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Das „Darknet“, die mediale Rampensau
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Das „Darknet“, die mediale Rampensau 

Immer wieder wird das „Darknet“ durchs Dorf getrieben und dabei stets als Tummelplatz des Schmuddels, Waffen- und Drogenhandels dargestellt. Eine recht einseitige Sichtweise. Denn dieser Teil des Netzes ist auch eine Reaktion auf die Überwachung des Internet durch die Staaten und deren Geheimdienste.

Von Albrecht Ude

Das Internet, das sind keine „unendlichen Weiten“, denn die Menge des Speicherplatzes auf allen Computern dieser Erde ist begrenzt und wird es immer bleiben. Folglich ist auch das Internet endlich und wird es immer bleiben. „Unermesslich“ ist es aber schon. Wie groß es tatsächlich ist, wie viele „Dokumente“ es umfasst, das weiß niemand. 

Zählen kann man es nicht, aber aufteilen in unterschiedliche Bereiche, das schon. Schaut man sich das World Wide Web (WWW) unter dem Gesichtspunkt der Recherche an, kann man vier verschiedene Teile ausmachen. Die Eisberg-Grafik soll das illustrieren. Nur einer der Bereiche, nämlich der oberhalb der Wasseroberfläche, wird von Suchmaschinen (wie Google, Metager oder DuckDuckGo) erfasst. Das deswegen so genannte „Oberflächenweb“ (surface web) ist jener Teil des World Wide Web, den man finden kann, wenn man (bildlich gesprochen) nur eine Maus zum Klicken hat. Mehr nicht.

Das „Darknet“ liegt vollständig unterhalb der Wasseroberfläche

Sobald man eine Tastatur braucht, um etwas einzugeben (ein Suchwort, ein Passwort oder auch nur die Enter-Taste), ist man (wiederum bildlich gesprochen) im Deep Web, dem „tiefen“ oder „versteckten“ Internet – Millionen von Datenbanken, geschützten Foren, Websites hinter Paywalls, an die normale Suchmaschinen nicht herankommen. Den Namen „Deep Web“ trägt es eben deswegen, weil normale Suchmaschinen es nicht durchsuchen und indexieren können.

Ein dritter Bereich sind die sozialen Netze (Facebook, Twitter, Xing und aberhunderte andere). Zum kleinen Teil kann man Inhalte daraus bei Suchmaschinen finden, der größere Teil aber ist „unterhalb der Wasseroberfläche“: um danach zu recherchieren, braucht man einen Account, um sich einzuloggen. Wohlgemerkt: einen Account für jedes soziale Netz, das man recherchieren will. Einen für Facebook, einen für Twitter, einen für Xing und so weiter und so fort.

Soweit wird das jeder Nutzer des Internet kennen. Das „Darknet“ dagegen, das „dunkle Internet“, werden viele nur vom Hörensagen, also aus den Medien kennen. 2016 war das Wort auf dem zweiten Platz des „Anglizismus des Jahres“, gleich nach „Fake News“. Glückliche Internetnutzer, die das „Darknet“ nicht aus eigener Anschauung kennen. Sie haben es offenbar nicht gebraucht.

Um im Bild des Eisbergs zu bleiben: Das „Darknet“ ist ein Bereich, der vollständig unterhalb der Wasseroberfläche liegt. Um hineinzukommen, muss man eine spezielle Software installieren. Diese Software anonymisiert ihre Nutzer, sodass nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, wer sich dort tummelt.

Was passiert im „Darknet“?

Was ist dieses „Darknet“ und was passiert dort? Gibt man das Wort bei einer Presse-Suchmaschine wie Google News oder besser Pressini ein, können einen die Suchergebnisse schon schaudern machen: „Sexsklavin“, „Missbrauchsbilder“, „Portale für Drogenhandel“, „Kinderpornoplattform“, „Computerkriminalität“, um solche Themen geht es da in den Berichten. 

Und um Waffenhandel natürlich, denn richtig bekannt ist der Begriff „Darknet“ in Deutschland, seit die bayerische Polizei behauptete, David S., der Attentäter vom Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München am 22. Juli 2016, habe seine Pistole im „Darknet“ beschafft. 

Dieses „Darknet“, das muss also wohl so ein stinkendes, düsteres Hinterzimmer des Internet sein, in dem sich die schmierigen, halbseidenen Ganoven tummeln. Gewissenlose Gangster, die ihr Geld oder ihre Lust am Handel mit illegalen Pornos, Drogen und Waffen haben. Und denen dann selbstverständlich an ihrer Anonymität gelegen ist.

Nur – wie weit ist es mit der schützenden Anonymität her, wenn es der bayerischen Polizei nicht nur gelang, rauszukriegen, woher David S. seine Waffe hatte, sondern auch: von wem! Und dass es ebenso gelang, diesen Mann (ohne Zweifel ein krimineller Waffenhändler) dann festzusetzen? Da passt etwas in der behördlichen und auch in der medialen Darstellung nicht zusammen. 

Bekannt wurde das „Darknet“ gerade wegen der vielen Ermittlungserfolge gegen dessen kriminelle Nutzer. Nur einige Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Schon 2013 konnten Ermittler den Schwarzmarkt „Silk Road“, in der Presse als „Amazon für Drogen“ bezeichnet, abschalten. Das einen Monat später eröffnete „Silk Road 2.0“ wurde ebenfalls 2014 geschlossen. Was heißt: Die Betreiber wurden ermittelt und verhaftet, die Listen der Anbieter und der Kunden fielen in die Hände der Ermittler – also deren Pseudonyme („Screen-Namen“) und verschlüsselte Adressdaten.

Weitere bekannt gewordene Fälle, nur aus der letzten Zeit:

Im August 2016 konnte die US-amerikanische Drogenbekämpfungsbehörde Drug Enforcement Administration (DEA) zwei Drogenhändler festsetzen, die Heroin via „Darknet“ verkauft hatten.

Im Mai 2017 konnten internationale Ermittler einen Kinderpornoring sprengen. Weltweit um 900 Personen wurden verhaftet, davon in Europa etwa 370. Diese „Operation Schnuller“ („Pacifier“) sei der erfolgreichste Schlag des FBI gegen Kriminelle im „Darknet“ gewesen, so Presseberichte.

Im Juni beschlagnahmte das Bundeskriminalamt (BKA) den Marktplatz „Deutschland im DeepWeb“ (DiDW). Der Betreiber ist in Haft, die Kundenkartei wird in Wiesbaden ausgewertet – das BKA spricht von 20 000 Mitgliedern.

Warum wird das „Darknet“ nicht abgeschaltet?

Ist dieses „Darknet“ also nur ein Marktplatz für kriminelle Onlineshops? Warum schaltet der Staat es nicht einfach ab?  Weil das so einfach nicht geht. Und weil die Sache so einfach nicht ist.

Kriminelle Onlineshops gibt es dort ohne Zweifel, und sie sind der Teil, über den am meisten berichtet wird. Ebenso könnte man aus der Berichterstattung über Korruptionsfälle und Wirtschaftskriminalität folgern, bei der gesamten Wirtschaft handele es sich um organisierte Kriminalität. Das ist etwas zu pauschal.

Zudem greifen auch im „Darknet“ die ganz normalen Marktmechanismen des Kapitalismus: Shops stehen in Konkurrenz zueinander und buhlen um Kunden, müssen diese also zufriedenstellen. Das führt, wie man aus einem Hintergrundbericht der IT-Fachzeitschrift c’t entnehmen kann, zum Beispiel dazu, dass die Qualität und Reinheit der dort gehandelten Drogen (gegenüber der Ware aus dem Straßenverkauf) höher ist. Zu den üblichen Preiskämpfen sowieso.

Auch Schwerkriminelle haben ihre Ehrbegriffe

Es führt auch zu Abgrenzungen der Kriminellen untereinander: In den Online-Marktplätzen findet man etwa keine Kinderpornografie – die gilt selbst in diesem Milieu als geschäftsschädigend. Solche „Ware“ wird in separaten Tauschringen verschoben. Und jeder, der mitmachen will, muss zunächst neue Ware mitbringen. Was eben auch heißt: Mit Kinderpornografie wird so gut wie kein Geld verdient, diese „Ware“ wird getauscht. Auch Schwerkriminelle haben ihre Ehrbegriffe, und Kinderschänder gelten auch ihnen als abartig – das versteht jeder, der Kinder hat. Im „Darknet“ tummeln sich nicht nur jene, die Interesse an Verbotenem haben oder damit Geld verdienen wollen. Die sind sogar in der Minderheit.

Dass in den letzten Jahren immer mehr kriminelle Händler aufgeflogen sind, hat zwei Gründe: Zum einen lernen eben auch die Ermittler dazu. Vor allem setzen sie mehr Ermittler ein, die verdeckt auftreten. Das geht zum Beispiel aus einem Interview mit Oberstaatsanwalt Andreas May von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) hervor.

Zweitens ist Handel schwerer zu anonymisieren als etwa Meinungsäußerung. Bei einem Handelsgeschäft bleibt es ja nicht beim Online-Kontakt, sondern Ware muss transferiert und bezahlt werden. Wenn die Beteiligten dabei handwerkliche Fehler machen, gibt das den Ermittlern Ansatzpunkte in die Hand.

Exkurs: Wie funktioniert das „Darknet“?

Ohne ein wenig technischen Hintergrund geht es nicht. Was in der Berichterstattung als „Darknet“ bezeichnet wird, müsste korrekt „Darkweb“ heißen: Es ist Teil des WWW, und unter „Dark Net“ verstehen Informatiker etwas ganz anderes, nämlich quasi „unbenutzte“ Teile des Internet-Adressraums.

Und es gibt mehrere davon, nicht nur eines. Gemeinsam ist all diesen Plattformen, dass sie ihre Nutzer anonymisieren und damit also schützen. Was in der (deutschen) Presse derzeit unter „Darknet“ verstanden wird, sind vor allem das Tor-Netz und dessen versteckte Dienste („hidden services“).

Das Tor-Netz (Tor für „The Onion Router“, deutsch „der Zwiebel-Router“) verschleiert wirksam die IP-Adressen der Handelnden, indem der gesamte Datenverkehr mehrfach über drei zufällig ausgewählte Tor-Server umgelenkt und dabei verschlüsselt wird. Diese Tor-Server sind weltweit verteilt, ein einzelner Staat oder Geheimdienst kann sie nicht überwachen. Wird ein einzelner Server beschlagnahmt, sehen die Überwacher eben nur verschlüsselte Daten und keine offenen IP-Adressen. Und da der Verkehr immer über drei Server in Kette läuft, kann man niemals Absender und Empfänger der Daten gleichzeitig sehen. In genau dieser Architektur des Netzwerks liegt seine Stärke.

Verschlüsselung der Daten schon im eigenen Computer

Um dieses Netz (nur das Tor-Netz, nicht die anderen Plattformen des „Darknet“) zu nutzen, braucht man den Tor-Browser. Der sorgt dafür, dass die Verschlüsselung der Daten schon im eigenen Computer beginnt, ehe der erste Tor-Server kontaktiert wird. Die Software gibt es gratis im Netz, ihre Nutzung ist legal. Die Installation ist so einfach wie die jedes anderen Webbrowsers.

Mit diesem Browser kann man dann noch etwas: auf die versteckten Dienste zugreifen. Die Tor-Server können nicht nur Daten weiterleiten, sondern sie dienen auch zur Ablage von Daten – wofür Webserver eben da sind. Nur, dass sie dies verschlüsselt tun. Man erkennt solche Angebote an der Endung „.onion“, einer Pseudo-Domain. Um sich dort zu orientieren, gibt es das „Hidden Wiki“ und zahlreiche Verzeichnisse, die nur via Tor erreichbar sind. Mit einem normalen Webbrowser bekommt man die nie zu sehen, dazu braucht man den Tor-Browser. Und auch mit dem ist nicht zu ermitteln, wer die Daten dort abgelegt hat. Nicht einmal der Betreiber des Tor-Servers kann das wissen. Maximaler Schutz also.

An eben diesem Schutz sind auch andere interessiert, die keine „kriminellen“ Motive haben, jedenfalls nicht nach hiesigen Maßstäben: politische Aktivisten, in deren Heimatländern nichtkonforme politische Aktivität als Verbrechen gewertet und verfolgt wird. Dass die ein großes Interesse an ihrer Anonymität haben, ist klar und auch nachvollziehbar. 

Roger Dingledine, einer der Gründer des Tor-Projekts

Und diese Art der Nutzung des Tor-Netzes ist die überwiegende. Roger Dingledine, einer der Gründer des Tor-Projekts, wies kürzlich auf der Hacker-Konferenz „Def Con“ darauf hin, dass nur drei Prozent der Tor-Nutzer die versteckten Dienste nutzen. 97 Prozent hätten lediglich ein Interesse daran, unerkannt und unbehindert auf ganz normalen Seiten zu surfen. Und von den versteckten Diensten würde einer am stärksten genutzt, den jeder kennt: Facebook. Dieser beliebte Teil des sozialen Netzes ist in vielen Ländern nicht frei aufzurufen. Mit dem Umweg über das Tor-Netz geht das aber problemlos. Das Netz hilft Nutzern, staatliche Einschränkungen zu umgehen.

Dass Aktivisten und auch ganz normale Surfer ins „Darknet“ ausweichen, liegt einfach daran, dass die Staaten und deren schmierigste Filialen, die Geheimdienste, das offene Internet immer stärker überwachen. Mit allen Schäden, die eine offene Gesellschaft eben erleiden kann: Sie wird immer weniger offen, sie wird deformiert. Wenn man sich Staaten als Organismen vorstellt, dann sind Geheimdienste die Tumore. Dort also müsste man ansetzen, wenn man etwas Positives bewirken wollte. Aber das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben – und die Nutznießer sind dann die Kriminellen.

Weiterlesen und -schauen:

Die Anglizismen des Jahres 2016

2016

Pressini, eine spezielle Suchmaschine für Pressebereiche (sie nutzt als „Custom Search Engine“ die Datenbank von Google)

http://www.pressini.de/

Stefan Mey: Die Banalität des Dark Commerce: Das Darknet als Einkaufsmeile. – c’t, 26.12.2015 

https://www.heise.de/ct/artikel/Die-Banalitaet-des-Dark-Commerce-Das-Darknet-als-Einkaufsmeile-3052700.html

„Wir setzen vor allem verdeckte Ermittler ein“

Interview mit Oberstaatsanwalt Andreas May (Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, ZIT)

von Annette Dittert und Daniel Moßbrucker. – NDR, 06.01.2017

https://www.ndr.de/nachrichten/netzwelt/Wir-setzen-vor-allem-verdeckte-Ermittler-ein.darknet124.html

Der sehr anschauliche und informative Film

„Die Story im Ersten: Das Darknet“ von Annette Dittert und Daniel Moßbrucker

ist noch bis zum 9. Januar 2018 in der ARD-Mediathek abrufbar unter:

http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/das-darknet-reise-in-die-digitale-unterwelt100.html

Das Tor-Projekt: u.a. kostenfreier Download des Tor-Browsers

https://www.torproject.org/

Albrecht Ude

ist Journalist, Researcher und Recherche-Trainer. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte sind die Recherchemöglichkeiten im Internet. 

www.ude.de

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