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Fotografie
Vom Schauspieler zum Fotograf: Armin Rohde wechselt die Seiten
Foto: Bernd Lammel
FOTOGRAFIE authentisch oder generiert?

Vom Schauspieler zum Fotograf: Armin Rohde wechselt die Seiten 

Fotograf? Nicht Schauspieler? Doch, das ist sein Beruf. Fotografie seine Passion. Wobei das fast ein wenig zu kurz gesprungen ist, denn Rohde ist auch hinter der Kamera ein Künstler, auch wenn er seine Fotos lange niemandem zeigte. Im Interview mit Ν erzählt Armin Rohde, dass es einen Perspektivwechsel vom Schauspieler zum Fotografen und umgekehrt gibt, dass die Leica eines seiner schönsten Körperteile ist. Und er erklärt, was in der Fotografie das Schwierigste ist: einen eigenen Weg und Stil zu finden.                      

? In Deutschland sind Sie als Charakterdarsteller bekannt. Ihr Interesse gilt aber nicht nur der Schauspielkunst, denn Sie haben eine zweite große Leidenschaft: die Fotografie. Wann und wie sind Sie zur Fotografie gekommen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Ich kam lange vor der Schauspielerei zur Fotografie. Schon in den 1970er-Jahren hat mich das haptische Erlebnis gereizt. Meine erste Kamera war eine Asahi Pentax Spotmatic II, und ich hatte mir drei Vivitare zugelegt, weil ich mir die Originalobjektive damals nicht leisten konnte und die Vivitare gar nicht schlecht waren. Das Geld für die erste Kamera habe ich mir im Winter auf dem Rohbau sehr schwer verdient. Diesen Geruch nach Kalk, Eisen und kaltem Staub vergesse ich nicht. Der Vater meiner ersten festen Freundin war Heizungsmonteur und fotografierte auch mit einer Asahi Pentax. Möglicherweise bin ich durch ihn zur Fotografie gekommen, wirklich rekonstruieren kann ich das heute nicht mehr.

? Die Kamera, für die Sie so schwer arbeiten mussten, war sicher besonders wertvoll für Sie?

Die erste Kamera trug ich immer bei mir. Ich hatte sie auch dabei, als ich Mitte der 1970er-Jahre für ein Jahr in die USA gegangen bin. Für das ganze Jahr USA hatte ich insgesamt acht Röllchen Ilford-FP4-Filme dabei. Ich glaube, es waren damals 400 ASA. Bei einer DIN-A4-Vergrößerung war das Korn schon deutlich zu sehen, aber es war das Empfindlichste, was man damals bekommen konnte. Ich wusste nicht, was mich in den USA erwartete, und dachte, hochempfindliche Filme seien eine gute Idee.

Verlust der erste Kameraausrüstung in den USA

? Was haben Sie in den USA gemacht?

In den USA war ich mit einer Musikgruppe unterwegs. Wir waren nicht gut, wirklich nicht gut, aber wir hatten viel Spaß. Die anderen Musiker sind vorausgefahren, weil wir ein Konzert geben sollten an der Ostküste Kanadas in St. John, New Brunswick. Ich bin aus irgendwelchen Gründen, die ich heute nicht mehr weiß, allein hinterher getrampt. Unterhalb von Montreal nahm mich ein Hippie-Pärchen mit. Die kamen gerade von Elvis Presleys Beerdigung zurück, deswegen weiß ich, dass es August 1977 war. Ich stieg in deren Auto ein, das war innen mit lila Plüsch ausgeschlagen. Eigentlich ein geschmacklicher Albtraum, aber das war mir egal, ich wollte nur mitfahren. Irgendwann setzten sie mich am Straßenrand ab. Ich winke ihnen hinterher, und im Winken denke ich: Mist, ich hatte doch gestern Abend noch mehr Gepäck dabei. Die Kameraausrüstung! Da waren sie aber schon hinterm Horizont verschwunden. Ich fand später eine Ansichtskarte von Montreal in meiner Jacke, auf der stand: „Terribly sorry! Kleptomaniac. Understand?“

? Die Hippies haben Ihnen die Kameraausrüstung geklaut?

! Offenbar waren einer oder beide Kleptomanen. Sie hatten sogar eine Telefonnummer auf die Karte gekritzelt, die natürlich nicht funktionierte. Die Kameraausrüstung war weg – was schlimm genug war, weil ich die so hart verdient hatte. Aber das Allerschlimmste war: Es fehlten auch die acht belichteten Filme. Ich werde also nie wissen, was ich Mitte der 1970er als 21-Jähriger in den USA fotografiert habe. Wenn man für ein Jahr nur acht Röllchen à 36 Aufnahmen dabeihat, überlegt man sich genau, wann man den Auslöser drückt oder eben nicht. Ich werde also nie erfahren, welchen Blick auf die Welt ich damals hatte, speziell auf die USA in den 1970er-Jahren.

Erster Stempel mit der Aufschrift: „Impulsfoto Armin Rohde“

? Eine Fotoausrüstung kann man sich neu kaufen …

! … aber ich werde diese Bilder niemals zu Gesicht bekommen. Und das tut heute noch weh. Die Hippies haben sie wahrscheinlich irgendwo in den nächsten Papierkorb geschmissen, weil sie nichts damit anfangen konnten. Obwohl es damals mein Wunsch war, Berufsfotograf zu werden, habe ich danach viele Jahre nicht mehr fotografiert. Und das, obwohl ich mir schon einen Stempel hatte anfertigen lassen mit der Aufschrift „Impulsfoto Armin Rohde“.

? Vielleicht wären Sie ein großartiger Fotojournalist geworden …

! … oder ein Modefotograf oder Kriegsberichterstatter, ich weiß es nicht. Als ich zurückkam aus den USA, musste ich erst einmal zum Zivildienst. Und weil ich kurz vor dem Abi von der Schule abgegangen war, war jetzt eine Berufsentscheidung fällig. Ich überlegte: Was machst du jetzt? Meine Freunde hatten mir oft gesagt, dass ich für den Schauspielberuf geeignet bin. Das war mir damals nicht so klar, aber ich schloss mich erst einmal einem Off-Off-Theater an.

? Off-Off-Theater?

! Das war damals das Börsen-Theater in Wuppertal, ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in einem Altbau, in dem früher die Wuppertaler Börse war. Es wurde von sehr engagierten Leuten geführt, denen ich heute noch dankbar bin. Ich hatte mich dieser Theatertruppe angeschlossen und war sehr schnell sehr erfolgreich damit. So bin ich Schauspieler geworden.

? Die Fotografie kam in Ihrem Leben gar nicht mehr vor? 

! Erst einmal nicht, denn ich dachte: Okay, „höhere Mächte“ haben wohl entschieden, dass ich kein Fotograf werden soll, sondern Schauspieler.

? Wann haben Sie wieder mit dem Fotografieren begonnen?

! Wenn ich mich richtig erinnere, als die ersten digitalen Kameras beziehungsweise Smartphones aufkamen, mit denen man fotografieren konnte.

Das iPhone benutze als elektronisches Tagebuch und Merkhilfe

? In welchem Jahr war das? 

! Wann kam das erste iPhone raus? 2006! Da war ich von Apple eingeladen worden, quasi als Multiplikator, und bekam das erste iPhone mit einem Zweijahresvertrag. Irgendwann wusste ich, dass ich eine richtige Kamera brauche. Ein iPhone benutze ich zwar heute immer noch, aber eher als elektronisches Tagebuch und als Merkhilfe. Für richtige Fotos musste ich eine richtige Kamera in der Hand halten.

? Sind Sie Autodidakt oder hatten Sie einen Fotolehrer?

! Ich bin Autodidakt. Das Tolle am Internet ist, dass man sich von den weltbesten Fotoprofis ausbilden lassen kann. Außerdem habe ich ein ganzes Regal voll mit Bildbänden großer Fotografen. Meine Heldin ist Vivian Maier, die Göttin der Straßenfotografie, und ich mag den Belgier Harry Gruyaert. Auch William Eggleston begeistert mich. Ernst Haas, Fred Herzog, Robert Doisneau, Elliott Erwitt, Fan Ho, Saul Leiter, Annie Leibovitz, Joel Meyerowitz, Daido Moriyama, Garry Winogrand und natürlich Robert Lebeck sind für mich inhaltlich und ästhetisch richtungsweisend. Es gibt sehr viele Fotografen, von denen ich lerne und mir etwas abschaue – aber ich versuche nie, einfach etwas nachzumachen. Das Schwierigste ist, einen eigenen Weg und Stil zu finden und sich zu fragen: Was ist eigentlich meine Bildsprache? Wie drücke ich mich aus? Aber es bringt auch nichts, das zu erzwingen und zu wichtig zu nehmen, man muss es eigentlich vergessen. Das wechselt bei mir immer noch, was auch damit zusammenhängt, dass ich immer nur mit available Light arbeite, fast nie Aufhellung benutze oder zusätzliches Licht. Wenn ich mehr Licht brauche, bitte ich die Person, einen halben Schritt nach vorne zu kommen, weil sie dann das Licht zum Beispiel von einem Schaufenster besser abkriegt. Dadurch fallen die Fotos stilistisch unterschiedlich aus, zumal ich zum Teil auch noch verschiedene Kameras einsetze. Am besten ist, einfach das zu tun, was man selber spannend findet, und es so auszuführen, dass es einem selbst gefällt.

Das eigene Tun als Fotograf begreifen

? Welche Kamera haben Sie sich nach dem iPhone angeschafft? 

! Die erste war die Sony Alpha 6500, aber sehr bald kam die Alpha 7 III. Anschließend eine Alpha 6600, dann die Alpha 7 R III. Nach der Sony-Serie kam die erste Leica, eine Q2, und mit der fotografiere ich mittlerweile eigentlich jeden Tag.

? Wenn Sie täglich fotografieren, müssen Sie inzwischen riesige Datenmengen an Fotos haben. Wer sichtet, sortiert und archiviert diese Mengen?

! Ich habe leider, leider erst sehr spät damit begonnen, mein Material zu sichten. Inzwischen stehen zwei Server bei mir zu Hause, auf denen über 20 Terabyte Daten sind. Ein Irrsinn! Da ist natürlich jede Menge Schrott dabei, und ich bin immer noch am Löschen. In monatelanger Arbeit habe ich es inzwischen geschafft, die Daten nach Jahreszahl und Orten zu sortieren, zum Teil sogar nach Personen. Wenn ich früher ein Bild gesucht habe, brauchte ich dafür drei Wochen. Jetzt schaffe ich das in drei Minuten.

? Das ist schon eine deutliche Verbesserung.

! Ja, aber ich bin immer noch am Sortieren, und ich weiß, dass ich das schon viel früher hätte tun sollen. Aber hinterher ist man immer schlauer. Es gibt aber auch etwas Gutes bei dieser Sichtungsarbeit.

? Nämlich?

! Sie schärft den Blick auf das eigene Tun. Am Anfang habe ich wie ein Irrsinniger auf den Auslöser gedrückt. Ich kam nach Hause mit 1 400 Aufnahmen und zum Teil noch mit Serienaufnahmen. Das musste alles gesichtet werden. Mir war anfangs gar nicht klar, dass ich derjenige bin, der das sichten muss, der diese Arbeit am Hals hat.

Jetzt ist so viel Material da, dass sich meine Kriterien schärfen und ich Prioritäten setzen muss: Was ist ein gutes Bild? Was taugt nichts? Wen interessiert es überhaupt? Wem zeige ich es und warum? Bilder, bei denen ich denke, die taugen zwar als Fotos nicht so viel, sind aber eine schöne Erinnerung, lösche ich nicht. Ich beginne jetzt erst wirklich, mein eigenes Tun als Fotograf zu begreifen.

? Welche Motive interessieren Sie? Sind es soziale Themen? Ist es die politische Fotografie? Sind es Menschen?

! Meine Interessen sind eher philosophisch gelagert. Ich denke viel über die Vergänglichkeit nach, und mich interessiert das Phänomen Zeit. Jeder kennt doch diesen Moment: Man sitzt im Bus oder im Zug und jemand fährt an dir vorbei. Der schaut dich aus seiner Welt heraus für einen Augenblick an, es gibt ein ganz kurzes Erkennen, und schon ist man weiter. Diesen Moment versuche ich einzufangen an der Stelle, wo er bereits zur Vergangenheit wird.

Ich habe das große Glück, dass mir die meisten Menschen auf Anhieb vertrauen. Sie öffnen sich, zeigen sich kurz, schenken mir für einen Moment einen Blick, mit dem sie von ihrem Planeten zu meinem Planeten rüber schauen. Das fasziniert mich. Ich denke viel darüber nach, was eigentlich das Jetzt ist. Was ist die Gegenwart? Der großartige amerikanische Künstler Steve Barry, Professor an der University of New Mexico in Albuquerque, hat ein Buch darüber geschrieben, das er mir geschenkt hat. Vieles darin ist so komplex und kompliziert, dass ich nicht alles verstehe. Aber eine Erkenntnis habe ich mitgenommen: Ewigkeit ist jetzt. Wann sonst? Indem ich das jetzt ausgesprochen habe, ist es schon vorbei. Die Vergänglichkeit und das Phänomen Zeit beschäftigen mich beim Aufwachen und beim Einschlafen, ein berauschendes Paradoxon.

Die Fotografie schafft mir einen physischen, haptischen Zugang zu dieser philosophischen und geistigen Dimension. Die treibt mich um wie Hunger und Durst. Es ist für mich ein geradezu körperliches Erlebnis. Deswegen habe ich die Kamera immer dabei. Ich sage mal etwas überspitzt: Die Kamera ist eines meiner schönsten Körperteile. Die Kamera ist für mich gleichzeitig Firewall und Schlüssel zur Welt. Firewall aber nicht im Sinne, dass ich mich dahinter verstecke, sondern dass ich mich damit vor einer Situation schützen und mir Distanz verschaffen kann. Gleichzeitig schaffe ich mir Zugang zu Situationen. Auch dieses Paradoxon fasziniert mich.

Farbfotos haben für mich fast etwas „Pornografisches“

? Kommt das Vertrauen vielleicht auch daher, dass die Menschen Sie wiedererkennen?

! Möglich. Sie denken vielleicht: Der will mir nicht schaden. Ich glaube schon, dass ich es damit leichter habe als andere Fotografen, die sich dieses Vertrauen erst erarbeiten müssen. Ich arbeite quasi mit Vorschuss. Letztens bekam ich in einer Ausstellung in Wiesbaden einen Preis, und als ich die Menschen dort ansprach, ob ich sie fotografieren darf, sagten sie sofort: „Ja, na klar.“ Sie gehen davon aus, dass ich ihnen nicht schaden werde.

Die Art, wie ich Menschen porträtiere, ist eine Art barocker Realismus für mich. Ich versuche immer, die Menschen etwas zu überhöhen, sie wie im Film auch etwas bigger than life erscheinen zu lassen. Denn für mich ist jeder, der den Kampf mit dem Alltag aufnimmt, schon ein Held. Jeder, der morgens aufsteht und sagt: Ich traue mich, auch diesen Tag in Angriff zu nehmen, ist für mich ein Held. Und als Helden will ich jeden abbilden, als jemanden, der den Kampf mit dem täglichen Leben aufgenommen hat.

? Fotografieren Sie lieber in Farbe oder Schwarz-Weiß?

! Schwarz-Weiß finde ich spannend, weil es ein klarer Umgang mit Linien, mit Flächen, mit Licht, mit Schatten ist. Manchmal fotografiere ich auch in Farbe. Gerade, wenn es um Menschenfotografie geht, hat Farbe allerdings für mich fast etwas „Pornografisches“. Ich fange an, auf Lidschatten, auf Lippenstift, auf Wangenrot und so weiter zu achten, und das alles lenkt ab vom Wesentlichen.

? Und das ist?

! Das Wesentliche ist für mich immer der Blick. Stimmt der Blick, ist es für mich zweit- bis drittrangig oder gar nicht rangig, welche Farben im Gesicht vorkommen. Deshalb sind Porträts bei mir meist schwarz-weiß. Wobei ich nach und nach für mich entdecke, dass man auch Farbporträts machen kann, die eben nicht dieses fast schon Pornografische haben, dieses Überfallartige, was Farbe ja manchmal haben kann.

Ich will mich nicht festlegen, keine dauerhafte Doktrin entwickeln oder dogmatisch damit umgehen. Ich werde immer schauen: Mit welchem Licht habe ich zu tun? Wie kann ich das für mich nutzen? Wie kann ich denjenigen oder die diejenigen, die ich fotografieren möchte, dazu bewegen, dieses Licht und diesen Augenblick mit mir zu nutzen?

Das gesamte Interview lesen Sie in der Print-Ausgabe 2-25

 

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