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UTOPIE Verkehrswende
Berliner Zeitungsviertel Teil 2:  Ein Mythos erwacht
(C) D-foto/Bernd Lammel
Historie

Berliner Zeitungsviertel Teil 2: Ein Mythos erwacht 

Berlin 1945: Kein Zeitungsjunge ruft mehr „Extrablatt, Extrablatt!“. Das einst berühmte Zeitungsviertel liegt in Schutt und Asche, die Redaktionen, Druckereien, Setzereien und grafischen Anstalten sind zerbombt und ausgebrannt, auch die Gebäude von Ullstein, Mosse und Scherl. Im Teil 2 erfahren Sie, wie der Untergang, der mühsamen Neubeginn und der Wandel des Berliner Zeitungsviertels aussah.

Text: Bettina Iduna Kieke    Fotos: Bernd Lammel

Thomas Jefferson(1743-1826), der Hauptautor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und Gründer der Demokratisch-Republikanischen Partei der Vereinigten Staaten, schrieb einmal: „Wenn ich zu wählen hätte zwischen einem Land mit Regierung, aber ohne Zeitungen und einem Lande mit Zeitungen, aber ohne Regierung, dann würde ich das Land ohne Regierung wählen.“ Die Deutschen hatten nach dem Ende des Hitlerregimes weder das eine, noch das andere: keine Regierung und keine Zeitungen und noch weniger eine Wahl, aber sie hungerten nach Informationen, wie es weiter gehen solle. 

Die Regierungsgeschäfte übernahm der Alliierte Kontrollrat mit Sitz in Berlin. Die jeweiligen Alliierten in den Besatzungszonen erteilten schon bald Lizenzen für den Druck von Zeitungen. Zunächst jedoch gaben die Besatzer selbst Zeitungen, Heeresgruppenzeitungen, besser Informationsblätter, für die Bevölkerung heraus.

Von der Heereszeitung zum Magistratsorgan

Am 28. April 1945, als in Berlin noch die letzten Straßenkämpfe tobten, wurde Nikolai Bersarin zum Stadtkommandanten ernannt. Erst Anfang Juli 1945 kamen die Amerikaner und die Briten als Besatzungsmacht nach Berlin und etwas später die Franzosen. Das nutzten die Sowjets politisch für sich, beriefen einen KPD-dominierten Magistrat nach ihren Vorstellungen und gaben die ersten Zeitungen heraus. Die Tägliche Rundschau, zunächst „Frontzeitung für die deutsche Bevölkerung“, später „Zeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur“, erschien bereits ab 15. Mai 1945, nur sieben Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Fast alle Druckereien waren zerstört, aber die Buchdruckerei und der Verlag „Otto Meusel“ in der Berlin-Kreuzberger Urbanstraße 71 konnte die Tägliche Rundschau, die bis Ende 1955 erschien, produzieren. Auch die Tageszeitung Berliner Zeitung wurde dort gedruckt. (1) Sie wurde ab dem 21. Mai 1945 als „Organ des Kommandos der Roten Armee“ verkauft ‑ zehn Pfennig für vier Seiten Umfang. Ihr Chefredakteur war der sowjetische Politoffizier Oberst Alexander W. Kirsanow. Schon im Juli 1945 wurde die Berliner Zeitung an den Berliner Magistrat übergeben. Ab dem 2. August 1945 trug sie den Zusatz „Amtliches Organ des Magistrats von Berlin“. Anfangs arbeitete die Redaktion unter Chefredakteur Rudolf Herrnstadt in einem verlassenen Haus in Berlin-Friedrichsfelde und später in der Lindenstraße 41 in Berlin-Kreuzberg, also im historischen Zeitungsviertel. Der Kommunist und Journalist Herrnstadt arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als Militär-Agent für die Sowjetunion und war führendes Mitglied des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ in Moskau. 1949 wird Herrnstadt Chefredakteur des Neuen Deutschlands. Wegen reformerischer Ideen fällt er bei Walter Ulbricht, zu der Zeit Vorsitzender des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), in Ungnade und wird 1954 aus der Partei ausgeschlossen. Von Berlin-Mitte zog die Redaktion wenig später in die nahe gelegene Mauerstraße, bevor die Berliner Zeitung 1973 im 17-geschossigen Pressehaus am Alexanderplatz in Berlin-Mitte Quartier bezog. Die Berliner Zeitung erscheint bis heute und gehört nach mehreren Eigentümerwechseln seit 2009 dem Kölner Verlag M. DuMont Schauberg. 

Aus zwei mach eins – das Neue Deutschland

Auf den Druckmaschinen, die zur Zeit des Naziregimes in der Zimmerstraße 87-91 standen und wo der Völkische Beobachter produziert wurde, druckte das Neue Deutschland (ND) ab dem 23. April 1946 seine ersten Ausgaben. Das Neue Deutschland war das Organ der SED, die auf Betreiben der Sowjetischen Militäradministration nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD entstand. Die überregionale Parteizeitung löste die in der Sowjetischen Besatzungszone erschienenen Parteizeitungen Das Volk (SPD) und Deutsche Volkszeitung (KPD) ab. Zunächst sollte das ND den Namen ‚Deutsche Volkszeitung’ tragen, das beschlossen SPD und KPD in Vorbereitung auf die Vereinigung zur Sozialistischen Einheitspartei (SED). Es sei leider nicht bekannt, wer im Laufe des Aprils 1946 den Namen ‚Neues Deutschland’ für eine gemeinsame, überregionale Parteizeitung von KPD und SPD vorschlug und wie die Namensgebung begründet wurde, vermerken die Autoren Burghard Ciesla und Dirk Külow in ihrem Buch „Zwischen den Zeilen.‑ Geschichte der Zeitung Neues Deutschland“. (2) Das Herstellen einer Zeitung, so kurz nach Kriegsende, war schwierig. Es mangelte an allem: an Redakteuren, an Tischen, Stiften und Maschinen, aber vor allem an Papier, das von der Sowjetischen Militäradministration kontingentiert zur Verfügung gestellt wurde ‑ oft in extrem schlechter Qualität und kaum bedruckbar. In einem Grußwort zum ersten Jahrestag des Bestehens des Neuen Deutschlands ging Otto Grotewohl, Mitglied des Parteivorstandes der SED, auf die damaligen Arbeitsbedingungen der Redakteure ein. Ciesla und Külow fassen in ihrem Buch zusammen: „Die Räume hatten keine Fußböden, die Zeitungsleute saßen hinter mit Pappe vernagelten Fenstern, die Räume waren generell sehr knapp bemessen, und einige Redakteure mussten in der Setzerei, wo die Luft vom Bleidunst geschwängert war, arbeiten. Diese Zustände und der an sich schon komplizierte und hektische Zeitungsbetrieb bewirkten eine ‚nervenaufreibende Atmosphäre’“. (3) Anfang Juni 1946 änderte sich die Situation. Die Chefredaktion und die meisten Ressorts verlegten ihre Arbeitsräume in den „Pfefferberg“, eine ehemalige Brauerei im Berliner  Prenzlauer Berg. 

Was noch an Ullstein und Mosse erinnert

Ullsteins ehemaliges Verlagsgebäude in der Kochstraße 23, seit 2008 Rudi-Dutschke-Straße 17, war nach dem Krieg nur noch ein Trümmerhaufen und befand sich im amerikanischen Sektor. Heute steht dort das Hochhaus der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin (GSW). Doch ein Überbleibsel vom ursprünglichen Sitz des Ullstein Verlags existiert noch: die berühmte Ullstein-Eule. Das steinerne Markenzeichen wurde aus den Trümmern des alten Verlagsgebäudes geborgen und steht vor dem Axel-Springer-Hochhaus in der Kochstraße. Es soll wohl nicht nur an Ullsteins Beginn im Zeitungsviertel erinnern, sondern auch an die Fortführung eines Teils des publizistischen Ullstein-Erbes unter Springer. 

Der Mosse-Komplex im sowjetischen Sektor blieb im Krieg teilweise verschont, so dass dort bereits im Sommer 1945 wieder eine Druckerei die Arbeit aufnehmen konnte. Sie befand sich in der Schützenstraße 18, dort wo Rudolf Mosse in seiner Verlagsdruckerei schon vor dem Krieg drucken ließ. Die Sektorengrenze zum amerikanischen Sektor und später die Berliner Mauer verliefen in der parallel dahinter liegenden Zimmermannstraße. Dort ließen DDR-Behörden Häuser sprengen, um an der Mauer ein breiteres Schussfeld zu erhalten. 

Areal Schützenstraße, Zimmerstraße, Markgrafenstraße und Jerusalemer Straße

1951 wurde die Druckerei auf dem alten Mosse-Terrain in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt. Auch nach dem Ende der Teilung Berlins wurde die Drucktradition an diesem Standort fortgesetzt. Seit 1992 arbeitet hier die Druckhaus Berlin-Mitte GmbH, heute im Besitz einer gemeinnützigen Stiftung.

Im gleichen Jahr erwarb der Immobilienkaufmann Hans Röder das Unternehmen sowie das umliegende Areal Schützenstraße, Zimmerstraße, Markgrafenstraße und Jerusalemer Straße, wo er das moderne Mosse-Zentrum errichtete. Dabei bezog er alte Gebäudeteile, soweit es möglich war, mit ein. „Leider wurde das architektonische Glanzstück aus den 1920er-Jahren, die berühmte expressionistische Front des Architekten Erich Mendelsohn, an der Schützenstraße/Jerusalemer Straße in einer denkmalpflegerisch fragwürdigen Art und Weise rekonstruiert“, moniert Zeitungsviertel-Kenner und Stadtführer Michael Bienert. Mendelsohn verlieh dem neuen Eingangsbereich, der ursprünglich überladenen Fassade im wilhelminischen Neobarock mit Jugendstilanklängen (4) Bauhauscharakter und setzte ungewöhnliche Stilmittel und Materialien ein, wie breite Bänder aus schwarzer Keramik als horizontale Betonung. Das Mosse-Zentrum beherbergt heute Medienfirmen, Studios, Geschäfte, Büros, Botschaften, Institutionen und die Konzernzentrale von „Total“. 

Die Neue Zeit ‑ erste bürgerliche Zeitung in der Sowjetzone

In der Zimmerstraße 79/80, ganz nah beim Checkpoint Charly, einem ehemaligen Grenzübergang vom sowjetischen in den amerikanischen Sektor, steht das Alfandary-Haus, der 1913/1914 erbaute Firmensitz der Teppichhändler Gebrüder Alfandary. Dort ließ sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Union-Verlag nieder und gab die Tageszeitung Neue Zeit heraus, eine Parteipublikation der Christlich Demokratischen Partei (CDU). Es war die erste von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) in Deutschland lizenzierte bürgerliche Zeitung, die im sowjetischen Sektor ab 22. Juli 1945 erscheinen durfte. 1951 zog in den Klinkerbau außerdem der gleichnamige Verlag der DDR-CDU. Die Neue Zeit wurde nach der Wende vom Verlag der FAZ gekauft. Im Juli 1994, fast auf den Tag genau 45 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, wurde die Neue Zeit mangels Umsatz eingestellt.

Der Architekt Manuel Álvarez restaurierte und modernisierte das Haus zwischen1999 und 2001 im Auftrag der Eigentümerin DEFO, heute Union Investment Institutional GmbH, und stockte es mit zwei Dachgeschossen auf. Glanzstück ist die wiederhergestellte historische Fassade mit einem schönen Terrakottafries über dem Eingang. Gegenwärtig befindet sich darin ein EDV-Seminar- und Tagungszentrum der one by one EDV-GmbH, einem Berliner Dienstleister für Informationstechnik. 

(C) D-foto/Bernd Lammel – Tel. +49 (172) 311 4885
Stadtführung im Zeitungsviertel / Im traditionsreichen ehemaligen Zeitungsviertel an der Nahtstelle zwischen Mitte und Kreuzberg erklärt der Publizist und Stadtführer MICHAEL BIENERT die Geschichte des Axel-Springer-Verlages.

„Springer lügt!“ – ein Nachkriegsimperium kommt nach Berlin

1959 legte Axel Springer den Grundstein für das Berliner Verlagshaus an der sowjetisch-amerikanischen Sektorengrenze und übernahm die Aktienmehrheit an der Ullstein AG und am Ullstein Buchverlag. Damals trafen sich die Zeitungsleute noch im „Alten Fritz“, einer Kneipe in der Zimmerstraße 47 im amerikanischen Sektor. Um genügend Platz für den Bau des Springer-Hochhauses zu schaffen, wurden Häuser in der Zimmer- und in der Lindenstraße abgerissen, auch der „Alte Fritz“ musste weichen. Das Kreuzberghaus „Zum Alten Fritz“, ein 1960er-Jahre Hochhaus in der Lindenstraße 76-78 erinnert an die berühmte Traditionskneipe. 

Während Springer baute, wurde 1961 die Mauer errichtet und erstreckte sich mehr als 400 Meter parallel zur Baustelle. Einweihung des Axel-Springer-Hauses war im Oktober 1966. Sabine Flatau schreibt am 10. Juni 2008 auf morgenpost.de: „Obwohl Deutschland in Ost und West geteilt ist, glaubt der Hamburger Verleger Axel Springer fest an die deutsche Einheit. Deshalb will er sein Verlagshaus im geteilten Berlin, am Rande des amerikanischen Sektors, bauen. Nur wenige Meter werden es vom Ostteil der Stadt trennen. Der Ort an Koch- und Zimmerstraße hat eine Tradition, der sich Springer verpflichtet fühlt.“ (5)

Noch vor der Einweihung ziehen die ersten Redaktionen in das Haus, so im Mai 1966 die Berliner Morgenpost. Dr. Michael Ludwig Müller, damals hochschulpolitischer Korrespondent für das Blatt, beschrieb den Umzugstag in der Berliner Morgenpost: „Für die Berliner Morgenpost war es bereits am 21. Mai 1966, viereinhalb Monate vor dem offiziellen Einweihungstermin 6. Oktober, so weit. Die Zeitung des folgenden Tages musste zwischen Koffern und Kisten gemacht werden. Manuskripte waren vor 18 Uhr abzugeben. Dann holten Packer die Schreibtische und Schreibmaschinen ab.“ (6)

Kreuzberger Hausbesetzer-Szene gegen Springer

1967 wechselte Springer mit seinem Firmensitz von Hamburg nach West-Berlin, in einer Zeit, wo Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, die Revolten der Studenten und der Außerparlamentarischen Opposition (APO) an der Tagesordnung waren. Springer diffamierte diese Bewegungen unverhohlen in seinen Blättern. Mit dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke 1968 eskalierte die Situation. Es kam zu Straßenschlachten vor der Springer-Zentrale. 

Am 30. April 2008 wurde ein Teil der Kochstraße auf Vorschlag der überregionalen Tageszeitung taz nach jahrelangen rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt. Das neue Straßenschild an der Ecke zur Axel-Springer-Straße wurde direkt vor dem Axel-Springer-Hochhaus enthüllt. 

Nach den Studentendemos in den 1960er- und 1970er-Jahren opponierte in den 1980er-Jahren die Kreuzberger Hausbesetzer-Szene gegen Springer. Die Westberliner Hausbesetzer revoltierten gegen das Plattmachen von billigem Wohnraum zu Gunsten von Einheitsbauten und Luxuswohnungen. In der Axel-Springer-Straße, früher ein Teil der Lindenstraße, befand sich bis 1961 die alte Berliner-Hauptfeuerwache, seit 1984 ein Stadtteilzentrum. Nachdem die Feuerwache in den Bezirk Berlin-Charlottenburg umgezogen war, ging die Immobilie an das Bezirksamt Berlin-Kreuzberg. Zwischen 1980 und 1983 quartierten sich hier Aussteiger, lesbische Gruppen und Künstler als Hausbesetzer ein. Matthias Berner, damals Polizeireporter bei der Berliner Morgenpost, erinnert sich: „Wenn Staatsbesuch oder ein anderer hoher Gast nach Westberlin kam, pinselte immer jemand ‚Springer lügt’ mit weißer Farbe auf das Teerpappedach der Feuerwache. Natürlich ließ Springer den provokanten Satz, der wunderbar von den Empfangsetagen des Verlags im 18. und 19. Stockwerk zu sehen war, wieder und wieder schwarz übertünchen. Aber die alternative Kreuzberger Szene ließ sich nicht davon abhalten, bei passender Gelegenheit aufs Neue weiß auf schwarz zu verkünden, ‚Springer lügt!’. Das ging so lange hin und her, bis der ergraute Schriftzug wie in das Dach gemeißelt wirkte und auch durch Übertünchen nicht mehr unsichtbar wurde.“ 

Die taz belebt das Viertel

Im Juni 1989 kam die links-alternative tageszeitung (taz) vom Berliner Wedding nach Kreuzberg und bezog ein eigenes Haus, erbaut 1910, in der Kochstraße 18 (jetzt Rudi-Dutschke-Straße), schräg gegenüber vom Springer-Konzern. Die taz feierte in jenem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum. „Nun kam die tageszeitung nicht gerade voll des publizistisch-historischen Bewusstseins ins Zeitungsviertel, sondern weil es hier vor dem Mauerfall billiger war, an ein Grundstück zu kommen. … Doch mit dem taz-Zuzug kam auch etwas von der alten Spannung in das Geviert um Zimmer-, Schützen- und Kochstraße zurück.“ schreibt Steffen Grimmberg in der taz anlässlich des 20-jährigen Umzugsjubiläums der Zeitung. (7) 

Der historische Moment, die legendäre Pressekonferenz des am 6. November 1989 frisch gekürten Sekretärs des ZK der SED für Informationswesen, Günter Schabowski, ereignete sich unweit, in der Mohrenstraße 38, nahe dem Hausvogteiplatz. Im Internationalen Pressezentrum der DDR verkündete Schabowski am 9. November 1989 irrtümlich, dass die Grenze ab sofort offen sei. Heute ist dieser Gebäudekomplex Sitz des Bundesjustizministeriums. 

Nach Mauer und Wende: Neues Medienviertel am alten Ort

1994 erweiterte Springer sein Verlagsgebäude um einen Anbau an sein Hochhaus. Im Januar 2004 wurde in der Markgrafenstraße 19 a die Axel-Springer-Passage eröffnet, ein modernes Kommunikationszentrum mit Büros, Konferenzzentrum, Arztpraxen, Gastronomie und acht Lichthöfen, die die traditionelle Architektur der Berliner Höfe aufnimmt. (8) Früher stand auf dem Areal das damals denkmalgeschützte Druckhaus Springers, das für den Bau der Passage Ende der 1990er-Jahre abgerissen wurde. Die Ullstein-Halle verbindet die Passage mit dem Springer-Hochhaus und ist inzwischen ein beliebter Veranstaltungsort, zum Beispiel für die Verleihung der „Goldenen Kamera“. 

2010 zog die bedeutendste deutsche Nachrichtenagentur dpa von ihrem einstigen Hamburger Hauptsitz in die Berliner Markgrafenstraße 20, ein Gebäude, das zum Springer-Komplex gehört. Die dpa führte damit erstmals alle zentralen Redaktionen unter einem Dach zusammen. Hier arbeiten im 3800 Quadratmeter großen Newsroom die Zentralredaktion mit allen Ressorts und Redaktionen für den Basisdienst mit Text, Foto, Grafik und Online, der Bilderdienst, der früher in Frankfurt am Main beheimatet war und die Redaktionen des ehemaligen Bonner, später Berliner Büros mit Wort-, Bild-, Audio- und Videoservice sowie 15 Bundeskorrespondenten. Auch die Chefredaktion ist hier ansässig, während Unternehmenssitz, Geschäftsführung und Vertrieb im Hamburger Stammhaus blieben. „Nur so werden wir dem digitalen Zeitalter gerecht und sind in der Lage, eine ressort- und medienübergreifende multimediale Berichterstattung aus einem Guss zu liefern“, erläutert Unternehmenssprecher Christian Röwekamp. Nicht in Berlin sind die zwölf deutschen Regionaldienste (Landesdienste) mit etwa 50 redaktionellen Standorten und die Auslandsdienste der dpa.  

Haus der Presse – Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V.

Die Konkurrenz, die dapd nachrichtenagentur GmbH, hat übrigens nur zweieinhalb Kilometer entfernt, in der Reinhardtstraße 52, ihr Quartier bezogen. Am 21. September 2000 weihte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V. (BDVZ) in der Markgrafenstraße 15 das Haus der Presse ein. Neben dem BDVZ sitzen hier noch andere Verlegerverbände. Der historische, 1894 gegründete Verein Deutscher Zeitungsverleger saß übrigens nicht im Zeitungsviertel, sondern in der Matthäikirchstraße, nahe dem Potsdamer Platz. Am Askanischen Platz, nur einen knappen Kilometer Fußweg vom Zeitungsviertel, arbeiten seit 2009 die Redakteure Des Tagesspiegels, der von der Potsdamer Straße hierher zog.  Außerdem haben sich Film-, Video- und Fernseh- und Medienservice-Gesellschaften sowie journalistische Ausbildungsstätten im Viertel selbst und in der Umgebung angesiedelt. 

Auch die beiden Berliner Journalistenverbände haben in unmittelbarer Umgebung des alten Zeitungsviertels ihre Büros etabliert: der Deutsche Journalistenverband Berlin in der Taubenstraße 20 und der Journalistenverband Berlin-Brandenburg in der Charlottenstraße 80. 

Das alte Zeitungsviertel lebt wieder!

Teil 1, „Die Wiege der Massenmedien“, finden Sie in NITRO 4-2011. 

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(1) Peter de Mendelsohn: Zeitungsstadt Berlin. Frankfurt/Main-Berlin-Wien 1982, S. 512 f.

(2)  Burghard Ciesla, Dirk Kühlow: Zwischen den Zeilen, Geschichte der Zeitung Neues Deutschland, Verlag Das Neue Berlin, 2009

(3) ebenda, siehe auch (4) Müller-Enberg, Meinungsoffiziere, S. 308

(4) http://www.berlin.de

(5) http://tinyurl.com/7yhk9xu

(6) http://tinyurl.com/85d8k4q 

(7) http://www.taz.de/!36218/

(8) www.axel-springer-passage.de

KASTEN 1

http://zeitungsviertel.de

Museum für Kommunikation: http://www.mfk-berlin.de/

Stadtführungen mit Michael Bienert: http://www.text-der-stadt.de/touren.html

Initiative Berliner Zeitungsviertel e. V.: http://berliner-zeitungsviertel.de 

KASTEN 2 

Der Gefreite der DDR-Grenztruppen, Reinhold Huhn, wurde 1961 durch den Fluchthelfer Rudolf Müller erschossen. Müller war zuvor nach Westberlin geflohen, musste aber seine Familie im Ostteil der Stadt lassen. Mit Wissen und Duldung des Springer-Verlags grub Müller gemeinsam mit anderen Fluchthelfern einen Tunnel, der von der Springer-Baustelle bis zur Zimmerstraße in Ostberlin reichte, um seine Familie nach Westberlin zu holen. Nah des Tunneleingangs traf Müller auf seine Familie. Auf dem Rückweg zum Tunnel stieß die Familie auf Huhn und seinen Postenführer, die sie kontrollieren wollte. Müller schoss Huhn unvermittelt aus nächster Nähe in die Brust. 

Unterdessen wurde im Springer-Verlag schon die „Siegesfeier“ vorbereitet und der Chef von Bild-Berlin stellte den Whisky parat. (Götz Aly: Die Wahrheit über Reinhold Huhn. In: Berliner Zeitung, 23. April 1999) Später unterstützten der Westberliner Senat und Blätter wie die B.Z. und Der Tagesspiegel, Müllers Variante, dass der Postenführer Huhn erschossen haben sollte. Es kursierten Schlagzeilen wie „Schießwütige Vopos töteten eigenen Posten“. Die DDR-Führung jedoch behauptete, dass Müller im Auftrag von Konrad Adenauer und Willy Brandt gehandelt hätte und strebte erfolglos ein Auslieferungsverfahren an. Ein Ermittlungsverfahren gegen Müller in West-Berlin wurde Ende 1962 eingestellt. Erst während eines neuen Prozesses 1996 gestand Müller seine Tat und wurde wegen Mordes zu einem Jahr Freiheitsentzug mit Bewährung verurteilt.

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