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Big, bigger, BBC
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Big, bigger, BBC 

Die BBC hat sich ihren Ruf als seriöses Nachrichtenhaus über Jahrzehnte erarbeitet. Doch die Schere zwischen Gebührenaufkommen und steigenden Kosten klafft seit Jahren auseinander, da bleibt auch die BBC nicht von Einsparmaßnahmen verschont. Schwierige Zeiten, denn Werbung wird nicht gesendet, weil in Großbritannien ausgestrahlte BBC-Programme nicht kommerziell sein dürfen. Aber die Briten sind clever und lassen sich neue Finanzierungsmodelle einfallen, die mittlerweile über eine Milliarde Euro in die Kassen spülen. NITRO war vor Ort in London bei BBC World News.

Text: Andrew Weber, Fotos: Bernd Lammel

Old Auntie BBC nennen die Briten ihre öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Und wie man sich eine 95-Jahre alte Tante vorstellt, steckt ein Stückchen Ehrfurcht vor der Lebensleistung in diesem Kosenamen, aber auch ein bisschen geduldete „Schrulligkeit“. Doch mit der Geduld ist es, zumindest von Regierungsseite, vorbei. Während in Deutschland von Teilen der Bevölkerung eine zu hohe Rundfunkabgabe beklagt wird, ist es in Großbritannien das Parlament, das „Tantchen“ im Nacken sitzt. Besonders unter dem bis Sommer 2016 amtierenden Minister für Kultur, Medien und Sport, John Whittingdale, hatte die größte Rundfunkanstalt der Welt zu leiden. Gebühren wurden gedeckelt, Ausgaben mussten und müssen reduziert werden, bis 2021 soll die British Broadcasting Corporation eine Milliarde Pfund einsparen. Hoffnung keimte auf, als ein bekennender Krimi- und Thriller-Fan den Posten übernahm, Karen Bradley aus Staffordshire Moorelands.

Doch die Erwartung der 3 000 Mitarbeiter am Londoner Portland Place auf einen Richtungswechsel wurde schnell zerschlagen. Zuletzt setze Bradley durch, dass der Sender die Gehälter aller Spitzenverdiener mit mehr als 150 000 Pfund Jahreseinkommen offenlegen muss. Ähnlich wie bei uns zierte man sich erst ein wenig, zum Schluss fanden die Zahlen doch einen Weg an die Öffentlichkeit.

Ein Blick auf die Rundfunkgebühren offenbart einige Unterschiede zu Deutschland. So zahlt jeder Brite seit April 2017 147 £ im Jahr für eine Fernseh-Jahreslizenz. Einige skurrile Ausnahmen wurden gestrichen. So waren Schwarz-Weiß-TVs bis vor Kurzem noch günstiger als Farbfernsehgeräte und wer das Programm ausschließlich via Internet verfolgte brauchte gar nichts zahlen. Mit der neuen sogenannten BBC Charter änderte sich dies 2016 erstmals, so dass nun im Grunde jeder Bürger eine sogenannte „Licence Fee“ entrichten muss – außer, man ist über 75 Jahre alt, dann ist der Empfang kostenlos (siehe auch Interview mit dem Chief Executive Officer von BBC Global News Ltd., Jim Egan, auf Seite 34).

Wer nur ein Radio hat, darf dem ausgestrahlten Programm weiterhin völlig umsonst lauschen. Dabei hat der Hörfunk in Großbritannien einen traditionell hohen Stellenwert. Die von der BBC auf Radio 4 ausgestrahlte Sendung „Today“-Show wird jeden Morgen von bis zu sieben Millionen Briten gehört, eine Quote übrigens die in Deutschland auf „Tatort“-Niveau liegt. Die Radio-Show ist so erfolgreich, dass sogar TV-Moderatoren zum Hörfunk abwandern. Und das Ganze kostet die Hörer keinen Penny. Nicht der einzige Luxus, den sich die Briten bei der alten Tante leisten. Nicht nur im finanziellen Sinne, sondern auch im Sinne des Anspruchs. Denn anders als in Deutschland muss die BBC als öffentlich-rechtlicher Sender nachweisen, dass die von ihr produzierten und gesendeten Programme entweder „hochklassig“, „originell“, „innovativ“, „anspruchsvoll“ oder „sehr beliebt“ sind. Wird keines dieser Kriterien erfüllt, darf weder Zeit noch Geld für ein Vorhaben verschwendet werden. Dazu ist das Programm von Radio und Fernsehen auch noch komplett werbefrei.

Insgesamt verzeichnete die BBC 2016 Einnahmen in Höhe von 4,8 Milliarden Euro (Vergleich Deutschland):

8,1 Milliarden Euro). Aus der Licence Fee kamen dabei 3,7 Milliarden. Mehr als eine Milliarde Euro Umsatz steuerte „BBC Worldwide“ bei. Bereits 1994 wurden hier alle kommerziellen Aktivitäten zusammengefasst, alle Gewinne gehen wieder an die alte Tante, beziehungsweise die BBC-Mutter. Lizensierungen von Eigenproduktionen wie „Sherlock“, „Doctor Who“ oder „Orphan Black“ spielen hierbei eine große Rolle. Allein das „Sherlock“-Special „The Abdominale Bride“ konnte laut BBC in 216 „Territorien“ verkauft werden und wurde somit das bestverkaufte Serien-Special aller Zeiten. „Sherlock“ sorgte damit für 222 Millionen Pfund zusätzlicher Einnahmen. Ein Geschäftsmodell mit Zukunft, das jedoch über die reine Unterhaltung hinausgeht. Schließlich hat sich die BBC vor allem im Nachrichtenbereich seit ihrer Gründung einen makellosen Ruf erarbeitet, der hier und da angekratzt, aber niemals nachhaltig beschädigt wurde. Auch wenn es den Begriff der „Lügenpresse“ in Großbritannien so nicht gibt, ist man durchaus dem Vorwurf von Fake-News ausgesetzt, wie Anna Williams, Head of BBC World News im Gespräch mit NITRO bestätigte (siehe Seite 36).

Williams setzt daher auf das journalistische Handwerk, den „ununterbrochenen Faktencheck“ um Fehler so gut wie unmöglich zu machen. Halbwahrheiten sollen nicht verbreitet werden. Eine selbstverständliche Tradition des Hauses, denn selbst im Zweiten Weltkrieg galt bei den Briten das oberste Prinzip des Chefredakteurs des Deutschen Dienstes der BBC, Hugh Carlton Greene: „Never tell a lie“. Von oben angeordnete Propagandalügen, wie beim deutschen Reichsfunk üblich, gab es bei der BBC nicht. Viele Menschen in Deutschland hatten der BBC den Zugang zu neutraler Berichterstattung zu verdanken. Einige bezahlten für das Anhören des „Feindsenders“ mit ihrem Leben. Die BBC ist und war wegweisend, so war es nur konsequent, dass der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk nach dem Vorbild der BBC geschaffen wurde.

Heute sitzen der BBC, wie in Deutschland, die Zeitungsverlage im Nacken, die der Anstalt vorwerfen die Rundfunkgebühren zum Machtausbau zu verwenden. Den wirtschaftsliberalen Tories gefallen solche Töne und so legte man bereits unter dem ehemaligen Wirtschaftsminister George Osborne der BBC nahe im Internet kleiner aufzutreten und beispielsweise keine Kochrezepte zu veröffentlichen. Die BBC ist also in Bredouille, denn auf der einen Seite soll sie werbefrei, anspruchsvoll und unabhängig Unterhaltung, Dokumentationen und Nachrichten produzieren, auf der anderen Seite massiv die Kosten reduzieren.

Hier setzt die BBC mit BBC World News auf seine alten Stärken und Standards: Weltweite Nachrichten rund um die Uhr. Der kleine aber feine Unterschied: Dadurch, dass die BBC in diesem Fall international auftritt, darf sie Werbung einsetzen. Keineswegs eine neue Erfindung, geht der Ursprung der World News auf den World Television Service (WSTV) zurück, der bereits 1991 gegründet wurde. Damals als reiner Satellitenkanal, der nur Abonnenten belieferte. Seit 2008 heißt der Sender BBC World News und jede Woche schauen mehr als 80 Millionen Zuschauer die Nachrichtensendungen an. Weltweit werden in beinahe jedem Land 400 Millionen Haushalte erreicht. Nicht nur das Internet mit seiner wachsenden Bandbreite spielt hier eine Rolle, der Empfang ist weiterhin via Astra-Satellit und Kabel möglich und der ist nicht umsonst. Ein Drittel der Einnahmen, die BBC World News erzielt, speist sich aus den Lizenzgebühren, die die Pay-TV-Betreiber entrichten müssen. Die restlichen Zweidrittel kommen aus TV- und Internet-Werbung. Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass das BBC World News Programm trotz Werbung auch in Großbritannien über Satellit oder Internet empfangen werden kann. Aber so lange die per Licence Fee finanzierten Programme auch empfangbar sind, ist auf der Insel alles in Ordnung. Möge uns die alte Tante BBC noch lange erhalten bleiben.

Lesen Sie zusätzlich die drei Interviews mit Anna Williams, Ros Atkins und Jim EGan in unserer Printausgabe und genießen sie die Bildstrecke. Hier eine Vorschau:

BBC, British Broadcasting Corporation

Gegründet 1927 (1922 ursprünglich als British Broadcasting Company 
zur Absatzsteigerung von Radiogeräten gestartet)

Umsatz 2016: 4,8 Milliarden Euro, davon 3,7 Milliarden Euro aus Gebühren 
(License Fee), knapp 1,1 Milliarden Euro Einnahmen aus Werbung und 
Lizenzgebühren

Jährliche License Fee: 147 Pfund oder 12,50 Pfund monatlich 
(Radioempfang ist kostenlos)

Mitarbeiter: rund 21 000

Internet: www.bbc.co.uk, auf bbc.com 95 Millionen Unique Browser monatlich

Rechtsform in Großbritannien: öffentlich-rechtliche Anstalt

Rechtsform weltweit: kommerziell, BBC Global News Ltd.

Facebook-Fans: 44 Millionen

Reichweite 2016/2017: 372 Millionen (TV, Audio, Social Media)

 

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