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UTOPIE Verkehrswende
Fake News oder Zeitungsente?
Foto: © Bernd Lammel für NITRO
Digitalisierung

Fake News oder Zeitungsente? 

Die Hysterie um Falschmeldungen erreichte bereits einen ersten Höhepunkt, als der frisch gekürte Präsident Donald Trump einen Journalisten von CNN mit den Worten „You are fake news“ abkanzelte. Die Frage ist: Wie sind korrekte Informationen von Fake News zu unterscheiden? ΝITRO sprach mit Markus Beckedahl, dem Gründer von netzpolitik.org, über das Geschäftsmodell der Lügenküchen, Zeitungsenten in der Qualitätspresse und darüber, wie die Medien auf die Provokationen der AfD überreagieren.


? Fake News ist gerade in den Social Networks, in Zeitungen, Zeitschriften und an Stammtischen ein Top-Thema. Angeblich plant das Bundesinnenministerium ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“, das sofort den Namen „Wahrheitsministerium“ erhielt. Was sagen Sie zu solchen Plänen?

! Mehr als eine Spiegel-Ankündigung habe ich bisher nicht gehört, deshalb kann ich dazu nur so viel sagen: Das Bundesinnenministerium hat unsere Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu diesem „Abwehrzentrum“ abgelehnt. Wir haben dagegen Widerspruch eingelegt und lassen uns überraschen, ob wir auf Auskunft klagen müssen.

Geschäftemacher, die im Internet Märchen erzählen

? Wäre ein solches „Abwehrzentrum“ tatsächlich geplant, steht die Frage im Raum: Wem soll es unterstellt werden?

In der ersten Info, die öffentlich wurde, hieß es, dass das Bundespresseamt zuständig sein soll. Das klang wie: Es wird eine Abteilung für Social-Media-Monitoring eingerichtet – neben der Abteilung, die für den Pressespiegel zuständig ist. Zwei Tage später hieß es, dass der Bundesinnenminister es in seinem Ministerium ansiedeln will. Wie gesagt, wir wissen nur das, was der Spiegel gemeldet hat.

? Im Bundesjustizministerium sollen neue Gesetze gegen Fake News geplant werden. Brauchen wir die wirklich?

Zuerst sollten wir mal definieren, worüber wir bei Fake News reden, denn hier wird viel durcheinandergewürfelt. Auf der einen Seite haben wir es mit dem Phänomen zu tun, dass Geschäftemacher im Internet Märchen erzählen und mit Clickbaiting (Klickköder, Anm. d. Red.) Werbeanzeigen generieren, um viel Geld zu verdienen. Ein Geschäftsmodell, das an verschiedene Frauenzeitschriften erinnert, nur jetzt wird es im Netz umgesetzt. Auf der anderen Seite haben wir es mit politisch motivierten Falschinformationen zu tun, die teilweise als Geschäftsmodell aufgebaut und in den USA unter Breitbart bekannt wurden. In Deutschland ist hier vor allem der Kopp-Verlag zu nennen, der solche politisch motivierten Falschinformationen beinahe perfektioniert, aber auch die Deutschen Wirtschaftsnachrichten ähneln diesem Modell. Zusätzlich verbinden viele Politiker das Beispiel von Renate Künast, wenn sie an Fake News denken. Hier wurde einer Politikerin ein falsches Zitat in den Mund gelegt und es ging um gezielte Diffamierung. So wird Stimmung erzeugt und es werden virale Effekte genutzt. Diese Gemengelage wird noch ergänzt durch die Debatte um eine vermeintlich große Gefahr durch Bot-Armeen, und auch russisches Hacking wird gern ins Feld geführt. In Deutschland wird zusätzlich mit den Resten der Hate-Speech-Debatte alles zu einer Fake-News-Debatte gedreht. Es ist also sehr unübersichtlich.

„Wahrheitsministerium“ könnte staatliche Zensur zur Folge haben

? Es gibt aber Menschen, die sich wünschen, dass Fake News in sozialen Netzwerken unterbunden werden. Was sagen Sie denen?

Ich kann mir vorstellen, dass bei einem Teil der Bevölkerung der Wunsch besteht, dass effektiver gegen Phänomene von Falschmeldungen in sozialen Netzwerken vorgegangen wird. Möglicherweise auch, weil ein Teil dieser Menschen sich unsicher fühlt, vielleicht schon mal beim Teilen von Fake News reingefallen ist und sich dann mit dem Thema alleingelassen fühlt. Ich bin aber auch sicher, dass ein Großteil davon ein „Wahrheitsministerium“ ablehnt, denn das könnte staatliche Zensur zur Folge haben.

? In den Medien kursierte nach der Meldung über das „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ sehr schnell der Begriff „Wahrheitsministerium“. Der Journalist und YouTuber Thilo Jung hat unter seinen Lesern eine Umfrage gestartet, ob sie ein „Wahrheitsministerium“ befürworten würden. Mehr als die Hälfte soll sich dafür ausgesprochen haben. Finden Sie es beunruhigend, dass viele spontan zustimmen würden?

Bei solchen Zahlen wäre ich sehr vorsichtig. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Teil seines popcornfressenden Publikums aus ironischen Gründen einfach auf Ja geklickt hat. Ich halte die Zahl für wenig aussagekräftig.

Woche für Woche neue Märchen über Königshäuser und Prominente

? Es gibt inzwischen die sogenannten Lügenküchen, beispielsweise in Mazedonien, in denen Fake News erfunden und ins Netz gestellt werden. Die sollen angeblich bis zu 5000 Dollar pro Tag verdienen und können sich sehr sicher fühlen, nicht erwischt zu werden. Gibt es wirklich keine Möglichkeit, beispielsweise für Facebook, die Verbreiter von Falschmeldungen zu identifizieren?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Facebook die Möglichkeiten hat, solche Clickbait-Fake-News-Fabriken zu identifizieren und im Algorithmus des Newsfeeds zu benachteiligen.

? Warum tun sie es Ihrer Meinung nach nicht?

Der Wille fehlt, weil es sehr fraglich ist, inwiefern solche Geschäftsmodelle nicht legal sein sollten. Ich nannte anfangs schon das Beispiel bestimmter Frauenzeitschriften, die Woche für Woche neue Märchen erfinden über Königshäuser, Prominente oder Sportler. Die verdienen seit Jahrzehnten damit gutes Geld, und nun tun es andere in einem digitalen Äquivalent. Worin besteht der Unterschied? Es geht ums Geschäft!

Menschen sollten nicht alles glauben und es auf Facebook teilen

? Werden die „Lügner im Netz“ anders bewertet?

Facebook hat angekündigt, sie anders zu bewerten. Wie das passiert? Lassen wir uns überraschen.

?  Großes Vertrauen scheinen Sie nicht zu haben.

Ich finde es rechtsstaatlich schwierig. Natürlich mag ich diese Phänomene nicht, und ich würde mir wünschen, mehr Menschen würden medienkompetent herangehen und nicht einfach alles glauben und es auf Facebook teilen. Denn sie sind quasi dafür mitverantwortlich, dass sich Fake News blitzschnell verbreiten. Natürlich wäre mir eine aufgeklärte Öffentlichkeit lieber als Menschen, die ungeprüft glauben, was im Internet steht.

? Früher hieß es: Stand in der Zeitung. Heute heißt es: Es stand im Internet.

Exakt.

? Falschmeldungen werden aber auch von Qualitätsmedien verbreitet. So hat Spiegel Onlinebeim NPD-Urteil des BGH die Falschmeldung verbreitet, die NPD sei verboten worden, und selbst Die Zeitund die ARDhaben diese Falschmeldung ungeprüft übernommen.  

Für mich war das kein Fake News, sondern eine klassische Zeitungsente.

Was sind Fake News? Es sind bewusste Falschinformationen

? Geht es nur darum, wer der Erste ist, der die Nachricht meldet?

Natürlich. Aufmerksamkeit ist eine der größten Währungen. Für die Medien ist es überlebenswichtig, dass sie gelesen, geklickt oder geschaut werden. Es ist ein Wettlauf, wer die Erstmeldung hat, und so entstehen Fehler. Natürlich ist es peinlich, wenn sich Medien entschuldigen und erklären müssen, dass die Nachricht falsch war. Auch hier ist die Frage: Was sind Fake News? Sind es bewusste Falschinformationen, möglicherweise mit einer politischen Motivation? Sind Fake News staatlich orchestrierte Propaganda? Es ist schwierig, darüber zu diskutieren, wenn jeder ein anderes Bild von Fake News im Kopf hat.

? Wurde netzpolitik.org schon mit Fake News konfrontiert?

Ständig! Erst kürzlich bekamen wir eine Twitter-Meldung mit einem Link zu CNN, die war extrem gut gemacht, bis hin zur URL stimmte alles, und trotzdem war es ein Fake. Am Ende stellte sich heraus, dass es eine Satireplattform oder Clickbait-Plattform war. Fanden wir recht kreativ gemacht, aber es zeigt natürlich, dass Journalisten sehr aufmerksam sein müssen, damit sie auf professionell gemachte Fake News nicht hereinfallen.

? Wie reagieren Sie auf Fake News?

! Wir haben in diesem speziellen Fall versucht, die Pressestelle von Twitter zu erreichen, um die Aussage zu verifizieren. Aber wir haben dort niemanden erreicht. Wir sind uns auch gar nicht sicher, ob die überhaupt existieren.

? Die Pressestelle ist virtuell?

! Vielleich wird sie gerade eingespart. Wir jedenfalls wollten nicht warten und haben allein herausgefunden, dass die Meldung ein Fake war.

Unbekannten Quellen nicht ungeprüft verwenden

? Mit wie vielen solcher Fake News werdet ihr konfrontiert?

Schwierig zu sagen, es sind viele. Wir arbeiten gründlich und versuchen zu verifizieren, woher die Meldung kommt.

? Sonst produziert ihr Fake News.

Genau. Es gilt der Grundsatz: Nur, weil wir von einer uns unbekannten Quelle oder Person eine Info erhalten, heißt das nicht, dass wir diese Information ungeprüft verwenden.

? Der Bundeswahlleiter bat die Bürger und die Medien zu Beginn des Jahres aufgefordert, in diesem Wahljahr besonders sensibel auf Nachrichten zu reagieren und Informationen sorgfältig zu prüfen. Sie haben widersprochen und gesagt, dass Fake News die Wahl nicht beeinflussen werden. Was macht Sie so sicher?

Ich wurde nach der Wahl in den USA gefragt, ob Fake News den Wahlkampf in Deutschland entscheiden werden. Ich habe geantwortet, dass es bisher keinerlei Anzeichen gibt, dass die kommende Bundestagswahl durch Fake News entschieden wird. Inzwischen gibt es mehr wissenschaftliche Empirie, die zumindest nahelegt, dass es eine gewagte These ist. Viele kritisieren das postfaktische Zeitalter, und genau in dieser entscheidenden Frage argumentieren sie sehr postfaktisch.

AfD sollte nicht durch extreme Polarisierung Aufmerksamkeit erhalten

? Erwarten Sie im Bundestagswahlkampf eine ähnliche Schlammschlacht wie zur Präsidentschaftswahl in den USA?

Der US-Wahlkampf ist kaum mit dem Wahlkampf in Deutschland zu vergleichen, weil die Parteiensysteme komplett anders sind. In Deutschland gibt es nicht diese Polarisierung zwischen zwei Parteien, sondern eine größere Parteienvielfalt. Wir haben Angela Merkel, die als gesetzt gilt, und seit Ende Januar hat die SPD Martin Schulz, der jetzt ihr Hoffnungsträger ist.

? Er hat bereits gesagt, dass die SPD den Kanzler stellen kann.

! Das ist seine Jobbeschreibung für die nächsten Monate. Ich würde darauf im Moment nicht wetten.

? Sie werden höchstwahrscheinlich nicht unter 20 Prozent rutschen …

Um Angela Merkel zu schlagen, braucht die SPD aber mehr als 35 Prozent. Oder die SPD müsste eine ganz klare rot-rot-grüne Mehrheit erreichen und den Willen haben, mit den Linken zu koalieren. Auch das sehe ich im Moment nicht.

? Wo sehen Sie die größte Gefahr im politischen Spektrum?

Die größte Gefahr ist, dass viele Parteien, viele Bürger, vor allem aber die Medien auf eine auf Provokation ausgelegte Strategie der AfD hereinfallen. Es wäre quasi ein Geschenk für die AfD, wenn sie durch extreme Polarisierung Aufmerksamkeit in den Medien erhielte.

? Erwarten Sie auch Fake News?

Ja. Es gibt bei mir aber gefühlt eine große Überschneidung zwischen Lesern und Verteilern von Fake News und AfD-Wählern.

Titelseiten der Presse und die Topmeldungen in den Nachrichtensendungen

? Populisten wie der AfD-Politiker Höcke werden weiter polarisieren und provozieren, denn die AfD hat ihn trotz seiner Aussagen zum „Mahnmal der Schande“ nicht aus der Partei ausgeschlossen.

Warum sollten sie Herrn Höcke ausschließen? Der steht für fünf Prozent der AfD-Wähler. Der ist ganz sicher in Thüringen. Außerdem spielt er perfekt, was im Wahlkampfpapier der AfD in Sachen Provokation steht.

? Sie meinen, er spricht aus, was andere AfD-Politiker denken?

Da bin ich sicher. Die Provokation von Herrn Höcke sicherte der AfD schließlich mehrere Tage lang die Titelseiten der Presse und die Topmeldungen in den Nachrichtensendungen.

? Haben die Medien dazu beigetragen, dass die AfD so populär werden konnte, weil sie über jedes Stöckchen gesprungen sind, das ihnen die AfD hingehalten hat?

Ja, und ich finde diese Reaktionen auch sehr unglücklich. Traurig ist aber auch, dass es bisher kaum erfolgreiche Strategien gibt, wie man als Nachrichtenredaktion mit dem Dilemma umgeht. Einerseits über Ereignisse wie den Ausfall von Herrn Höcke zu berichten, andererseits nicht auf die Provokation reinzufallen und am Ende genauso zu reagieren, wie die Provokateure es gehofft haben.

 

Das Interview führte Bettina Schellong-Lammel

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