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Richard Gingras von Google News: „Gandalf of News“
Foto Bernd Lammel
Digital

Richard Gingras von Google News: „Gandalf of News“ 

Seit über 30 Jahren zählt Richard Gingras zu den Pionieren bei der Entwicklung neuer Technologien und Plattformen in der Medienindustrie. Der Blogger Richard Gutjahr nannte ihn einmal den “Gandalf of News”. Seine Karriere startete Gingras als Fernsehjournalist bei NBC und experimentierte bereits 1979 mit interaktiven Nachrichten via Teletext. Bei Google leitet er Google News, einen Dienst der rund eine Milliarde Menschen in 72 Ländern erreicht. Wir trafen Richard Gingras auf einer gemeinsamen Veranstaltung von NITRO und Google in Berlin. Wir sprachen mit ihm über den Algorithmus, auf dem Google News beruht, die Geschäftsmodelle von Herausgebern und Verlegern und die Zukunft des Journalismus.

Kommunikationskultur und Innovationen

NITRO: Wären Sie heute noch gern Journalist?

! Richard Gingras: Absolut. Wir erleben derzeit eine Renaissance der journalistischen Kreativität. Leider haben manche Medienhäuser noch nicht verstanden, wie wichtig Innovationen sind und dass jedes journalistische Modell überdacht werden muss. Als die Ära des Radio begann, lasen die Redakteure Artikel aus Tageszeitungen vor, bis sie merkten, dass das bei den Zuhörern nicht richtig ankommt. Das Radio brauchte andere Konzepte wie alle anderen journalistischen Formate auch. Ich sage nicht, dass es einfach ist, in etablierten Medien eine andere Kommunikationskultur und Innovationen unterzubringen. Strukturen, die sich bewährt haben, mögen kein Risiko. Risiken müssen wir aber eingehen, und wir müssen auch Fehler machen dürfen, aus denen wir lernen können.

? Aus wie vielen Fehlern mussten Sie in Ihrem Leben schon lernen?

! Ich bin seit 35 Jahren in der Branche, musste schon viel Lehrgeld zahlen und habe eine Menge dabei gelernt. Wir leben in einer außergewöhnlich aufregenden Zeit, können den Journalismus neu erfinden und tun das auch unaufhörlich. Und nur, wer an der Spitze der Innovation steht, kann erkennen, wie sich neue Zugänge oder Einstellungen zum Journalismus finden lassen.

Google News in 72 Ländern, 72 Ausgaben und 45 Sprachen

? Google News erreichteine Milliarde Menschen.Das ist eine enorme Herausforderung und eine große Verantwortung, denn die Nutzer verlassen sich auf die Informationen, die Google News liefert. Wie gehen Sie damit um?

! Google News ist eine Infrastruktur, die abzubilden versucht, was in der Welt in Echtzeit los ist. Es gibt Google News in 72 Ländern und damit 72 Ausgaben von Google News, und das in 45 Sprachen. Dahinter stehen keine Journalisten, sondern Maschinen. Wir wollen die Nutzer zu den besten Artikeln leiten, die wir weltweit zu allen relevanten Themen finden. Google News wurde nach dem 11. September 2001 von einem unserer Ingenieure entwickelt. Er wollte damals nicht nur Artikel aus denn USA über den 11. September lesen, sondern aus der ganzen Welt.

? Prüfen Sie eigentlich die Google News, bevor sie der Öffentlichkeit angeboten werden?

! Nein. Wir sehen uns alle zehn Minuten mehr als 65.000 Quellen weltweit in Echtzeit an und machen “Crowdsourcing” aus allem, was an News zu finden ist. Was steht bei anderen Suchmaschinen ganz oben auf der Prioritätenliste, was ist für die jeweiligen Medien aktuell relevant?  Danach überprüfen wir, welche Medien welche Themen abgedeckt haben und wie oft sie angeklickt werden. Die 65.000 Angebote stammen ja nicht nur von großen Verlagen und Organisationen, sondern auch von Bloggern und freien Journalisten, deren Meinung ebenfalls zählt. Es geht uns nicht um die Mainstream-Medien, sondern darum, dass so viele Anbieter wie möglich beteiligt sind.

Pointierte Überschriften, die der Leser auf Anhieb versteht

? Kann Google den Algorithmus verändern, um Nachrichten mit größtmöglichem Wahrheitsgehalt zu finden?

! Es ist schwierig, in der heutigen Informationsflut zu unterscheiden, was glaubwürdig ist und was nicht. Wir analysieren alle Artikel und deren Themen sowie ihre Umsetzung und dann suchen wir nach den Quellen mit hohem Renommé. Außerdem ist für uns bei der Analyse wichtig, welche Quellen angeklickt und welche Artikel gelesen werden.

? Was ist dabei für Journalisten wichtig?

! Journalisten sollten ihre Arbeit immer so interessant wie möglich präsentieren, zum Beispiel mit pointierten Überschriften arbeiten, damit der Leser auf Anhieb versteht, worum es geht.

Wie helfen wir Menschen, Inhalte zu finden?

? Wie sehen Sie die Zukunft von Google News? Kann Facebook eine echte Konkurrenz darin werden, Nachrichten zu Menschen zu transportieren?

! Nie zuvor haben Menschen so viele Nachrichten konsumiert wie heute, 24 Stunden am Tag auf unterschiedlichste Art. Für manche ist Facebook ihre erste Quelle für Nachrichten, für andere Flipboard und für andere eben Google News. Wir fragen uns also: Wie helfen wir Menschen, Inhalte zu finden, die sie interessieren?

Über Facebook heißt es, dass es seinen Nutzern Nachrichten liefert, an denen sie und ihre Freunde interessiert sind. Aber Journalismus funktioniert so nicht. Journalisten sollten ihre Leser darüber informieren, was in der Welt passiert und worüber sie Bescheid wissen sollten, und nicht nur darüber, was sie persönlich relevant finden. Wir sollten Menschen für Themen öffnen, für die sie sich bisher nicht interessiert haben und über die sie noch nichts wissen, aber unbedingt etwas wissen sollten. Das ist die große Chance Leser zu gewinnen.

Jeden Monat über eine halbe Milliarde Klicks

? Wie kann man mit Journalismus künftig Geld verdienen?

Viele Herausgeber und Verleger denken, das Internet sei eine Erweiterung ihres  bisherigen Geschäftsmodells – aber das ist es nicht. Es ist ein komplett neuer Markt, der neue Produkte und in manchen Fällen auch ein neues Geschäftsmodell erfordert. Das ist die Herausforderung. Ein Beispiel: Bei der investigativen französischen Online-Zeitung Mediapart, 2008 von vier Journalisten gegründet, darunter der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung Le Monde, Edwy Plénel, sind die Artikel nur Abonnenten gegen Bezahlung, also über eine Paywall, zugänglich. In einem Klub-Bereich schreiben Abonnenten und Journalisten der Redaktion ihre Blogs. Mediapart verzichtet auf Werbung und finanziert sich allein durch Abos.* Die 35 Journalisten, die dort arbeiten, haben sich auf bestimmte Themen fokussiert, und die Leser zahlen dafür.

? In Deutschland streiten Sie mit einigen Verlagen um das Leistungsschutzrecht. Aber zuletzt hat auch Matthias Döpfner, der sich selbst mit Marktmacht auskennen muss und Initiator jenes Gesetzes in Deutschland ist, vorläufig auf seine Forderungen gegenüber Google verzichtet. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?

Wir haben uns natürlich gefreut, dass die Snippets, also die kurzen Textausschnitte in unseren Diensten, auch für die Angebote von Axel Springer wieder in Google angezeigt werden. Denn dies ist für beide Seiten von Vorteil. Google leitet jeden Monat über eine halbe Milliarde Klicks und damit potenzielle Leser allein zu deutschen Nachrichtenseiten weiter. Zusätzlich haben wir in den vergangenen drei Jahren eine Milliarde Euro an deutsche Publishing Partner ausgeschüttet. Um Reichweiten und Umsätze der Verlage zu erhöhen, ist dieser kooperative Ansatz deutlich überzeugender.

Google ist kein Verlagshaus, Google News ist Teil einer Suchmaschine

? Am Anfang des Interviews sagten Sie, dass Sie bei Google News eine Milliarde Leser mit Algorithmen erreichen, die alle zehn Minuten 65.000 Quellen scannen, ohne einen einzigen Journalisten dafür zu brauchen. Ist der Journalismus der Zukunft auch ein Algorithmus, der nach bestimmten Daten sucht, die er selber aufbereitet und verkauft?

! Google ist kein Verlagshaus und erstellt auch keine journalistischen Inhalte, Google News ist Teil einer Suchmaschine. Deshalb brauchen wir keine Journalisten der alten Schule, sondern hochspezialisierte IT-Fachleute mit Medienwissen. Google News  bringt Leser auf die Seiten der Verlage. So multiplizieren sich die Zugriffe für die Verleger und deren Werbeeinnahmen.

Wie die Zukunft des Journalismus aussieht – wer weiß das schon? Es gibt seit 2010 das Projekt „narrative science“ der Northwestern University Chicago ( http://www.northwestern.edu), das angeblich automatisch generierte Wirtschaftsberichte  in so gutem Erzählstil schreiben kann, dass teilweise nicht mehr zuzuordnen ist, ob sie von einem Journalisten oder einer Software stammen. Doch die Komplexität der Wirklichkeit ist entschieden anspruchsvoller, deshalb zeigen wir an dieser Art des Journalismus auch kein gesteigertes Interesse.

Förderung des Wissens über digitalen Journalismus

? Eine Nachricht von Ende April ist für Medienmanager die Nachricht des Jahres: Google hat angekündigt, 150 Millionen Euro für europäische Verlage bereitzustellen, um gemeinsam Innovationen im digitalen Journalismus zu fördern. Warum will Google dieses Geld wirklich ausgeben?

! Der Medienwandel ist eine gewaltige Aufgabe. Auf der einen Seite bietet das Internet riesige Möglichkeiten, um großartigen Journalismus zu schaffen und zu verbreiten. Aber es stellen sich auch legitime Fragen, wie qualitativ hochwertiger Journalismus im digitalen Zeitalter erhalten werden kann. Im Rahmen der Digital News Initiative wollen wir gemeinsam mit Presseverlagen und journalistischen Organisationen neue Modelle für Nachrichten im Netz entwickeln. Der von Ihnen genannte Innovationsfonds ist dabei nur ein Element, die Förderung des Wissens über digitalen Journalismus in den Redaktionen sowie die gemeinsame Arbeit an Produkten sind ebenso wichtige Bausteine. Ein nachhaltiges Ökosystem für Nachrichten im Netz ist auch für Google wichtig. Mit unserer Initiative möchten wir allen Journalisten und Verlagen die Hand reichen und gemeinsam daran arbeiten.

 

Das Gespräch führte Bettina Schellong-Lammel

* Mediapart spielte 2010 eine wichtige Rolle im Korruptionsskandal um die L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt und führende konservative Politiker der Regierung Sarkozy.

 

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