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Jim Rakete – Meister der Fotografie: The German Eye
Foto: Bernd Lammel
Fotografie

Jim Rakete – Meister der Fotografie: The German Eye 

Jim Rakete gilt als Meister der analogen Schwarz-Weiß-Fotografie. Sein Name ist wie kaum ein anderer mit der Musikbranche verbunden. Er fotografierte nicht nur Jagger, Hendrix und Bowie, sondern managte in den 1980er Jahren auch erfolgreich deutsche Bands. Zuletzt konservierte er die deutsche Filmszene in wunderbar ungeschminkter Fassung. Mit NITRO sprach er über die neue Creative Class, seine Wertschätzung für Kunst und den Abschied von der geliebten Analog-Fotografie.

? Ihre Karriere begann als Fotograf für Tageszeitungen und Agenturen. 1977 haben Sie in Berlin Kreuzberg das Kreativlabor „Fabrik“ gegründet. Sie arbeiteten dort nicht nur als Fotograf, sondern auch als Produzent und Manager. War das eine gute Zeit für Sie?

! Für mich fühlt es sich immer noch gut und richtig an, was ich damals gemacht habe. Ich kam 1977 mit einem kleinen Hauch Geld auf meinem Konto von München zurück nach Berlin. Also mietete ich mir eine Fabriketage, die groß genug war, um dort allen möglichen Unfug treiben zu können. Wir begannen mit zwei Studios, einem großen Sitzungstisch, einem Autoren, einem Grafiker und einer Schauspielerin. Später kamen eine Fotoassistentin und ein Karnickel hinzu. Da saßen wir nun zusammen und entwickelten Ideen. Und dann begegnete ich der Nina Hagen Band. Wir konzentrierten uns von da an auf Rock´n´Roll und wurden schnell zu einer angesagten Adresse für Rockmusik in Deutschland. Zu unseren Künstlern gehörten Leute, die richtig viel Geld verdienten und solche, die gar keins verdienten. Dieses Konzept funktionierte so lange gut, bis man der Selbstver- wirklichungslüge aufsaß.

Jeder ist kreativ – wer wollte das bestreiten?

? Was ist denn eine Selbstverwirklichungslüge?

! Ich sollte sagen: Selbstverwirklichungsfalle. Jeder ist kreativ – wer wollte das bestreiten?In den 1980er Jahren gab es erstmals den Run auf die Kreativsparte. Die Zeitgeistmagazine und Talk Shows waren voll von Quereinsteigern. Aus diesem Mini-Starsystem ist im Laufe vieler Jahre eine riesige Kreativbranche geworden, bestehend aus tollen jungen Leuten, die an glühenden Computern sitzen und durchaus die Illusion einer Gemeinschaft haben, weil sie miteinander verbunden sind. In Wahrheit aber müssen sie unentwegt ihre Arbeit ins Netz stellen, um auf zu fallen. Das verdirbt ihre Preise, macht sie austauschbar, weil man selbst Künstler nun als Dienstleister wahrnimmt.

? Warum?

! Journalisten, Fotografen, Musiker, alle müssen ihre Arbeit erst einmal kostenfrei ins Netz stellen. Dazu singen die Piraten den Hit der Alles-Umsonst-Gesellschaft.Die Arbeit selbst scheint immer mehr zur Praktikantentätigkeit zu verkommen, aberwovon soll die Creative Class leben, wenn Copyrights und Patente sich auflösen? Für ein Land wie Deutschland, das keine Bodenschätze besitzt, sondern vor allem geistiges Eigentum schafft, bedeutet dies, dass es dann nichts mehr zu verkaufen hätte.

Wir sind quasi auf dem Sozius der 1968er Jahre aufgewachsen

? Sie waren Fotograf, Produzent und Manager in einer Person. Kann man drei so verantwortungsvolle Jobs heute auch noch auf einmal machen?

! Ich stamme aus einer Generation, in der die Neubestimmung der Verhältnisse ganz wichtig war. Wir wollten bahnbrechend arbeiten und bahnbrechend heißt, dass man die Schneise, die man zum Laufen braucht, selbst schlägt. Dass das nicht ohne Widerstand geht, war jedem von uns klar. Wir sind quasi auf dem Sozius der 1968er Jahre aufgewachsen. Unsere Streitkultur war berüchtigt. Außerdem war es mir in bestimmten Momenten meines Lebens egal, ob ich Fotograf, Schreiber, Grafiker oder Tankwart bin. Ich hatte immer eine Richtung im Kopf und wollte tolle Projekte verwirklichen.

?… und so großartige Musiker wie Jimi Hendrix, Mick Jagger und David Bowie in Berlin zu fotografieren. Wie kam es zu diesen Begegnungen?

! Hegel sagt sinngemäß, der Zufall sei das Zusammentreffen zweier Notwendigkeiten. Ich bin  vielen Leuten begegnet, weil ich für Zeitungen arbeitete, und Berlin war immer schon ein Anziehungspunkt für Talente, für die ich dann wiederum ein gutes Näschen hatte.

Träume finde ich über alle Maßen beschützenswert

? Trotzdem war es doch ein großer Glücksfall, denn solche Leute stehen ja meist unter einem enormen Zeitdruck…

! …und ich auch. Bevor ich über den Kaufpreis für meine Arbeit nachdenke, lege ich den Zeitpreis fest. Ich gehe auch sehr respektvoll mit der Zeit anderer Leute um. Zeit ist die wichtigste Ressource eines Menschen. Ein guter Teil der Zeit geht im Wohlstand allerdings dafür verloren, sein Leben zu dekorieren und zu überlegen, wie Dinge noch besser aussehen können. Von den Dingen, die einen glücklich machen, sind die wenigsten materieller Natur.

? Wie lange haben Sie gebraucht, um das zu begreifen?

! Ich hatte relativ früh in meinem Leben eine Krise, die mich dazu brachte, eher meine Wünsch statt meine Probleme zu managen. Das hat mich sehr stark verändert. Ein gutes Unterscheidungsmerkmal für das eigene Leben ist, ob man einer Illusion nachjagt oder einem Traum. Träume finde ich über alle Maßen beschützenswert. Vorzugsweise die von einem guten Film, und nicht vom Roten Teppich…..

Die Protagonisten wie Jagger oder Hendrix waren die Unangepassten

? Warum war damals die Rockmusik für Sie so wichtig?

! Ich habe gespürt, dass sie die Gesellschaft veränderte. Sie rückte den Vietnam-Krieg, die Bürgerrechte und die Proteste der jungen Generation ins Bewusstsein der Menschen. Rockmusik war der Soundtrack dieser Bewegung. Die Protagonisten wie Jagger oder Hendrix waren die Unangepassten, die alle Nachteile in Kauf nahmen und trotzdem Karriere machten, und zwar aufgrund ihrer Eigenwilligkeit. Heute erleben wir durch die Casting-Shows die völlige Umkehr der Karriere. Wenn die Casting-Show vorbei ist und die Sieger feststehen, haben die das Schönste bereits hinter sich und ihr größtes Publikum schon gehabt. Was kommt danach? Ich befürchte nichts.

? Wie haben Sie die Stars damals empfunden? Waren die noch offener, frischer und weniger arrogant als heute?

! Mit dem Begriff Arroganz konnte ich noch nie viel anfangen. Ein Beispiel: Mit siebzehn sollte ich Herbert von Karajan für die Zeitung Der Abend fotografieren. Ich telefonierte ihm erst einmal endlos hinterher. Irgendwann drängte die Zeit und ich erfuhr, dass er in einer Kirche am Ende der Welt die Matthäus-Passion aufnahm. Ich fuhr dorthin und die Philharmoniker kamen gerade von der Mittagspause. Ich stellte mich in den Strom dieser Pinguine und wartete auf Herbert von Karajan. Als er mich sah, hielt er inne, stellte einen Fuß auf die Stufe, auf der ich stand und hielt mir sein Ohr entgegen, um zu hören, was ich zu sagen hatte. Am Ende meiner Rede stellte er mit einem abschließendem Blick sicher, dass ich fertig war und sagte dann: „Nein“. Ohne dies zu begründen. An dem Tag lernte ich, dass das unbegründete Nein das stärkste Nein überhaupt ist. Und ich erlebte eine Persönlichkeit, die sich entscheiden konnte. Das fand ich überhaupt nicht arrogant.

Die Schwarz Weiß Fotografie ist eine Reduktion

? Nach dem Mauerfall, waren Sie elf Jahre nicht in Berlin, sondern pendelten zwischen Hamburg und Los Angeles. Warum sind Sie ausgerechnet in dieser Zeit  weggegangen?

! Meine Entscheidung wegzugehen war schon vorher gefallen, weil Berlin einfach nicht mit den Ansprüchen mit wuchs. Es gab kein einziges Kurierunternehmen, keine Modelagentur und Styling war ein Fremdwort. Es gab keine Mietstudios, es gab eigentlich gar nichts. Es war einfach sehr schwer besser zu werden. Hamburg dagegen besaß zu der Zeit schon eine gute Infrastruktur. Also ging ich dorthin. Gleichzeitig mit meiner Entscheidung fiel die Mauer. Da saß ich gerade mitten in Dreharbeiten zwischen Donald Sutherland und Geraldine Chaplin auf abgeschabten Sesseln in Portugal, und wir guckten völlig fasziniert auf einen schneienden Fernseher, auf dem zu sehen war, wie die Trabis den Kurfürstendamm einnahmen. In diesem Moment war mir echt blümerant.

? Sie haben sich jeder Veränderung und jedem Wandel gestellt, sind von Berlin nach Hamburg und nach Los Angeles gegangen. Nur an der Schwarz-Weiß-Fotografie hielten Sie fest? Warum?

! Die Schwarz Weiß Fotografie ist eine Reduktion. Sie befreit einen vom Ballast, dass man eine Sache sofort an einer Zeit festmacht, an einer Farbenlehre, die einem die Mode vorgibt. Die Schwarz-Weiß-Fotografie ist wie eine Zeichnung. Für eine solche Zeichnung muss man ganz bestimmte Fertigkeiten entwickeln. Man muss nämlich in der vereinfachten Form immer noch etwas zu sagen haben. Man kann nicht bluffen. Der New Yorker Mode- und Porträtfotograf Irving Penn ein wurde einmal gefragt, warum er nicht draußen fotografiere, und er antwortete: Das habe ich probiert und aufgegeben: zu viele Möglichkeiten. Das Phänomen, das wir im Augenblick erleben, ist eine unendliche Bilderflut. Mit ein paar Apps wird aus einem stinknormalen Foto sofort ein alt aussehendes Polaroid, mit den entsprechenden Farbverschiebungen und Pigmentierungen. Ich habe neulich eine Kamera gekauft, die hat sofort die Gesichter glatt gerechnet.

Wir wollten eine Hall Of Fame fotografieren

? Jetzt entscheidet die Kamera schon, wie wir auszusehen haben?

! Nicht nur das. Unsere Autos bevormunden uns ja auch ständig, mein Computer sagt mir, wie ich die Wörter schreiben soll, aber ich bin schon gern Herr meines Instrumentariums.

? Gerade eben erschien Ihr Bildband „Stand der Dinge“ in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filmmuseum in Frankfurt – in Farbe und digital. Warum?

! Wir wollten eine Hall Of Fame fotografieren, zu der anfangs zwanzig Schauspieler gehören sollten. Der Direktor des Filmmuseums Hans Peter Reichmann hatte die Idee, einen Ziegelstein mit zwanzig Löchern zwanzig Künstlern in die Hand zu geben und sie damit zu fotografieren. Da waren es noch zwanzig Protagonisten. Es wurden dann täglich mehr Filmschaffende, und wir fragten uns, wie ein Buch voller Backsteine aussehen würde. Denn eigentlich wollten wir die Geschichte des deutschen Films mit erzählen. So kamen wir darauf, den Gegenstand im Leben der Filmschaffenden festzuhalten, der ihr berufliches Leben am meisten beeinflusst hat. Und da kam Farbe ins Spiel. Der BH zum Beispiel, den Floriane Daniel in Winterschläfer trug, war rot. Wenn der nicht in Rot dargestellt werden würde, dann ergäbe das keinen Sinn. Jede Figur in diesem Film von Tom Tykwer hat einen Farbcode. Kurz: Ein paar Requisiten wären ohne Farbe einfach nicht erzählbar gewesen. Zweitens hatten wir kein Geld, um Filme und Entwicklungskosten zu finanzieren und deshalb wurde digital fotografiert.

Ich bin mein Leben lang ohne Sponsoren ausgekommen

? Wenn man sich diesen prächtigen Bildband ansieht, könnte man meinen, dass Sie mit dem Buch auch Geld verdient haben.

! Keineswegs. In den vergangenen vier Jahren habe ich die Obdachlosen fotografiert, die Philharmoniker und die Rockpoeten. Das waren alles Projekte, bei denen die Kosten sehr viel höher waren als das, was man normalerweise bei einem Buch verdienen kann. Mit anderen Worten: das generiert alles viel Geld, aber nicht viel für mich, sondern für den Zweck.

? Sind all diese Projekte nicht gefördert worden?

! Nein. Ich bin mein Leben lang ohne Sponsoren ausgekommen, und das werde ich die letzten Jahre meines Lebens auch noch schaffen.

? Hat die Schwarz-Weiß-Fotografie in dieser digitalisierten Welt noch eine Zukunft?

! Keine besonders rosige. Die Entdeckung der Welt und damit verbunden die Erzählform der Welt, wird immer stärker von anderen Medien, vom Internet und vom Fernsehen übernommen. Fotos sollen bleiben, das war immer ihre Aufgabe – sie sind Teil unserer Erzählung, seltsamerweise die haltbarste.

Abschied von der Silberfotografie habe ich 2008 genommen

? In der Diskussion ist gerade die Abnahme der Wertschätzung für all die Dinge, die ein kreativer Mensch schafft…

! Leider. Alles ökonomisiert sich bis in die kleinste Nische, wird plötzlich zum Kostenfaktor. Ich möchte aber nichts umsonst geben und genauso wenig umsonst haben. Vor kurzem saß ich mit Studenten an der zweitgrößten Kunstakademie Deutschlands zusammen. Als ich sie fragte, welche politischen Projekte sie in Deutschland gerne vorantreiben würden, da sagte einer ernsthaft, dass sie keinen Eintritt für Museen mehr zahlen sollten, weil sie ja Kunststudenten seien.

? Worin sehen Sie Ihre Zukunft in der Fotografie?

! Ich bin meinem Medium, der Fotografie, ganz stark verpflichtet und wirklich sehr treu. Wie auch der Schreibmaschine. Ich bin dankbar dafür, dass es diese Dinge gab und gibt. Meinen ganz persönlichen Abschied von der Silberfotografie habe ich 2008 genommen, als ich noch einmal ein großes Analog-Projekt in Angriff nahm. Ein letztes Mal habe ich für das Buch „1/8 sec.“ Menschen mit der Plattenkamera fotografiert Es gibt ein Phänomen in der Fotografie. In dem Augenblick, da man auf den Auslöser drückt, ist er immer schon Geschichte.

Ich werde dennoch nicht zum Denkmal der klassischen Fotografie werden und dem Original des Negativs nachheulen. Es gibt zu viel zu tun. Und mich interessieren weiterhin die Geschichten der Anderen mehr als meine eigenen.

? Gibt es noch einen Traum, den Sie sich erfüllen möchten?

! Durchaus! Freund Wim Wenders, wie er so glücklich inmitten seiner Riesenbilder in der Harburger Phoenixhalle steht und sagt: mit denen habe ich mich belohnt für die Filme, die ich nicht gemacht habe. Jagdfieber, Da habe ich gedacht: vielleicht mal einen Film drehen für alle Bilder, die ich nicht gemacht habe?

? Was brauchen junge Kollegen heute, um in der Fotografie überleben zu können?

! Kein Jagdfieber. Man sollte den guten Bildern entgegen gehen, nicht nachlaufen. Ein vermögender Onkel wäre sicher hilfreich.

Das Interview führten Bettina Schellong-Lammel und Heide-Ulrike Wendt.

 

Vita Jim Rakete

Sein fotografisches Interesse gilt den Menschen. Schlicht und einfach sollen seine Bilder sein, möglichst wenig inszeniert. Filmstar oder Obdachloser, soziale Unterschiede machen vor seiner Kamera keinen Unterschied. In Jim Raketes Fotografien ist stets sein Respekt für sein jeweiliges Gegenüber sichtbar, und es ist das Bestreben nach dem Authentischen, das die  Bilder so einzigartig macht.

1951 in Berlin geboren, fotografierte Jim Rakete bereits während der Schulzeit für Tageszeitungen, Magazine und Agenturen. Seinen Schwerpunkt hatte er zunächst in der Musikszene – Stars wie Jimi Hendrix, Mick Jagger und David Bowie ließen sich von ihm porträtieren.

Von 1977 bis 1986 leitete er in Berlin-Kreuzberg das Kreativlabor „Fabrik“. Dort entstanden Plattencover für viele Bands der Neuen Deutschen Welle. Parallel übernahm Jim Rakete das Management von Musikern wie der Nina Hagen Band, Spliff, Nena, Die Ärzte und Interzone.

Die Liebe zur Fotografie bestimmte ab 1986 wieder sein künstlerisches Schaffen. Seither hat er mit zahlreichen Größen der deutschen und internationalen Musik- und Filmbranche gearbeitet. In den neunziger Jahren pendelte er zwischen Hamburg und Los Angeles, drehte als Director of Photography Musikvideos und Werbespots, um 2001 nach Berlin zurückzukehren. In den letzten Jahren fotografierte Jim Rakete auch zunehmend Politiker. Bereits 2008/2009 arbeitete er mit dem Deutschen Filmmuseum zusammen. Seinerzeit zeigte er die Ausstellung „1/8 sec. – Vertraute Fremde“, eine Hommage an die klassische analoge Porträtfotografie. Jim Rakete holte damals Prominente vor eine alte Plattenkamera, die den Porträtierten aufgrund dieser über 100 Jahre alten Technik ein zwölf Sekunden langes Stillstehen abverlangte. Und dadurch den ganz besonderen Moment einer intensiven Begegnung festhielt.

 

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