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Zur Theorie der Verschwörung
Mondlandung - NASA
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Zur Theorie der Verschwörung 

Verschwörungstheorien haben einen schlechten Ruf. Ihre Anhänger behaupten, die Amerikaner seien nie auf dem Mond gelandet, viele Politiker seien verkleidete, reptilien­artige Aliens, hinter dem Mord an John F. Kennedy stecke ein Komplott, die US-Regierung sei 2001 in den Anschlag auf das World Trade Center verwickelt gewesen oder die Automobilindustrie manipuliere aus Profitgründen den Schadstoffausstoß ihrer Fahrzeuge. Sind alle Verschwörungstheoretiker rechte Spinner mit einem paranoiden Weltbild?

Nachdem der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt bei einer Routinekontrolle der Polizei in Mailand erschossen worden war, fragten sich Ermittler, Politiker, Experten und Medien, ob er Komplizen und Hintermänner gehabt habe, ob es Drahtzieher gab und er Teil eines islamistischen Netzwerks gewesen sei, das ihn radikalisiert und gesteuert habe.

Gleichzeitig blühten nach dem Anschlag im Web die wildesten Spekulationen; manche suchten die eigentlich im Hintergrund Verantwortlichen vom Mossad über die CIA bis hin zu den Jesuiten. Solche Behauptungen wurden empört als zynische Verschwörungstheorien zurückgewiesen.

Das Problem dabei ist: Verschwörungen sind eben dadurch definiert, dass es hinter den sichtbaren Ereignissen und Akteuren unbekannte Komplizen und Hintermänner sowie Netzwerke mit bedrohlichen Absichten gibt. Die Vermutungen der Politiker, Strafverfolgungsbehörden und Medien sind also letztlich nichts anderes als Verschwörungstheorien von offizieller Seite.

Was ist eine Verschwörung?

Über Verschwörungen und Verschwörungstheorien gibt es eine kaum überschaubare Menge von Büchern und Untersuchungen. Die meisten Autoren lehnen sie ab. Die Definitionen des Phänomens sind uneinheitlich, doch es gibt gemeinsame Nenner.

Im Wortsinne ist eine Verschwörung zunächst eine durch mehrere Personen beschworene Absicht, für ein gemeinsam vereinbartes Ziel tätig zu werden. Hierher gehört historisch auch der Begriff der Eidgenossenschaft. Heute ist der Begriff deutlich negativ besetzt. Das vereinbarte Ziel wird im Geheimen verfolgt, es ist unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen illegitim oder illegal; die tatsächlichen Hintergründe sind nicht so, wie sie Betrachtern auf Grund des Erkennbaren erscheinen, auch weil sie zielstrebig verschleiert werden.

Das Spektrum reicht damit von zwei Schülerinnen, die verabreden, ihren Lehrer wegen angeblicher sexueller Belästigung anzuschwärzen, weil er ihnen schlechte Noten gegeben hat, bis zu Weltverschwörungsplänen, wie sie in den gefälschten antisemitischen „Protokollen der Weisen von Zion“ verbreitet wurden und werden. Um den Geltungsbereich des Begriffes nicht unnötig aufzublähen, sollte man Alltagsintrigen ausklammern und sich auf Ereignisse von größerer sozialer, politischer oder wirtschaftlicher Bedeutung beschränken. Je größer allerdings eine behauptete Verschwörung ist, desto größer ist auch die Beweislast.

Im deutschen Strafrecht kommen Verschwörungen nicht vor. Im amerikanischen als „conspiracy“ dagegen schon, was mitunter für Verwirrung sorgt. Denn rechtlich entspricht dieser Begriff nicht unserem Gebrauch von „Konspiration“, sondern dem der „kriminellen Vereinigung“.

Bemerkenswert ist, dass selbst Autoren, die Verschwörungstheorien ablehnend gegenüberstehen, nicht infrage stellen, dass es Verschwörungen gegeben hat und noch immer gibt. Es wäre auch schwierig, das zu leugnen, denn von der Ermordung Cäsars über die Watergate-Affäre oder die vorgeblichen Gründe für den Irak-Krieg bis zu technischen Maßnahmen, zu Profitzwecken die Messwerte umweltschädlicher Diesel-Abgase zu verfälschen, hat es in der Weltgeschichte zahllose Verschwörungen gegeben.

Was ist eine Verschwörungstheorie?

Im Wortsinn ist eine Verschwörungstheorie eine Theorie, die über ein bestimmtes gesellschaftliches Ereignis oder einen Prozess vermutet, er werde im Geheimen von unbekannten Akteuren mit gefährlichen Zielen gesteuert; vieles sei anders, als der Augenschein nahelegt.

Nun ist der Begriff „Theorie“ nicht eindeutig; es gibt eine streng wissenschaftliche Bedeutung, aber auch die alltagssprachliche Verwendung („Ich hab’ da so eine Theorie, warum bei den Nachbarn immer das Licht so lange brennt“). Sinnvoller wäre es, von „Verschwörungshypothesen“ zu sprechen, wiewohl viele Spekulationen diesen Namen nicht verdienen. Am Anfang steht eine Reihe von Beobachtungen, die über einen angenommenen Zusammenhang miteinander verknüpft sind. Die Hypothese macht logisch verknüpfte Aussagen über diesen Zusammenhang. Die Annahmen können durch neue Beobachtungsdaten bestätigt oder widerlegt werden; mitunter bleibt das Ergebnis offen. Experimente sind im Bereich der Sozialwissenschaften, anders als in den Naturwissenschaften, aus ethischen Erwägungen selten möglich.

So konnte etwa die Hypothese bestätigt werden „Mindestens ein Automobilhersteller hat gezielt den Schadstoffausstoß seiner Fahrzeuge manipuliert, um Messwerte zu verfälschen und Konzernprofite zu steigern“. Dagegen kann die Hypothese als widerlegt gelten „Die Amerikaner sind nie auf dem Mond gelandet und haben diese Mission im Filmstudio nachgestellt“, weil inzwischen alle Beobachtungen, welche diese These zu stützen schienen, durch andere Erklärungen plausibler beschrieben werden konnten.

Im Unterschied zu naturwissenschaftlichen haben soziale Prozesse im Kontext von Verschwörungen allerdings ein zusätzliches Merkmal: Die Akteure verbergen ihre Ursachen absichtlich, und sie behindern die Hypothesenbildung aktiv. Diese beiden Merkmale kennt auch die Rechtsprechung (Verschleierung und Verdunklungsgefahr). Man kann ihre Berücksichtigung daher Verschwörungstheoretikern nicht anlasten, denn es ist bekannt, dass Beteiligte einer Verschwörung bei Aufklärungsbemühungen versuchen, Fakten abzustreiten, ihre Bedeutsamkeit zu verringern oder die Gesamtheit der Erklärungsversuche dadurch zu diskreditieren, dass sie Beobachtungsdaten gar nicht erst dementieren, sondern die Glaubwürdigkeit der Beobachter dadurch in Frage zu stellen versuchen, dass sie diese als Verschwörungstheoretiker bezeichnen.

Dafür, dass sich auch zunächst absurd klingende Verschwörungstheorien durchaus bestätigen können, gibt es sogar einen eigenen psychologischen Terminus: Martha-Mitchell-Effekt. Die Bezeichnung geht auf die Frau von Richard Nixons Justizminister John Mitchell zurück, die behauptet hatte, der Präsident habe all das getan, was ihm später als Watergate- und Abhör-Affären nachgewiesen werden konnte. Vor Bekanntwerden der Beweise wurden ihre Aussagen als psychopathologische Wahngebilde eingestuft.

Selbst Texte zu Verschwörungstheorien, die sich neutral geben, diskreditieren sie mitunter terminologisch, indem sie das Verhältnis ihrer Anhänger zu solchen Hypothesen nicht als „für wahr oder wahrscheinlich halten“ bezeichnen, sondern als „daran glauben“. Kaum jemand würde im ernsthaften Diskurs die Vertretung einer wissenschaftlichen Hypothese als Glaubenssache abtun.

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