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UTOPIE Verkehrswende
Werbung im Netz ad absurdum geführt
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Digitalisierung

Werbung im Netz ad absurdum geführt 

Würde Online-Werbung nur nerven – kein Problem, außer eben Generve. Aber sie ist ein System außer Kontrolle. Mit weitreichenden Folgen für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Politik. Und für Sie! (Disclaimer: Sollten Sie in einer Werbeagentur für Online-Werbung zuständig sein, könnte dieser Artikel Sie beunruhigen)

von Albrecht Ude

Wenn Werbung nervt

Das kennt jeder: Man ruft eine Webseite auf … und sieht als Erstes einen Kasten, der das überdeckt, was man eigentlich sehen will. Man wird gebeten, seine Zustimmung zur Nutzung von „Cookies“ zu geben. Das sind aber keine Kekse, wie der verharmlosende Begriff vorgaukelt, sondern digitale Wanzen. Es sind Tracker, mit denen der Nutzer einer Website beim Surfen im Netz beobachtet, verfolgt und sein Verhalten analysiert wird.

Oft wird dabei unterschieden zwischen „notwendigen“ Cookies, solchen für die Statistik, und denen von „externen Anbietern“. Dass man der Nutzung zustimmen muss, schreibt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union als sogenannte informierte Einwilligung vor. Selbstverständlich ist die Frage berechtigt, weshalb andere als „notwendige“ Cookies überhaupt präsentiert werden.

Diese Kästen sind Musterbeispiele des Übertölpelns der Nutzer. In ihre Gestaltung fließt viel Wissen über Psychologie, Webdesign und menschliche Wahrnehmung, damit Nutzer nach Möglichkeit den Button „Alles akzeptieren“ anklicken. Das geht auch am schnellsten, und schließlich will man ja nicht diesen Kasten lesen, sondern die Webseite, die er verdeckt. Wichtige Informationen werden im Fließtext versteckt, der gern in kontrastarmen Farben und kleinen Schriftgrößen daherkommt. Dazu kommen oft bewusst unverständliche Formulierungen. Und gern lange Listen, in denen alle Cookies detailliert beschrieben werden, die man dann einzeln (!) deaktivieren muss. Das können (pro Website) mehrere hundert sein. Diese Gestaltung wird „Dark Patterns“ genannt, dunkle Muster. Manipulation ist das ehrlichere Wort dafür. Es wird alles Erdenkliche getan, um den Nutzer zur Zustimmung zu bringen. Um dann seine Daten umfassend nutzen und weiterverbreiten zu können, zu verkaufen also.

Dazu muss man wissen: „Notwendige“ Cookies gibt es gar nicht. Man kann Websites gänzlich ohne Cookies betreiben. Und etliche Cookies sind schlicht rechtswidrig, auch wenn man ihnen zustimmt. Die vom österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems gegründete Initiative „None of Your Business“ (NOYB) hat in mehreren Kampagnen schon viele Firmen darauf hingewiesen, dass die von ihnen zur Anwendung gebrachten Cookies nicht legal sind, und Änderungen angemahnt; bei Untätigkeit folgte dann eine Abmahnung.

Wenn der Werbemarkt spioniert

Cookies werden benutzt, um Webbrowser und deren Nutzer wiederzuerkennen. Durch sie werden detaillierte Profile von Nutzern und ihren Interessen angelegt. Durch sie wird die „personalisierte“ Werbung erst möglich; die Nutzer werden gewissermaßen an die Werbetreibenden versteigert. Das entsprechende Verfahren nennt man in der Branche tatsächlich „Real Time Bidding“ – Bieten in Echtzeit.

Wenn jemand eine Webseite ansurft, schickt der Browser eine Anfrage (Request) an den entsprechenden Webserver, dabei werden die Cookies mit übermittelt. Das heißt, der Webserver weiß nicht nur, welche Webseite er ausliefern soll, sondern auch, an wen. Und in den Millisekunden zwischen der Anforderung der Website und deren Auslieferung findet eine Auktion statt: Anhand der Daten, die verschiedene Online-Werbefirmen gesammelt haben, werden die vermutlichen Interessen und Eigenschaften des Nutzers (zum Beispiel seine Kaufkraft) identifiziert. Andere Firmen können jetzt darum bieten, dieser Person die „passende“ Werbeanzeige einzublenden. Für Autokauf, Reiseangebote, Versicherungen, was auch immer. Die Firmen bieten umso mehr, je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Nutzer die Werbung auch tatsächlich anklickt, also eine Transaktion auslöst.

Während eine Website lädt, verdient ein komplexes, intransparentes Netz von Firmen Geld, deren Geschäftsmodell auf der Sammlung persönlicher Daten beruht. Dabei geht es um Centbeträge – das aber millionenfach pro Sekunde. Einige von den Werbe-Cents landen auch bei den Betreibern der Webseiten, auf denen die Werbung gezeigt wird; also auf den Seiten, die die Nutzer eigentlich interessieren, Medienseiten, Weblogs, kurz: echte Inhalte.

Wenn der Werbemarkt nicht funktioniert

Aber da steckt der Wurm drin: Während die weltweiten Werbeeinnahmen von Google und Facebook inzwischen mehr als 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr betragen, sind die Werbeeinnahmen von Nachrichtenorganisationen zwischen 2005 und 2018 um 70 Prozent zurückgegangen.

„Mit Tracking-Anzeigen haben sich Technologieunternehmen und Datenmakler als mächtige Mittelsmänner zwischen Werbetreibende und Verlage geschaltet und saugen einen Großteil jedes in Anzeigen investierten Euros ab. Der Guardian hat herausgefunden, dass in einigen Fällen 50 bis 70 Prozent der Werbeeinnahmen an diese Mittelsmänner verlorengehen“, so die Initiative „Tracking-Free Ads Coalition“, die von Abgeordneten des Europäischen Parlaments gegründet wurde. Sie setzt sich dafür ein, der invasiven Online-Werbung durch eine Gesetzesreform ein Ende zu bereiten.

2016 musste Facebook zugeben, dass es Werbetreibenden erlaubt, Nutzer aufgrund ihrer „Rasse“ auszuwählen. 2017 fanden Forscher heraus, dass Facebook es erlaubte, bezahlte Inhalte auf Nutzer auszurichten, die Interesse an den Themen „Judenhasser“, „Wie man Juden verbrennt“ oder „Geschichte, warum Juden die Welt ruinieren“ bekundeten. Ein mächtiger Hebel, um antisemitische Botschaften zu verbreiten, solange man Facebook dafür bezahlt. Im April 2021 wurde bekannt, dass es Werbetreibenden erlaubte, Kinder anzusprechen, die sich für Rauchen, Alkohol und Abnehmen interessieren. Das Missbrauchspotenzial solcher trackingbasierter Werbung ist groß.

Seit 2020 läuft eine Klage von zehn US-Bundesstaaten gegen Google. Der Konzern missbrauche seine Marktmacht. Dieser sei sowohl Werbeplattformbetreiber als auch Werbeanbieter und habe breiten Zugriff auf Nutzerdaten. So könne er Preise für Internetwerbung kontrollieren und Real Time Bidding manipulieren.

Um sich zu verteidigen, reichte der Konzern dem Gericht interne Dokumente ein. Dabei passierte allerdings ein folgenschwerer Fehler: Die eingereichten Papiere waren komplett ungeschwärzt und bestätigten die Vorwürfe der Anklage!

„Die Dokumente beschreiben, wie Google seit 2013 als Auktionsplattform seine Kenntnis von vorangegangenen Auktionen nutzt, um die voraussichtlich gerade ausreichenden Preise vorherzusagen. Damit konnten sie in ihrer zweiten Rolle als Werbevermittler aktuelle Anzeigenauktionen gewinnen, und zwar zu einem möglichst geringen Preis. An der Börse heißt so etwas Insiderhandel. Vermutet wurde diese Handlungsweise schon lange – nun steht es eben genau so in Googles eigenen Dokumenten“. So die Laudatio des deutschen BigBrotherAwards, der wegen dieser Praxis 2021 an Google vergeben wurde.

Einen großen Anteil an der Gewinnung von Nutzerdaten hat Googles Webbrowser „Chrome“, der mit einem Marktanteil von etwa 70 Prozent weltweit derzeit das meistgenutzte Programm zur Benutzung des WWW ist. Wie das genau funktioniert, zeigt die Comiczeichnerin und Datenschutz-Aktivistin Leah Elliott. Und zwar in Form eines Comics: In „Contra Chrome“ untersucht sie auf unterhaltsame und leicht verständliche Weise, wie Googles Browser im Laufe des vergangenen Jahrzehnts zu einer Gefahr für Datenschutz und demokratische Prozesse wurde.

Wenn Werbung Fake News und Hate Speech finanziert

Zu dieser niederschmetternden Bestandsaufnahme des aktuellen Marktes für Online-Werbung kommt noch ein weiterer Aspekt: die Finanzierung von Fake News und Hate Speech.

Etwa 1.300 deutsche Unternehmen, Ministerien und Parteien schalten ihre Werbung auf Webseiten, die offen falsche Nachrichten verbreiten oder zum Hass aufrufen. Jährlich gehen geschätzt 150 Millionen Euro von deutschen Unternehmen an solche Websites.

Diese Zahlen stammen von den Werbeexperten Thomas Koch und Michael Maurantonio. Die beiden haben die Kampagne „StopFundingHateNow“ ins Leben gerufen, ein Projekt der HOT AG Business Consulting aus Zürich. Sie identifizieren und kontaktieren Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz), die auf zwielichtigen Internetseiten Werbung schalten.

Koch führte kürzlich auf einer Veranstaltung der TU Dortmund aus, dass allerdings mehr als 80 Prozent der angesprochenen Unternehmen auf die Hinweise, in welchen Umfeldern sie derzeit werben, nicht reagierten. „Die Unternehmen wissen gar nicht mehr, wo sie werben“, sagte er.

StopFundingHateNow hat nach eigenen Angaben etwa 200.000 werbetragende Seiten analysiert, die Extremismus (links oder rechts), Diskriminierung (sexuelle Orientierung, Herkunft, Geschlecht, Religion), Pseudo-Wissenschaften, Verschwörungstheorien sowie Fake News und Desinformation verbreiten.

Marketing- und Kommunikationsabteilungen vieler Unternehmen befassen sich intensiv mit Themen, die modisch gern als #Brandsafety, #Brandvalues, #Brandsuitabilty bezeichnet werden. Die Pflege der Marke und des Images. Wenn Firmen aber Propaganda-Maschinen finanzieren, klingen solche Worte schnell hohl.

Dass Firmen überhaupt nicht mehr wissen, wo sie werben, liegt an der technischen Infrastruktur, die vor allem Google und Meta (der Facebook-Konzern) geschaffen haben. Unternehmen wählen ihre Zielgruppen via Online-Dashboard aus und schicken ihre Werbemittel dann in die Auktionen. Eine wirkliche Kontrolle, wo ihre Werbung eingeblendet wird, hätten sie nicht.

Ein weiteres Problem ist der Anzeigenbetrug, „AdFraud“. Dabei werden Anzeigen abgerechnet, die aber gar nicht von Menschen gesehen oder geklickt wurden, sondern nur von Maschinen – „Bots“. Nach den Zahlen des US-amerikanischen Forschers Augustine Fou betrifft das in seinem Land etwa zwei Drittel (!) aller Anzeigen. Michael Maurantonio hat die Methoden von Fou übernommen und kommt für den deutschsprachigen Raum auf ähnlich hohe Zahlen. Hier bezahlen Unternehmen Werbegelder, die wirkungslos verpuffen. Augustine Fou vergleicht das mit einem Künstler, der unsichtbare Statuen verkauft.

Was tun?

Der Markt für Online-Werbung funktioniert nicht. Nicht für die Werbetreibenden, deren Gelder verpuffen, nicht für die Beworbenen, die dafür ausspioniert werden, nicht für seriöse Webseiten, die wertvolle Inhalte liefern und dringend Werbeeinnahmen benötigen.

Diese Art von Spionage muss aufhören. Dass Menschen permanent durchleuchtet werden, passt nicht zu einer offenen, demokratischen Gesellschaft. Werbetreibende und speziell Medien müssen realisieren, dass dieser Markt nicht funktioniert und ihnen schadet. Sie sollten sich nicht von Google und Meta umgarnen lassen, sie brauchen Alternativen, mit denen sie selbst sicher steuern können, wohin ihre Werbegelder fließen.

Vor allem aber: Personalisierte Werbung muss weg! Ersatzlos. Sie kann durch kontextbasierte Werbeschaltungen ersetzt werden. Das könnte die Gewinne von Google und Meta senken. Es könnte etlichen Datenhandelsfirmen die Geschäftsgrundlage zertrümmern. Aber wen würde das stören?

Alle anderen wären die Gewinner.

Fußnoten:

Deutscher BigBrotherAwards 2021 an Google: https://bigbrotherawards.de/2021/was-mich-wirklich-wuetend-macht-google

Zweite Runde: noyb gegen irreführende Cookie-Banner: https://noyb.eu/de/zweite-runde-noyb-gegen-irrefuehrende-cookie-banner

Tracking-Free Ads Coalition: The costs of tracking ads: https://trackingfreeads.eu/the-costs-of-tracking-ads/

Contra Chrome/Leah Elliott: https://contrachrome.com/ · https://contrachrome.com/ContraChrome_de.pdf (PDF, 33 S., 22994 KB)

Adblocking Humans Blocked Your Ads, But Bots Loaded Them Instead, Dr. Augustine Fou. – Forbes.com, 12.05.2021

https://www.forbes.com/sites/augustinefou/2021/05/12/adblocking-humans-blocked-your-ads-but-bots-loaded-them-instead/

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