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UTOPIE Verkehrswende
Der Anfang vom Ende – Zeitungssterben in Zeiten von Corona
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Corona Pandemie

Der Anfang vom Ende – Zeitungssterben in Zeiten von Corona 

Kurzarbeit und Homeoffice: Die Corona-Pandemie beschleunigt nur das Unvermeidliche, den Ausverkauf und das Sterben von Zeitungen. Die Verlage werden bald in Versuchung kommen, ihr Tafelsilber zu ­verschleudern, ihre Immobilien oder gleich das ganze Unternehmen. Den Anlass dazu liefert nicht nur der ­kapitale Anzeigenschwund, sondern auch die Mitarbeiter selbst tragen unbewusst dazu bei, denn sie ­arbeiten ja im Homeoffice ebenso gut …

Na, wie geht’s? Und zu Hause? Ach, Sie sind ja zu Hause. Das wird auch in Zukunft so bleiben. CNN-Präsident Jeff Zucker wusste schon Ende April 2020, dass 85 Prozent der Belegschaft des Nachrichtensenders „nicht vor Anfang September zurückkehren werden“.1 Sie können zudem Ihren Laptop darauf verwetten, dass weltweit Verlagskaufleute bereits mit spitzem Bleistift berechnen, dass das auch noch länger – und wenn möglich – für immer so sein wird. Vielleicht nicht gerade beim Fernsehen, aber ganz bestimmt bei den Printmedien.

Ob mit oder ohne Corona-Pandemie. Während etwa bei der RTL Group der TV-Werbemarkt in Deutschland im ersten Quartal 2020 um etwa 4,5 Prozent zurückging, war der Einbruch bei den Tageszeitungen erosionsartig und lag, je nach Titel, bei 40 bis 90 Prozent. Ganz besonders heftig traf es die Anzeigenblätter – weltweit. Hier ging der Werbeausfall steil bis zu 100 Prozent. Das zu Madsack und zur Funke-Gruppe gehörende Heimat Echo aus dem Hamburger Nordosten wurde bereits eingestellt. Ob das allein am Anzeigenrückgang lag, sei allerdings dahingestellt. Trotzdem trifft der Einbruch bei den Anzeigenerlösen die Branche auf allen Kontinenten. In Großbritannien hatte die JPI Media Ltd, der Dutzende von Gratiszeitungen gehören, vorübergehend den Druck aller Titel ausgesetzt. Nicht mehr lange, dann rücken die attraktiven Renditen am Immobilienmarkt in den Fokus. Viele Verlage unterhalten noch immer prominente Innenstadtlagen.

Nicht nur aus Prestige-, sondern auch aus rein logistischen Gründen. Es wird die Frage auftauchen: Warum Redaktionsräume in der teuren City einer Großstadt vorhalten, wenn es auch eine Videokonferenz tut? Oder wozu überhaupt ein hohes Festgehalt zahlen, damit der Mitarbeiter sich eine Wohnung in der Stadt leisten kann, wenn er doch nun auch außerhalb der City wohnen und von dort arbeiten kann? Er muss ja nicht mehr zwingend in die Redaktion. Im Zweifel reicht schließlich eine Monatskarte, um Termine wahrzunehmen. Reine Spekulation, meinen Sie? Keinesfalls! Die weltweite Corona-Pandemie beschleunigt nur Prozesse, die längst keine reine Gedankenspielerei mehr sind. Während wir uns hier noch die Kurzarbeitswunden lecken, hat das US-amerikanische Branchenportal Nieman Lab2 bereits genau diese Maßnahmen empfohlen und spricht sogar von einer Chance: „In einer Zeit, in der viele Nachrichtenorganisationen vor existenziellen, finanziellen Her­ausforderungen stehen, besteht ein sehr praktischer Vorteil verteilter Teams darin, die Kosten für die Unterhaltung eines physischen Büros einzusparen“3.

In der Tat lohnt es sich, einen Blick über den großen Teich zu wagen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was uns erwarten könnte. So sank in den Vereinigten Staaten die Anzahl der Mitarbeiter in Zeitungsredaktionen von 2008 bis 2019 um mehr als 50 Prozent4. In den USA ist darüber hinaus der Ausverkauf und das Ausbluten von Tageszeitungen längst in vollem Gange. Multimilliardär Warren Buffett etwa verkaufte im Januar 2020 seine 31 Tageszeitungen. Die Investorenlegende hatte einst als Teenager Zeitungen ausgetragen und schon 2018 die Prognose gewagt, dass nur das, Wall Street Journal, die New York Times und möglicherweise die Washington Post solide digitale Geschäftsmodelle gefunden hätten, die die rückläufigen Einnahmen aus der Printwerbung kompensieren könnten. Die genannte Washington Post, seit August 2013 im Besitz von Versandartikelhändler Jeff Bezos, sieht den „Großteil der amerikanischen Tageszeitungen in einer Todesspirale“5. Jede fünfte Zeitung (etwa 1 800 Blätter) ist in den USA zwischen 2004 und 2018 geschlossen worden. Andere Zeitungen werden hemmungslos ausgeweidet, etwa von der Alden Global Capital, einem Hedge-Fonds, der in den Vereinigten Staaten über seine Tochterunternehmen um die 100 Tages- und Wochenzeitungen kontrolliert. Die Töchter operieren unter nichtssagenden Namen wie MediaNews Group oder Digital First Media. Ihre Aufgabe: den Börsenwert erhöhen. Dazu kaufen sie im ganzen Land Zeitungen, bauen massiv Arbeitsplätze ab (bisher über 1 000 entlassene Mitarbeiter) und verkaufen die Gebäude.

Die Internetseiten der Zeitungen werden vereinheitlich und bekommen ein uniformes Frontend auf WordPress-Basis. Die Washington Post instrumentalisiert beim Beschreiben der Digital First Media konsequenterweise auch kein harmloses Insekt – eine Heuschrecke –, um die Vorgänge zu verdeutlichen, sie nennt das kaltblütige Vorgehen des Hedge-Fonds ganz Unverhohlen eine „Söldner-Strategie“6. Das Hauptziel dieser Strategie sei die Einvernahme von Immobilien. Die Konsequenzen daraus tragen die Redakteure, denn sie arbeiten, wenn ihre Redaktionssitze zu Höchstpreisen kapitalisiert wurden, von Cafés oder von zu Hause aus. Sofern es „ihre“ Zeitungen noch gibt. Joe Sonka vom Louisville Courier-Journal, ist dafür ein tragisches Beispiel: Er gewann mit Kollegen den Pulitzer-Preis für seine Berichterstattung über zweifelhafte Begnadigungen im Hauruck-Verfahren, die der einstige Gouverneur von Kentucky, Matt Bevin, in den letzten Wochen seiner Amtszeit durchgeführt hatte. Sonka, der den Preis Anfang Mai 2020 entgegennehmen konnte, ist im selben Monat von der Arbeit freigestellt worden. Auf Twitter bittet er Leser verzweifelt darum, das Courier-Journal zu abonnieren. Das Blatt gehört dem Gannett-Konzern, der sich bereits seit längerem gegen eine Übernahme durch Alden Global Capital wehrt.

Unabhängiges Arbeiten, wenn man ständig Angst vor Jobverlust haben muss, sieht anders aus. So ist es auch kein Wunder, dass das Vertrauen in die mediale Berichterstattung schwindet. Ja, ein Fisch fängt immer vom Kopf an zu stinken, und ein Präsident, der bei allem, was ihm nicht in die Agenda passt, von Fake News faselt, ist so ein Fisch, der zu lange an der Luft lag.

Und doch kommt hier eines zum anderen, denn Angst ist kein guter Ratgeber. Thema Corona: Nach einer Umfrage des Associated Press–NORC Center for Public Affairs Research, hat nur ein Drittel der Amerikaner „hohes Vertrauen“ in die Berichterstattung der Medien zur Corona-Pandemie. Als Vertrauenswürdig stufen hingegen zwei Drittel der US-Amerikaner die Informationen ein, die sie von einer Behörde bekommen, dem U.S. Center for Disease Control and Prevention (CDC).7 Dabei sind sich alle einig, dass besonders der Lokaljournalismus essenziell ist. Joshua Benton, der Direktor des bereits zitierten Nieman Lab der Universität Harvard, schrieb dazu: „Lokalzeitungen sind im Grunde kleine Maschinen, die gesündere Demokratien ausspucken.“ 8 Er kann das auch belegen, denn eine Lokalzeitung sorge durch ihre Berichterstattung unter anderem für eine höhere Wahlbeteiligung9 oder für weniger Korruption in der öffentlichen Verwaltung10 Ob diesen Anspruch auch die Mitarbeiter der Lokalzeitungen erfüllen können, die zum Geflecht von ­Alden Global Capital gehören?

Was also tun? Steven Waldman und Charles Sennott schlagen in The Atlantic vor, dass die Regierung über Anzeigenschaltungen massiv in das Geschäftsmodell Lokalzeitung investiert. 500 Millionen Dollar sollen dafür aufgewendet werden.11 Jack Shafer von Politico ist dagegen. Zitat: „Es wäre (…) ein schwerer Fehler, Blätter zu retten, die von Hedgefonds wie Alden Global Capital und anderen Firmen, kontrolliert werden, die in der Praxis hohe Profite bei gleichzeitigem Personalabbau und eskalierenden Zeitungspreisen erpresst haben.“12

Noch sind wir in Deutschland nicht so weit. Bereits Ende 2019 hatte der Bundestag beschlossen, Zeitungen und Anzeigenblätter mit einem Investment von 40 Millionen Euro zu fördern. Der Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) kann sich auch eine Befreiung von der Mehrwertsteuer vorstellen. Ist klar. Dabei gibt es in Zeiten von Corona nicht nur Verlierer bei den Verlagen. Nach den Zahlen der IVW sind die Abrufzahlen der Online-Ausgaben vieler etablierter Blätter in die Höhe geschnellt. So kam ZEIT Online noch im Februar 2020 auf 84 Millionen PIs, im März waren es bereits 120 Millionen. Gleiches bei Spiegel Online: 156 Millionen PIs im Februar 2020, im März waren es derer 241 Millionen. Auch der Verkauf von digitalen Abos konnte gesteigert werden, die Süddeutsche Zeitung etwa dürfte sehr stark von ihrem erst im Dezember 2019 preisreduziertem Digital-Abo zu 9,99 Euro profitieren. Ende April 2020 hatte sie 150 000 Digital-Abonnenten. Wobei sich hier die Amerikaner am meisten vorgewagt hatten: Im selben Monat verlangte die New York Times für ein wöchentliches Digitalabo 50 Cent. Man wird auf beiden Seiten der Welt sehen, was am Schluss davon übrigbleibt, denn im Digitalbereich greifen das größte Stück vom Anzeigenkuchen noch immer Google und Facebook ab: mehr als 57 Prozent.13 Falls es übrigens jemanden interessiert, wie viele Menschen eigentlich bei Alden Global Capital in der 3rd Avenue, New York City, arbeiten: 15; sechs davon in beratender Funktion. Verwaltetes Vermögen: 1.037.674.000 US-Dollar.14_

 

Fußnoten

1           _https://thehill.com/homenews/media/494161-cnns-zucker-staff-will-not-return-to-offices-before-september

2           _Die „Nieman Foundation for Journalism“ an der Harvard University/USA ist die wichtigste Institution für Journalismus in Harvard (Massachusetts)

3           _https://www.niemanlab.org/2020/04/the-coronavirus-crisis-will-­eventually-end-but-the-distributed-newsroom-is-here-to-stay/

4           _https://nitromagazin.com/usa-groesster-jobverlust-bei-tageszeitungen-online-legt-zu

5           _https://www.washingtonpost.com/lifestyle/media/the-future-of-local-newspapers-just-got-bleaker-heres-why-we-cant-let-them-die/2020/02/14/a7089d16-4f39-11ea-9b5c-eac5b16dafaa_story.html

6           _https://www.washingtonpost.com/business/economy/a-hedge-funds-mercenary-strategy-buy-newspapers-slash-jobs-sell-the-­buildings/2019/02/11/f2c0c78a-1f59-11e9-8e21-59a09ff1e2a1_story.html

7           _https://apnews.com/4e2a20bd01bd2352009c3281b657375d

8           _https://www.niemanlab.org/2019/04/when-local-newspapers-shrink-­fewer-people-bother-to-run-for-mayor/

9           _https://www.brown.edu/Research/Shapiro/pdfs/voting.pdf

10         _https://www.princeton.edu/~adsera/JLEO.pdf

11         _https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2020/03/coronavirus-killing-local-news/608695/

12         _https://www.politico.com/news/magazine/2020/04/20/dont-waste-­stimulus-money-on-newspapers-197015

13         _https://www.emarketer.com/

14         _https://investingreview.org/firm/alden-global-capital

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