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35 JAHRE MAUERFALL
Desinformation als Waffe
Foto © Bernd Lammel
Interviews

Desinformation als Waffe 

Susanne Spahn studierte osteuropäische Geschichte, Slawistik und Politikwissenschaft an den Universitäten St. Petersburg und Köln und promovierte mit dem Thema „Staatliche Unabhängigkeit – das Ende der ostslawischen Gemeinschaft? Die Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine und Belarus seit 1991“. Zu Spahns Arbeiten gehören drei Forschungsberichte über russische Medien in Deutschland. Ihre jüngste Studie „Russische Medien in Deutschland: Wie der russische Informationskrieg und Desinformation Einfluss auf Deutschland ausüben“. Mit NITROsprach sie über Strategie der Desinformation als Waffe russischer Staatsmedien und über den Informationskrieg, den RT DE (zuvor RT Deutsch) seit Jahren in Deutschland führt.

? Frau Dr. Spahn, Sie beschäftigen sich seit einigen Jahren mit den russischen Staatsmedien, die in Deutschland Propaganda und Desinformation betreiben. Eine Ihrer Studien trägt den Titel „Desinformation als Waffe“. Seit wann nutzt Russland die Desinformation als Waffe?

! Ich beobachte die Arbeit der russischen Staatsmedien in Deutschland seit mehr als sieben Jahren und begleite RTDE (bis 2020 RT Deutsch, Anm. d. Red.) in Berlin und die Plattform Sputnik News seit dem Start kritisch mit Analysen. In meiner Arbeit analysierte ich die Äußerungen der führenden russischen Journalisten, vor allem der Chefredakteurin von RT, Margarita Simonjan. Von ihr gibt es ein wegweisendes Interview aus dem Jahr 2013, das sie als Reaktion auf den Georgien-Krieg gab. Darin sagte sie, Russland müsste sich besser positionieren für die kommenden Informationskriege, und sie bezeichnete RT als Waffe im Informationskrieg.

? Hat Margarita Simonjan schon damals die russische Desinformations-­Strategie beschrieben?

! Genau. Russische Staatsmedien sollten im Ausland und insbesondere in den westlichen Staaten eine Gegenöffentlichkeit schaffen und vor allem die Unzufriedenen ansprechen. Gezielt richtete man das Wort an die Kritiker des Systems, besonders an linke und rechte Kräfte, um sie als Ressource im Informationskrieg zu nutzen. Die Chefredakteurin und Geschäftsführerin von RTDE, Dinara Toktosunova, hat sich in einem Interview mit arte ähnlich geäußert wie Margarita Simonjan. Auch sie sprach ganz selbstverständlich davon, dass sich RT in einem Informationskrieg befindet. Sichtbar wird diese Strategie, wenn man die Berichterstattung analysiert. RT nutzt Krisen für eigene politischen Ziele. Hier fällt vor allem ins Auge, dass seit dem Start von RTDE im Jahr 2014 sofort die Flüchtlingskrise 2015 ins Visier genommen wurde, anschließend der Brexit und die Europäische Union, seit zwei Jahren ganz massiv die Corona-Pandemie – und aktuell natürlich der Ukraine-Krieg.

RT nutzt unterschiedliche Krisen, um das westliche System als gescheitert darzustellen, und diffamiert die Demokratie als ein defektes Gesellschaftsmodell. RT suggeriert, dass westliche Regierungen und Behörden nicht in der Lage sind, die Herausforderungen von Krisen zu meistern.

? … aber Russland ist dazu in der Lage?

! Natürlich. Russlands autoritäres Regime und insbesondere Präsident Putin werden sehr positiv dargestellt, und der Präsident wird als effektiver Krisenmanager in Szene gesetzt. An dieser Polarisierung kann man sehr schön sehen, dass es darum geht, unsere Demokratie anzugreifen und die öffentliche Meinung zu manipulieren, Zweifel zu wecken und zu schüren. Corona-Kritiker bekamen in der RTDE-Berichterstattung weiten Raum. Wertende Urteile und die Bezeichnung „Corona-Tyrannei“ wurden eins zu eins übernommen – ohne jeden Kommentar. Zuvor bekamen EU-Kritiker und davor Pegida-Aktivisten bei RTDE und Sputnik eine Plattform, um der Öffentlichkeit ihren Unmut kundzutun.

? Russische Staatsmedien sind seit 2014 in Deutschland massiv aufgetreten. Gibt es einen Zusammenhang mit der Annexion der Krim?

! Ja. Die russischen Staatsmedien waren zwar auch vorher schon aktiv, vor allem die Nachrichtenagentur RIA Novosti und der Radiosender Stimme Russlands. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine, der de facto bereits 2014 mit der Intervention der Krim und auch im Donbass begann, hat Präsident Putin beschlossen, die Medienarbeit im Ausland zu intensivieren. Er erließ ein Dekret, worauf die Nachrichtenagentur RIA Novosti mit dem Radiosender Stimme Russlands zur Medienholding Rossija Sewodnja fusionierte – und Rossija Sewodnja ist der Betreiber von Sputnik News.

2014 startete Russland eine weltweite Medienoffensive unter dem Titel Sputnik International. Deren Leiter, Dmitrij Kiseljow, spielt eine herausragende Rolle bei der Medienarbeit im Ausland. Er ist Generaldirektor der Medienagentur Rossija Sewodnja und gleichzeitig Moderator der wichtigen Nachrichtensendung Vesti Nedeli im russischen Staatsfernsehen – er steht auf der Sank­tionsliste der EU.

Seit Dmitrij Kiseljow die internationale Medienoffensive leitet, wurde sehr gut sichtbar, wie die Strategie der Desinformation auch in Deutschland umgesetzt worden ist. Außerdem hat RT weltweit expandiert, 2014 wurde ein Studio in London eröffnet, und RTDE ging an den Start. Ein Jahr später expandierte man nach Frankreich mit einem Webportal, seit 2017 mit TV-Programm und einem Studio in Paris.

? Die russisches Staatsmedien versuchen, ihre Propaganda zu den deutschen Rezipienten zu transportieren – RTDE soll inzwischen 1,4 Millionen Abonnenten haben (Stand 2021). Wie konnte RTDE das schaffen?

! RTDE hatte tatsächlich die größte Reichweite zum Zeitpunkt der Bundestagswahl im September 2021. Ich hatte dazu die Studie zur Einflussnahme auf die Bundestagswahl verfasst, insofern war das sehr wichtig für meine Arbeit. Die Webseite von RTDE spielte eine große Rolle, aber viel wichtiger für die Verbreitung von Desinformation waren die sozialen Medien. Facebook und YouTube waren bis zu den EU-Sanktio­nen infolge des Ukraine-Krieges die wichtigsten Verbreitungswege, aber auch Instagram und Telegram gehören dazu.

Der zweite Verbreitungsweg sind „alternative“ Medien. Hier arbeite ich aktuell an einem Projekt mit dem Thinktank Zentrum Liberale Moderne in Berlin. Dort untersuchen wir die Berichterstattung und die Verbindung der alternativen Medien untereinander und die Zusammenarbeit mit RTDE, das sich als führende alternative Nachrichtenquelle profiliert. Mit einer finanziellen Ausstattung von 30 Millionen Euro im Jahr, ist RT eine Art Flaggschiff für andere „alternative“ Medien geworden.

? Haben Sie ein Beispiel? Wer gehört zu diesen „alternativen“ Medien, die RTDE-Inhalte verbreiten?

! Zum Beispiel die Nachrichtenseite Apolut mit Ken Jebsen oder das Querdenken-711-Portal von Michael Ballweg – beide sind sehr aktiv darin, RTDE-Inhalte zu verbreiten. Ich habe dies in einer Fallstudie untersucht, die demnächst bei LibMod erscheint. Die größten Überschneidungen – auch personeller Art – gibt es aber bei den Nachdenkseiten. Zahlreiche Autoren der Nachdenkseiten sind auch bei RTDE tätig beziehungsweise es werden Beiträge übernommen.

? Wurde RT nicht von der EU sanktioniert?

! Eigentlich sollten die Inhalte der RT-Webseiten nicht mehr verfügbar sein – theoretisch. Leider greifen die Sanktionen nicht, denn RTDE hat alternative Webseiten eingerichtet über alternative Domains. Darauf verweisen die „alternativen“ Medien Nachdenkseiten oder Apolut und andere ihrer Leser mit dem Hinweis: „Wie Sie RT und SNA noch erreichen können“, heißt es bei den Nachdenkseiten.

Ein weiterer Verbreitungsweg ist besonders wichtig: Das sind einflussreiche Journalisten und Politiker, die zwar jetzt nicht organisatorisch mit den russischen Staatsmedien verbunden sind, aber inhaltlich deren Narrative und Inhalte befördern und verbreiten. An der Spitze steht Altkanzler Gerhard Schröder, der jüngst in einem Interview mit der New York Times aufgefallen ist. Dort relativierte er die Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine und suggerierte, dass Putin gerne den Krieg beenden würde, aber nicht könne. Schröder steht für mich ganz oben auf der Liste dieser Akteure. Der Altkanzler hat eine große Breitenwirkung, weil er lange sowohl im Fernsehen als auch bei nationalen und internationalen Medien mit Interviews und als Fürsprecher Russlands sehr gut vertreten war und ist.

Schröder hat in den Jahren 2015 bis 2017 zusammen mit Gazprom-Chef Miller diverse SPD-Minister, wie Sigmar Gabriel und Brigitte Zypries, aufgesucht, um Nord Stream 2 einzufädeln – und das vor dem Hintergrund der Annexion der Krim. Claudia von Salzen hat 2017 im Tagesspiegel genau dokumentiert, wie Schröder für Gazprom als Türöffner agierte. Gleichzeitig ist Schröder immer als großer Russlandexperte in Talkshows aufgetreten und hat die Annexion der Krim verteidigt. Zum Massaker in dem Kiewer Vorort Butscha sagte Schröder kürzlich, dass er nicht glaube, dass die Befehle von Putin gekommen seien. Wenn Sie schauen, wie er argumentiert: „Nein, ich glaube nicht, dass Präsident Putin dahintersteht“, dann ist das genau die Methode, die die russischen Staatsmedien auch verfolgen: Zweifel sähen.

? Es gibt in Deutschland eine ziemlich große russische Community, aber es gibt auch viele Menschen ohne russischen Background, bei denen die perfide Gehirnwäsche von RTDE zu funktionieren scheint. Können Sie sich das erklären?

! Ich habe leider keine Daten zu den Nutzern von RTDE. Aber ich sprach einmal mit einer ehemaligen Redakteurin, die ich fragte: „Wer konsumiert das Angebot von RTDE?“ Sie sagte: „Es sind vor allem junge Männer unter 25 und Menschen aus Ostdeutschland.“ Das Angebot von RTDE ist bei vielen Menschen in Ostdeutschland sehr beliebt. Davon konnte ich mich persönlich überzeugen, weil ich häufig in Brandenburg bin und weiß, dass russische Staatsmedien als Alternative zu den „Systemmedien“ gesehen werden. Hier geht die Strategie von RTDE auf, sich als Alternative zu präsentieren.

Susanne Spahn schreibt Features, Analysen und Reportagen über Russland, Polen, Ukraine, Belarus und weitere Länder. Sie hat als freie Journalistin aus Moskau für das Netzwerk für Osteuropaberichterstattung n-ost, die Welt, die Jüdische Allgemeine, Deutsche Welle und andere Medien über Russland berichtet. Sie verfasst journalistische und wissenschaftliche Beiträge über Polen und die Länder der GUS. Als Osteuropa-Historikerin ist sie besonders an geschichtlichen Themen interessiert.

Das Interview führte Bettina Schellong-Lammel

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