Neuestes Heft: Jetzt bestellen!

UTOPIE Verkehrswende
Datenjournalismus als Geschäftsmodell
Foto © Bernd Lammel für NITRO - Open Data City, Marco Maas
Medien

Datenjournalismus als Geschäftsmodell 

Der Datenjournalismus ist ein junges journalistisches Genre, das seit 2010 immer mehr an Bedeutung gewinnt. Marco Maas war einer der ersten Journalisten, die das Potenzial der Visualisierung von Daten mit journalistischen Mitteln erkannten. Er ist heute der gefragteste Datenjournalist Deutschlands und seine Firma OpenDataCity Marktführer auf diesem Gebiet. Er selbst bezeichnet sich als Netzaktivist, Datenjournalist, Programmierer und Unternehmer. Er sieht den Datenjournalismus als Geschäftsmodell mit großem Potenzial.

Von Bettina Schellong-Lammel

Marco Maas wollte schon als Schüler Online-Journalist werden. Vor 25 Jahren steckte das Internet noch in den Kinderschuhen und keiner ahnte, dass sich heute niemand mehr eine Welt ohne Smartphone, Tablets und Internet vorstellen kann. Wenn Marco Maas erzählt, wie er Anfang der 1990-er Jahre im Jugendcentrum Eutin (Schleswig-Holstein) mit großer Begeisterung zum ersten Mal einen Computer einschalten durfte und über einen Browser ins Internet gelangte, hört sich das anwie eine Geschichte aus einer längst vergangenen Zeit. „Ich war 16, hatte einen Compuserve Account und war vom Internet fasziniert. Schon damals war mir klar, dass sich das Internet durchsetzen wird. Ich ahnte, dass sich damit ungeahnte Chancen eröffnen, die unsere analoge Welt in eine digitale verwandeln und sie völlig umkrempeln werden. Wenn das auch damals viele belächelten und sogar dachten, das Internet sei eine Modeerscheinung, die bald wieder verschwinden würde.“

Praktikumsplatz in der Nachrichtenredaktion des NDR

Mit ein paar Mitschülern gründete Maas 1991 eine Web-AG, und die Jungs begannen damit, für kleine Firmen am Ort und in der Umgebung die ersten Websites zu bauen. „Die Seiten sahen echt schräg aus, und wir mussten den Schreinermeister, die Autowerkstatt oder den Bäcker natürlich erst davon überzeugen, dass sie eine Website brauchen, weil sie in Zukunft ihre Aufträge online bekommen werden. Wirklich geglaubt haben die uns das wahrscheinlich nicht, und von Design hatten wir natürlich auch keine Ahnung, aber die ersten Seiten standen bald im Netz.“

Neben seinen Netzaktivitäten jobbte Marco Maas als Schüler beim Ostholsteiner Anzeiger und schrieb seine ersten Texte. Er studierte nach dem Abitur Medientechnik, arbeitete als freier Fotograf und kam über ein Praktikum 1999 zum Norddeutschen Rundfunk in Hamburg.

Maas hatte sich auf einen Praktikumsplatz in der Nachrichtenredaktion des NDR beworben, weil er sich vorstellte, dass dort richtiger Journalismus gemacht wird. Sein größter Wunsch aber war die Online-Redaktion des Senders. „Die bestand damals aus vier Mitarbeitern – einem Abteilungsleiter, einem Administrator für die Technik und zwei Sekretärinnen. Bevor ich dort als Praktikant einstieg, fragte mich die Leiterin der Aus- und Fortbildung, weshalb ich unbedingt in die Online-Redaktion wolle. Sie gab mir den Rat, mich lieber für etwas Vernünftiges zu entscheiden“, sagt Maas.

Wahlberichterstattung von ARD und ZDF

Beim NDR blieb Maas acht Jahre, und in dieser Zeit professionalisierte sich die Online-Redaktion des Senders. Maas übernahm die Schnittstellen-Funktionen zwischen Technik und Redaktion, die Beratung von Fernseh- und Radioredaktionen sowie den Aufbau diverser Services wie zum Beispiel Audio- und Videostreaming, Podcasting, Live-Streaming und Eventbegleitung und machte sich als Online-Journalist und Entwickler von Onlinekonzepten einen Namen.

Im Jahr 2008 bloggte Marco Maas auf gipfelblog.de kritisch über den G8-Gipfel in Heiligendamm. Für diese Berichterstattung wurde er mit dem CNN Journalist Award in der Kategorie Online ausgezeichnet.

Die Visualisierungsfirma 4=1 GmbHerkannte das Potenzial des Onliners und konnte ihn als Entwicklungsredakteur gewinnen. Maas war ab 2009 mitverantwortlich für die Wahlberichterstattung von ARD und ZDF und maßgeblich an der Entwicklung des ZDF Parlameters beteiligt. Dafür wurden er und das Team von 4=1im gleichen Jahr mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

Mit dem ZDF Parlameterkönnen die User das Geschehen oder die Abstimmungen imBundestag online verfolgen und sehen, wie viele Abgeordnete ihre Stimme abgegeben haben. Die Informationen werden im Deutschen Bundestag automatisch aus den PDFs extrahiert, manuell gesichtet, aufbereitet und veröffentlicht. Und zu jedem Abgeordneten werden auf Wunsch zusätzliche Informationen geliefert.

OpenDataCity –  Agentur für Datenjournalismus und Datenvisualisierungen

 

Ende 2010 gründete Marco Maas gemeinsam mit Lorenz Matzat die Firma OpenDataCity, eine Agentur für Datenjournalismus und Datenvisualisierungen. „Datenjournalismus ist ein sehr anspruchsvolles Gebiet, auf dem man als Journalist allein nicht viel erreichen kann. Um Daten zu visualisieren braucht man neben Journalisten auch sehr gute Entwickler, die nicht nur die technische Umsetzung im Blick haben, sondern auch in der Lage sind, das Thema journalistisch zu sehen“, sagt Marco Maas. Seit Sommer 2011 ist deshalb Software-Entwickler Michael Kreil im Team von OpenDataCity, und der Pool ist um sieben Programmierer, eine Grafikerin und einen Datenjournalisten angewachsen, der früher bei der Financial Times DeutschlandEntwicklungsleiter war und ebenfalls sehr gut programmieren kann.

Für die taz programmierte OpenDataCity 2011 eine detaillierte Fluglärmkarte zum Flughafen Berlin-Brandenburg (BBR), auf der genau nachvollzogen werden kann, wo der Lärm wirklich am größten ist.

Im gleichen Jahr ging im Auftrag von Zeit onlinedas Projekt „Verräterisches Handy“ online. Hintergrund: Der Grünenpolitiker Malte Spitz hatte seine Handydaten von der Telekom eingeklagt und Zeit onlinezur Verfügung gestellt. OpenDataCitykonnte auf Basis dieser Daten alle Bewegungen von Spitz in dieser Zeit nachvollziehen. Maas: „Die Geodaten haben wir mit frei im Netz verfügbaren Informationen aus dem Leben des Abgeordneten verknüpft. Zusätzlich konnte auf einem Kalender verfolgtwerden, wann der Politiker an welchem Ort war.“ Für dieses datenjournalistische Projekt wurden OpenDataCityund mit dem Lead Award in Gold in der Kategorie Online: Web-Special des Jahres (Vorratsdatenspeicherung) ausgezeichnet, und sie erhielten den Grimme Online Award in der Kategorie Spezial für die Visualisierung von Mobilfunk-Vorratsdaten.

OpenDataCity hat mehr als 15 datenjournalistische Großprojekte visualisiert

2012 ging der Zugmonitor online, den Maas und das Team von OpenDataCity im Auftrag der Süddeutschen Zeitung erstellten. Der Decoder für den Bahn-Stau dokumentiert in einer interaktiven Grafik exakt das Ausmaß und die Ursachen der Verspätungen von Fernzügen bei der Deutschen Bahn.

Seit seiner Gründung hat OpenDataCity mehr als 15 datenjournalistische Großprojekte visualisiert und konnte viele Auftraggeber hinzugewinnen. Neben NGOs und Universitäten ist Maas inzwischen auch mit Stiftungen im Gespräch. Daten zu visualisieren und journalistisch umzusetzen ist mit einem hohen Zeitaufwand verbunden und natürlich mit Kosten. Die richten sich danach, ob bereits ein Datensatz vorliegt, wie zum Beispiel bei Handy-Vorratsdaten, oder ob die Daten ausgelesen und erstellt werden müssen, wie beim Zugmonitor. „Über Geld spricht man nicht, aber der Zugmonitor hat einen fünfstelligen Betrag gekostet“, sagt Maas. Der Datenjournalismus als journalistische Disziplin wird immer mehr an Bedeutung gewinnen und in Zukunft die herkömmlichen trockenen Formen der Statistik ablösen.

Definition Datenjournalismus

Datenjournalismus (englisch data driven journalism, ddj), wörtlich übersetzt Daten-getriebener Journalismus, isteine Form des Online-Journalismus, dersich ab 2005 aus der computergestützten Recherche entwickelte. Datenjournalismus bedeutet nicht nur die Recherche in Datenbanken, sondern die Sammlung, Aufbereitung, Analyse und Publikation öffentlich zugänglicher Informationen sowie ihre Verarbeitung in klassischen journalistischen Darstellungsformen.

Datenjournalismus stützt sich sowohl auf die Informationsfreiheitsgesetze, die Verwaltungen vieler demokratischer Staaten nach dem Öffentlichkeitsprinzip zur Herausgabe ihrer Informationsbestände verpflichten, als auch auf das organisierte Whistleblowing großer Datenmengen, das mit Internetplattformen wie WikiLeaksan Bedeutung gewann.

 

Auszeichnungen für Marco Maas

2008: Nominee CNN Journalist AwardKategorie Online für Gipfelblog.de

2009: Grimme Online Awardin der Kategorie Information für das ZDF Parlameterund 4=1

2010: Lead Awardfür das ZDF Parlameterund 4=1

2011: Lead AwardGold in der Kategorie Online: Web-Special des Jahres (Vorratsdatenspeicherung)

2011: Grimme Online Awardin der Kategorie Spezial für OpenDataCityfür die Visualisierung von Mobilfunk- (Achtung, hier fehlt was)

2011 ONA – Online News Association Award– Outstanding Informational Graphic or Data für die Vorratsdaten-Visualisierung

2012: Nominierung Grimme Online Awardfür die Parteispenden-App

2012: Nominierung Grimme Online Award

2012: Award of Excellencedes European Newspaper Congress für die Parteispenden-App

2012: Malofiej20 Infographics AwardBronze für die Visualisierung der Vorratsdatenspeicher-App

2013: Lead AwardSonderpreis Silber für OpenDataCity

2013: World Summit Awardin der Kategorie OpenData & eGovernment für LobbyPlag

2013: World Summit AwardGlobal Champion in der Kategorie OpenData & eGovernment für LobbyPlag

2014: Ilmenauer MedienpreisBronze (Gläserner Johann für das Volontärsprojekt elf28.net)

2014: Nominee CNN Journalist AwardKategorie Online für LobbyPlag.eu

2014: Alternativer Medienpreisin der Kategorie Internet für “Geheimer Krieg”

2014: RIAS Medienpreisfür deutsch-amerikanische Verständigung für “Geheimer Krieg” (Website von OpenDataCityfür NDR/Süddeutsche Zeitung)

 

 

Ähnliche Beiträge