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Humor fängt da an, wo der Spaß aufhört
Foto © Bernd Lammel - Telef.: +49 (172) 311 4885 - DEU / Berlin / 2016 / Titanic Chefredakteur Tim Wolff
Medien

Humor fängt da an, wo der Spaß aufhört 

Weil niemand mehr Mainstream sein will, fällt es immer schwerer, ein Satiremagazin zu machen – behauptet Titanic-Chefredakteur Tim Wolff. Ein Gang in den Keller zum Lachen, der erklärt, warum die Deutschen Anhänger des „didaktischen Humors“ sind, was Mel Brooks, Monty Python und Asterix vereint und weshalb junge Leute den Wert von bedrucktem Papier nicht verstehen.

Es ist dieser Tage nicht leicht, ein Satiremagazin zu machen. Das hat zwei Gründe: 1. Satire. 2. Magazin.

Fangen wir mit dem zweiten Punkt an: Gebundenes bedrucktes Papier verkauft sich immer schlechter, weil junge Menschen gar nicht mehr recht begreifen, was daran wertvoll sein könnte, Texte und Bilder in einem Paket zu erhalten, das andere für sie zusammengestellt haben – und dessen Inhalt älter als, sagen wir: einen Tag ist und damit tot. Dafür soll man bezahlen und womöglich eigens das Haus verlassen, wenn man ähnliches unmittelbar, in kleinen Happen und scheinbar kostenlos bekommen kann?

Auch wenn die Titanic sich ohne Werbekunden und als kleiner Solitär immer noch erstaunlich gut verkauft und auf einen soliden Abostamm verlassen kann, ergibt sich auf Dauer die Frage: Wenn schon von großen Verlagen mit aller Marktmacht betriebene Witzblätter wie Die Welt und Focus am Kiosk im unteren fünfstelligen Bereich dümpeln (während sie im Netz ohne Scham jedes Ressentiment und alle niederen Instinkte erfolgreich bedienen), wie soll dann ein kleines, seriöses Satiremagazin Resonanz erzeugen? Ist doch ein Satiremagazin per Definition eine Reaktion auf Vorgefundenes, eine Parodie der Presselandschaft, somit nicht unabhängig vom Erfolg anderer. Wo soll ohne entsprechendes Publikum das Vorwissen herkommen, thematisch, inhaltlich, formal, das nötig ist, um Witz und Stoßrichtung zu verstehen? Wie soll man in einer Welt, in der Nachricht und Information individualisiert und partikularisiert verabreicht werden, den gemeinsamen Wissensstand erfassen, den es braucht, damit der Komikschaffende weiß, welche Lücken er lassen kann, die der Rezipient kundig zu füllen vermag. Denn Komik ist das Spiel mit Auslassungen, das Lachen eine Reaktion auf das Lösen eines Rätsels oder zumindest die Erkenntnis einer Unvereinbarkeit.

Womit wir schon recht rasch bei Punkt 1 angelangt sind: Was ist Satire überhaupt (noch)?

Hält man sich an eine engere Definition, ist sie das Ergebnis einer moralischen Haltung, einer Empörung, die durch Verstellung, Übertreibung und Verquerung das Falsche bloßstellen und beseitigen will. Ein Ding – keine Gattung, kein Genre, kein Stil – zwischen Kunst und Journalismus, das sich vieler Formen zu bedienen vermag und deswegen verstört und provoziert, weil es entweder offen konfrontativ spricht oder dort uneigentlich, wo man es sonst ernst meint; im parodistischen Kommentar, in der erfundenen Reportage, im entstellten Bild. Es braucht immer das Erkennen mindestens einer zweiten Ebene, um Satire erfassen zu können. Und mitunter das Ertragen von Ambivalenz, das stark mit eigenständigem Denken einhergeht. Was könnte dieser Witz bedeuten? Bedeutet er überhaupt etwas? Hat er eine eigentliche Aussage, der ich zustimme? Wo wird ernst gesprochen, wo ist es nur ein Spiel in einer parallelen Nonsens-Welt? Wieso bringt mich das zum Lachen? Oder wieso nicht? Was sagt das über mich? Fragen, die der Komikkonsument selbst beantworten sollte – und dabei übrigens nicht zum gleichen Ergebnis kommen muss wie der Autor. Fragen, die gerade der Deutsche aber gerne schon im komischen Text und Bild beantwortet bekommen möchte.

Er möchte den Schlüssel zum sicheren Bereich erhalten. Der Keller, in den er zum Lachen geht, ist ein Luftschutzbunker, und ohne Sirene weiß er nicht, was er tun soll. Deswegen schreibt der Deutsche „Achtung, Satire!“ vor alles, was ihm nicht eindeutig erscheint. Deswegen liebt er sein didaktisches Kabarett, das immer weiß, was richtig ist, und stets die Bösen, die da oben, tadelnd verlacht, während es das Kollektiv der empörten Schmunzler, das man für einen Moment bildet und das sich zu einer kleinen Messe versammelt hat, freispricht. Deswegen liebt der Deutsche seine Comedy, die ihn mit nicht viel mehr belastet als mit Mann-Frau-Vergleichen und Abgrenzungen gegenüber sozial Ausgeschlossenen und Artfremden. Volker Pispers oder ­Dieter Nuhr (je nach politischer Vorliebe), Mario Barth, Cindy aus Marzahn, Bülent Ceylan: Das genügt, um das Komikbedürfnis der allermeisten Deutschen zu stillen. Ein trauriges Unterfangen. Denn Satire, wenn man sie nicht so eng fasst wie das Kabarett oder sich ihr im Wunsch nach rein unterhaltsamer Ablenkung nicht verweigert wie die Comedy, kann so viel mehr sein. So viel mehr, dass vielleicht Satire längst nicht mehr der richtige Begriff dafür ist. Nur mehr ein Hilfswort, um juristische Auseinandersetzungen aushalten zu können. Ein inhaltlich eher störendes Codewort für „Hier dürfen wir alles“.

Ab den späten 1960er Jahren hat sich in den großen westlichen Nationen ein intellektueller, politischer Nonsens herausgebildet, der das satirische Spiel auf eine einfachere, radikalere, konfrontativere, aber stellenweise auch resignativere Art betrieben hat. Ob Mel Brooks, Woody Allen, Monty Python, Hara-Kiri (Vorgänger von Charlie Hebdo) oder auch Asterix – um einigermaßen beliebig Beispiele zu nennen –, bei allen werden politische, soziale, historische, weltanschauliche, existenzielle Fragen vor allem auf die Frage hin abgeklopft: Wie kann man daraus Komik gewinnen, die Lust des Lachens dicht und kompromisslos erzeugen?  .…weiterlesen in der Printausgabe (Der vollständige Artikel wird freigeschaltet, wenn die nächste Printausgabe erscheint)

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