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„Damen auf den billigen Plätzen“ sollen Ruhe geben
Elitejournalismus

„Damen auf den billigen Plätzen“ sollen Ruhe geben 

von Christoph Nitz

Die mehrfach ausgezeichnete TV-Journalistin Birte Meier entdeckte, dass männliche Kollegen beim ZDF für gleiche Arbeit mehr bezahlt bekommen als sie – sogar bei geringerer Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit. Versuche, diese Ungleichbehandlung durch Gespräche mit Vorgesetzten und die Anrufung der senderinternen Beschwerdestelle zu lösen, scheiterten. Seit 2015 befindet sich Meier in einer juristischen Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitgeber. Eine juristische Fachtagung in Berlin soll auf die grundsätzliche Bedeutung des Falls aufmerksam machen und die Debatte in juristische Fachkreise tragen.

Margaret „Peggy“ Olson forderte in der populären Serie „Mad Men“ von ihrem Chef gleiche Bezahlung: „Ich weiß nicht, ob Sie es in den Zeitungen gelesen haben, aber es gibt jetzt ein Gesetz, das besagt, dass Männer und Frauen, die dasselbe tun, dasselbe Geld bekommen.“ Filmfigur Olson arbeitet als Texterin in einer Werbeagentur in den USA der 1960er Jahre. Zur Erinnerung: Am 10. Juni 1963 brachte Präsident John F. Kennedy den EqualPay Act als Bestandteil seiner New Frontier-Strategie zur Modernisierung der US-amerikanischen Gesellschaft auf den Weg. Auch in Deutschland wird seit 1948 die Entgeltdiskriminierung benannt und auf den Schutzauftrag zur Gleichbehandlung durch das Grundgesetz verwiesen. Ein „Entgeltgleichheitsgesetz“ fehlt jedoch bis heute; die Wirksamkeit  des 2017 beschlossenen „Entgelttransparenzgesetzes“ (EntgTranspG) wird bezweifelt. Deutlich konkreter wird die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern unionsrechtlich gefordert, insbesondere vom Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Szenenwechsel ins 21. Jahrhundert: Birte Meier arbeitet seit rund zehn Jahren beim ZDF als Redakteurin beim TV-Magazin Frontal21.   Im Internet wird Meier von ihrem Sender als erfolgreiche Frontal21-Redakteurin präsentiert, mit Arbeitsschwerpunkt „investigative Wirtschaftsgeschichten und hintergründige Politikbeiträge – vorrangig zur New Economy, zur Globalisierung und zum Wandel von Marktwirtschaft und Demokratie“. Hier findet sich auch ein ausführlicher Lebenslauf der Journalistin sowie der Hinweis auf die Auszeichnungen für ihre Arbeit, wie etwa den Deutschen Wirtschaftspreis. Die Redaktion wird als erfahrenes Team dargestellt, um damit die Expertise der Frontal21-Crew werbewirksam hervorzuheben.

Wie „Peggy“ Olson möchte Birte Meier dasselbe Geld bekommen wie ihre männlichen Kollegen, die dasselbe tun. Seit 2015 läuft ihre Klage gegen das ZDF. In erster Instanz wies das Berliner Arbeitsgericht die Klage zurück. Das Gericht musste dieses Urteil in Teilen korrigieren, nachdem der Anwalt der Klägerin einen Tatbestands-Berichtigungsantrag gestellt hatte. Der öffentlich-rechtliche Sender hatte die ungleiche Bezahlung nicht bestritten, allerdings stelle diese keine Diskriminierung dar. Meier fordert eine Entschädigung von 70 000 Euro für die jahrelange geringere Bezahlung für ihre Arbeit. Sie werde von Kollegen als „Leistungsträgerin“ eingeschätzt, schreibt die Redakteurin Verena Mayer in der Süddeutschen Zeitung.

Gleiches Geld für gleiche Arbeit – eine scheinbar einfache Forderung ist im Alltag schwer einzufordern, die vielfältigen Beschäftigungsformen und unterschiedlichen Tarifverträge bei öffentlich-rechtlichen Sendern erschweren es im vorliegenden Fall zusätzlich. Richter Ernst vom Arbeitsgericht Berlin wird von Medien auch mit dem Satz „Die Männer haben vielleicht besser verhandelt. Das ist Kapitalismus“ zitiert. Meier könne als fest-freie Mitarbeiterin des ZDF Vergleiche nur mit ebenfalls fest-freien Mitarbeitern anstellen. Dass auch bei dieser Betrachtungsweise einige männliche Kollegen mehr als die Journalistin verdienten, läge wahrscheinlich an einer längeren Betriebs­zugehörigkeit. Die aber könne gar nicht ausschlaggebend für die Vergütungsunterschiede sein, so die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) auf ihrer Internetseite: Sondern alles spreche dafür, dass die Vergütungen der fest-freien Mitarbeiter in der Redaktion Frontal21 frei verhandelbar waren und dass Männer dabei besser abschnitten als die Klägerin und andere Frauen. Einer solchen Vergütungspraxis aber, die Frauen benachteiligt, hätte das ZDF als Anstalt des öffentlichen Rechts entgegenwirken müssen, so die GFF weiter.

Besondere Verärgerung löste die Mutmaßung des verhandelnden Arbeitsrichters Michael Ernst aus, Schwangerschaften bei Frauen könnten dazu führen, dass sie weniger Berufsjahre und daher ein geringeres Einkommen hätten. Mit der Adressierung „Damen auf den billigen Plätzen“ wollte Ernst Teile des Publikums im Gerichtssaal bei der mündlichen Verhandlung zur Ruhe mahnen. Er „merkte nicht einmal, dass er damit eine feine Überschrift geliefert hat“, wie Evelyn Roll in der Süddeutschen Zeitung notierte. Vor dem Urteil hatte das ZDF noch einen Vergleich vorgeschlagen, nach dem Birte Meier den Sender hätte verlassen müssen. Der Bayerische Journalistenverband verurteilte die Absicht des Senders, „sich von seiner verdienten und mehrfach ausgezeichneten Mitarbeiterin Birte Meier wegen der Klage gegen Entgeltdiskriminierung zu trennen“ in einer Resolution des Bayerischen Journalistentages im März scharf. Gerade Medienbetriebe, die für die Kontrollfunktion in einer Demokratie stünden, dürften Mitarbeiterinnen keine Repressalien androhen, wenn diese ihre Rechte wahrnehmen würden.

Meier unterstützen viele Organisationen, wie etwa die Frauen in ver.di, die in einer Mitteilung schrieben: „Gut, dass es mutige Frauen gibt, die gerichtlich geklärt wissen wollen, ob sie nicht aufgrund ihres Geschlechts bei der Bezahlung benachteiligt werden.“ In einer Pressemitteilung zum Verfahren in zweiter Instanz erklärte der Vorstand des DJV Berlin Anfang November: „Ein aktueller, prominenter Fall macht deutlich, wie schwierig es für die Betroffenen ist, ihr Recht einzuklagen.“ Die Journalistengewerkschaft in der Hauptstadt wende sich gegen jegliche Form der Diskriminierung und unterstütze die Betroffene bei ihrem Anliegen.

Inzwischen wird die Auseinandersetzung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in zweiter Instanz ausgefochten. Da sich beide Seiten auf ein sogenanntes Güterichterverfahren geeinigt haben, ist das Berufungsverfahren derzeit ausgesetzt.  In einer Erklärung der GFF – die seit März 2017 die TV-Journalistin in ihrem Kampf gegen Entgeltdiskriminierung unterstützt – werden die Unterschiede dieses Verfahrens zum eigentlichen Gerichtsprozess erläutert: Maßgeblich sei in dem Verfahren nicht die juristische Bewertung eines Falls, „sondern eine für alle Seiten adäquate Lösung des Interessenkonfliktes.“

Birte Meier möchte weiter ihrer Arbeit bei Frontal21 nachgehen und wünscht sich eine Einigung mit ihrem Auftraggeber, so die GFF. Niemand möchte über Jahre hinweg einen Streit austragen, der viel Energie kostet und zudem in ihrem Fall auch breite Berichterstattung nicht nur in Fachmedien mit sich bringt. Allerdings würde das Verfahren mit einer Vereinbarung zwischen dem Sender und seiner fest-freien Redakteurin enden und nicht mit einem Urteil. Dies wäre für den öffentlich-rechtlichen Sender sicher die beste, weil leiseste Lösung des mehrjährigen Konflikts. „Der Fall schlägt immer größere Wellen, da das endgültige Urteil, das erst vor dem Bundesarbeitsgericht fallen könnte, als Grundsatzentscheidung gelten könnte“, so stellvertretend für viele Unterstützer der Klage die Zusammenfassung bei Film & Kameramann vom Juni 2017. Die GFF hatte sich zur Unterstützung in dieses Verfahren eingeschaltet, da es Ziel des Vereins sei, „dem Recht zu seinem Recht zu verhelfen.“

„Der Fall der ZDF-Reporterin ist durchaus kein Einzelfall“, erklärte GFF-Vorstand Nora Markard. „Viele Frauen können oder wollen allerdings nicht klagen. Teils kennen sie die Gehälter ihrer männlichen Kollegen gar nicht, viele müssen aber auch Repressionen am Arbeitsplatz befürchten. Hier herrscht ein echtes Durchsetzungsdefizit. Es fehlen Präzedenzfälle. Umso wichtiger sind Klagen wie diese als Vorbilder.“

Daher könnte Birte Meier mit ihrem Einsatz für eine faire und gleichberechtigte Bezahlung allen Frauen in Deutschland helfen, den Lohn zu erhalten, der ihnen zusteht. Rebecca Beerheide, Vorsitzende des Journalistinnenbundes, fordert deshalb: „Die Journalistinnen sollten sich in Sachen Lohngerechtigkeit verbünden.“

Der juristische Hintergrund dieser Auseinandersetzung wurde am 24. November breit bei einer Tagung in Berlin mit dem ­Titel „Entgelt(un)gleichheit und Entgelttransparenz in der praktischen Anwendung“ ausgeleuchtet.  Experten widmen sich einen Tag lang den unterschiedlichen Aspekten von Verfassungsrecht, deutschem Arbeitsrecht und europäischer Rechtsprechung. Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen wurden in den vergangenen Jahren geringer, doch, so zeigt etwa der Gender Equality Index 2017, schließt sich die Lücke extrem langsam. Verfahren wie das von Birte Meier sind notwendig, um diesen Prozess zu beschleunigen. Wenn in ihrem Fall eine einvernehmliche Lösung gefunden wird, ist dies für die Journalistin zu begrüßen. Ihr Beispiel sollte aber Frauen nicht nur in Medienbetrieben zeigen, dass es wichtig ist, die Lippenbekenntnisse von Gleichberechtigung und Equal Pay einem Realitätscheck zu unterziehen. Das ZDF dürfte kein Einzelfall sein.

Hintergrundinformationen:

Equal-Pay-Klage: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Christoph Nitz ist freier Journalist und Politikberater in Berlin. 

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