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Fotografie
Die verlorene Ehre der Fotografie
Foto: © Bernd Lammel
FOTOGRAFIE authentisch oder generiert?

Die verlorene Ehre der Fotografie 

Im goldenen Zeitalter des Fotojournalismus galt das Bild als unmittelbares Zeugnis der Wirklichkeit – roh, spontan, unverstellt. Fotografen waren stille Chronisten der Geschichte, die mit ihrer Kamera das Flüchtige festhielten: einen Blick, einen Aufschrei, einen Moment, festgehalten für die Zeitgeschichte. Doch seit einigen Jahren verschieben sich die Koordinaten dieses Bildstils fundamental. An die Stelle des ungestellten Augenblicks treten zunehmend kontrollierte Motive. Sie sind orchestriert, genehmigt, optimiert und werden zunehmend auch generiert.

Hier soll nicht das Lied „Früher war alles besser“ gesungen werden. Wir wissen, es stimmt sowieso nicht. Es war anders und vor allem langsamer. Das unmittelbare Zeugnis der Wirklichkeit war schon immer eine Illusion, weil die Fotos von Menschen aufgenommen wurden. Sie haben stets den individuellen Bildausschnitt mittels Brennweite, Bildwinkel, Unter- oder Draufsicht bewusst gewählt. Schon darin bestanden immer die individuelle Wertung und Aussage der Fotos. Ich hatte vor vielen Jahren einen Kollegen, der stets kleine Requisiten mitführte. Je nach Jahreszeit mal einen Fliederzweig oder auch ein paar Schlittschuhe. Er erklärte mir, damit langweilige Motive „aufzupeppen“, die von der Bildredaktion beauftragt wurden. Das bringe auch optische Tiefe ins Bild, wenn dort, wo gar kein Baum wuchs, ein grüner Zweig ins Bild rage. Generierte und scheinbare Wirklichkeit braucht keine KI. Es gibt tausende Motive auf dem Bildermarkt, die sich seit rund zwei Jahrzehnten immer schneller seuchenartig als „Symbolfotos“ verbreiten. Dazu brauchte es anfangs keine Fotomontagen, aber immer noch Milieus, in denen sie massenhaft wie am Fließband gefertigt wurden.

Datenschutz-Grundverordnung ein potenzielles Rechtsrisiko

Wichtig war lediglich, ob diese auf Vorrat produzierten Fotos den vorhersehbaren Erwartungen von Entscheidern in Fotoredaktionen, Werbe- oder PR-Agenturen entsprachen.

Die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Jahr 2018 hat den dokumentarischen Charakter spontaner Fotografie auf öffentlichem Grund drastisch beschnitten. Was einst als selbstverständlicher Bestandteil einer demokratischen Öffentlichkeit galt, nämlich das fotografische Erfassen gesellschaftlicher Realität, ist nun ein potenzielles Rechtsrisiko. Wer Menschen im öffentlichen Raum fotografieren will, braucht heute ihre vorherige schriftliche Einwilligung. Für journalistische Arbeit gibt es zwar Ausnahmen, doch die Grenze zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht wird seither mit spitzem Stift gezogen. Die Authentizität bleibt auf der Strecke.

Es gibt in der Pressefotografie, besonders in Magazinen, inszenierte Motive, die durchaus ihre Berechtigung haben.

Früher wurden Foto als „Nachgestellte Szene“ gekennzeichnet

Titel und Seitenaufmacher können, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren, selbst überspitzt inszeniert werden. Leser erkennen solche Fotos in deren Absicht und Wirkung. Außerdem gibt es Situationen, die fast unmöglich zu fotografieren sind. Ein Nachrichtenmagazin beauftragte mich vor vielen Jahren eine Reportage über Wilderei in den Weiten der Brandenburger Wälder zu fotografieren. Leicht gesagt, aber wie soll man sich und mit wem zu einem solchen Ereignis verabreden? Wir kamen überein, mit Hilfe von Staatsanwaltschaft und Förstern eine realistisch wirkende Szene nachzustellen. Damals wurde das Foto selbstverständlich und deutlich als „Nachgestellte Szene“ gekennzeichnet. Inzwischen werden Szenen von Einbrechern, die Fenster aufhebeln, oder Ladendieben wie normale Pressefotos gedruckt. Die meist der Dramatik halber mit Superweitwinkelobjektiven aufgenommenen Fotos sind nur noch selten als Symbolbilder gekennzeichnet. Hier geht es um den Effekt, wie wir ihn auch in der Unternehmens- und zunehmend der Politikfotografie finden.

Die visuelle Außendarstellung in Unternehmen und Institutionen professionalisiert sich gleichzeitig weiter. Im Bereich der sogenannten Corporate Media entstehen Bilder nicht mehr aus dem Moment, sondern in Redaktionsmeetings, Moodboards und nach Freigabeschleifen. Die visuelle Sprache ist glatt, markenkompatibel und emotional aufgeladen, aber selten überraschend. Das Corporate Image ersetzt zunehmend die dokumentarische Wirklichkeit. Wer zahlt, bestimmt Bildinhalt und Kontext.

KI-generierte Fotomotive füllen heute zahllose Bilddatenbanken

Dazu kommt ein weiterer Akteur auf der Bühne der Bilder: die Künstliche Intelligenz. KI-generierte Fotomotive füllen heute zahllose Bilddatenbanken. Sie sind lizenzfrei, rechtssicher, makellos und frei von jeder Wirklichkeit. Sie stellen keine Fragen und verletzen keine Persönlichkeitsrechte. Sie zeigen, was Nutzer sehen wollen, nicht, was wirklich passiert ist. Damit werden sie zur bequemen Alternative für Redaktionen, die Zeit und Geld sparen wollen oder rechtliche Sicherheit suchen. Gleichzeitig werden sie zur stillen Gefahr für unsere visuelle Kultur. Denn wenn das Bild seine Bindung an die Realität verliert, verliert es auch seine demokratische Sprengkraft.

Was bleibt dem Fotojournalismus in dieser Gemengelage? Er muss sich nicht nur gegen wirtschaftliche und rechtliche Einschränkungen neu behaupten, sondern auch gegen eine wachsende Gleichgültigkeit gegenüber der Ehrlichkeit im Bild. Die gesellschaftliche Relevanz des authentischen Fotos bleibt ungebrochen. Sie wird sogar immer wichtiger in einer Zeit, in der Inszenierung zur Norm wird. Doch um weiterhin glaubwürdig und wirksam zu sein, braucht der Bildjournalismus klare gesetzliche Rückendeckung, faire Rahmenbedingungen und das Vertrauen der Öffentlichkeit.

Fotografie war nie nur Technik. Sie war immer vom Respekt der Bildautoren vor den tatsächlichen Geschehnissen geprägt. Zwischen DSGVO, Corporate Branding und Deepfakes entscheidet sich nun, welche Darstellung wir in Zukunft sehen wollen: die dokumentarische Kraft der Wirklichkeit oder eine ästhetisch optimierte Illusion ihrer selbst.

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