeitungen. Die Frage ist: Wie lange noch?
Gedruckte Tageszeitungen verlieren zunehmend ihren Status als Leitmedium und haben ihr Informationsmonopol längst verloren. Obwohl immer noch rund 38 Millionen Menschen in Deutschland täglich eine gedruckte Tageszeitung lesen, scheint der klassische Zeitungsredakteur eine aussterbende Spezies. Die Branche ist in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Tageszeitungen büßen seit mehr als 15 Jahren massiv an gedruckter Auflage ein.
Elektronisch verbreitete Medien bestimmen die Themen, die Erzählformen, den Bildstil und das Storytelling – sie sind vor allem viel mehr als eine Digitalkopie der gedruckten Zeitungen. Das hat Konsequenzen für Journalisten in Tageszeitungsredaktionen, denn die klassischen Ressorts müssen flexibel und ressortübergreifend arbeiten. Der Ressortleiter bestimmt nicht mehr allein den Redaktionsablauf, sondern neben den Redakteuren sind Programmierer und Infografiker, Bildbearbeiter, Webdesigner und Mediengestalter gefragt. Online-News sind ein Non-Stop-Service, und Redakteure können mit dem Zugang zum gesamten Content – Text, Video, Audio, Bild, Grafik, User Generated Content – auf alle Informationen aus erster Hand zugreifen.
Neben der Umstellung der Redaktionen auf Online-Angebote mit Bezahlschranken, ist die größte Herausforderung der Zeitungsbranche, jüngere Leserschichten zu erreichen, die sich ihre News aufs Smartphone oder Tablet über Social-Media-Kanäle holen. Es geht nicht mehr um Auflagen, es geht um Klicks, um Daten, um Seitenaufrufe und um die Zeit, die User auf den Seiten verbringen. Es gibt einen kleinen Lichtblick: Die Zeitungsverlage verkaufen inzwischen täglich fast 800 000 Exemplare als E-Paper, und die Zahlen der Digital-Abos steigen stetig. Medienwandel heißt Strukturwandel. Die deutschen Zeitungsverlage können sich diesen Herausforderungen stellen oder sie werden perspektivisch mit der „alten Zeitungswelt“ untergehen.
Aktualitäts- und Kostendruck führen zu einer Medienkonzentration, die von den Verlagen ein hohes Verantwortungsbewusstsein verlangen. Steigende Produktionskosten und explodierende Papierkosten zwingen zur Rationalisierung, um die Titel zu erhalten. Man kann es wie der Axel-Springer Verlag machen und seine Tageszeitungen als Ballast abstoßen oder die Herausforderungen der digitalen Transformation annehmen.
Die MADSACK Mediengruppe gründete vor acht Jahren das RedaktionsNetzwerk Deutschland und ging 2019 mit RND.de digital an den Start. Heute ist das RND nach eigenen Angaben eines der meistzitierten Mediennetzwerke Deutschlands. Mittlerweile liefert es überregionale Inhalte für 62 Tageszeitungen in ganz Deutschland. Die Gesamtauflage aller Titel beträgt mehr als zwei Millionen Exemplare. Mit seinen digitalen Angeboten erreicht das RND rund 100 Millionen Visits pro Monat, die Zahl der Digitalabos liegt inzwischen bei mehr als 130 000 – es sind Reichweiten, die Marktmacht entfalten.
Das RND arbeitet an zwei Standorten. Der Multi-Channel-Newsroom in Hannover ist für 180 Redakteure, Layouter und Producer ausgelegt und bildet das Herz des RND. Hier arbeiten auch Experten für Web-Development, TV-Studio, Vermarktung und Technik.
Im Hauptstadtbüro arbeiten 15 Journalisten unter der Leitung von Eva Quadbeck, die Nachrichten, Analysen, Interviews und Kommentare zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen nach Hannover liefern.
Im „Maschinenraum“, wie Eva Quadbeck den Newsroom nennt, betreut Dany Schrader als Mitglied der Chefredaktion die Printausgaben der Partnerzeitungen. Die werden an die Wand projiziert und zeigen das Portfolio: „Wir beliefern kleinere und größere Regionalzeitungen, die teilweise zum Madsack-Konzern gehören, mit überregionalen und teils regionalen Inhalten. Bei einigen Titeln erstellen wir auch die Titelseite, doch der größte Teil unserer Partner gestaltet diese eigenverantwortlich. Ein wichtiger Kernpunkt des Konzepts ist, dass die Zeitungstitel, die wir beliefern, eigenständig bleiben. Jede Regionalzeitung hat ihre Eigenheiten, jede Regionalzeitung ihre Traditionen und ihr eigenes Gesicht, und wir wollen, dass das weiterhin so bleibt.“
Bettina Schellong-Lammel
Ähnliche Beiträge
Neueste Beiträge
Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
In der medienpolitischen Debatte ging und geht es um vieles. Kleine Sender, wie der Saarländische Rundfunk und Radio Bremen, sollten von größeren übernommen werden. Die ARD sollte mehr regional, das ZDF mehr national und international berichten. ZDF und Deutschlandradio könnten fusionieren. Doppelberichterstattung müsse vermieden werden….
Cartier-Bresson – das Jahrhundertauge
Am 9. November 2004 erschien die erste Ausgabe des Medienmagazins Berliner Journalisten – der Vorläufer des heutigen Medienmagazins NITRO. Darin veröffentlichten wir ein Exklusivinterview mit Martine Franck, der Witwe des bedeutenden Fotografen und Magnum-Mitbegründers Henri Cartier-Bresson. Franck, selbst Fotografin, sprach in diesem Interview im September…