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80 Jahre Kriegsende
Der unbeantwortete Brief
(c) Bernd Lammel
80 Jahre Kriegsende

Der unbeantwortete Brief 

Die Regisseurin Leni Riefenstahl, die in den Jahren 1933 bis 1938 die Filme „Der Sieg des Glaubens“, „Triumph des Willens“ und „Olympia“ verwirklichte, verfügte über ein Team von 40 Kameramännern. Einer davon war Walter Frentz. Sie machte ihn bereits nach einem Jahr zu ihrem Chefkameramann und baute auf seine besonderen filmischen Perspektiven. Walter Frentz wurde auch „das Auge des Dritten Reiches“ genannt, denn er war maßgeblich an der Bildsprache und Propaganda der NS-Zeit beteiligt. Der Fotograf schuf mit seiner Handkamera neue Perspektiven und durfte bald im engsten Kreis um Adolf Hitler arbeiten. Nach dem Krieg hat Walter Frentz seine Rolle nie kritisch reflektiert. Im Interview mit NITRO  erinnert sich sein Sohn, Hanns-Peter Frentz, an den Schock, als er am Gymnasium zum ersten Mal den Namen Leni Riefenstahl in Verbindung mit Goebbels und Hitler hörte, wie sein Vater der Kameramann Leni Riefenstahls wurde und an seine eigene Begegnung mit Riefenstahl, als diese bereits 96 Jahre alt war. 

? Herr Frentz, Sie sind der Sohn von Walter Frentz, einem der Kameramänner Leni Riefenstahls und später von Adolf Hitler. Erinnern Sie sich, wann Sie zum ersten Mal bewusst erfahren haben, welche Rolle Ihr Vater im Dritten Reich spielte?

! Leni Riefenstahl kannte ich schon als Kind, sie war in der Familie nur „die Leni“. In meiner Kindheit kam sie immer mal zu Besuch, deshalb war sie für mich eine Freundin meines Vaters aus alten Zeiten. Das erste Mal, als ich bewusst wahrgenommen habe, welche Verbindung Leni Riefenstahl zu den Nazis hatte, war im Deutschunterricht am Gymnasium 1968. Da war ich 15 Jahre alt. Zuvor hatte ich vom Nationalsozialismus nicht viel gehört, denn im Geschichtsunterricht ging es nur von den Griechen und Römern bis zur Weimarer Republik.

Das Dritte Reich wurde im Unterricht ausgelassen. Wir hatten aber einen sehr fortschrittlichen Deutschlehrer, der uns die Goebbels-Reden auf einem Tonbandgerät vorgespielt hat. Und da fiel plötzlich der Name Leni Riefenstahl im Zusammenhang mit Goebbels und den Nazis. Ich dachte, ich muss in meinen Stuhl versinken, und ich dachte: Hoffentlich fällt nicht gleich der Name meines Vaters, denn der scheint ja auch etwas damit zu tun gehabt zu haben. Das war diese erste Verbindung Riefenstahl/Goebbels/Nazis, und mein Vater hatte mit Leni in dieser Zeit zusammengearbeitet.

? Sie wussten, dass Ihr Vater Kameramann war. War die Zeit seiner Arbeit mit Leni Riefenstahl und Hitler bei Ihnen zu Hause nie Gesprächsthema? 

! Wenn er in der Familie über die Vergangenheit sprach, dann meist nur in Form von Anekdoten. Mein Vater präsentierte seine Vergangenheit der Öffentlichkeit zum ersten Mal 1973. Das war schon nach meinem Abitur. Da veröffentlichte der stern einen Vorabdruck der Hitlerbiografie von Joachim Fest in 26 Folgen.

? Warum kam Ihr Vater darin vor?

! Der Verlag Gruner+Jahr hatte herausgefunden, dass mein Vater Farbbilder, die damals selten waren, aus der Nazi-Zeit hatte. Bis dahin hatte er sie immer unter Verschluss gehalten, aber er kannte Henri Nannen, weil der Kriegsberichterstatter war. Wenn ich mich richtig erinnere, rief John Jahr persönlich bei meinem Vater an, um nach den Fotos zu fragen. Später sind zwei Redakteure vom stern gekommen, um mit ihm über die Fotos zu verhandeln. Mein Vater hat lange mit sich gerungen, ob er die Bilder an den stern geben sollte. Er hatte damals, nach einer Pause von 1945 bis 1948, wieder öffentlich-rechtliche Auftraggeber, hat für Bundesministerien gearbeitet. Irgendwie ging seine Karriere nach dem Krieg ganz normal weiter.

Riefenstahl war ein Superstar aus der Nazi-Zeit

? Wie konnte das sein, wenn er für Riefenstahl und Hitler gearbeitet hat?

! Die Regisseurin Riefenstahl war ein Superstar aus der Nazi-Zeit, aber ihre Kameraleute kannten nur wenige und meist auch nicht mit Namen. An den Fotos meines Vaters stand zwar jetzt sein Name. Aber ein Bildnachweis wird nur von Fachleuten zur Kenntnis genommen. Über ihn selbst stand in den 26 Folgen im stern überhaupt nichts! Von daher blieb er der breiteren Öffentlichkeit weiterhin unbekannt.

? Er hat die Fotos an den stern gegeben?

! 1973 hat sich mein Vater tatsächlich dazu bewegen lassen, für die stern-Geschichte Fotos rauszugeben. Im ersten Heft wurden drei Doppelseiten mit seinen Fotos gedruckt, und der stern zahlte ihm dafür 10.000 D-Mark. Das war eine enorme Summe. Um das mal in Relation zu setzen: Ein VW-Käfer hat zu dieser Zeit 6.000 D-Mark gekostet. Ich habe mir im Axel-Springer-Archiv die alten stern-Ausgaben angesehen, weil ich wissen wollte, wie viele Bilder in den 26 Folgen veröffentlicht wurden. Es sind elf oder zwölf. Gruner+Jahr hat also fast 1.000 D-Mark pro Bild bezahlt.

? Haben Sie nach dem Ereignis in der Schule, als der Name Riefenstahl zum ersten Mal fiel, versucht, mit Ihrem Vater zu sprechen, um ihn nach seiner Rolle und den Zusammenhängen zu fragen? 

! Mein Vater war ein Vater, der fast immer weg war. Er war nicht der Vater, der von 9 bis 16 Uhr arbeitete und abends nach Hause kam. Im Sommer drehte er Filme, im Winter hielt er Diavorträge. Er kam zwischenzeitlich zu Besuch und brachte tolle Geschichten und Geschenke mit, war ein paar Tage da, und dann war er wieder weg.

Albert Speer empfahl Riefenstal Walter Frentz

? Hat Ihr Vater sich und seine Rolle in der NS-Zeit als Riefenstahls und Hitlers Kameramann selbst reflektiert? 

! Er unterschied sich von dem, was er sich zurechtgelegt hatte an Antworten oder Erklärungen, nicht wesentlich von dem, was Leni Riefenstahl sagte. Sein Credo war: „Ich habe nur dokumentiert, was andere machten.“ Einmal las ich von einem anderen Kameramann, der sagte: „Dadurch, dass die Filmkamera dazwischen ist, fühlst du dich nicht als Teil des Geschehens, sondern als Beobachter des Geschehens.“ Und mein Vater sagte später: „Ich hatte ja keine eigene Geschichte.“

? Wie kam es denn dazu, dass Ihr Vater einen Job als Kameramann bei Leni Riefenstahl bekam? 

! Den bekam er über Albert Speer. Mein Vater studierte Elektrotechnik, zuerst in München und ab 1930 an der Technischen Hochschule in Berlin. Die meisten Studenten, mit denen er befreundet war, studierten Architektur. Einer ihrer Professoren war Professor Tessenow, bei dem war Albert Speer Assistent. Mein Vater war schon seit den 1920er-Jahren begeisterter Wildwasserfahrer. Speer und seine Frau waren enthusiastische Paddler und Naturfreunde. Das verband sie. Im Jahr 1932 drehte er seinen ersten 35-Millimeter-Film über eine Wildwasserfahrt in Jugoslawien.

Für diesen Wildwasserfilm interessierte sich die UFA, aber der Film war ihnen zu lang, deshalb sollte mein Vater ihn auf 20 Minuten kürzen. Aber er sagte: „Den verändere ich nicht mehr. Der ist fertig.“ Da war er ein 24 Jahre alter Student, hatte Schulden, weil alles auf Pump gekauft war – aber er lehnte ab.

Dann kam die amerikanische Universal und sagte: „Toller Film!“ Von diesem neuen Sehen in den 1920er-Jahren und den besonderen Perspektiven waren die Verantwortlichen von Universal begeistert. Mein Vater war damals noch Amateur, aber die Amerikaner kauften den Film und zahlten 1932 10.000 Reichsmark dafür, was ein Vermögen war.

Frentz hatte Hitler perfekt ins Bild gesetzt

? Wann hat Speer Ihren Vater Riefenstahl empfohlen?

! Zum 1. Mai 1933 hatte Speer im Auftrag der Nazis das Maifeld in Berlin mit riesigen Fahnenmasten und NS-Flaggen dekoriert. Mein Vater machte davon einige Aufnahmen. Sie gehören zu den wenigen Aufnahmen mit politischem Hintergrund, die mein Vater aus der Vorkriegszeit in seinem Archiv hat. Leni Riefenstahl hatte da gerade den Auftrag bekommen, den ersten Parteitagsfilm zu machen, und fragte Speer, ob er nicht einen guten Kameramann kenne. Speer sagte: „Ich kenne nur einen. Walter Frentz, der hat einen hervorragenden Wildwasserfilm gemacht.“

Mein Vater hatte 1933 gerade sein Studium beendet, als Riefenstahl anrief. Sie war bereits ein Star, er war 25 und Amateurfilmer. Sie lud ihn ein, ihr seine Arbeiten zu zeigen. Er führte ihr den Wildwasser-Film vor, und sie sagte: „Sie sind engagiert.“ Da begann sein kometenhafter Aufstieg. Er wurde schon 1934 ihr Chefkameramann, und er war derjenige, der in Hitlers Wagen mitfahren durfte.

? … und das, obwohl Ihr Vater nie Parteimitglied war? 

! Es muss wohl so gewesen sein, dass das Propagandaministerium überzeugt war: Der Frentz macht die richtigen Bilder. Das hatte er schon bei Riefenstahl bewiesen. Er hatte die „Lichtgestalt“ Hitler und die jubelnden Massen perfekt ins Bild gesetzt. In seinem Tagebuch notierte mein Vater stolz: „Hitler zu Goebbels: ‚Der Frentz ist unser fliegender Holländer. Mal ist er da, mal ist er fort.‘“ Und an anderer Stelle: „‚Der Frentz passt so richtig gut zu uns.‘“ Ein Parteibuch brauchte er deshalb wohl nicht.

Mein Vater hat meinen Brief leider nie beantwortet

? Sind Sie einmal auf Ihren Vater angesprochen worden oder gab es, als Sie älter waren, eine Gelegenheit, das Gespräch mit ihm zu suchen?

! Ich wurde nie auf ihn angesprochen. Aber als Student stellte ich mir schon die Frage, warum sich mein Vater mit dieser Verbrecherbande eingelassen hat. Ich kannte ihn als weltoffenen Mann, der sich fürs Bauhaus begeisterte. Seine Musiklieblinge waren jüdische Künstler, Bruno Walter als Dirigent, Artur Schnabel als Pianist. Er war musikbegeistert, besuchte manchmal drei Konzerte pro Woche. Ich fragte mich: Wie konnte es sein, dass er sich für die Moderne begeisterte und gleichzeitig für diese Bande arbeiten konnte? Das passte einfach nicht zusammen. Irgendwann habe ich ihm all meine Fragen als Brief geschickt und ihm die ganzen Verbrechen der Nazis aufgelistet. Die sechs Millionen ermordeten Juden, die verfolgten Kommunisten, Sozialdemokraten und Intellektuellen … Dass es eine Ausstellung Entartete Kunst und Entartete Musik gab, fand ich ungeheuerlich. Ich habe seine Musiksammlung noch: Vom jungen Louis Armstrong aus den 1920er-Jahren hatte er 78er-Platten oder von Josephine Baker. Die ganze amerikanische Swingmusik hatte er haufenweise, alles sogenannte entartete Musik. Das waren so viele Widersprüche, und ich wollte Antworten. Diesen Brief hat er leider nie beantwortet, aber einer Freundin meiner Eltern hat er gesagt: „Was soll ich nur darauf antworten?“

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